Riten und Rituale der Postmoderne

Am Beispiel des Bistums Erfurt


Doktorarbeit / Dissertation, 2011

177 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

Einleitung:

1.)Das Bistum Erfurt - ein Sonderweg?
1.1. Entstehung und Geschichte
1.2 Die gegenwärtige Situation
1.3 Die geistige Leitung im Bistum Erfurt
1.4 Konzeptionelle Vorüberlegungen zum Ritualempfinden
1.5 Lokale Veränderungen im religiösen Wissen
1.6 Angebote auf dem Erfurter Weihnachtsmarkt
1.7 Weitere innovative Projekte

2.)Neue Gottesdienstformen in Erfurt
2.1 Nächtliches Weihnachtslob im Erfurter Dom
2.2 Feier der Lebenswende
2.3 Ökumenischer Segnungsgottesdienst am Valentinstag
2.4 Monatliches Totengedenken für Christen und Nicht-Christen
2.5 Kosmas - und - Damian - Gottesdienst
2.6 Urnenbegräbnisstätte für Christen und Nicht-Christen

3. )Erfurt als Vorbild für Deutschland?
3.1 Übernahme der Praktiken durch andere Gemeinden
3.2 Das Nächtliche Weihnachtslob
3.3 Feier der Lebenswende
3.4 Ökumenischer Gottesdienst am Valentinstag
3.5 Monatliches Totengedenken für Christen und Nicht-Christen
3.6 Kosmas - und - Damian - Gottesdienst
3.7 Urnenbegräbnisstätte für Christen und Nicht-Christen
3.8 Vorbild oder regionale Notwendigkeit?

4.)Anbieter und Rezipienten im Wandel
4.1 Kirche und Moderne
4.2 Kirche als „Institution“
4.3 Kirche und Säkularisierung
4.4 Kirche und Ritual
4.5 Kirche und der Verlust ihrer rituellen Monopolstellung?

5 )Säkulare Rituale
5.1 Familienrituale
5.2 Alltagsrituale
5.3 Heilungsrituale
5.4 Pädagogische Rituale
5.5 Rituale in Unternehmen
5.6 Alte Rituale „Reloaded“
5.7 Massenrituale

6. )Medienrituale / Trauerrituale
6.1 Neue Formen der Trauerbewältigung und die Rolle der Medien
6.2 Öffentliche Reaktionen auf Amokläufe
6.3 Die Beisetzung von Papst Johannes Paul II.
6.4 Reaktionen auf den Tod von Michael Jackson
6.5 Der Fall Robert Enke
6.6 Erfurt - Rom - Los Angeles - Hannover

7. )Der Mensch ohne Religion aber mit Ritual
7.1 Was ist der Mensch ohne Religion?
7.2 Wie kann die Kirche auf diese Menschen zugehen?

Schlussbetrachtung:

Literaturverzeichnis:

Einleitung:

Der Mensch gilt als „ritualempfänglich“[1]. Diese generelle Grundaussage ist in der Religionswissenschaft weit verbreitet [2] und bildet für mich den Anlass, um der Frage der Riten und Rituale in der Postmoderne näher nachzugehen. Unter Zugrundelegung eines bestimmten Interpretationsansatzes (gemeint ist in erster Linie die zeitliche und inhaltliche Aufteilung in drei Phasen, wie sie von Arnold van Gennep in seinem Werk „Les rites de passage“ geprägt wurde) lassen sich überall Rituale nachweisen. Pionierarbeiten im religiösen Sektor wurden von van Gennep persönlich und in der Weiterführung von Victor Turner geleistet, um nur die bekanntesten Vertreter zu nennen. Bezogen auf den Bereich der Alltagswelt setzte Claude Riviere neue Maßstäbe. In seinem Werk „Les rites profanes“ (1995) geht er davon aus, dass die gesamte Lebenswelt des Menschen von Ritualen umgeben ist. Auch profane Handlungen können demnach als Rituale angesehen werden und scheinen die kirchlichen Riten langsam zu ersetzen. Von daher stellt sich die Frage, ob die kirchlichen Angebote weiterhin empfangen werden, beziehungsweise gelingt es, diese in einer zunehmend entkirchlichten Welt überhaupt noch zu verstehen?

Die Ritualforschung ist in den letzten Jahrzehnten zu einem weitläufigen Bereich angewachsen. Unzählige Veröffentlichungen auf dem Buchmarkt geben ebenso einen Hinweis darauf, wie die Einrichtung neuer Forschungsprojekte. Erwähnt sei an dieser Stelle der Sonderforschungsbereich SFB 619 „Ritualdynamik“ der Universität Heidelberg, welcher im Jahre 2002 gegründet wurde und noch bis Juni 2013 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wird. Dabei handelt es sich um den bislang ersten und einzigen kulturwissenschaftlichen Sonderforschungsbereich, der sich, unter Mitwirkung von über 90 beteiligten Wissenschaftlern aus 15 Fächern, ausschließlich mit dem Thema „Rituale“ auseinandersetzt.[3]

Die Ursprünge der Ritualforschung liegen bereits über zweihundert Jahre zurück. Ihre Ergebnisse wurden im Laufe der Jahre immer wieder modifiziert. Die auffälligste Veränderung liegt jedoch in der Beobachtung, dass heutige Ritualtheorien nur noch wenig mit Religion zu tun haben. Hatte „Ritual“ ursprünglich die Bedeutung von „Gottesdienst“ bzw. die schriftlichen Anweisungen dazu, so steht gegenwärtig eine allgemeine symbolische Handlung im Blickpunkt.[4] Moderne Ritualtheorien betrachten das Ritual als ein Phänomen sui generis. Um es zu entschlüsseln, bedarf es eines interdisziplinären Vorganges. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass Wissenschaftler aus den unterschiedlichsten Bereichen an der Erforschung beteiligt sind. Immer neue theoretische Klärungen und methodologische Zugänge werden von Theologen, Soziologen, Politologen, Medien- und Kommunikationswissenschaftlern, Rechtswissenschaftlern, Kultur- und Literaturwissenschaftlern, Künstlern und Psychologen entworfen.

In der cultural anthropology lassen sich vier systematische Schwerpunkte der Ritualforschung unterscheiden[5], an denen deutlich wird, wie sehr die jeweiligen Voraussetzungen und Blickrichtungen die Ritualforschung mitbestimmen. Im ersten steht die Erforschung von Ritualen im Zusammenhang mit Religion, Mythos und Kultur im Mittelpunkt. Zu den namhaften Vertretern gehören u.a. Herbert Spencer, James Frazer, Rudolf Otto oder Mircea Eliade. Im zweiten Schwerpunkt dienen Rituale dazu, Strukturen und Werte einer Gesellschaft zu analysieren. Ziel ist es, einen Zusammenhang zwischen Ritualen und Gesellschaftsstruktur aufzuzeigen. In diesen Bereich fallen die Arbeiten u.a. von Emile Durkheim, Arnold van Gennep oder Victor Turner. Im dritten Sektor werden Rituale als Text gelesen. Dabei gilt es, die kulturelle und soziale Dynamik einer Gesellschaft zu entschlüsseln (z.B. Clifford Geertz). Untersucht wird die Bedeutung von Ritualen für kulturelle Symbolisierungen und soziale Kommunikation. Der vierte Schwerpunkt stellt die praktische und inszenatorische Seite der Rituale in den Blickpunkt. Dabei soll gezeigt werden, wie es der Gemeinschaft durch rituelles Handeln ermöglicht wird, sich zu generieren, zu restituieren und Differenzen zu bearbeiten (z.B. Stanley Tambiah, Richard Schechner oder Pierre Bourdieu).[6]

Obwohl unterschiedliche Ansätze gewählt werden können, lässt sich meiner Meinung nach ein gemeinsamer Nenner aufweisen: Rituale erfüllen eine bestimmte Funktion.

Innerhalb der ritual studies[7] werden folgende sieben Funktionen immer wieder genannt: Rituale sind 1.) kommunitär, indem sie Gemeinschaften hervorbringen und gestalten, 2.) stabilisatorisch, indem sie Ordnung, Aufgabenverteilung und Planung gewährleisten, damit aber gleichzeitig auch Anpassung und Unterdrückung ermöglichen, 3.) identifikatorisch transformatorisch, indem sie die Identität der bisherigen Mitglieder re- oder neu definieren oder ein neues Mitglied aufnehmen, 4.) gedächtnisstiftend, indem sie den Teilnehmern eine zeitliche Kohärenz sicherstellen und so kontinuitätsstiftend und zukunftsorientiert wirken, 5.) kurativ-philosophisch, indem sie infolge schmerzhafter Erfahrungen Heilungsprozesse und Krisenbewältigungsmechanismen in Gang setzen bzw. Fragen im Zusammenhang mit Leben und Tod zu beantworten suchen, 6.) transzendent-magisch, indem sie eine Kommunikation mit dem Anderen, dem „Heiligen“ gewährleisten und 7.) differenzbearbeitend, indem sie Brüche, Schwellen und Rahmen im Sozialen generieren und markieren, um sie dann gegebenenfalls aufzuheben.[8]

An dieser Stelle können zwei Ausgangsbedingungen für die nachfolgende Untersuchung festgehalten werden: a) Der Mensch gilt allgemein als „ritualempfänglich“ und b) Rituale erfüllen immer eine bestimmte Funktion.

Das Anliegen dieser Untersuchung besteht nun darin, zu überprüfen, ob der postmoderne Mensch nach wie vor als „ritualfähig“ beschrieben werden kann und ob die so genannten „säkularen Rituale“ ebenfalls die Grundfunktionen von Sicherheit und Orientierung erfüllen können. In einem weiteren Punkt soll veranschaulicht werden, wie die Kirche mit der veränderten Situation umgehen kann. Das Bistum Erfurt erfüllt in dieser Darstellung eine Brückenfunktion. Auf der einen Seite wurde hier der „Supergau der Kirche“ diagnostiziert (Vgl. S.7), auf der anderen Seite wurden genau dort neue rituelle Angebote entwickelt, die von kirchlicher Seite auf die Menschen zugehen und sich bewusst auch an die Menschen wenden, die sich durch eine große Kirchendistanz auszeichnen.

Im ersten Kapitel geht es darum, die gegenwärtige Situation im Bistum Erfurt zu beschreiben. Es soll aufgezeigt werden, welche konfessionellen Veränderungen zu Tage treten und was für konzeptionelle Vorüberlegungen daraus resultieren. Um mit der geistigen Leitung ins Gespräch zu kommen, wurde im Rahmen der Recherche ein Interview mit dem Ortsbischof und seinem Weihbischof geführt. Das Gespräch mit Herrn Wanke und Herrn Hauke wurde aufgezeichnet und soll, nach Absprache aller Beteiligten, im Verlauf der Arbeit in ausführlicher Weise wiedergegeben werden. Der geführte Dialog sollte dafür genutzt werden, die Protagonisten zu Wort zu kommen lassen und die in der Literatur gewonnenen Erkenntnisse zu verifizieren. Des Weiteren wurde vom Autor eine Straßenumfrage durchgeführt, deren Ergebnisse kurz vorgestellt werden. Ziel der Befragung war es, sich einen besseren Überblick über die regionale Situation zu verschaffen und in einem kurzen Gespräch Kontakt zur Bevölkerung aufzunehmen. Dabei sollte es nach Möglichkeit gelingen, eventuelle Wahrnehmungsdifferenzen zwischen Kirchenvertretern und Bevölkerung aufzudecken. Der verwendete Fragebogen und die Auswertung befinden sich im Anhang.

Im zweiten Kapitel stehen die innovativen Projekte aus Erfurt im Focus. Die unter der Federführung von Weihbischof Hauke initiierten Gottesdienstformen sind mittlerweile über die Landesgrenzen Thüringens hinaus bekannt und lieferten nicht zuletzt den Anstoß dieser Untersuchung. Die gesamte Angebotspalette der kirchlichen Neuerungen aus Erfurt soll in diesem Abschnitt vorgestellt und anhand jeweils eines Beispiels ausführlich dargestellt werden. Der genaue Inhalt und Ablauf ist deshalb von Bedeutung, weil er einerseits die Nähe zur traditionellen Liturgie der katholischen Kirche zeigt, andererseits aber deutliche Unterschiede erkennen lässt, welche die hier zu untersuchende Thematik berühren.

Im dritten Kapitel wird die Fragestellung regional erweitert. Das Bistum Erfurt soll nicht länger im Mittelpunkt stehen - wohl aber bleibt es Ausgangspunkt der Reise. Die neuen Gottesdienstformen ziehen ihre Kreise und somit kommt ein weiterer Aspekt in Betracht. Erfurt soll auf seine Vorbildrolle überprüft werden. Richten sich andere Gemeinden in Deutschland oder Europa in ihren Überlegungen über die Zukunftsfähigkeit kirchlicher Riten nach den Beispielen aus Erfurt? Unter diesem Aspekt sollen die neuen Gottesdienstformen überprüft werden. Dabei geht es nicht darum, eine vollständige Liste aller Gemeinden zu erstellen. Vielmehr genügt es, selektive Fallbeispiele aufzuzeigen, die auf eine positive Resonanz hindeuten könnten.

Welchen Platz nimmt Kirche in der heutigen Gesellschaft ein? Um diese und andere Fragen soll es im anschließenden Kapitel gehen. Dabei sollen konfessionelle Schranken zwischen den beiden Großkirchen in Deutschland überwunden werden. Die „Kirche als Institution“ soll näher beleuchtet werden, unabhängig von ihrer theologischen Lehrmeinung. Besitzt die Kirche eine Monopolstellung - und wenn ja in welchem Bereich? Welche Auswirkungen zeigt die Säkularisierung? Haben die Stimmen recht, die von einer Rückkehr der Religion sprechen? In einem kurzen Überblick sollen Antworten auf diese Fragen gegeben werden.

Im fünften Kapitel kommt der „Ritualvermittlung“ eine entscheidende Bedeutung zu. Gegenwärtig ist allerorts von Ritualen die Rede. Es scheint, als sei die Welt ohne sie nicht vorstellbar. Aber was sind eigentlich Rituale und wer bietet sie an? Braucht der Mensch Rituale in seinem Leben? Welchen Nutzen haben sie und können Rituale erlernt werden? In diesem Abschnitt sollen Ritualvermittler außerhalb der Kirche zu Wort kommen. Es soll gezeigt werden, welchen Platz Rituale in unserem Alltag einnehmen und wo wir überall damit konfrontiert werden - bewusst oder unbewusst. Wir leben in der so genannten „Medienwelt“ und von daher stellt sich schon fast zwangsläufig die Frage, ob nicht auch die Medien etwas zur Ritualvermittlung beitragen. Aufgrund des Umfangs dieser Fragestellung muss eine Eingrenzung vorgenommen werden. Im vorletzten Kapitel sollen daher Trauerrituale im Vordergrund stehen. Keine kleinen und privaten, sondern große, medieninszenierte Massenrituale. Hier soll gezeigt werden, welchen Einfluss die Medien haben und wie sie selbst zum Bestandteil des Rituals werden. Dabei handelt es sich um eine Entwicklung, die noch nicht zum Abschluss gekommen ist. Immer wieder, so soll verdeutlicht werden, können neue Formen der Trauerbewältigung entstehen, die aber aufgrund ihrer rituellen Gestaltung globale Parallelen aufweisen.

Im letzten Abschnitt geht es um die Unterscheidung zwischen Religion und Ritual. Es soll aufgezeigt werden, dass der Mensch zwar ohne Religion leben kann, nicht aber ohne Ritual. Zudem geht es um die Frage, wie die Kirche auf diese Menschen zugehen kann. Hat sie noch eine Chance im Leben der Menschen oder ist sie zu einer überflüssigen und längst veralteten Einrichtung verkommen?

1.)Das Bistum Erfurt - ein Sonderweg?

1.1. Entstehung und Geschichte

Die Geschichte des Bistums Erfurt beginnt bereits im achten Jahrhundert nach Christus, als die ersten Missionare nach Thüringen kamen. Offiziell wurde das Bistum vom Heiligen Bonifatius im Jahre 742 gegründet, welcher noch heute als einer der drei Patrone des Bistums verehrt wird. Es umfasste damals das Thüringer Stammgebiet mit dem Thüringer Wald im Süden und dem Eichsfeld im Westen. Territorial bildeten Saale und Unstut die Grenze im Osten, nach Norden waren es Helme und Harz. Die Gebiete südlich des Thüringer Waldes gehörten zum Bistum Würzburg. Als Bischofskirche diente die Marienkirche auf dem heutigen Domberg.

Trotz der langen Geschichte hatte das Bistum Erfurt von Beginn an immer wieder mit Rückschlägen zu kämpfen. Bereits wenige Jahre nach der Gründung erfolgte 755 die Auflösung. Das gesamte Gebiet wurde in das Bistum Mainz eingegliedert, wo es für die nächsten 1000 Jahre verblieb.

Ein weiterer tiefer Einschnitt war die Reformationszeit. 1521 predigte Martin Luther als Reformator in Erfurt. Im Zuge der konfessionellen Umgestaltung breitete sich das protestantische Christentum immer stärker aus. In Erfurt wurde der Katholizismus fast völlig verdrängt. Erst mit dem Hammelburger Vertrag im Jahre 1530 wurde das gleichrangige Nebeneinander zweier Bekenntnisse in Erfurt ermöglicht. Für die katholische Kirche begann eine Zeit der Erholung, dennoch blieb sie eine Minderheitskirche.

Die durch den Wiener Kongreß bewirkte „Neuordnung Europas“ ging auch am Bistum Erfurt nicht spurlos vorüber. 1821 wurden Teile Thüringens dem Bistum Paderborn zugeordnet. 1929/30 kamen durch das Preußische Konkordat thüringische Teilgebiete zu den Bistümern Fulda und Würzburg. Diese Zuordnung hatte auch noch nach 1945 Bestand. Erst im Jahre 1953 wurden mit der Ernennung von Joseph Freusberg zum Weihbischof und seinen Nachfolgern Hugo Aufderbeck und Joachim Wanke erste eigenständige Formen kirchlicher Organisation unter den Bedingungen der damaligen DDR aufgebaut. Ab 1973 wurde die katholische Kirche im Thüringer Raum von einem Apostolischen Administrator für ErfurtMeiningen geleitet. Territorial gehörte das Gebiet jedoch weiterhin zu den Bistümern Fulda und Würzburg. Erst am 08.Juli 1994 wurde das Bischöfliche Amt Erfurt-Meiningen zum Bistum Erfurt erhoben. Zeitgleich wurde der Apostolische Administrator Dr. Joachim Wanke zum Bischof des Bistums Erfurt ernannt. 1997 folgte der Staatsvertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Thüringen.

1.2 Die gegenwärtige Situation

Laut dem Statistischen Jahrbuch Thüringen aus dem Jahre 2009 leben aktuell etwa 157.000 Katholiken im Bistum Erfurt, was bei einer Gesamtbevölkerung von ca. 2,29 Millionen Einwohnern in Thüringen einen Anteil von etwa 8 % ausmacht.[9]

Die Fläche des Bistums beträgt 12.000 qkm und ist aufgegliedert in 7 Dekanate mit 72 Pfarreien und 103 Filialgemeinden. Des Weiteren befinden sich 74 Kindergärten, 7 Schulen, 5 Bildungs- und Begegnungshäuser und 5 Krankenhäuser in kirchlicher Trägerschaft.

Als Eckdaten des kirchlichen Lebens seien an dieser Stelle ein paar Zahlen aus dem Jahr 2008 erwähnt: Es wurden 1353 Taufen und 425 Trauungen durchgeführt. 32 Personen konvertierten zum Katholizismus und 28 baten um Wiederaufnahme in die Gemeinde. 1494 Personen bekamen eine kirchliche Bestattung. An der Erstkommunion nahmen 1147 Personen teil, eine Firmung empfingen 1079 Menschen. Insgesamt gab es 540 Kirchenaustritte und 35110 Gottesdienstteilnehmer. Doch all diese statistischen Zahlen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Katholizismus nach wie vor eine Minderheitsgruppe darstellt. Die Mehrheit der Bevölkerung ist konfessionslos und ohne Kirchenbindung sozialisiert. Dies lässt sich zum einen aus den Erfahrungen der NS-Zeit, aber verstärkt sicher durch den Kommunismus erklären - eine Einschätzung, die für fast alle Gebiete der damaligen DDR zutrifft, wenn man sich die Statistiken zur Religionszugehörigkeit in Deutschland anschaut.[10] Dennoch haben Religionssoziologen gerade Thüringen eine Art Sonderstellung zugeschrieben und hier den „Supergau der Kirche“ (E. Neubert) diagnostiziert.[11]

1.3 Die geistige Leitung im Bistum Erfurt

Bevor näher auf die kirchliche Situation in Erfurt eingegangen werden soll, werden an dieser Stelle die beiden Hauptpersonen vorgestellt, die derzeit das kirchliche Leben im Bistum prägen und gestalten.

Zunächst der Bischof selbst. Joachim Wanke wurde am 4.Mai 1941 in Breslau (Schlesien) geboren. Bereits sehr früh verstarb sein Vater (1944). Die Familie kam im Zuge der Vertreibung in die thüringische Stadt Ilmenau. Hier verbrachte Joachim Wanke seineKindheit und Jugendzeit. Nach seinem Abitur folgte ab 1960 das Theologiestudium am Philosophisch-Theologischen Institut in Erfurt. Am 26.Juni empfing er von seinem Vorgänger, Bischof Hugo Aufderbeck, die Priesterweihe im Erfurter Dom. Seine erste Vikarstelle führte ihn in die Pfarrei St.Gertrud in Dingelstädt. Nach drei Jahren Tätigkeit in der Seelsorge erhielt Wanke 1969 die Berufung als Assistent und Präfekt am Priesterseminar in Erfurt. Nach erfolgreicher Promotion und Habilitation folgte im Jahre 1974 der Lehrauftrag für neutestamentliche Exegese, 1980 schließlich die Berufung als ordentlicher Professor in Erfurt. Im Oktober des gleichen Jahres wurde Professor Dr. Wanke durch Papst Johannes Paul II. zum Weihbischof ernannt.

Bereits im November 1980 folgte die Bischofsweihe durch Bischof Meisner. Nach dem Tod von Bischof Hugo Aufderbeck trat er im Januar 1981 dessen Nachfolge als Apostolischer Administrator an. Seit 1994, mit der Erhebung von Erfurt-Meiningen zum Bistum Erfurt, kann Herr Wanke auch als Diözesenbischof bezeichnet werden.

Joachim Wanke war in der Deutschen Bischofskonferenz Mitglied in der Kommission für Pastoral (Vorsitzender von 1998 - 2010), sowie Ratssitzender in der Kommission für Glaubensfragen und Ökumene. Zusätzlich bekleidete er von 1995 - 2001 das Amt als Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in Deutschland.[12]

Neben dem Bischof ist es vor allem Weihbischof Dr. Reinhard Hauke, der sich mit innovativen Projekten einen Namen gemacht hat. Reinhard Hauke wurde am 06. November 1953 in Weimar geboren. Nach seinem Abitur studierte er Theologie in Erfurt und wurde am 30. Juni 1979 durch Bischof Hugo Aufderbeck zum Priester geweiht. Es folgten Kaplanstellen in Jena und Heiligenstadt, bis Hauke 1987 als Präfekt und Domvikar nach Erfurt zurückkehrte, wo er zeitgleich sein Promotionsstudium in Liturgiewissenschaft begann. 1992 promovierte er an der Universität Passau mit einer Arbeit über die ökumenische Dimension der Christusanamnese in doxologischer Gestalt. Noch im gleichen Jahr wurde Reinhard Hauke in Erfurt als Dompfarrer an St. Marien ernannt. Parallel war er als Lehrer für katholische Religion an der Edith-Stein-Schule und als Dozent für Liturgiewissenschaft am Priesterseminar tätig. Bis zum Jahr 2004 war er ebenfalls als Gehörlosenseelsorger und Rundfunkbeauftragter des Bistums Erfurt beim MDR tätig.

Am 11. Oktober 2005 wurde er von Papst Benedikt XVI. zum Weihbischof für das Bistum Erfurt ernannt. In der Deutschen Bischofskonferenz gehört Herr Hauke sowohl der Jugendkommission, als auch der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen an. Seit September 2009 ist er zudem Beauftragter für die Vertriebenen- und Aussiedlerseelsorge[13]. Seine pastoralen Projekte sind heute weit über die Grenzen Erfurts bekannt und haben nicht zuletzt den Grundstein für die vorliegende Arbeit geliefert.

1.4 Konzeptionelle Vorüberlegungen zum Ritualempfinden

Wie kann in der oben beschriebenen Situation der Glaube neu belebt und gestärkt werden? Diese Fragen haben sich Bischof Joachim Wanke und Weihbischof Reinhard Hauke zu ihrer Lebensaufgabe gemacht.

Bereits zu Zeiten der damaligen DDR bewegte Bischof Wanke immer wieder die Frage, wie Christen in einer weitgehend nichtchristlichen Umgebung das Evangelium erfahren und weitersagen können. Dabei gilt es zu beachten, dass sich anscheinend speziell in den neuen Bundesländern eine Art „Alltagspragmatik“ entwickelt hat, die sehr eng an die neuzeitlichen Entwicklungen anknüpft. Die Menschen haben sich darauf eingestellt, die Dinge so zu nehmen wie sie sind. Prinzipielle Fragen werden weitestgehend vermieden, da man sowieso keine Antwort erwartet.[14] Die Zahl der Menschen, die nicht mehr zu einer Kirche gehören ist größer geworden. In Deutschland ist etwa ein Drittel der Bevölkerung nicht mehr getauft. In den neuen Bundesländern gibt es zudem schon eine mehrere Generationen umfassende Tradition der Nichtzugehörigkeit zur Kirche.[15] Es ist eine Art von Individualisierung erkennbar, die dazu führt, dass der Glaube von einer Auswahlmentalität geprägt wird. „Die Menschen möchten selbst den Grad ihrer Identifikation mit Glauben und Kirche bestimmen,“[16] Es werden persönliche Akzente gesetzt, die auch synkretistische Tendenzen enthalten können. Zudem hat die Kirche einiges von ihrem Stellenwert verloren. Auf der politischen Bühne scheint sie letztlich nur noch als Moralinstanz zu fungieren, wobei gegenwärtig die Auseinandersetzung mit innerkirchlichen Problemen zu überwiegen scheint. Die profane Welt unterscheidet zwischen einem pragmatischen und relevanten Wissen auf der einen Seite, und religiöses Belangen auf der anderen Seite. Die noch bis in das Mittelalter hineinreichende Phase, in der empirische Tatbestände mit Hilfe der Religion erklärt wurden, ist beendet. Der moderne Wissensbetrieb hat die Frage nach Gott ausgeklammert. „Die Religion spielt bei der Gewinnung wissenschaftlicher Erkenntnisse methodisch keine konstitutive Rolle mehr. “[17] In diese Richtung argumentieren auch Rudolf Bultmann, mit seiner These von der notwendigen „Entmythologisierung“[18] oder Karl Rahner in seiner Äußerung, dass Gott nicht wie eine innerweltliche Ursache in die Dinge eingreife.[19]

Aus dieser rein alltagspragmatischen Lebenseinstellung resultiere zwangläufig eine „religiös unmusikalische“ Welt (Max Weber). In der säkularisierten Welt, so Peter Berger, ist die Wirklichkeit des Alltags das Einzige, was eine Rolle spielt. Es sei eine Welt „ohne Fenster“, die eine Transzendenzerfahrung ermöglichen könnten, und eben genau dieser Sinn für das Transzendente sei „religiöse Musikalität“[20]. Der evangelische Theologe Friedrich Schleiermacher bezeichnete diese Gabe als „Geschmackfür das Unendliche.“[21]

Hat der heutige Mensch noch die Fähigkeit zum „liturgischen Akt“?[22]

Dass sich etwas verändert hat, ist der Kirche offensichtlich bewusst. „Das Religiöse ist uns nicht mehr so elementar innerlich wie Menschen früherer Zeiten.“ [...] Das liturgische Handeln der Kirche wird sich auf längere Zugangswege des Menschen zum Geheimnis des Göttlichen und seiner Verehrung einzustellen haben.“[23],

Es gilt daher zu überlegen, wie sich die Kirche unter den gegenwärtigen Bedingungen präsentieren möchte. Die Wirtschaft würde an dieser Stelle von einer Marktanalyse sprechen, um anschließend eine Image-Kampagne zu starten. Hierfür können einige Zahlen aus Umfrageergebnissen hilfreich sein. Ende der 90er Jahre hat der Trendforscher Matthias Horx eine geschätzte Zahl in den Raum gestellt, die besagt, dass etwa 20% der Bevölkerung „religiös musikalisch“ seien. Das Allensbacher Institut hat, in einer im März 2000 durchgeführten Untersuchung, empirisch festgestellt, dass in Ostdeutschland 15% der Bevölkerung Interesse für religiöse Fragen bekunden.[24] Dies scheint aus kirchlicher Sicht auf den ersten Blick eine enttäuschende Größenordnung zu sein. Dennoch bestehe kein Grund, von einem generellen Religions- oder Werteverfall zu sprechen.[25]

Viel wichtiger erscheint es, die relativ konstante Zahl der „religiös musikalischen“ Menschen im Blick zu behalten. Denn sie sind es auch, die der allgemeinen Säkularisierungsthese gegenüber stehen. „Hatte die Religionssoziologie vor einigen Jahrzehnten noch mit dem baldigen Ableben der Religion und der vollständigen Säkularisierung der Gesellschaft gerechnet, so geht man heute aus von einer postsäkularen Gesellschaft, die sich auf das Fortbestehen religiöser Gemeinschaften in einer sich fortwährend säkularisierenden Umgebung einstellt.“[26]

Dennoch gilt auch hier, Vorsicht walten zu lassen und sich nicht hinter den Kirchenmauern zu verstecken. Die Kirche von heute muss sich ihrer Verantwortung stellen und ihren Teil dazu beitragen, den Teil der „religiös musikalischen“ Menschen zu erhalten. Kirche und Religiosität hängen nur bis zu einem gewissen Grad zusammen und gerade diese Verbindung stellt die eigentliche Herausforderung dar. Die Tatsache, dass die Kirche lange Zeit die einzige institutionelle Stütze von Religion darstellte, sollte nicht zu der Illusion führen, dass somit das Religiöse in irgendeiner Form unter allen Umständen überleben werde. „Es wird von der Lebendigkeit der Kirche abhängen, ob in der Moderne das Religiöse, die religiöse Musikalität (in all ihren vielgestaltigen Formen) überlebt oder nicht.“[27]

Bischof Wanke hat in diesem Zusammenhang die mögliche Brückenfunktion der Kirche betont. „Die liturgische Feier setzt bei den Teilnehmenden die Zugehörigkeit zur Kirche voraus, also den Glauben und die Taufe.“ [...] „Ein nichtglaubender Mensch kann zwar an religiösen Ritualen teilnehmen, auch an einem christlichen Gottesdienst, aber er kann nicht im eigentlichen Sinn die Liturgie der Kirche mitfeiern.“ [...] „Meine Überlegungen für eine mögliche Brücke zwischen säkularen Zeitgenossen und liturgischem Handeln der Kirche knüpfen an bei dem impliziten, noch unausdrücklichen Glauben derer, die <draußen sind>, also der Nichtgetauften.“[28]

Sein Wahlspruch als Bischof lautet „Den Spuren Christi folgen“. Welche Schwierigkeiten diese einfache Botschaft mit sich bringt, ist dem Bischof durchaus bewusst. In einem Hirtenbrief zur österlichen Bußzeit 2005 spricht Wanke von einem Gedanken, der ihm als Bischof keine Ruhe lässt: „Ein Thüringer würde nach seinem Tode vor Gott stehen und zu ihm sagen: <Ich habe noch nie etwas von dir gehört!> “[29]

Dieses „Gehört-Haben“ im Sinne eines Kulturwissens über religiöse Fragen bildet für Wanke die erste Stufe des Aufspürens der Spuren Gottes. Das eigentliche Ziel ist und bleibt ein qualifiziertes, also gläubiges Hören. Diese Eigenschaft bezeichnet Bischof Wanke als „Feeling“ für Gott. Pastorale Aufgabe müsse es daher sein, nicht nur den religiösen „Hochleistungssportlern“, sondern auch allen anderen, an Gott interessierten Menschen, dieses Feeling zu ermöglichen. Kirche müsse in erster Linie dazu beitragen, dass den Menschen das Erspüren der Spuren Gottes gelingt.[30]

Bischof Wanke nennt dabei fünf persönliche Erwartungen, die ihn als Bischof bewegen.

1. ) „Der Wandel von einer christentümlichen Gesellschaft zu einer religiös und weltanschaulich pluralen Gesellschaft sollte von der Liturgiewissenschaft und der Seelsorge [...]noch stärker reflektiert werden.“
2. ) „Der christliche Glaube und das liturgische Tun der Kirche werden in einer diffusen nachchristlichen Gesellschaft eine neue kulturelle <Sprach- und Zeichenkompetenz> gewinnen müssen.“
3. ) Die liturgischen Texte und Rituale bedürfen einer weiteren Überarbeitung im Sinne einer größeren Verständlichkeit für wenig praktizierende Christen bzw. für Außenstehende.“
4. ) „ Wir sollten nach <präkatechumenalen> liturgischen Zeichenhandlungen und Feiern suchen, die Fern- bzw. Außenstehende ansprechen können.“
5. ) „Gebetsformen und liturgische Zeichen für Suchende müssen dort ansetzen, wo sich im Leben der nach Gott fragenden Zeitgenossen Transzendenz eröffnet.“[31]

Mut für das Gelingen und Motivation findet Bischof Wanke in folgenden Sätzen: Wir in den neuen Bundesländern haben es in der Seelsorge einfacher als anderswo. Wir brauchen die Menschen hierzulande nicht wieder in die Kirche hineinzubringen. Sie waren ja nie drinnen![32]

Die oben genannten Grundsätze bilden quasi das Leitmotiv sowohl für den Bischof, als auch für den Weihbischof, um etwas in Erfurt zu verändern.[33] Um das Vorhaben noch besser nachvollziehen zu können, habe ich ein Interview durchgeführt. Dieses Gespräch, bei dem sowohl der Bischof, als auch der Weihbischof zeitgleich anwesend waren, wurde am 25. Juni 2010 in Erfurt von mir durchgeführt und soll im Folgenden in größeren Auszügen dargestellt werden. Die Fragen im ersten Block beziehen sich vorwiegend auf die einzelnen Projekte, die im zweiten Kapitel detailliert vorgestellt werden. Der Frageteil im zweiten Teil des Interviews befasst sich mit übergeordneten Fragen, die sich auch auf die Gesamtsituation in Erfurt beziehen.

Interview: (1. Block)

Nächtliches Weihnachtslob:

- Wann ist Ihnen persönlich das erste Mal bewusst geworden, dass neue Angebote erforderlich sind? (etwa im Vergleich mit der Aussage von Frau Widl: „Die eingangs erzählte Begebenheit mit den Jungs an der Krippe und dem Rumpelstilzchen war Anlass, über die missionarischen Möglichkeiten am Weihnachtsmarkt nachzudenken.“)

Bischof Wanke: Dass eine Auffrischung des religiösen Wissens erforderlich ist, hängt sicherlich mit der Gesamtsituation zusammen. Es gibt sicherlich viele Ursachen, warum die Menschen dem Religiösen oft völlig fremd gegenüberstehen. Eine persönliche Erfahrung war die mitternächtliche Messe, zu der auch immer mehr Nicht-Getaufte kamen und diese mit der Vollform der Messe, der Eucharistie, überfordert waren. An dieser Stelle wurde schnell klar, dass hier neue Angebote erforderlich sind. Es gab dann einige Experimente, wie zum Beispiel die Form eines weihnachtlichen Sprechspiels für Erwachsene, aus denen sich dann letztlich ein katechetischer Gottesdienst entwickelte, der heute als „Nächtliches Weihnachtslob“ bezeichnet wird.

Weihbischof Hauke: Ich persönlich vergleiche das gerne mit der politischen Situation. Die Zeit so ab 1985 war, glaube ich, die Zeit, ab der die Leute nicht mehr an den Sieg des Sozialismus geglaubt haben. Das Gebot, dass ein normaler Bürger der DDR keine Kirche betritt, wurde nicht mehr beachtet. Es kamen vorwiegend junge Leute in die Kirche, die gemerkt haben, dass Weihnachten doch irgendwie was Besonderes ist und eventuell auch etwas mit Kirche zu tun hat. Dies hatte eben zur Folge, dass die traditionelle Christmette von Menschen übervölkert wurde, die bisher nie eine Kirche betreten hatten. Es wurde laut und unruhig. Durch das Gerede der Menschen wurde deutlich, dass Unverständnis herrschte und dann kam es eben zu der Überlegung, die Gottesdienste zu trennen. Mit dieser Maßnahme ist sicherlich eine gewinnbringende Lösung für beide Seiten gefunden worden. Dabei stellt sich natürlich die grundlegende Frage, was ein Nicht-Christ überhaupt zu Weihnachten verstehen kann. Dies mache ich am Beispiel der Lieder deutlich. Wir haben geschaut, was hört man auf dem Weihnachtsmarkt. „Oh du fröhliche“, „Stille Nacht“ und „Es ist ein Ros’ entsprungen“ sind die bekanntesten Lieder. Doch auch hier stellt sich bereits ein Kulturproblem dar, da das eigentliche Singen gar nicht mehr gelernt wird, höchstens noch aufdem Fußballplatz oder am Geburtstag. Im Nächtlichen Weihnachtslob werden die Texte der Lieder auf Zettel gedruckt, die dann jeder in die Hand bekommt und dann nach eigenem Ermessen mitsingen kann, wenn der Wille und die stimmlichen Voraussetzungen gegeben sind.

- Inwieweit gehen Sie in Ihren Predigten beim Nächtlichen Weihnachtslob auf die Menschen ein?

Bischof Wanke: Es sind immer wieder Alltagsbegebenheiten. Etwas, was die Menschen bewegt. Damals gab es das „Gutenberg-Geschehen“, der Amoklauf am Gymnasium aber auch fröhliche Ereignisse kommen zur Sprache.

In einem Jahr habe ich mal über das „Risikoabschätzungsbüro“ im Bundestag gesprochen, bei dem Fachleute Abschätzungen über die Auswirkungen der Technik machen oder ein anderes Mal war Thomas Gottschalk Thema, der kurz vorher eine Sendung in Erfurt gemacht hat. Es geht um Anknüpfungspunkte, die die Leute neugierig machen.

Weihbischof Hauke: Zum Beispiel „Märchen und Lukasevangelium“. Auf dem Weihnachtsmarkt gibt es ja auch einen Märchenwald und irgendwann ist mir eben bewusst geworden, dass man sich an Weihnachten immer gerne Märchen erzählt. Da sitzen die Kinder im Kreis und hören zu. In diesem Kontext steht dann die Weihnachtsbotschaft des Lukasevangeliums. Es gibt zwar durchaus Schnittmengen aber eben auch deutliche Unterschiede zwischen dem Märchen und dem Evangelium. Man möchte die Leute nicht vor den Kopf stoßen und sagen:“ Ihr seid ja ungebildet und wisst das nicht! “. Vielmehr geht es darum zu erfahren: „Was ist eure Sehnsucht, die ihr mit den Märchen verbindet und was kann das Evangelium dazu sagen.“ Die Sehnsucht ist es, die alle verbindet. Die einen geben sich mit dem Märchen zufrieden und sagen „schöne Geschichte“ aber die anderen sagen „es gibt vielleicht auch noch mehr“.

Feier der Lebenswende:

- Wird in der Vorbereitungsphase über Übergangsriten gesprochen bzw. werden Riten anderer Religionen und Kulturen vorgestellt?

Weihbischof Hauke: Überhaupt nicht. Ich habe es jedenfalls nie gemacht. Meine letzte Feier fand im Jahr 2006 statt. Von da an hat die Leitung die Gemeindereferentin übernommen. Aber wir haben eigentlich nie darüber reflektiert, was eine Lebenswendefeier wäre und zu welcher Ritusfamilie sie gehört, sondern eigentlich nur über den konkreten Inhalt nachgedacht. Die Jugendlichen wurden eingeladen, eine Reflexion über ihr eigenes Leben und über ihre Zukunft vorzunehmen. Dabei geht es um Wünsche, die sie persönlich betreffen, aber auch um Wünsche, die sich an die Welt und die Politiker richten. Für viele Jugendliche ist die Feier der Lebenswende wie die Jugendweihe und sie reflektieren wohl kaum darüber, was der Unterschied ist. Dass es so etwas wie Initiationsriten gibt, ist ihnen bekannt und das war eben und ist bis heute auch die Jugendweihe. Das ist in den Hinterköpfen gespeichert oder wurde eben auch von den Eltern so vermittelt und die Feier der Lebenswende ist für sie jetzt halt eine andere Form von Initiationsritus. Wir machen das mit Erfolg und es geht viel mehr um den Praxisbezug. Die Jugendlichen wollen einfach über ihr Leben reflektieren. Ein wissenschaftlicher Ansatz wurde dabei nie gewählt.

- Das Projekt ist ja mittlerweile weit verbreitet und wurde von anderen Gemeinden zum Teil übernommen. Haben sich Vertreter anderer Gemeinden das Konzept vor Ort einmal angeschaut?

Weihbischof Hauke: Man muss so sagen: Nur im Osten Deutschlands, weil die Feierform auf der Jugendweihe aufsitzt. Nur da, wo das Bedürfnis nach Jugendweihe existiert, gibt es „Lebenswende“. Oder eben in den Städten, die eine katholische Schule haben, wo dann der Religionslehrer und Pfarrer die ungetauften Schüler der 8. Klasse dorthin in die Pfarrei mitnehmen kann. Das ist so etwas wie der Aufhänger, da man den Kontakt zu den ungetauften Jugendlichen braucht. Solche Kontakte sind für einen Pfarrer ja nicht immer so ohne weiteres möglich, da er ja normalerweise keine Ungetauften in seiner Gemeinde hat.

Einen direkten Kontakt zu den anderen Gemeinden hat es aber seitens der Erfurter Domgemeinde nie gegeben. Es gab nur eine Vernetzung durch ein Treffen in Schmochtitz bei Bautzen. Da gab es einen pastoralen Austausch, an dem ich bisher zwei Mal teilgenommen habe. Bei diesem Treffen von allen, die eine Feier der Lebenswende anbieten, habe ich zumersten Mal gesehen, wie sie es z.B. in Dresden umgesetzt haben. Ich habe mich gefreut, dass es da eine Adaptation gibt, aber mit anderen Schwerpunkten. Dresden hat zum Beispiel immer nur 10 Jugendliche bei diesen Gesprächen. Die begrenzen es auf eine Zahl mit der Begründung: „ Wir wollen es sehr persönlich machen.“ Das ist sicher auch ein gutes Anliegen aber auf der anderen Seite muss man dann auch Leute wieder wegschicken und das täte mir sehr leid. Dann hätte ich lieber mehrfach mit 10 Leuten gearbeitet.

- Kann man speziell in Erfurt von einer steigenden Teilnehmerzahl ausgehen?

Weihbischof Hauke: Also letztes Jahr waren es 72, dieses Jahr 66. Bis zum Jahr 2006, wo ich diese Feier in die Hände der Gemeindereferentin gelegt habe, hat es sich gesteigert. Wir haben in 1998 mit 12 angefangen. Das ist schon eine Steigerung, aber mir kommt es nicht auf Zahlen an. Zahlenmäßige Veränderungen haben auch immer etwas mit dem Geburtenjahrgang zu tun. Aber ich sage immer: „Wenn die Teilnehmer im Einzelnen eine große Freude an dem haben, was sie tun, dann ist das Wichtigste erfüllt.“ Es ist ja auch immer eine Bekenntnishaltung. Wenn die Jugendlichen untereinander sprechen und die Mehrheit sagt: „Wir gehen zur Jugendweihe“, und einer sagt dann: „Nein, ich gehe zum Pfarrer.“, dann outen sie sich und stellen sich eventuell auch etwas außerhalb der Gruppe. Deswegen finde ich diese Einzelentscheidung, zu einem Pfarrer zu gehen schon mutig.

Die Jugendweihe war ja in vielen Familien traditionell verankert, wie Firmung und Konfirmation. Es gibt so etwas wie die „Familientradition der Jugendweihe“.

Ökumenischer Segnungsgottesdienst am Valentinstag:

- Haben hier Vertreter anderer Gemeinden sich das Angebot vor Ort angeschaut?

Weihbischof Hauke: Ja, es kamen interessierte Professoren und Studenten zu den Gottesdiensten. An vielen Orten in Deutschland und darüber hinaus hat der Gedanke gefruchtet. Immer wenn ich davon erzähle gibt es einen, der sagt: „Ja das machen wir bei uns auch schon.“

- Gab es Proteste von Seiten der Amtskirche, dass man eben diese Plattform missbrauchen könnte oder dass dort eben das Sakrament der Ehe in den Hintergrund gestellt wird?

Bischof Wanke: Man muss es pastoraltheologisch diskutieren. Wir haben eine Verantwortung dafür in welchem Kontext solch eine Veranstaltung angeboten wird.

Weihbischof Hauke: Also es gab immer wieder mal Anfragen. Das hängt aber auch damit zusammen, dass bei unklarer Darstellung der Feier in Form und Inhalt es zu Nachfragen kommen muss. Dann erkläre ich die Fakten und stelle den Ritus dar. Der Ritus ist auch hier genau abgesprochen. Immer, wenn jemand etwas Neues vorschlägt, gibt es eben auch die Aufgabe, es genau zu erklären.

Bischof Wanke: Es ist keine Mini-Trauung. Ich glaube der innere Ansatzpunkt für diesen Ritus ist viel entscheidender. Man kann sich heute viele Dinge kaufen, wenn man das Geld hat. Aber was man sich nicht kaufen kann, das sind gute Beziehungen, gelingende Freundschaft, Vertrauen, Menschen die zu einem stehen, auch wenn es einen schlecht geht. Diese ganz urmenschliche Sehnsucht, ein Stückchen gute Weggemeinschaft zu haben kann hier erfüllt werden. Ich denke, dass gerade die Beziehungsebene ein guter Einstieg in die Transzendenzerfahrung sein kann, dass da eine andere Welt berührt wird. Und das ist der Ansatzpunkt in einem solchen Segensritus, der ja auch bei großen Kirchentagen genutzt wird. Einer kann dem anderen zum Segen sein. Diese Beziehung hat etwas mit Gott zu tun, wenn sie selbstlos ist, wenn sie auf Treue und Verlässlichkeit baut, wenn Egoismen zurückgefahren werden. Ich glaube, das ist eine ganz wichtige Erfahrung in einer Welt, in der viele Dinge zur Tauschware geworden sind.

- Werden die Beiträge der Teilnehmer im Vorfeld abgesprochen und gibt es eine Vorgabe für die Redezeit?

Weihbischof Hauke: Bei einer Zusammenkunft im Vorfeld wird vorgestellt, welchen Schwerpunkt die Paare in etwa 3 Minuten setzen wollen. Dabei wird dann festgestellt, ob es Doppelungen gibt, die man ggf. noch korrigieren kann. Es gibt auf diesem Weg auch neue Kontakte. Die meisten Leute kennen sich jedoch schon aus der Gemeinde.

Ein ähnliches Vorgehen gilt auch für den Kosmas-und-Damian-Gottesdienst.

Monatliches Totengedenken:

- Kann man in etwa abschätzen wie viele Einträge es bis heute in das Buch gibt?

Weihbischof Hauke: Die genaue Zahl ist mir nicht bekannt. Ich habe immer so geschätzt 10 Einträge pro Feier und das bieten wir ja schon seit 2002 an.

- Spielt in diesem Zusammenhang der Amoklauf am Erfurter Gymnasium eine Rolle? Gab es dadurch eventuell noch einmal einen deutlichen Anstieg der Teilnehmer?

Weihbischof Hauke: Nein, ich habe im März 2002 angefangen und das Attentat war im April 2002, d.h. es hatten zum Zeitpunkt des Attentates schon zwei Gedenkfeiern stattgefunden. Sicherlich hätte man denken können, dass nun ein Run einsetzt. Ich habe auch besonders zum Totengedenken im Mai eingeladen aber es kam in dieser Intention wenig Zulauf. Das Attentat hatte die Stadt eher gelähmt. Bei der Trauerfeier an den Domstufen haben wir damit gerungen, wie wir in hilfreicher Weise vorgehen und gestalten können. Immer spielte die Tatsache eine Rolle, dass unter den Teilnehmern 70% Nicht-Christen waren und in der Schule sicherlich ein noch größerer Prozentsatz anzutreffen ist. Die Frage war für die Vorbereitungsgruppe, wie man die Bevölkerung aus dieser Lähmung befreien kann, ohne den Eindruck zu vermitteln, dass man den Menschen die christliche Botschaft überstülpen möchte. Das Attentat wurde bei der Lebenswendefeier 2002 thematisiert, weil dort auch Jugendliche anwesend waren, die zu der Zeit das Gutenberg-Gymnasium besucht haben.

- Wird das Monatliche Totengedenken auch im Wechsel mit der evangelischen Kirche durchgeführt?

Weihbischof Hauke: Nein, nur durch die katholische Gemeinde. Es gab auch nie eine Anfrage seitens der evangelischen Kirche. Es gibt keine bewusste Entscheidung dagegen, aber eben auch keine Nachfrage.

- Finden sich in dem Totenbuch auch Namen von prominenten Personen, wie zum Beispiel Michael Jackson?

Weihbischof Hauke: Nein, nur eigene Verwandte. Ich habe es noch nie kontrolliert aber ich kann mir das nicht vorstellen. Die Menschen sind von ihren eigenen Toten so betroffen, dass ihnen dieses Gedenken wichtiger ist als das von irgendwelchen öffentlichen Personen.

Eine Ausnahme gab es, als Astronauten beim Eintritt in die Erdatmosphäre zu Tode kamen. In diesem Monat des Unglücks haben wir dazu über die Zeitung besonders eingeladen und von uns aus einen Satz in das Buch eingetragen.

Ein anderes Beispiel besonderen Gedenkens ist der tragische Fall von einer Frau aus Erfurt, die am Ostersonntag ihre zwei Kinder aus Verzweiflung getötet hatte. Das hatte damals die ganze Stadt geschockt und viele Menschen wollten die Opfer mit ins Gebet nehmen.

Bei einem festen Termin für eine solche Feierform ist spezielles Gedenken unproblematisch zu organisieren. Das Totengedenken findet ja immer am ersten Freitag im Monat statt und es können aktuelle Anlässe integriert werden, ohne einen extra Termin festlegen zu müssen.

Das Projekt „Folge dem Stern“:

- Gab es einen Anstoß von Seiten der Kirche für die Ausschreibung des Studienprojektes 2007 oder ist Frau Widl die alleinige Ideengeberin für das Projekt?

Bischof Wanke: Der Anfang bestand in der Tatsache, dass nach der politischen Wende erstmals eine Krippendarstellung auf dem Domplatz ausgestellt war. Daraus resultierten dann Fremdheitserfahrungen. Man hat dann hier und da berichtet, dass viele Menschen damit gar nichts anfangen konnten, da auf dem Schild neben der Krippe ursprünglich nur die Herkunft der Krippe und der Baumeister benannt wurden und dass es um Weihnachten geht. Als Frau Widl als westliche Professorin der Pastoraltheologie nach Erfurt kam, haben wir versucht, ihr unsere Situation hier zu erklären. Das war wohl einer der Punkte, wo sie sehr erschüttert war und nicht nachvollziehen konnte, wie man auch ohne Jesus Weihnachten feiern kann. Dies war dann für sie der Moment, indem sie überlegt hat, wie man da etwas ändern kann, woraus letztlich dann das Projekt „Folge dem Stern“ entstanden ist. Es ist in der Tat eine Fakultätsinitiative.

Diese Fremdheit, die beim Betrachten der Krippe zum Vorschein kommt, geht weiter bis in das Verstehen von Kreuzdarstellungen. Ich erinnere mich an die Frage eines Zeitgenossen, der am Dom das Kreuz stehen sah:„Ist das Spartakus?“

Weihbischof Hauke: Das Projekt ist zudem ökumenisch aufgebaut. Ich denke, dass auch die evangelischen Christen feststellen, dass etwas passieren muss. Hier ist nicht nur Weiterbildung sondern auch Aufklärung erforderlich. Wir müssen aber auch mit der Reaktion rechnen, die ausdrückt: „Jetzt kommen die Christen und nehmen uns Weihnachten auch noch weg.“

Interview: (2. Block)

allgemeine Fragen zu allen Projekten

- Welche Maßnahmen wurden unternommen, um diese Projekte bekannt zu machen?

Bischof Wanke: Es ist in erster Linie aus der Praxis erwachsen. Die Angebote wurden natürlich in den Kirchen propagiert und es gab Meldungen im Kirchenblatt. Aber wir haben uns von Anfang an auch bemüht, es ebenfalls im säkularen Umfeld publik zu machen. So kamen schnell erste Rückfragen und die Zeitungsartikel wurden ins Internet gestellt. Speziell der Weihbischof ist immer sehr gefragt für Interviews und so entsteht dann so eine Art Schneeballeffekt. In erster Linie ist es aber wirklich Mundpropaganda.

Weihbischof Hauke: Das letzte Medium war eigentlich ein Büchlein, zu dem mich der Benno-Verlag schon längere Zeit ermuntert hat. Ich hatte mich anfangs gescheut, da man sich dann damit doch sehr festlegt, was den Ablauf angeht, aber letztlich sind wir sehr zufrieden (Anmerkung: gemeint ist das Buch „Herzlich eingeladen zum Fest des Glaubens...Projekte für Christen und Nicht-Christen.“)

- Ist die Darstellung der Angebote in dem Buch für alle Veranstaltungen verbindlich?

Weihbischof Hauke: Nein, das ist lediglich die Form, wie wir es hier in Erfurt tun. Die Lebenswende wird zum Beispiel in Dresden mit einem anderen Akzent durchgeführt. Die gelesenen Bibelstellen und die gesungenen Lieder sind in der Regel festgelegt aber man ist natürlich auch immer mal wieder dazu geneigt, etwas zu variieren. Auf der anderen Seite müssen sich die Leute natürlich auch wiederentdecken können. Da sind Menschen, die gehen nur drei oder vier Mal im Jahr in die Kirche und wenn sie dann immer das gleiche Lied hören, dann können sie auch mitsingen.

- Werden von der Gemeinde Gelder für diese Angebote bereitgestellt?

Weihbischof Hauke: Diese Frage hat mich einmal sehr verwundert, als sie mir von einen evangelischen Pastor gestellt wurde. Als ich ihm das Projekt vorstellte, fragte er am Ende:

„ Was nehmt ihr denn dafür?“. Ich habe ihm mitgeteilt, dass wir die reinen Kosten für eine Kerze und ein Tuch erbitten. Wer darüber hinaus eine Spende geben möchte, kann dies freiwillig tun. Wir haben bisher nie Verluste gemacht. Betreffs der Finanzierung habe ich erfahren müssen, dass es Familien gibt, die sich das nicht leisten können, denn der Mitgliedsbeitrag im Jugendweihe e.V. beträgt immerhin 99 Euro.

Was auch sehr schön ist, ist die Tatsache, dass die Unterstützung für die Festbekleidung, die Sozialhilfeempfänger beantragen können, neuerdings auch gegeben wird, wenn ein Jugendlicher an der Lebenswendefeier teilnimmt. Ein weiteres Indiz für die Tatsache, dass diese Form in der Bevölkerung angekommen ist, erkenne ich in der Tatsache, dass ich in einem Textilgeschäft im Schaufenster gelesen habe: „Hier können Sie Festbekleidung für Jugendweihe, Konfirmation und Lebenswende kaufen.“

- Wie waren die Reaktionen innerhalb der Kirchengemeinde? Gab es eventuell auch Austritte aus Protest?

Bischof Wanke: Nein, da sind uns keine konkreten Fälle bekannt.

- Würden Sie persönlich die neuen Angebote als Riten bezeichnen oder sind es vorerst „Ersatzriten“, die im Laufe der Zeit noch stärker verkirchlicht werden sollen?

Bischof Wanke: Wir Christen kennen die Sakramente und Sakramentalien. Letztere sind unterhalb der Sakramentenebene. Dazu zählt zum Beispiel eine Segnung oder eine Flurprozession. In diesem Bereich würde ich solche Riten ansiedeln, wobei das sehr flüssig ist. Solche Dinge kommen und gehen wieder und hängen immer sehr stark vom kulturellen Kontext ab.

Weihbischof Hauke: Wobei wir ja noch eine Unterscheidung haben. Die Lebenswende ist nur für Nicht-Christen, das bedeutet hier kommen gar keine Christen, beziehungsweise dürfen gar keine Getauften teilnehmen. Alle anderen Projekte sind offen für Christen und NichtChristen.

Natürlich kann man auch fragen, ob ein Nicht-Christ ein Sakramental empfangen kann, wenn er keine Bindung zu Gott hat. Beim Aschenkreuz und Blasiussegen fragen wir nicht nach der Kirchenzugehörigkeit, wobei natürlich diese Riten einen direkten Bezug zum kirchlichen und sakramentalen Leben der Kirche haben. Die Lebenswendefeier lehnt sich an die Tatsache an, dass Menschen nach Segen verlangen. Die Feier ist ein ritueller Ablauf, wobei der Ritus noch im Wandel ist. Auch steht die Frage, wie eng oder wie weit man den Begriff des Ritus fasst. Viele haben bei diesem Begriff die Vermutung, dass hier die Ritenkongregation etwas zu sagen hat, aber das muss sie vielleicht jetzt noch nicht.

Bischof Wanke: Das ist eine typisch religionswissenschaftliche Frage und die überlassen wir der nachträglichen Klassifikation. Da kommt dann vielleicht auch ein Ethnologe und vergleicht etwas, aber wir machen einfach etwas und danach kann man schauen, in welche „ Schublade“ das eventuell einzuordnen ist. Unser Ansatz ist sehr praktisch.

Weihbischof Hauke: Ich habe mir auch die Frage gestellt: „Ist Lebenswende ein Gottesdienst?“ Wenn ja, dann durch die Anwesenheit der Christen. Wie viele Christen benötigt man für einen Gottesdienst? Bei Abraham war es nur ein Mensch und bei einer Beerdigung sind bisweilen auch nur der Pfarrer und der Verstorbene Christen. Ich denke mir: Wenn einer seine Gedanken zu Gott erheben kann, dann beginnt eigentlich schon ein Gottesdienst. Für andere ist es vielleicht nur eine Feier in einer Kirche.

Bischof Wanke: Das was uns aufgetragen ist, ist sicherlich der Gotteslob mit den Getauften. Das ist eine Grunddimension von Kirche. Daneben gibt es aber auch die Aufgabe der Verkündigung, also das Aufmerksam machen auf das Evangelium. In diesen Bereich würde ich die genannten Projekte ansiedeln.

- Würden Sie die Angebote als erzieherische Maßnahmen/Methoden verstehen, die Bevölkerung wieder näher an die Kirche zu binden beziehungsweise in einem ersten Schritt kulturelles und kirchliches Wissen aufzufrischen?

Bischof Wanke: Nur wenn dem Begriff des Erzieherischen die Attitüde des Belehrens genommen wird. In erster Linie wollen wir ein generelles Verständnis für das Menschsein an sich vermitteln. Es sind Angebote, den eigentlichen Sinn für die Botschaft Christi nahe zu bringen, ohne in eine Anweisung von oben zu verfallen. Gerade für diesen Bereich sind die Menschen hier besonders sensibel. Schnell könnte man sagen: „Früher gab es die Roten und jetzt kommen die Schwarzen.“ Abschließende Frage:

- Wie schätzen Sie persönlich den Bekanntheitsgrad der Angebote innerhalb der Erfurter Bevölkerung ein?

Bischof Wanke: Sehr schwer einzuschätzen. Ich hätte mit weniger als 50 Prozent gerechnet.

1.5 Lokale Veränderungen im religiösen Wissen

Die Vorüberlegungen und die Ergebnisse des Interviews haben gezeigt, dass die Ritenfähigkeit der Menschen stark vom religiösen Wissen abhängig ist. Nur wer in der Lage ist, Bezüge herzustellen und Symbole zuzuordnen, kann sich eine persönliche Rahmung zur Einordnung schaffen. Speziell die geschichtliche Entwicklung in den kommunistisch geprägten Bundesländern der ehemaligen DDR hat dazu geführt, dass die Menschen immer weiter von ihrer Kirche abrückten und der Bezug zur christlichen Sozialisation verloren zu gehen drohte oder teilweise sogar abhanden gekommen ist. Möchte die Kirche (in diesem Fall die katholische Kirche) diesem Trend entgegenwirken und neue Zeichen setzten, ist eine sehr behutsame Methode ratsam. Es gilt auf die Bedürfnisse der Menschen einzugehen und sie nicht mit einer „kirchlichen Überdosis“ zu verschrecken. Es mag für die Kirche erschütternd wirken, von einem Nichtwissen auszugehen, doch sollte gerade dieser „Nullpunkt“ die Ausgangsbasis sein. Auch sollte der missionarische Aspekt anfangs stark in den Hintergrund treten. In einer zunehmend globalisierten Welt sollten alle Menschen mit offenen Armen empfangen werden. Es gilt daher bei der seichten Rückführung zur Kirche konfessionelle Schranken zu überwinden und Angebote auch (oder sogar speziell) an Nicht-Christen zu machen.

In Erfurt wurde genau unter diesen Berücksichtigungen ein Projekt entwickelt, welches unter den innerkirchlichen Innovationen noch einmal eine Sonderrolle einnimmt. Es handelt sich um das Projekt „Folge dem Stern“, welches seit 2007 in der Vorweihnachtszeit durchgeführt wird. Entstanden ist es aus einer Ausschreibung der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt in Kooperation mit dem Institut für Evangelische Theologie / Religionspädagogik zu einem Projektseminar am Weihnachtsmarkt für das Wintersemester 2007/08. Das Projekt stand unter dem Motto „Das Christentum im säkularen Kontext zur Sprache bringen“. [34] Den Ausgangspunkt bildete die Frage, ob es gelingen könnte, auf dem Weihnachtsmarkt für religiöse Kontexte Aufmerksamkeit zu erwecken.

Die persönlichen Erfahrungen der Initiierenden hatten gezeigt, dass deutliche Defizite im kulturellen Wissen der Marktbesucher vorhanden sind. Frau Widl (Lehrstuhlbeauftragte für Pastoraltheologie und Religionspädagogik der Theologischen Fakultät der Universität Erfurt) spricht in ihrem Artikel über Jugendliche, die vor der holzgeschnitzten Krippe standen und rätselten, welche Figuren denn hier dargestellt seien. Die Winterzeit hatte in der DDR- Tradition eine enge Verknüpfung zur Märchenzeit erfahren und so überlegten die Jugendlichen, in welchem Märchen denn Stroh vorkommt. Nach kurzem Nachdenken kamen sie zu dem Entschluss, dass es sich bei der Krippendarstellung um eine Szene aus Rumpelstilzchen handelt.[35]

Diese Beschreibung zeigt recht anschaulich, wie bedeutungslos das Christentum geworden ist. Die Menschen in Erfurt leben in einer säkularen Kultur, die vorwiegend ohne Gott und Kirche auskommt. Dieser Eindruck wird bestärkt, wenn man sich die alljährlichen Befragungen von Weihnachtsmarktbesuchern anschaut, die nicht wissen, was an Weihnachten genau gefeiert wird. Und dennoch scheint es gerade in der Vorweihnachtszeit immer wieder ein wachsendes religiöses Interesse zu geben. Zeitungsartikel beschäftigen sich mit christlichen Themen rund um die Geburt Jesu, Magazine, wie beispielsweise der Stern oder Focus bringen Sonderausgaben und die Fernsehanstalten senden Dokumentationen zum gleichnamigen Bereich.

Weiterhin fällt auf, dass die meisten Weihnachtsmärkte in den deutschen Städten zwar um die großen Kirchen herum aufgebaut sind, die christlichen Gebäude aber nur selten in den Besucherstrom mit einbezogen sind. All diese Vorüberlegungen dürften eine Rolle gespielt haben, als es um die Umsetzung und Durchführung des Projektes „Folge dem Stern“ ging.

Die Resonanz war von Anfang an sehr groß. Das ursprünglich nur von Studenten umgesetzte Vorhaben wurde von kirchlicher Seite unterstützt. Regionale Zeitungen der beiden Kirchen berichteten und auch die örtliche Presse war anwesend.

Klar war auch, dass sich das Angebot keinesfalls nur auf Kinder und Jugendliche beschränken dürfte. Es sollten in erster Linie die Erwachsenen angesprochen werden. „Kirche muss inmitten einer säkularen Welt professionell agieren, will sie nicht die Vorurteile bestärken, dass Religion etwas für Kinder sei und all jene, die nicht wissenschaftlich denken, nicht eigenständig handeln, und die den Maßstäben einer modernen Welt nicht gewachsen sind.[36]

Die Studenten entwickelten etliche Ideen in Eigenarbeit, von denen letztlich fünf konkrete Angebote in die Tat umgesetzt wurden.

1.6 Angebote auf dem Erfurter Weihnachtsmarkt

Als erstes galt es ein gemeinsames Symbol zu entwickeln, welches den Wiedererkennungswert der einzelnen Angebote unterstützt. Hier wurde auf die Abbildung des Sterns zurückgegriffen, die eine allgemeine Assoziation mit dem Weihnachtsfest gewährleisten sollte.

Das Kernstück des gesamten Projektes bildete die Krippe. Der Erfurter Weihnachtsmarkt verfügt über eine große Holzkrippe mit handgeschnitzten Figuren, die vom Bildhauermeister Sigi Lehneis gefertigt wurden und als Geschenk aus der Gemeinde Oberammergau nach Erfurt kamen, wo sie seit 1991 jährlich auf dem Domplatz aufgestellt werden. Durch Größe und Illumination bildet die Krippe einen Blickfang und ist Anziehungspunkt für Jung und Alt. Ziel dieser Projektgruppe war es daher, den vorbeischauenden Menschen eine Hilfestellung bei der Betrachtung zu liefern. Dafür wurden vor der Krippe drei Ordner ausgelegt, in denen auf Einzelseiten mit großer Schrift über die Weihnachtsgeschichte, die dargestellten Figuren und ihre Bedeutung, sowie etwas über die Herkunft der Krippe nachgelesen werden konnte. Zusätzlich waren zu bestimmten Zeiten Studierende vor Ort und standen als Ansprechpartner und für weitere Fragen zur Verfügung.

Es wurde bereits erwähnt, dass die Weihnachtszeit in der DDR mit der Märchenzeit in Verbindung stand. Dies ließ sich auch auf dem Weihnachtsmarkt beobachten. Noch bis zu Beginn der 1990er Jahre standen im Zentrum des Marktes Märchenfiguren. Auch heute noch sind diese auf dem Domplatz zu finden, allerdings nicht mehr so zentral, sondern im Märchenwald rechts vor den Domstufen. Seit 1991 steht nun die Krippendarstellung im Zentrum und genau hier setzt das Projekt „Folge dem Stern“ an. „Die Krippe auf dem Erfurter Weihnachtsmarkt soll bewusst auf das christliche Geschehen des Festes verweisen.“[37] Die Theologiestudenten beschrieben ihr Vorhaben wie folgt: „Ziel dabei war, die aus der DDR-Zeit übernommene, fast automatische Verbindung von Figuren auf demWeihnachtsmarkt mit Märchendarstellungen zu überwinden und die Krippe als eigentliches Weihnachtsgeschehen verständlich und erlebbar zu machen.“[38]

Um den Plan in die Tat umzusetzen, wurde eine Informationsmappe erstellt. Auf dem Außendeckel wurde das Logo der Erfurter Universität gezeigt. Damit sollte eine Form von Seriosität geschaffen werden und gleichzeitig Misstrauen gegenüber einem missionarischen Auftrag gelindert werden. Es wurde auf eine alltagsrelevante Sprache Wert gelegt, die wiederum auch nicht christlich sozialisierten Lesern verständlich ist. Nach einer freundlichen Begrüßung folgt der Satz: „Sie befinden sich vor der Darstellung der christlichen Weihnachtserzählung.“ Dieser Satz ist deshalb wichtig, weil viele die Krippe nur als dekorativen Schmuck kennen und keinerlei religiöse Bezüge herstellen können. Eine Märchendarstellung wird somit von Beginn an ausgeschlossen. Zu Beginn der Mappe wird ein erster historischer Bezug zur Krippendarstellung geliefert. Es ist eine behutsame Heranführung an christlich-theologische Sachbezüge.[39] Die weiteren Karten sind dann in Form von einem „Frage - Antwort Spiel“ aufgebaut. Es wird zum Beispiel gefragt, was eigentlich an Weihnachten gefeiert wird oder wer im Stall dargestellt ist. Auch wird noch einmal der Bezug zum Stern aufgenommen, der als pädagogisches Element das gesamte Projekt begleitet. Alle Texte sind bewusst einfach gehalten und reduzieren sich auf wesentliche Aussagen ohne konfessionelles Fachwissen. An dieser Stelle sei nur eine Karte beispielhaft erwähnt. „ Wer ist in diesem Stall dargestellt?“ - „Es sind das Christkind, seine Eltern Maria und Joseph, drei Könige, Ochs und Esel und die Hirten dargestellt. Mit der Krippe wird die Weihnachtsgeschichte erzählt: Jesus kam als Sohn Gottes in einem Stall zur Welt. Dies ereignete sich vor 2000 Jahren und ist der Beginn unserer Zeitrechnung.“ (Alle Textkarten finden sich abgedruckt im Anhang des Buches „Folge dem Stern“).

In kurzen und prägnanten Sätzen soll darauf aufmerksam gemacht werden, dass es an Weihnachten nicht um die Geburt des Weihnachtsmannes geht, sondern um die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus.

Der Leser soll neugierig gemacht werden, ohne in die Enge gedrängt zu werden, dass hier Fachwissen abgefragt wird. „Wollen Sie mehr erfahren? Dann finden Sie hier Antworten.“ Der Leser kann jederzeit selber entscheiden, ob er weiterblättern möchte oder an dieser Stelle abbricht. Am Ende der Mappe befindet sich die Aufforderung, bei weiteren Fragen oder Anregungen die anwesenden Studenten zu fragen. „Vielen Dank für Ihr Interesse. Haben Sie noch Fragen? Gern laden wir Sie zu einem persönlichen Gespräch ein...“

Im ersten Jahr fand das Projekt an festen Terminen jeweils dienstags und mittwochs von 14 bis 16 Uhr an der Krippe statt.

Als zweites Projekt wurde ein Erlebnisrundgang entworfen. Vom Fuß der Domstufen wurde eine ca. 20minütige Führung angeboten, die mit Hilfe von Audio-Guides unterstützt wurde. Der Weg führte zum Dom hinauf, in das Innere der Kirche hinein, wo einzelne Stationen, die mit Advent und Weihnachten in Verbindung gebracht werden können, erleuchtet wurden. Dabei handelte es sich in erster Linie um Bilder und Skulpturen. Dazu gab es an den Haltepunkten kurze Erläuterungen und akustische Untermalungen.

Glaubens- und Kirchengeschichte sollte den Besuchern des Doms über die Sinne nahe gebracht werden. Im Vordergrund stand die Möglichkeit, sich in den Kirchenraum und in die Adventszeit einzufühlen. Die Grundidee wurde dabei aus einer Pfarrei des Bistums Magdeburg übernommen, die ihrerseits im Frühjahr 2007 ein vergleichbares Angebot im Zuge einer Museumsnacht gemacht hatte.[40] Ziel in Erfurt war es, die Teilnehmer auf Weihnachten einzustimmen und damit an die eigentliche Funktion der Adventszeit, nämlich die Vorbereitung, zu erinnern. Das Projekt sollte zeigen, dass „Weihnachten auch für das säkulare Umfeld eine deutlich den Alltag übersteigende Wirkung hat.“[41]

Der Kirchenraum wurde dabei als Ort der Begegnung gewählt. Das Innere der Kirche ist geprägt von Geschichte, Kunst und Spiritualität. Es ist ein Ort zum Feiern, aber auch zum Stillwerden. Hier befindet sich das Zentrum des geistigen Lebens. Andererseits kann der Raum auch für viele Nicht-Christen einschüchternd und fremd wirken. Das Überschreiten der Türschwelle, was in vielen Religionen eng mit Riten verbunden ist, lieferte auch in diesem Projekt den Übergang vom Alltag zur Religion. Aus pädagogischen Gründen galt es, diese Schwelle möglichst gering zu halten, da niemand abgeschreckt werden sollte. Die Teilnehmer sollten in erster Linie neugierig gemacht werden und anschließend aus eigenem Antrieb eintreten und ihre persönlichen Entdeckungen machen. „Es gilt das Prinzip der Aneignung statt der Vermittlung.“[42]

Im Kirchenraum wurde dann die Weihnachtsgeschichte anhand ausgewählter Figuren und Bilder des Erfurter Doms dargestellt. Durch spezielle Beleuchtung der einzelnen Darstellungen wurden die Sinne der Zuschauer visuell angesprochen. Für die gesamte Tour galt es, einen gewissen Zeitrahmen festzulegen. Es durfte nicht zu lange dauern, damitüberhaupt Besucher des Weihnachtsmarktes bereit waren, daran teilzunehmen. Das Projektteam einigte sich auf etwa 20 Minuten, und richtete sechs verschiedene Stationen ein. Den ersten Haltepunkt bildete der oberste Absatz der Domstufen. Die Teilnehmer befanden sich 70 Stufen über dem Marktplatz. Dieser Ort wurde gewählt, um einen Blickwechsel zu ermöglichen. Von diesem Punkt aus hat der Zuschauer eine Weitsicht über Teile der Altstadt. Direkt zu Füßen liegt der Marktplatz und das bunte, weltliche Treiben. Die zweite Station befand sich am Eingangsportal. Hier wurde der Blick auf die Darstellung der klugen und törichten Jungfrauen gerichtet, die sich am Westportal des Erfurter Doms befindet. Die Erzählung wurde kurz dargestellt, um somit in die Thematik „Advent als Zeit des Wartens auf die Ankunft Christi“ einzuführen. Danach folgt der Übergang in das Kircheninnere. Der Dom wurde während der Führung bewusst im Dunkeln gehalten und nur die ausgewählten Plätze waren speziell beleuchtet. Die aufgestellten Kerzen sollten der Räumlichkeit des Doms eine dem Alltag enthobene Atmosphäre verleihen.[43] Weitere Stationen waren die Romanikmadonna, die Krippendarstellung, das Gemälde der Anbetung der Heiligen Drei Könige und die Sternmediation.

Alle Stationen boten direkte Bezüge zur Weihnachtsgeschichte. Der Stern am Ende des Rundganges wurde bewusst gewählt, da dieser auch für viele Menschen ohne Konfession in Verbindung mit Weihnachten steht.

Die Verwendung von Audio-Giudes während der Führung bot jedem Teilnehmer die Möglichkeit, den Rundgang nach individuellem Erleben und im eigenen Tempo zu beschreiten. Die vorgetragenen Texte verzichteten auf ein biblisch-christliches Grundwissen und konnten daher von Kindern, Erwachsenen und Senioren gleichermaßen genutzt werden.

Im Jahr 2007 wurde der Erlebnisrundgang an insgesamt vier Terminen für jeweils zwei Stunden angeboten. Am Ende des Rundganges wurden Fragebögen verteilt, die auf freiwilliger Basis auszufüllen waren. Mit Hilfe dieser Bögen sollten die Erfahrungen gesammelt und wichtige Verbesserungen für die kommenden Jahre dokumentiert werden.[44]

Das dritte Projekt stand unter dem Motto „Stille“ und wurde in der Severikirche, direkt neben dem Dom angeboten. Zur Teilnahme wurden die Besucher mit Teelichtern eingeladen. Die Kirche wurde abgedunkelt und nur an ausgewählten Orten im Kirchenraum gab es Lichtinseln. An diesen Punkten wurden Texte zu Stille und Advent ausgelegt. Angeboten wurde ein stilles Gespräch auf Plakaten und ein Infoblatt über den Nikolaus. Für Kinder gab es zusätzlich die Bastelmöglichkeit für eine Mitra für Schokoladenweihnachtsmänner. Abgerundet wurde das Angebot durch einen Geruchsparcours mit adventlichen Düften, wobeinatürlich Weihrauch nicht fehlen durfte. Im Hintergrund wurde lediglich leise Choralmusik gespielt.

Der Grundgedanke für dieses Projekt war die Erfahrung, dass „Stille“ ein christliches Gut ist, welches in der heutigen Zeit immer stärker zu verschwinden droht. Gerade in der hektischen Weihnachtszeit, die von Feiern und Besorgungen geprägt ist, fehlt es oft an Gelegenheiten zur inneren Einkehr. Diese Möglichkeit sollte in der Kirche St. Severi gegeben werden. Es sollte eine offene Einladung an alle sein. Die Besucher wurden auf dem Weihnachtsmarkt angesprochen und bekamen eine Kerze geschenkt. Diese konnten sie nach Wunsch in der Kirche entzünden und so die erste Möglichkeit für ein stilles Gebet erhalten. Des Weiteren wurden Handzettel verteilt, auf denen sich kurze Texte befanden, die sich mit dem Thema Advent beschäftigen. Zusätzlich befanden sich Fragen darauf, die es dem Leser ermöglichten, sich in Eigenreflexion mit dem Thema auseinander zu setzen. Auf der Rückseite befand sich die Erzählung über die Geburt Jesu aus dem Lukasevangelium. Die Texte konnten anschließend mit nach Hause genommen werden.

In der Kirche wurde zusätzlich die Möglichkeit zum „stillen Gespräch“ eingeräumt. Dabei handelt es sich um eine Gruppenarbeit, bei der eine Fragestellung in die Mitte eines Plakates geschrieben wird. Die Besucher können dann mit ausgelegten Stiften ihre Kommentare und Antworten mit auf das Plakat schreiben. Folgende Textvorlagen wurden von der Projektgruppe vorgegeben: Ein Lichtblick im Advent ist für mich.., Bei Nikolaus denke ich an, Zur Ruhe komme ich, wenn , und Weihnachten nervt, weil

(eine Auswahl der Antworten und die Auswertung der Beteiligung findet sich ebenfalls in dem Buch „Folge dem Stern“). Dieses Angebot fand im Jahr 2007 an drei Terminen für jeweils zwei Stunden statt.

Das vorletzte Projekt wurde mit „Zwischentöne“ betitelt und beschäftigte sich mit dem Adventlied „Komm, du Heiland aller Welt“. Das dargebotene Stück wurde in mehreren Variationen und Arrangements von einem Quintett vorgetragen. Die Zwischenpausen boten Gelegenheit zur Meditation oder zur Betrachtung adventlicher Kunstmotive. Der zeitliche Rahmen erstreckte sich über 10 Minuten in der Kurzversion, bis hin zu 20 Minuten in der Langfassung. Das „Medium“ Musik wurde gewählt, weil die Stimme Informationen auf zwei Ebenen vermitteln kann. Zum einen können Sachverhalte in Form von Daten und Fakten übermittelt werden, zum anderen spiegelt die Stimmlage bestimmte Emotionen wider. „Das Singen vermag menschliche Erfahrungen, die durch Sprache allein nicht fassbar sind, Ausdruck zu verleihen und sie gleichzeitig zu verstärken.“[45]

Auch in diesem Projekt sollte das Alltägliche überboten werden und eine meditierende Stimmung geschaffen werden. Musik kann dabei als Bindeglied fungieren. „Musik kennzeichnet als charakteristisches Element gemeinschaftliches Feiern durch Stärkung der Gemeinschaft in Verbundenheit und Einmütigkeit.“[46]

Der große Vorteil dieses Projektes liegt in der Flexibilität der Teilnahme. Das Angebot konnte sowohl von Musikinteressierten, die dem gesamten Ablauf folgten (ca. 20 Minuten), als auch von einem Laufpublikum, welches nur einen kurzen Moment verweilte, wahrgenommen werden. Angesetzt wurden 2007 drei Termine. Zwei Veranstaltungen fanden im Dom und eine in der Allerheiligenkirche statt.

Das fünfte Projekt war der Adventssegen. Dieses Angebot war zweigeteilt. Zum einen umfasste es die bereits seit längerer Zeit bestehende Tradition, zum sonntäglichen Entzünden des Adventskranzes auf den Domstufen einen Segen zu bekommen. Zum anderen wurde dieser Segen individualisiert und konnte nun auch werktags unterhalb der Pfeilerbögen an den Domstufen empfangen werden. „Der Segen ist als Geschenk Gottes zu verstehen. Im Adventssegen auf den Domstufen - vermittelt durch priesterliche Zeichen - bot sich die Möglichkeit, sich von Gott beschenken zu lassen.“[47]

Dieses Angebot bezog sich in erster Linie auf alle Leute, die deutliche christliche Spuren wünschten.

Im Zuge diese Angebotes spielte auch die Symbolik des Adventskranzes eine große Rolle. An dem Ort des Segens wurde ein Kranz aus grünen Tüchern gelegt. Diese sollten die Tannenzweige symbolisieren. Auf den roten Tüchern wurden vier große Kerzen aufgestellt. Die Kerzen sollten Licht und Zuversicht in die dunkle und kalte Jahreszeit bringen. Dabei wurde ein Bezug zu Jesus Christus hergestellt, der von sich gesagt haben soll: „Ich bin das Licht der Welt; Wer mir nachfolgt, wird nicht im Finsteren gehen, sondern das Licht des Lebens haben.“ (Joh 1,4). Das Grün des Kranzes aus den Zweigen der Tanne ist ein Symbol für das unvergängliche Leben, da die Tanne zu den immergrünen Gewächsen gehört. Das Rot der Kerzen dagegen symbolisiert die Farbe des Blutes und des Feuers. Beides steht für die göttliche Liebe und die Wirkung des Heiligen Geistes. Darüber hinaus ist der Kranz, ohne Anfang und Ende, ein Sinnbild für die Ewigkeit.[48]

Zu Beginn der Veranstaltung wurden die Teilnehmer begrüßt und sowohl die Projektleiter, als auch der Geistliche, der den Segen spenden würde, wurden kurz vorgestellt. Anschließend begab sich die Gruppe zu der dekorierten Fläche. In wenigen Worten wurde erläutert, was ein Segen ist und was es für die Menschen bedeuten kann, gesegnet zu sein. Auch hier wurde wieder Rücksicht auf die Personen genommen, die keinerlei Vorkenntnisse besaßen.

Es wurde noch einmal der Charakter der Schenkung betont. Dazu passend erhielten die Beteiligten zum Abschluss einen aus Pappkarton gebastelten Stern, auf dem ein Segensspruch geschrieben war. Der Segen sollte die Menschen auf ihrem Heimweg und durch die Weihnachtszeit begleiten. Im Jahr 2007 wurde der Segen an sieben verschiedenen Tagen mehrmals erteilt.

Als Zielgruppe für alle fünf Projekte dienten die Besucher des Erfurter Weihnachtsmarktes. Hierin bestand nun die große Herausforderung für alle Beteiligten. Im säkularen Umfeld von Glühweinbuden und Riesenrad sollten Passanten angesprochen und zu der Teilnahme an kirchlichen Angeboten animiert werden. Laut Aussagen des Erfurter Touristenbüros besuchen jährlich über zwei Millionen Besucher den traditionellen Weihnachtsmarkt der Stadt. Doch kann es gerade in der häufig als stressig wahrgenommen Weihnachtszeit der Kirche gelingen neue Aufmerksamkeit zu bekommen? Augenscheinlich erscheint es, als seien viele Besucher nur gekommen, um sich mit Freunden zu treffen und in den, mit Schlagermusik beschallten Buden eine Bratwurst zu essen und ein Bier zu trinken. Zudem kommen viele aus den völlig überfüllten Geschäften der Innenstadt und gehen nur noch mal schnell und überhastet über den Weihnachtsmarkt, da dies ja irgendwie dazugehört.

Es galt folglich beide Bereiche miteinander zu verbinden. Als Ausgangspunkt diente die Überlegung, wo es auf dem Weihnachtsmarkt eine gemeinsame Schnittmenge zwischen kirchlicher und säkularer Welt geben könnte.

Bereits im Vorfeld war bekannt, dass das Christentum keine Volksreligiosität mehr besitze.[49] Dies wird unter anderen daran deutlich, dass wer nicht kirchlich gebunden oder interessiert ist, völlig ohne Kirche und Glauben leben kann und damit im Alltag auch nicht in Berührung kommen muss. Widl stellt zudem fest, dass eine säkulare Welt nicht nur ohne Kirche auskommt, sondern zusätzlich eine eigene Logik entwickelt hat und eigene Themen bereit hält. Dabei kommt es, laut Widl, zu einer Umgestaltung kirchlicher Symbole. So gilt Weihnachten allgemein als Fest der heilen Familie und der Stern wird zu einer astrologischen Markierung.[50]

In der Darstellung von Widl handelt es sich insgesamt um eine kritische Sicht der Annäherung. In dieser Betrachtungsweise ist der Graben zwischen Christentum und säkularer Welt nicht zu überwinden und dies gilt für beide Seiten. „Für uns Christen ist es der Graben zwischen unserer christlichen Sicht der Dinge und der Art, wie sie in einer säkularen Kultur gehandhabt werden (z.B. Weihnachtsmarkt statt adventlicher Besinnung).

Für christlich nicht sozialisierte Menschen ist es der Graben zwischen dem, was ganz normal ist und der Sonderwelt der Christen, in die man nicht hineinschauen kann und von der man kaum etwas weiß.“[51]

In eine ähnliche Richtung argumentiert Ekkehard Fellner[52]. Hier wird zunächst der historische Aspekt der Weihnachtsmärkte in den Blick genommen. Entstanden im 14. Jahrhundert und ursprünglich in den letzten Tagen vor dem Fest angeboten, hat sich die Tradition stark gewandelt. Waren es zunächst Kaufleute und Händler, wie Korbflechter oder Zuckerbäcker, die mit einer Sondererlaubnis ihre Waren auf dem Marktplatz anbieten durften, lockten ab Beginn des 20. Jahrhunderts die Kaufhäuser mit ihrem vielfältigen Angebot die Menschen in die Warenhäuser. Heute symbolisiert der Weihnachtsmarkt ein nostalgisches Ambiente und repräsentiert die Sehnsucht nach der guten, alten Zeit und ist damit wiederum zu einem wichtigen Wirtschafts- und Standortfaktor für Städte und Gemeinden geworden.

Der eigentliche Bezug zur Kirche ist verloren gegangen. Dies wird allein durch die terminliche Festlegung deutlich. Aus Absatz- und Konkurrenzsituationen wird der Beginn mancher Märkte noch vor den Buß- und Bettag gelegt. Der frühe Rhythmus läuft dem Kirchenjahr zuwider und somit nimmt der Weihnachtsmarkt in seiner heutigen Gestalt so ziemlich alles vorweg, was eigentlich zum Fest gehört. „Und wenn dann die Kirchen das Geburtsfest Jesu Christi am 25.Dezember feierlich begehen, hat die Zeit der Weihnachtsmärkte schon geendet, sie haben ihre Pforten geschlossen und sind teilweise bereits wieder abgebaut. "[53]

Trotz einiger negativer Einwände und Befürchtungen haben sich die Studenten der beiden Fakultäten nicht von ihrem Vorhaben abhalten lassen und das Projekt „Folge dem Stern“ erfolgreich in die Tat umgesetzt.

Natürlich waren sie dabei von einer engen Zusammenarbeit mit Vertretern beider Konfessionen abhängig. Dass die Kirche als Institution geschlossen hinter der Aktion stand, ist nicht zuletzt daran ersichtlich, dass Bischof Joachim Wanke das Projekt in seiner Weihnachtspredigt, die am 25.Dezember 2007 im ZDF übertragen wurde, erwähnte. Somit wurde das Vorhaben bereits in seinem ersten Jahr über die Grenzen Thüringens hinaus bekannt und bildet seitdem einen festen Bestandteil in der Erfurter Vorweihnachtszeit.

Mittlerweile ist es aus den Händen der Universität an die kirchlichen Einrichtungen der Stadt übergegangen. Dennoch sollte nicht außer acht gelassen werden, dass die ersten Denkanstöße aus den „säkularen“ Köpfen der Studenten kamen, die sich 2007 an dem Prototyp beteiligt hatten. Sie haben meiner Meinung nach deutlich gezeigt, dass es durchaus möglich ist, erste Schritte in der Veränderung des religiösen Wissens einzuleiten.

Dass dieses Anliegen ein längerfristiges Bestreben sein muss, scheint angesichts der konfessionellen Lage in Erfurt deutlich. Nicht zuletzt aufgrund der ersten Erfolge ist es gelungen, die Angebote fest in den Erfurter Weihnachtsmarkt zu integrieren. Aus den Erfahrungen der Studenten entwickelten sich Nachfolgegruppen, die auch in den Jahren 2008 und 2009 dazu einluden, dem „Stern zu folgen“. Darüber hinaus fand das Projekt auch außerhalb von Thüringen Beachtung. Bereits im November 2008 verlieh das Bonifatiuswerk der deutschen Katholiken Frau Prof. Dr. Maria Widl sowie der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt einen Sonderpreis für missionarisches Handeln.

Im Dezember 2009 fand erstmalig eine kleine Modifizierung statt. Stammte das Konzept ursprünglich aus einem pastoraltheologischen und religionspädagogischen Seminar, wurden 2009 alle Angebote von der katholischen und evangelischen Kirche übernommen.

Insgesamt betrachtet kann das Projekt „Folge dem Stern“ als Erfolg gewertet werden. Ob damit zeitgleich ein missionarischer Erfolg einhergeht bleibt offen. Natürlich wäre es unrealistisch zu glauben, dass sich daraufhin die Menschen gleich taufen lassen. Aber die Kirche hat ihre Chance genutzt, ein Stück weit auf die Bevölkerung zuzugehen. Auf dem Weihnachtsmarkt präsentierte sich die Kirche außerhalb des Gemeindelebens. Dem schönen Familienfest mit all dem Kaufen und Schenken wurde ein Stück Hoffnung gegenübergestellt.[54]

Viele Menschen haben so auf eher zufällige Weise erste Berührungspunkte mit der Kirche erfahren und konnten eventuelle Berührungsängste abbauen. Mit einer gewissen Leichtigkeit wurden Kirchenräume integriert und zogen die Teilnehmenden mit einen Gefühl des unbeobachtet Seins in ihren Bann.

Es ist sicherlich nicht ohne Zufall, dass dieses Projekt in Erfurt entstanden ist, befindet es sich in dieser Stadt doch in einem, von kirchlichen Innovationen geprägten Umfeld.

1.7 Weitere innovative Projekte

Neben den Angeboten auf dem Weihnachtsmarkt hat sich eine kleine Veranstaltungsreihe etabliert, die einmal jährlich in einem großen Kaufhaus der Stadt Erfurt stattfindet. Unter dem Begriff „Akademie im Kaufhaus“ trifft sich ein bunt gemischtes Publikum, um mit Bischof Wanke und einer Volkskundlerin über die Tradition des Schenkens zu sprechen. Auch hier wurde bewusst ein weltlicher Ort gewählt, um eine große Bandbreite von Menschen zu erreichen und sich nicht hinter Kirchenmauern zu verstecken. „Mit dem Warenhaus ist ein Ort gewählt, dem jede akademische Steifheit abgeht.“, so wird Hubertus Staudacher, Leiter der Akademie zitiert.[55] Alle Menschen sind zum Gespräch geladen: Warenhäuser kennt schließlich jeder, da bleiben Katholiken nie nur unter sich.“ (Staudacher).

Einem anderen Schwerpunkt wendete sich das Projekt „Begehbare Bibel“ zu. Die Grundintention war, die Menschen wieder an die Geschichten aus der Bibel heranzuführen. Die Idee zur Ausstellung wurde von Markus Könen entwickelt, der heute als Priester im Bistum Erfurt tätig ist. Unter dem Motto „Meet you“ (Ich treffe dich) regte er Jugendliche an, Beziehungsgeschichten aus der Bibel zu gestalten. Mit diesem Kreativprojekt sollte ein neuer Zugang zur Bibel eröffnet werden. Rund 50 Jugendliche der Pfarrgemeinde und der Regelschule Niederorschel bauten 2003 eine „Begehbare Bibel“. Die Installation zeigt Geschichten aus dem Alten und Neuen Testament. Das Besondre dabei war, dass die Besucher nicht nur Zuschauer waren, sondern aktiv mitwirken konnten. In einemSinnengarten war zu erfahren, wie der blinde Bartimäus seine Umwelt wahrgenommen haben könnte, bevor Jesus ihn heilte. Leere Stühle luden ein, sich beim Gastmahl niederzulassen. Die „Bibel“ hatte eine Woche lang geöffnet und erfreute täglich über 100 Menschen.

All dies zeigt, wie innovativ Erfurt in Sachen „Glaubensheranführung“ ist.

Neben diesen außerkirchlichen Angeboten entwickelten sich noch diverse Gottesdienstformen, die unter der Federführung von Bischof Wanke und Weihbischof Hauke ins Leben gerufen wurden. Diese sollen im nächsten Kapitel näher untersucht und vorgestellt werden.

[...]


[1] Diese Bezeichnung habe ich gewählt, weil sie meiner Meinung nach am besten ausdrückt, dass der Mensch von jeher ein Bedürfnis nach Ritualen verspürt und diese ihm Sicherheit und Orientierung bieten.

[2] Vgl. u.a. Gennep van, Arnold, Les rites de passage, Frankfurt a.M./New York/Paris 1977. Durkheim, Emile, Die elementaren Formen des religiösen Lebens, Frankfurt a.M. 1981. Turner, Viktor, Das Ritual. Struktur und Anti-Struktur, Frankfurt a.M./New York 1989. Michaels, Axel, Die neue Kraft der Rituale, Heidelberg 2007.

[3] Vgl. http://www.ritualdynamik.de/, gesichtet am 01.08.2011.

[4] Vgl. Belliger, Andrea / J. Krieger, David (Hg.), Ritualtheorien. Ein einführendes Handbuch, 3.Auflage, Wiesbaden 2006, S. 7.

[5] Vgl. Zirfas, Jörg / Wulf, Christoph, Performative Welten. Einführung in die historischen, systematischen und methodischen Dimensionen des Rituals, in: Zirfas, Jörg / Wulf, Christoph (Hg.), Die Kultur des Rituals. Inszenierungen. Praktiken. Symbole, Paderborn 2004, S. 7-45.

[6] Vgl. Die Erzeugung des Sozialen in Ritualen, in: Michaelis, Axel (Hg.), Die neue Kraft der Rituale. Studium Generale der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Heidelberg 2007, S. 179-200.

[7] Der Begriff „ritual studies“ wurde zum ersten Mal im Rahmen einer Konferenz der Academy of Religion 1977 verwendet und in der Folge von Ronald L. Grimes aufgegriffen und weitergeführt. Ein guter Überblick über Inhalt und Entstehung des Forschungsbereiches findet sich in dem Artikel „Ritual studies“ in der Encyclopedia of Religion von Medeline Duntley (2005).

[8] Vgl. Zirfas / Wulf, Die Kultur des Rituals, S. 18.

[9] Zahlen veröffentlicht auf der Homepage des Bistums Erfurt: http://www.bistum- erfurt.de/front_content.php?idcat=1941, gesichtet am 28.05.2010.

[10] z.B. Religionsmonitor 2008.

[11] Vgl. Schramm, Michael, Das Erspüren der Spuren Gottes. Religionsökonomische Anmerkungen zum katholischen Gottesunternehmen, in: Freitag, Josef / März, Claus-Peter (Hg.), Christi Spuren im Umbruch der Zeiten. Festschrift für Bischof Joachim Wanke zum 65.Geburtstag, Erfurter Theologische Studien, Band 88, Erfurt 2006, S. 61-73, hier S. 62.

[12] Daten zur Person wurden der Internetseite des Bistums Erfurt entnommen: http://www.bistum-erfurt.de/front_content.php?idcat="1934" , gesichtet am 28.05.2010.

[13] Daten zur Person wurden der Internetseite des Bistums Erfurt entnommen: http://www.bistum-erfurt.de/front_content.php?idcat="1934" , gesichtet am 28.05.2010.

[14] Vgl. Tiefensee, E., Welchen Einfluß hatten christliche Werte auf die Gesellschaft der ehemaligen DDR?, in: Herbert Quandt-Stiftung (Hg.), Vom christlichen Abendland zum multikulturellen Einwanderungsland?, 12. Sinclair-Haus Gespräch, Bad Homburg 1999, S. 24-28, hier S. 27.

[15] Vgl. Wanke, Joachim, Liturgie und säkulare Gesellschaft. Erwartungen eines Bischofs, in: Klöckener, Martin / Kranemann, Benedikt (Hg.), Gottesdienst in Zeitgenossenschaft. Positionsbestimmungen 40 Jahre nach der Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils, Fribourg 2006, S. 209-220, hier S. 210.

[16] Ebd., S. 211.

[17] Schramm, Erspüren der Spuren Gottes, S. 65.

[18] Bultmann, Rudolf, Neues Testament und Mythologie, München 1941.

[19] Karl Rahner setzte sich persönlich für eine Öffnung der katholischen Theologie für das Denken des 20. Jahrhunderts ein. Mit seiner Sichtweise beeinflusste Rahner das Zweite Vatikanische Konzil, an dessen Vorbereitung und Durchführung er mitgearbeitet hat.

[20] Schramm, Erspüren der Spuren Gottes, S. 66.

[21] Schleiermacher, Friedrich, Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, in:Schleiermachers Werke. Auswahl in vier Bänden, Leipzig 1928, Band 4, Aalen1967, S. 207-400.

[22] diese Formulierung benutzt Romano Guardini in einem Brief an den 3. Deutschen Liturgischen Kongress in Mainz im April 1964.

[23] Wanke, Erwartungen eines Bischofs, S. 212.

[24] Vgl. Schramm, Erspüren der Spuren Gottes, S. 68.

[25] Ebd., S. 68.

[26] Habermas, J., Glauben und Wissen, Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2001 (Sonderdruck edition suhrkamp), Frankfurt am Main 2001, S. 13.

[27] Schramm, Erspüren der Spuren Gottes, S. 69.

[28] Wanke, Erwartungen eines Bischofs, S. 209.

[29]

[30] Vgl. Schramm, Spuren Gottes, S. 61.

[31] Wanke, Erwartungen eines Bischofs, S. 213-217.

[32] Ebd., S. 217.

[33] Vgl. Hauke, Reinhard, Herzlich eingeladen zum Fest des Glaubens…, Projekte für Christen und Nicht-Christen, Leipzig 2009.

[34] Vgl. Widl, Maria, Das Christentum im säkularen Kontext zur Sprache bringen. Folge dem Stern. Ein Projektseminar am Erfurter Weihnachtsmarkt, in: Widl, Maria / Schulte, Andrea, Folge dem Stern. Missionarische Projekte am Weihnachtsmarkt, Erfurter Theologische Schriften, Band 36, Würzburg 2009, S. 9-17.

[35] Ebd., S. 9.

[36] Widl, Christentum zur Sprache bringen, S. 13.

[37] Plachta, Ayline / Lakomy, Johanna, Zur Krippe her kommet. Das Krippenprojekt am ErfurterWeihnachtsmarkt, in: Widl, Folge dem Stern, S. 112-131, hier S. 113.

[38] Ebd., S. 113.

[39] Ebd., S. 121.

[40] Vgl. Bethge, Daniele / König, Katharina / Raida, Stefanie, Erlebnisrundgang. Adventliche Führung im Erfurter Dom, in: Widl, Folge dem Stern, S. 54-67, hier S.54-55.

[41] Ebd., S. 55.

[42] Ebd., S. 56.

[43] Ebd., S. 58.

[44] Der Fragebogen im genauen Wortlaut und die Auswertung findet sich im Buch „Folge dem Stern“.

[45] Fellner, Ekkehard / Plachta, Ayline / Schonert, Cordula / Zimmer, Martin, Zwischentöne. Musik und Text im Advent, in: Widl, Folge dem Stern, S. 79-97, hier S. 83.

[46] Ebd., S. 84.

[47] Plachta, Ayline, Rumpelstilzchen oder Jesus Christus? Wie ein Projektseminar für Aufklärung sorgt, in: Widl, Folge dem Stern, S. 31-39, hier S. 34. Frau Plachta ist u.a. Referentin im Seelsorgeamt im Bistum Erfurt.

[48] Vgl. Meyerdirks, Elisabeth, Adventsegen. Mit dem Segen Gottes durch den Advent, in: Widl, Folge dem Stern, S. 98-105, hier S. 100.

[49] Vgl. Widl, Maria, Transversalität. Eine inhaltliche Brücke zwischen Christentum und säkularer Welt gestalten, in: Widl, Folge dem Stern, S. 40-53, hier S. 40.

[50] Ebd., S. 40-41.

[51] Widl, Transversalität, S. 42.

[52] Vgl. Fellner, Ekkehard, Alle Jahre wieder. Pastorale Chancen rund um den Weihnachtsmarkt, in: Widl, Folge dem Stern, S. 18-30. Herr Fellner ist u.a. Leiter im Chor des Ev. Kirchspielers Erfurt Südost.

[53] Fellner, Alle Jahre wieder, S. 18.

[54] Vgl. Schulte, Andrea / Widl, Maria, Wir haben seinen Stern gesehen. Ein Auftrag, in: Folge dem Stern, S. 164-167, hier S. 165.

[55] Zitat veröffentlicht auf der Internetseite des Bistums Erfurt: http://www.bistum-erfurt.de/front content.php?idcat=1964, gesichtet am 01.06.2010.

Ende der Leseprobe aus 177 Seiten

Details

Titel
Riten und Rituale der Postmoderne
Untertitel
Am Beispiel des Bistums Erfurt
Hochschule
Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover
Note
1,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
177
Katalognummer
V184624
ISBN (eBook)
9783656094814
ISBN (Buch)
9783656094593
Dateigröße
1220 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ritual, Postmoderne, Erfurt, Nächtliches Weihnachtslob, Feier der Lebenswende, Segnungsgottesdienst, Monatliches Totengedenken, Familienrituale, Alltagsrituale, Heilungsrituale, Pädagogische Rituale, Massenrituale, Trauerrituale
Arbeit zitieren
M.A. Stephan Schatzler (Autor:in), 2011, Riten und Rituale der Postmoderne, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/184624

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