Die deutsch-französischen Beziehungen der Jahre 1989-1990 stehen unter dem Eindruck der sogenannten „Wende“ im Osten. Der Wandel von sozialistischer Diktatur zu Demokratie und Freiheit beendet die Ära des Kalten Krieges und stellt die gesamte Nachkriegsordnung in Frage. Mit ihr kommt die deutsch-französische Zusammenarbeit auf den Prüfstein, die jahrzehntelang auf einer empfindlichen Balance zwischen einem politischen Übergewicht Frankreichs und einer wirtschaftlichen Überlegenheit der Bundesrepublik basiert. In der Tradition dieser Betrachtungsweise hat schon 1979 der damalige französische Staatspräsident Valéry Giscard d’Estaing dem sowjetischen Staatsoberhaupt Leonid Breschnew versichert, daß die deutsche Teilung im Interesse der Nachbarn und des europäischen Gleichgewichts beibehalten werden müsse.
Mitterrand führt diese Politik insofern fort, als er die Beziehungen zur „DDR“ stark ausbaut und auch wirtschaftliche Unterstützung gibt1. 1978 schreibt er, damals Generalsekretär der Sozialistischen Partei:
„Von der politischen und moralischen Bedeutung der Vereinigung für die Deutschen abgesehen, wenn ich bei den Tatsachen bleibe, also dem europäischen Gleichgewicht, der Sicherheit Frankreichs, der Bewahrung des Friedens, halte ich sie weder für möglich noch für wünschenswert.“
Je dringender die Lösung der deutschen Frage Ende der achtziger Jahre wird, desto offensichtlicher stürzt sie das deutsch-französische Paar in eine tiefe Krise. Gegenüber dem Streben nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten frappiert der heftige und emotional verstärkte Widerstand der Franzosen.
Die Darstellung der deutsch-französischen Beziehungen stützt sich auf die im August 1998 erschienene Sonderedition aus den Akten des Bundeskanzleramtes zur deutschen Einheit. In minutiöser Arbeit ist hier mit Dokumenten und Zeugnissen der gesamte Verhandlungs- und Gesprächsablauf auf dem Weg zur Einheit aus deutscher Sicht aufbereitet worden. In Anbetracht der Tatsache, daß auf dem diplomatischen Parkett oft eine verhaltene und indirekte Sprache gesprochen wird, sind die jeweiligen Kommentare und Interpretationen von großer Hilfe (Einführung von Hanns Jürgen Küsters). Unter der Prämisse, daß der französische Staatspräsident die deutsche Einheit nur widerwillig akzeptiert hat, ist es aufschlußreich, seine offiziellen Stellungnahmen im Kontrast zu seinen politischen Handlungen zu betrachten. [...]
Inhaltsverzeichnis
- I Einleitung
- II Die deutsch-französischen Beziehungen 1989-90 auf Regierungsebene
- A Die deutsch-französischen Beziehungen im Spiegel von Verhandlungen und Gesprächen
- 1. Der Fall der Mauer
- 2. Erste Reaktionen der europäischen Partner
- 3. Das Zehn-Punkte-Programm
- 4. Mitterrands Verzögerungsversuche
- a. Die Intensivierung der französisch-sowjetischen Beziehungen
- b. Der Besuch der DDR
- 5. Europa als Dach für die deutsche Wiedervereinigung
- a. Deutsche und französische Vorstellungen
- b. Die Haltung des EG-Kommissionspräsidenten
- 6. Die Frage des militärischen Bündnisses
- 7. Die Zwei-plus-Vier-Verhandlungen
- 8. Die Oder-Neiße-Grenze
- 9. Die Verlangsamung der Europäischen Integration
- 10. Erneute Annäherung
- 11. Französisch-sowjetische Allianz?
- 12. Deutsch-französischer Routineeinsatz für Europa
- 13. Deutsch-sowjetische Einigung
- 14. Das Ende der „Siegerrechte“ der Alliierten
- 15. Der Tag der deutschen Einheit
- B Ausblick auf die weitere Entwicklung
- 1. Deutsch-französische Initiativen
- 2. Maastricht
- 3. Neue weltpolitische Verantwortung
- 4. Die Ostpolitik
- C Zusammenfassung
- A Die deutsch-französischen Beziehungen im Spiegel von Verhandlungen und Gesprächen
- III Die Haltung der intellektuellen Elite Frankreichs
- A Einleitung
- B Die Darstellung in der französischen Presse
- 1. Vorbemerkungen
- 2. Le Figaro
- a. Vorbemerkung
- b. Nach dem Fall der Mauer: Lehren aus der Geschichte
- c. Deutschlands neue internationale Position
- d. Lob für Kohl - Kritik an der eigenen Regierung
- e. Die Grenzfrage
- f. Europa als Schutzinstrument vor deutscher Dominanz
- g. Die deutsch-französischen Beziehungen
- h. Der Tag der deutschen Einheit
- 3. Le Monde
- a. Vorbemerkung
- b. Frühzeitige Sensibilität
- c. Nach dem Fall der Mauer
- d. Historische Reminiszenzen
- e. Die deutsch-französischen Beziehungen
- f. Die Grenzfrage
- g. Germanophobie
- h. Die Wiedervereinigung innerhalb des westlichen Bündnisses
- k. Das Bild des Kanzlers
- l. Deutschland in Europa
- m. Der Tag der deutschen Einheit
- 4. Ausgewählte, repräsentative Publikationen
- a. Vorbemerkung
- b. Emotionalisierung der Massen
- c. Konsequenzen für Frankreich
- d. Deutsch-französische Mittler: Ausnahmepositionen
- e. Nach der Wiedervereinigung
- 5. Zusammenfassung
- IV FAZIT
- Welche Zukunft für Europa?
- Persönliche Nachbemerkung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit untersucht die deutsch-französischen Beziehungen in den Jahren 1989-1990 im Kontext der deutschen Wiedervereinigung. Sie analysiert die Reaktionen des offiziellen Frankreichs, allen voran François Mitterrands, sowie die Haltung der französischen intellektuellen Elite, vor allem der Presse, auf die Ereignisse der „Wende“ im Osten. Der Fokus liegt dabei auf der Frage, wie sich die Partner auf das Ende der europäischen Teilung einstellten und mit der neuen Rolle Deutschlands sowie der veränderten Position Frankreichs umgingen.
- Die deutsch-französischen Beziehungen im Kontext der deutschen Wiedervereinigung
- Die Reaktion Frankreichs auf den Fall der Mauer und die deutsche Wiedervereinigung
- Die Haltung der französischen intellektuellen Elite, insbesondere der Presse
- Die Rolle des französischen Präsidenten François Mitterrand
- Die zukünftigen Herausforderungen für das deutsch-französische Paar in der Ära der europäischen Integration
Zusammenfassung der Kapitel
- Die Einleitung beleuchtet den historischen Kontext der deutsch-französischen Beziehungen im Vorfeld der Wiedervereinigung und beschreibt die Bedeutung der „Wende“ im Osten für die europäische Nachkriegsordnung.
- Das zweite Kapitel analysiert die deutsch-französischen Beziehungen auf Regierungsebene im Zeitraum 1989-1990. Es untersucht die Positionen der beiden Staaten im Hinblick auf die deutsche Einheit, die Verhandlungsprozesse und die Reaktionen auf die politischen Entwicklungen.
- Das dritte Kapitel widmet sich der Haltung der intellektuellen Elite Frankreichs, mit Fokus auf die Darstellung in der französischen Presse. Es analysiert die Reaktionen von Zeitungen wie „Le Figaro“ und „Le Monde“ auf die deutschen Einigungsprozesse.
Schlüsselwörter
Deutsch-französische Beziehungen, deutsche Wiedervereinigung, „Wende“ im Osten, François Mitterrand, Frankreich, deutsche Einheit, europäische Integration, Presse, Intellektuelle Elite, Germanophobie, Maastricht.
- Arbeit zitieren
- Johanna Pflüger (Autor:in), 1999, Die Deutsch-Französischen Beziehungen 1989-90. Ausgewählte Aspekte, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/185285
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