Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung
2. Bourdieus Theoriekonzept
2.1 Habitus
2.1.1 Einverleibung
2.2 Feld
2.3 Kapital
3. George Herbert Meads Symbolischer Interaktionismus
4. Soziale Praxis nach Bourdieu und Mead im Vergleich
5. Einordnung Bourdieus in die aktuelle Forschung
6. Fazit
1. Einleitung
In dieser Hausarbeit werden die zentralen Begriffe Pierre Bourdieus (1930- 2002) vorgestellt, der in seiner Zeit aufschlussreiche Ansichten bezüglich der Thematik der sozialen Identität in der sozialen Ordnung entwickelt hat. Bourdieus Begrifflichkeiten und Konzepte wurden zu einem großen Teil durch praktische Erfahrungen, besonders durch seinen Forschungsaufenthalt in Algerien zwischen 1958 und 1961 beeinflusst. (vgl. Schultheis:2000, 166). Durch den Begriff Habitus erläutert Bourdieu seine Sicht der Integration von Akteuren in die soziale Ordnung, eine Art Sozialisationstheorie. Grundannahme ist, dass der Habitus alle Werte, Normen und Einstellungen, also das gesamte Wesen eines Menschen beinhaltet und dass er durch eine Art „Vergesellschaftung von Innen“ in den Menschen integriert wird. Durch dieses Übergehen von gesellschaftlichen und sozialen Handlungs- und Denkmustern bestimmt der Habitus auf der einen Seite die soziale Lage des Akteurs, auf der anderen Seite ist er durch den Habitus auch ein Produkt ebendieser Lage. Weiterhin stattet der Habitus uns mit Ressourcen aus, die in Form verschiedener Kapitale zu unseren sozialen und gesellschaftlichen Chancen gehören. Diese Punkte werden ausführlich im zweiten Kapitel erläutert. Weiterhin wird dargestellt, wie wir den Habitus erwerben und wie der soziale Raum, Bourdieu nennt ihn Feld, aussieht, indem diese Phänomene geschehen. Prägnant bei der Theorie Bourdieus ist die Abkehr von traditionellen soziologischen Denkmustern wie z.B. Rational Choice wonach soziales Handeln durch institutionalisierte Normbefolgung oder Furcht vor Sanktionen stattfindet. Um diesen Unterschied aufzuzeigen, wird im dritten Kapitel der Arbeit eine der klassischen Sozialisationstheorien von George Herbert Mead vorgestellt, der sich dem Thema aus sozialpsychologischer Sicht nähert und die Ansicht vertritt, die Integration eines Kindes in die Gesellschaft erfolgt durch symbolisch vermittelte Interaktion von Menschen in ihrem nahen Umfeld und später durch den Rest der Gesellschaft. Ein Vergleich der Theorien Meads und Bourdieus erfolgt im vierten Kapitel. Abschließend soll im letzten Kapitel die Verwendung von Bourdieus Ansichten in der aktuellen Forschungswelt der Geisteswissenschaften in Form eines kurzen Ausblicks dargestellt werden.
2. Bourdieus Theoriekonzept
2.1 Habitus
Zu Beginn der Darstellung des theoretischen Konstrukts von Bourdieu wird zunächst der Begriff des Habitus erläutert.
Dieses Konzept soll eine alternative Sichtweise zur ökonomischen Handlungstheorie rational choice darstellen, die annimmt, der Mensch als rationaler Nutzenmaximierer setzt jeder Handlung einen ökonomischen Zweck zu Grunde und wägt bei jeder Entscheidung genau ab, welche Option für ihn den größtmöglichen Nutzen bringt (ausführlich in: Treibel, 2006). Bourdieu möchte hervorheben, dass dem menschlichen Handeln oftmals der praktische Sinn zu Grunde liegt, als das Abwägen rationaler Handlungsoptionen (Bourdieu: 1997,124). In früheren Schriften wurde nicht der Begriff „ Habitus “ verwendet, sondern „ Ethos “ oder „ Klassen Ethos “, womit laut Bourdieu die „Bezeichnung für ein objektives systematisches Ensemble von Dispositionen mit ethischer Dimension, von praktischen Prinzipien“ (Gespräch Eine sanfte Gewalt 1997, 126f) gemeint war. Habitus beinhaltet jedoch den Begriff des Ethos und wurde schließlich nur noch verwendet.
Habitus beschreibt im Allgemeinen die innere Haltung eines Individuums im sozialen Raum, die er aus seinem Inneren heraus mitbringt. Dies beinhaltet seine Lebensweise, Einstellungen, Wertevorstellungen und alle sonstigen Gewohnheiten. Durch den Habitus sind Menschen in der Lage an der sozialen Praxis teilzunehmen und diese hervorzubringen. Letztlich wird der Habitus eines Menschen durch die soziale Lage seiner Geburt bedingt und ist ebenso Ausdruck und Bestimmungsgröße dieser Lage.
Der Habitus enthält Denkschemata und Bewertungsmuster mithilfe dieser das Individuum die soziale Wirklichkeit wahrnimmt und ordnen kann. Des Weiteren sind im Habitus ästhetische Maßstäbe zur Bewertung kultureller Produkte, wie Musik oder Literatur enthalten. In der Summe wirken diese Einzeldimensionen im sozialen Handeln vermischt (vgl. Krais: 1989, 51). Des Weiteren verwendet Bourdieu den Begriff „ Hexis “, der aus dem Griechischen stammt und in der eigentlichen Wortbedeutung gleichlautend mit dem Begriff des Habitus ist.1 Bourdieu benutzt „ Hexis „allerdings ausschließlich für äußerlich wahrnehmbare Effekte, wie die dauerhaft erworbene Körperhaltung. Habitus steht bei Bourdieu für die Tiefenstruktur, quasi eine individuelle Grundformel des Menschen, welche nur in Interaktion mit einem Feld aktualisiert wird. Das heißt, nur im sozialen Raum im Kontakt zu anderen Menschen bilden sich Handlungsprozesse als Merkmale des individuellen Habitus aus. Nach Fröhlich ist der Habitus, wie Bourdieu ihn benutzt, mit einem Betriebssystem eines Computers vergleichbar. Er ist für das Funktionieren im Ganzen verantwortlich, läuft ständig und dauerhaft im Hintergrund ohne sichtbar zu sein (vgl. Fröhlich: 1999, 1).
Zusammenfassend ist zu sagen, dass der Habitus keine allgemeine Fähigkeit des Menschen ist. Sie ist immer bereits an eine bestehende soziale Lage gebunden und quasi von vornherein Ausdruck von und Resultat der Konstellation von Klassen im sozialen Raum. Dies bedeutet, dass sich der Habitus durch die soziale Lage in die ein Mensch hineingeboren wird, entwickelt und dadurch ebenso Ausdruck genau dieser sozialen Lage ist, durch die sie von der Gesellschaft bestimmt wird (vgl. Krais: 1989, 51).
Fröhlich beschreibt Habitus weiterhin als „Produkt wie Produzent von Praktiken“ (Ebenda, 1999, 1). Wiederkehrende Erfahrungen verinnerlichen sich im Körper und bleiben dort aktiv präsent. (vgl. ebenda, 1999, 1). Hier deutet sich bereits der Vorgang der Inkorporation (Einverleibung) an, der im folgenden Kapitel dargestellt wird.
2.1.1 Einverleibung
Im vorigen Kapitel wurde das Konzept des Habitus erläutert. Im Folgenden soll nun geklärt werden, auf welche Weise der Habitus erworben wird. Bourdieu selbst benutzt den Begriff der Einverleibung. Die Vorstellung des Akteurs, der eine Fülle von Lebensdimensionen vertilgt, ist bewusst gewollt, denn nach Bourdieu werden die im vorigen Kapitel erwähnten Schemata zur Denkweise und Bewertung der sozialen Wirklichkeit in den menschlichen Körper „eingebaut“, sie gehen einem sozusagen in Fleisch und Blut über.
Einfacher gesagt, werden Handlungen anderer, also die Hexis, übernommen, wie sie gesehen werden „ohne im Bewusstsein thematisiert oder erklärt werden zu müssen“ (vgl. Bourdieu: 1976, 190). Als Beispiel hierfür bringt Bourdieu die Nachahmung erwachsener Handlungen wie Gestik, Mimik, Haltung etc. von Kindern.
Mit dem, was sie sehen und selbstverständlich für richtig halten, werden unausgesprochen, aber materialiter, gesellschaftliche Erklärungen der Welt vermittelt. Sie verleiben sich eine symbolische Ordnung ein und bringen sie wiederum in Sprache, Gestik, Mimik, kurz in der objektiven Körperlichkeit zum Ausdruck. Einverleibung hei ß t "Einverleibung der Strukturen" (ebenda S. 189)!
Die Betonung der Körpers unterstreicht die Objektivität der sozialen Wirklichkeit, d.h. die einverleibten Handlungen sind objektive Wahrheit geworden, die für uns selbstverständlich sind ohne, dass wir uns dessen unbewusst sind (vgl. Abels und König: 2010, 217).
Im Zusammenhang mit der Einverleibung wird häufig diskutiert, ob Bourdieu ein Sozialisationskonzept entwickelt hat oder inwiefern er eine fundierte Theorie mit empirischen Belegen und klar definierten Begriffen schuldig geblieben ist. So merkt Eckhart Liebau an, „eine explizite, ausgearbeitete Sozialisationstheorie liegt von Bourdieu nicht vor“ (Liebau: 1987, 177). Bourdieu selbst erklärt, „es gibt tatsächlich eine black box. Ich sage, es gibt objektive Strukturen, und es gibt einverleibte Strukturen. Was geschieht zwischen beiden, wie geschieht es, wie lernt man“ (Bourdieu: 1983, 93).
Im weiteren Verlauf dieser Arbeit wird genau diese Thematik in Bezug auf klassische Sozialisationstheorie näher erläutert.
2.2 Feld
In diesem Kapitel wird der soziale Handlungsraum in Bourdieus Theorie charakterisiert, das Feld.
Das Feld kann als Pendant zum Habitus gesehen werden. Der Habitus bildet die Dispositionen der Akteure, die sich im Feld objektivierten strukturellen Bedingungen gegenübergestellt sehen. Es setzt den Individuen Grenzen und gibt Möglichkeiten vor, wobei ein Hauptmerkmal des Feldes die Relation ist. Hier distanziert sich Bourdieu von der Annahme, das soziale Handeln besteht aus Interaktionen von Individuum und Gesellschaft und setzt die objektiven Relationen des Feldes in den Vordergrund und zwar unabhängig von (vgl. Waquant: 1996,36) „den für diese Relationen charakteristischen Populationen“(Bourdieu: 1996, 138). „Ein bestimmter Intellektueller…existiert als solcher nur, weil es ein intellektuelles…Feld gibt“(ebenda). Bourdieu unterscheidet das Feld der Ökonomie, der Wissenschaft, der Kunst, der Politik, der Religion und das übergeordnete Feld der Macht, das sozusagen die herrschende Klasse darstellt und über den anderen Feldern steht (vgl. Bourdieu: 1992 107).
Bourdieus Sichtweise ähnelt auf den ersten Blick der systemtheoretischen Analyse der Gegenwartsgesellschaft Parsons oder Luhmanns, die die Lebensbereiche in Systeme und Subsysteme, in eigenständige soziale Einheiten unterteilt sahen. Es bestehen jedoch Unterschiede. Zwischen den Feldern herrscht bei Bourdieu eine relative Autonomie, da sich innerhalb eines Feldes ein eigenes Grundgesetz (Nomos) bildet, um sich von anderen Feldern zu unterscheiden. Der Nomos beinhaltet die spezifische Logik dieses Feldes. Im ökonomischen Feld heißt der Nomos bspw. „Geschäft ist Geschäft“, was auf andere Felder, wie z.B. das künstlerische Feld nicht passt (vgl. Barlösius: 2006, 94). Der Nomos dient ebenfalls dazu, ein Interesse zu produzieren, diesen Nomos feldintern durchzusetzen. Hier wird bereits der kampf- und konfliktreiche Charakter der Felder untereinander angedeutet, der sich als zentrales Merkmal Bourdieus Feldlogik sehen lässt. Die Akteure eines Feldes kämpfen für die Erhaltung ihres Nomos nach außen, aber auch intern kämpfen die „Neulinge“ gegen die „Alteingesessenen“. Aufgrund dieses Machtverhältnisses und der Positionskämpfe zwischen den Feldern ist die Autonomie als „relativ“ zu bezeichnen. Luhmann kennt hingegen in der Systemtheorie nur die absolute Macht (ausführlich in: Luhmann, 2004).
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1 Hexis (griech.) und Habitus (lat.): erworbene Haltung, Habe, Gehabe