Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
I) Einleitung
II) Sozialisation
1) Faktoren
2) Ziele
III) Beeinflussung der Sozialisation eines Kindes durch den Krieg
1) Veränderung der Familienkonstallation mit ihren Folgen
2) Existentielle Not (Heimatverlust, Wohnsituation )
3) Herausbildung von Traumata
a) Definition
b) Ursachen
c) Folgen
IV) Verarbeitung kriegsbedingter Erlebnisse in ihrer Entwicklung
1) als Kind
2) als Erwachsener
3) im Alter
V) Fazit
Literaturverzeichnis
I) Einleitung
Im 20.Jahrhundert fanden fast 200 Kriege nicht nur in bestimmten Regionen oder Kontinenten, sondern auf der gesamten Welt statt. Angefangen mit dem 1. und 2. Weltkrieg bis hin zu den zahlreichen, jahrelang und noch heute andauernden Bürgerkriegen in Afrika etc., so dass man den Krieg als „Alltagsphänomen“ im 20. Jahrhundert bezeichnen kann. Erleben Menschen, egal ob Groß oder Klein, nicht nur punktuelle, sondern länger andauernde, belastende Situationen in jeglicher Beziehung, wird das Auswirkungen auf ihren Lebensweg haben.
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den betroffenen Personen, die Krieg erfahren haben. Beispielhaft wird die Entwicklung der Kriegskinder des 2. Weltkrieges durchleuchtet. Dadurch, dass diese Kinder in einer ganz anderen Umwelt groß wurden und die gesellschaftlichen Aktivitäten sowie Vorkehrungen zu dieser Zeit dramatisch waren, ist anzunehmen, dass dieses indirekt oder direkt Einfluss auf die Persönlichkeitsstrukturen der Kinder gehabt hat.1 Folglich müsste eine vom Krieg geprägte Entwicklung Auswirkungen bis ins hohe Alter haben. Die Hausarbeit geht der Frage nach, inwieweit der Krieg die Sozialisation und damit die Entwicklung der Kriegskinder beeinflusst hat. Ausgehend von dem Begriff der Sozialisation werden die Faktoren, die für die Entwicklung von Kindern wichtig sind, näher erläutert und mit den Sozialisationszielen in Verbindung gebracht. Im Anschluss daran wird aufgezeigt, welchen Belastungen ein Kriegskind im 2. Weltkrieg ausgesetzt war und welchen Folgen das für ihre Kindheit, ihr Erwachsendasein bis hin zum Alter hatte. Die wichtigsten Ergebnisse werden in einem Fazit zusammengefasst.
Bewusst werden in der vorliegenden Arbeit nur die Erfahrungen der Jahrgänge ca. 1935- 1947 berücksichtigt, die den Krieg als Kind bzw. als Jugendlicher miterlebt haben, da die Kindheit für das weitere Leben prägend ist.
II. Sozialisation
1. Faktoren
Um im weiteren Verlauf der Hausarbeit auf die Faktoren, die die Sozialisation beeinflussen, schlüssig aufzeigen zu können, wird zuvor der Begriff Sozialisation erklärt. Ausgangspunkt der Sozialisation ist die Annahme, dass sich ein Leben lang die Persönlichkeit eines Menschen weiter entwickelt. Der Mensch hat dementsprechend die Möglichkeit durch kontinuierliches Interagieren mit seiner Lebensrealität bzw. seiner Lebensumwelt diesen lebenslangen andauernden Lernprozess zu durchlaufen.2 Die Lebenswelt wiederum kann in eine äußere und innere Umwelt untergliedert werden. Mit der äußeren Umwelt sind soziale und ökologische Faktoren gemeint und bei der inneren Umwelt der Körper des Menschen und die menschliche Psyche.3
Das Fundament der Sozialisation stellen die ersten beiden Lebensphasen dar, die Entwicklung eines Kindes und eines Jugendlichen, die damit auch die ersten beiden Sozialisationsphasen darstellen. Besonders hier werden wichtige Persönlichkeitsentwicklungen vollzogen. Es wird in diesen Phasen zwischen „primärer Sozialisation[, dem] Erlernen von absoluten elementaren Regeln menschlicher Verhaltens- und Umgangsformen“ und „sekundärer Sozialisation[, der] unmittelbar anknüpfenden Weiterentwicklung von gesellschaftskonformen Grundverhaltensmustern, welche durch Werte, Normen, Recht und Mode vorgegeben werden“4 unterschieden.
Dementsprechend sind die wichtigsten Sozialisationsinstanzen in einer Gesellschaft einerseits die Familie und andererseits Erziehungs- und Bildungseinrichtungen, die nicht nur eine wichtige Rolle für die Kinder und Jugendlichen spielen werden, sondern auch für die darauffolgenden Phasen als Jungerwachsener, Erwachsener und Senior, da Kinder und Jugendliche durch die ersten Institutionen frühzeitig lernen, ihre „Rollen“ z.B. als Staatsbürger, Mitmensch, Freund, Partner, Arbeitender, Elternteil etc. einzustudieren bzw. darauf vorbereitet werden.5
2. Ziele
Damit ein Mensch ein handlungsfähiges und funktionstüchtiges menschliches Subjekt in der Gesellschaft werden kann, muss er versuchen, alle Ziele der Sozialisation zu erfüllen.
Folgenden Ziele wurden von der wissenschaftlichen Sachverständigungskommission für den „Zweiten Familienbericht der Bundesregierung“ (1975) formuliert:
Als erster Punkt wird genannt, dass Kinder durch den Sozialisationsprozess Selbstsicherheit entwickeln sollen, damit sie davor geschützt werden, ein falsches Selbstbild zu erschaffen und dadurch selbstgerecht und lernunfähig werden. Fortführend sollte durch diese Eigenschaft das Kind bzw. der Mensch davor bewahrt werden, „sich aufgrund negativer Selbstbilder in dauerhafte Abhängigkeit von anderen zu flüchten und dabei jeglichem Autoritätsdruck ängstlich nachzugeben“6. Das heißt also, dass sie eigenes Verhalten reflektieren, sich eine eigene Meinung bilden und damit auch selbst verantwortlich handeln. Aufgabe der Sozialisation ist zudem, dem Individuum zu helfen, ein Gewissen zu bilden, welches spontane Begierden bzw. Bedürfnisse kontrolliert, aber sich nicht auf starres Befolgen von Handlungsnormen festlegt.7 Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Entwicklung intellektueller Fähigkeiten, die dem jeweiligen Individuum das selbstständige Lösen von Aufgaben und den Umgang mit Begriffen und Theorien gestattet.8 Auch die Leistungsmotivation soll durch die Sozialisation vermittelt werden, sodass „inhaltlich bedeutsame und sozial legitimierbare Gütemaßstäbe als Handlungsanreize von einzelnen angenommen und verfolgt werden, ohne dass dabei eine starre Fixierung auf Leistung an und für sich entsteht“9. Ein weiterer, aber sehr wichtiger Punkt, welchen die Sozialisation vorantreiben bzw. entwickeln soll, ist die Erzeugung einer „individuellen Bereitschaft und Fähigkeit, die Bedürfnisse und Interessen anderer wahrzunehmen und Empathie“10 zu entwickeln. Der Einzelne soll also lernen solidarisch zu agieren, vor allem Dingen sein Gegenüber schwächer ist. Das letzte wichtige Ziel der Sozialisation ist die produktive Konfliktbewältigung, sodass soziale Konflikte weder verdrängt noch durch gewaltsamen Widerstand gelöst werden.11
Zu Beginn wurden also allgemeine Faktoren angesprochen, die Einfluss auf die Sozialisation von Kindern haben. Die Ziele zeigen, wie ein „eigenständiger, in der Gesellschaft handlungsfähiger Mensch“ aussieht bzw. was für Eigenschaften er durch eine gute Sozialisation entwickeln sollte. Diesem theoretischen Hintergrund wird nun die Situation der Sozialisation der Kriegskinder entgegengestellt.
III. Beeinflussung der Sozialisation eines Kindes durch den Krieg
1. Veränderung der Familienkonstellation mit ihren Folgen
Wie schon zuvor erwähnt, spielt für die Sozialisation die Familie eine sehr wichtige Rolle. Doch was ist, wenn ein wichtiger Teil der Familie fehlt, wie zum Beispiel im 2. Weltkrieg sehr häufig der Vater, der eingezogen wurde, auf dem Kriegsfeld starb oder erst nach langer Gefangenschaft zurückkehrte. Über die Hälfte der Kinder der deutschen Bevölkerung wuchs allein von 1945- 1949, also nach Kriegsende, ohne Vater auf.12
Das hatte einen gravierenden Einschnitt auf den Sozialisationsprozess. Allerdings ist es wichtig, zwischen der Familiensituation von Stadtkindern und Landkindern zu unterscheiden, da für erstere die negativen Auswirkungen gravierender waren. So war es zum Beispiel in der Stadt häufig der Fall, dass aufgrund der Zweigenerationenfamilie die Mutter alleinerziehend war, meistens nicht nur ein Kind, sondern gleich mehrere Kinder versorgen musste und von morgens bis abends bzw. nachmittags nicht im Haus war, um den Lebensunterhalt irgendwie zu sichern, so dass die Kinder häufig auf sich allein gestellt waren und sich damit ungewollt der Erziehung entzogen. Die ländliche Situation der damaligen Zeit zeigt jedoch ein anderes Bild. Es war noch üblich, dass mehrere Generationen in einem Haus lebten, so dass Kinder bei der Abwesenheit der Mutter nicht nur beaufsichtigt wurden, sondern die Mutter auch bei der Erziehung unterstützt werden konnte.
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1 vgl. Hurrelmann Klaus. Sozialisation und Lebenslauf, S.15
2 vgl. Peetz Lina. Sozialisation eine Einführung, S. 2
3 vgl. ebd., S.2
4 vgl. ebd., S.3
5 vgl. ebd., S.3
6 Hurrelmann Klaus. Sozialisation Lebenslauf, S. 21
7 vgl. ebd., S.21
8 vgl. ebd., S.21
9 ebd., S.21
10 ebd., S.21
11 vgl. ebd., S.21
12 vgl. Gehltmholt Eva. Das verwahrloste Mädchen, S. 47