Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Vorwort
2. Bosnien und sein Islam
2.1 Vorislamische Geschichte
2.2 Osmanische Eroberung
2.3 Bosnien im Osmanischen Reich
2.4 Der Beginn der Nationalisierung
3. Die bosnischen Muslime im Zweiten Weltkrieg
4. Islam und Panislamismus im sozialistischen Jugoslawien
4.1 Die Anerkennung der “ muslimischen Nation ”
4.2 Alija Izetbegovi ć und die “ Islamische Deklaration ”
4.2.1 R ü ckst ä ndigkeit und Abh ä ngigkeit
4.2.2 Die Islamische Ordnung
5. Krieg und Dschihad in Bosnien
6. Bosnien heute - Ein Fazit
7. Literaturverzeichnis
1. Vorwort
Bosnien und Herzegowina ist eines jener Länder, die uns vor allem durch ihre kriegerische Vergangenheit in Erinnerung sind. Gerade einmal 15 Jahre ist es her, dass der Bosnienkrieg, ein Kampf zwischen Ethnien und/oder Glaubensgemeinschaften, wie gerne kolportiert wird, beendet wurde. Noch immer hat das Land unter den Folgen des Krieges zu leiden, der weit über 100.000 Menschen das Leben kostete.
Was vor diesem Hintergrund gerne in Vergessenheit gerät, ist die Tatsache, dass Bosnien und Herzegowina zudem eines der wenigen europäischen Länder mit einer seit Jahrhunderten ansässigen muslimischen Bevölkerung ist; dass das vormals unabhängige Königreich mehr als 400 Jahre lang unter osmanischer Herrschaft stand, und dass seine ethnische und konfessionell gemischte Bevölkerung über lange Zeiträume hinweg friedlich zusammengelebt hat.
Ich möchte in dieser Arbeit einen Überblick über Bosnien und seine Muslime geben, und dabei besonders auf Ereignisse im 20. Jahrhundert eingehen. Ein Hauptaugenmerk liegt auf der Vernetzung der bosnischen Muslime mit dem Rest der islamischen Welt, also auf dem panislamischen Aspekt. Dabei wird sich die Arbeit u.a. mit der muslimischen SS- Division im Zweiten Weltkrieg, der “Islamischen Deklaration” des späteren bosnischen Präsidenten Alija Izetbegović sowie den ausländischen Mudschaheddin im Bosnienkrieg beschäftigen.
Neben der angegebenen Literatur konnte ich auf eigene Erfahrungen von mehreren längeren Reisen durch Bosnien und Herzegowina zurückgreifen. Es ist gerade jene Mischung aus muslimischen, katholischen, orthodoxen, jüdischen und vielen weiteren Einflüssen, die dieses Land auszeichnet und seine Schönheit ausmacht. Andererseits wurde eben jene Vielfalt ihm mehrmals in seiner Geschichte, besonders aber im vergangenen Jahrhundert, zum Verhängnis.
2. Bosnien und sein Islam
2.1 Vorislamische Geschichte
Jenes Gebiet im Dreieck zwischen den Flüssen Sava und Drina, wo sich heute der Staat Bosnien und Herzegowina befindet, ist seit dem 7. Jahrhundert dauerhaft von Slawen besiedelt. Schon bald nach ihrer Ansiedlung wurden sie von Byzanz aus christianisiert. Die alte Grenze zwischen West- und Ostrom wurde mit dem Großen Morgenländischen Schisma von 1054 auch zu einer konfessionellen Trennlinie, nämlich zwischen der römisch-katholischen Kirche im Westen und der griechisch-orthodoxen im Osten. Damit wurden die Grundlagen für die erst wesentlich später erfolgende nationale Differenzierung der slawischen Balkanvölker gelegt. Bosnien ging jedoch schon bald einen religiösen und politischen Sonderweg. Im 13. Jahrhundert entwickelte sich dort aus machtpolitischen Erwägungen die - vom Vatikan als ketzerisch bezeichnete - sogenannte Bosnische Kirche, welche weder dem einen, noch dem anderen Lager angehörte, sich jedoch als christlich bezeichnete.1 In der Vergangenheit wurde sie häufig mit den dualistischen Bogomilen gleichgesetzt, was jedoch von zeitgenössischen Historikern überwiegend abgelehnt wird.
Im Verlauf des 14. und 15. Jahrhunderts gelangten die Osmanen, welche schon zuvor große Teile Anatoliens erobert hatten, auch auf den Balkan. Binnen weniger Jahrzehnte eroberten sie hier weite Gebiete. 1389 fand auf dem Amselfeld in der Nähe der heutigen kosovarischen Hauptstadt Priština eine Schlacht statt, die bis heute das wichtigste Element des serbischen Nationalmythos und den “Kern des serbischen Selbstverständnisses”2 darstellt. Gleichzeitig trägt die Legende gewordene Niederlage gegen Sultan Murad I. bis heute zum Feindbild von den muslimischen Horden, die Serbien gefährden, bei.3
2.2 Osmanische Eroberung
Nach dem Fall von Byzanz im Jahre 1453 war der Vormarsch der Osmanen nicht mehr aufzuhalten. Die Länder östlich Bosniens, also das heutige Serbien, Montenegro, Kosovo und Albanien, hatten sie zu großen Teilen bereits erobert. In Bosnien spielte die Eigenständigkeit der bosnischen Kirche eine wichtige Rolle für das Verhältnis zu den Osmanen. Der Dominikanermönch Nicolas Barbucci, der vom Papst entsandt wurde, um die Bosnier gegen die osmanische Bedrohung zu unterstützen, berichtete, dass deren König Stjepan Tomaš Kotromanić - selbst Katholik - der Meinung sei, die bosnische Kirche und damit die Mehrheit der Adligen fühle sich eher zu den muslimischen Osmanen als zur katholischen Christenheit hingezogen.4 Im Jahre 1459 - als die Osmanen unmittelbar an den bosnischen Grenzen standen - ging Kotromanić zur gewaltsamen Rekatholisierung des Landes über, um den drohenden Verlust abzuwenden. Nur zwei Jahre später starb der König. Sein Sohn wurde im November 1461 in der Königsstadt Jajce mit päpstlichem Segen gekrönt und von Pius II. zum Verteidiger Bosniens gegen die Osmanen erklärt. Nach deren Sieg 1463 wurde er in Jajce geköpft. Bosnien war von nun an osmanisch, die Herzegowina, wohin sich ein Teil der bosnischen Kirche vor der katholischen Verfolgung geflüchtet hatte, folgte 1481.
In der Geschichtsschreibung herrscht bis heute Uneinigkeit über die Gründe für den raschen Fall Bosniens. Klar ist aber, dass verschiedene bosnische Herrscher schon zuvor als Vasallen den Osmanen gedient hatten und dass deren militärische Stärke nach dem Fall von Byzanz überragend war. Teile Bosniens und der Herzegowina waren bereits jahrelang osmanisch besetzt gewesen und - anders als unter der katholischen Herrschaft Stjepan Tomaš Kotromanić' - hatte es dort keine religiöse Verfolgung gegeben.5
2.3 Bosnien im Osmanischen Reich
Nach 1463 wurde Bosnien administrativ dem Osmanischen Reich einverleibt und kam - wohl auch aufgrund seiner strategisch günstigen Lage - in den Genuss schneller wirtschaftlicher Entwicklung. Neue Städte wurden angelegt (u.a. Sarajevo), Straßen, Brücken, Festungen, aber auch öffentliche Einrichtungen gebaut; das Land wurde zu einer “Bastion des Islam” auf dem Weg nach Mitteleuropa ausgebaut. Gleichzeitig konvertierten nach und nach zahlreiche Einheimische - v.a. Grundbesitzer - zum Islam. Grund dafür waren wohl in den meisten Fällen finanzielle Erwägungen, da Muslime im Unterschied zu Christen oder Juden6 deutlich niedrigere Abgaben leisten mussten. Eine staatliche Unterdrückung Andersgläubiger fand zwar zu dieser Zeit nicht statt, jedoch waren die höheren Positionen in der Verwaltung Muslimen vorbehalten. Außerdem kamen aus den anderen Gebieten des Reiches viele muslimische Verwaltungsbeamte, Händler etc. in die neuen Städte. Einige Historiker führen zudem an, dass die vormaligen Anhänger der Bosnischen Kirche ohnehin sowohl vom Katholizismus als auch von der Orthodoxie entfremdet waren und ihnen die Konversion zum Islam daher - zumal nach dem Zusammenbruch der eigenen Kirche - nicht sonderlich schwerfiel.7
Bosnien blieb schließlich über 400 Jahre unter osmanischer - also muslimischer - Herrschaft, bis es nach dem Berliner Kongress von 1878 durch Österreich-Ungarn besetzt wurde. Bosnier spielten eine wichtige Rolle am Hof in Istanbul, als Beispiel sei der Feldherr und Großwesir Sokollu Mehmed Pascha genannt, der unter dem - vermutlich alkoholkranken8 - Sultan Selim II. zwischen 1565 und seiner Ermordung 1579 de facto über uneingeschränkte Macht verfügte und als Junge durch die Knabenlese9 aus dem Dorf Sokolovići bei Višegrad in Ostbosnien nach Istanbul gelangt und dort ausgebildet und islamisiert worden war. Auch in Algerien oder Tunesien leben bis heute Nachfahren bosnischer Janitscharen, die ursprünglich zum Militäreinsatz dorthin geschickt worden waren und sich später dauerhaft ansiedelten.10 Durch die Osmanen wurden die Bosnier in ein Großreich eingebunden, in welchem ihnen - besonders, wenn sie Muslime waren - viele Türen offenstanden.
Eine ethnische Differenzierung fand unter osmanischer Herrschaft im Wesentlichen nicht statt. Das ist u.a. auf das millet -System zurückzuführen, welches die Einwohner des Reiches nach religiöser Zugehörigkeit unterschied und administrierte, ethnisch-sprachliche oder soziale Kategorien dagegen kaum berücksichtigte.11 Erst mit der Übernahme der Verwaltung durch die Österreicher wurden aus konfessionellen Kategorien nationale, wobei sich dieser Prozess zunächst vor allem bei den Orthodoxen (Serben) und Katholiken (Kroaten) vollzog. Juden und Muslime definierten sich vorerst weiterhin religiös und wurden höchstens von außerhalb auch national wahrgenommen, im Falle der Muslime dann jedoch meist undifferenziert als “Türken”.12 Auch die neuen nationalen Kategorien waren jedoch unabdingbar mit Religion verbunden, da diese gerade in Bosnien das einzige Unterscheidungsmerkmal zwischen den unterschiedlichen Gruppen war, da alle die gleiche südslawische Sprache benutzten. Eine Abkopplung der Nation von der Konfession gab es - anders als z.B. in Albanien oder Mitteleuropa - nie, weswegen ein katholischer Serbe oder ein orthodoxer Kroate bis heute beinahe undenkbar bleibt.
2.4 Der Beginn der Nationalisierung
Am Ende des Russisch-Osmanischen Krieges 1878 lag das Osmanische Reich besiegt am Boden. Auf dem Berliner Kongress verlor es einen Großteil seiner europäischen (“rumelischen”) Besitzungen. Serbien, Montenegro und Rumänien wurden endgültig unabhängig; Bosnien und die Herzegowina wurden nach dem Kongress durch Österreich- Ungarn okkupiert. Obwohl die Osmanen dem hatten zustimmen müssen, leisteten die Bosnier - darunter vor allem Muslime, aber auch orthodoxe Serben - dem katholischen Besatzer zunächst unerwartet starken Widerstand.13 Zum Einen setzte mit dem Beginn der österreichischen Verwaltung eine Modernisierung v.a. der Infrastruktur ein, zum Anderen blieben v.a. die gesellschaftlichen Gegebenheiten weitgehend unangetastet. Außerdem rückte die “nationale Frage” erstmals in den Mittelpunkt des politischen Geschehens, wobei die bosnischen Serben und Kroaten von ihren jeweiligen “Mutterländern”, die sich gerade mitten in der nationalen Konsolidisierung befanden, beeinflusst wurden.
Bei den Muslimen hingegen, denen nationale Kategorien in religiöser und kultureller Hinsicht eher fremd waren und ein entsprechendes Mutterland fehlte, begann der Prozess der nationalen Bewusstwerdung erst allmählich und ist auch als eine Abwehrreaktion auf die Vereinnahmungsversuche durch die beiden anderen Gruppen zu verstehen.14 Diese Emanzipierung wurde in begrenztem Maße auch von der österreichisch-ungarischen Verwaltung unterstützt. Besonders in den Jahren nach 1900 entstanden so u.a. die Muslimische Nationalorganisation und die Vereinigte Muslimische Organisation sowie zahlreiche Vereine und ein islamischer Verlag. Schließlich wurde das Land im Zusammenhang mit der jungtürkischen Revolution vollständig annektiert und zu einem Bestandteil des Habsburgerreiches, was in letzter Konsequenz zum Attentat von Sarajevo führte, das den Ersten Weltkrieg einleitete und damit einem unabhängigen südslawischen Staat den Weg ebnete.
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1 Velikonja 2003, S. 29
2 Velikonja 2003, S. 47
3 Der Legende nach wurde der serbische Fürst und Heerführer Lazar vom Erzengel vor die Wahl gestellt, die irdische Schlacht oder das Himmelreich zu gewinnen. Die Schlacht ging verloren, nachdem sich Lazar für das Himmelreich entschieden hatte. Fürst Lazar ist bis heute eine zentrale Figur serbischer Heldensagen und -lieder sowie der politischen Symbolik.
4 Velikonja 2003, S. 37
5 Velikonja 2003, S. 55
6 Gegen Ende des 15. Jahrhunderts kamen Tausende jüdische Flüchtlinge aus Spanien und Portugal auf den Balkan, wo ihnen die osmanischen Herrscher die Ansiedlung erlaubten.
7 Höpken, Wolfgang: Die jugoslawischen Kommunisten und die bosnischen Muslime, In: Kappeler/Simon/Brunner 1989, S. 182
8 Matuz 1985, S. 131
9 osmanisch d ev ş irme
10 Norris 1993, S. 202f.
11 Velikonja 2003, S. 59
12 Popović, Alexandre: Islamische Bewegungen in Jugoslawien, In: Kappeler/Simon/Brunner 1989, S. 273
13 Džihić 2009, S. 116
14 Džihić 2009, S. 119f.