Die vorliegende Arbeit entstand zwischen Oktober 1998 und März 1999.
Das Thema wurde motiviert durch eine Praxisphase im technischen Einkauf der Henkel KGaA, Düsseldorf. Alle Ausführungen beziehen sich auf Industrieunternehmen.
Untersuchungsgebiete sind existierende Controlling-Konzepte im
Funktions-bereich Beschaffung mit Schwerpunkt der Controlling-
Instrumente in diesem Bereich. Ziel ist es, den praktischen Nutzen dieser Instrumente für eine Unternehmung zu beurteilen. Wegen dynamischer Entwicklungen wie Globalisierung, Prozessdenken und Internet wurde dabei auf die Aktualität verwendeter Daten als auch der Literatur besonderer Wert gelegt.
INHALTSVERZEICHNIS
1 Einleitung
2 Begriffsabgrenzungen
3 Beschaffungscontrolling
3.1 Relevanz des Beschaffungscontrolling
3.2 Systematik des Beschaffungscontrolling
3.2.1 Strategisches Beschaffungscontrolling
3.2.2 Operatives Beschaffungscontrolling
3.3 Organisation des Beschaffungscontrolling
4 Instrumente des Beschaffungscontrolling
4.1 Beschaffungskostenrechnung
4.1.1 Eigenfertigung oder Fremdbezug
4.1.2 Zuschlagskalkulation
4.1.3 Preisstrukturanalyse (PSA)
4.1.3.1 PSA auf Vollkostenbasis
4.1.3.2 PSA auf Teilkostenbasis
4.1.4 Prozeßkostenrechnung
4.1.5 Source-Erfolgsrechnung
4.1.6 Kalkulationstableau
4.1.7 Mehrdimensionale Beschaffungskostenrechnung
4.1.8 Fremdbezugskalkulation
4.1.9 Transaktionsmodell
4.1.10 Total Cost of Ownership (TO[C]O)
4.1.11 Zero-Base-Pricing (ZBP)
4.1.12 Bewertung der Beschaffungskostenrechnung
4.2 Analyseverfahren
4.2.1 Sensitivitätsanalyse
4.2.2 ABC-Analyse
4.2.3 Lieferantenstruktur-Analyse
4.2.4 XYZ-Analyse
4.2.5 ABC&XYZ-Analyse
4.2.6 Produktlebenszyklus-Analyse
4.2.7 Erfahrungskurven-Analyse
4.2.8 Wertanalyse
4.2.9 Lieferantenanalyse
4.2.10 Betriebsunterbrechungsanalyse
4.2.11 Bewertung der Analyseverfahren
4.3 Portfolios
4.3.1 Beschaffungsmarkt-Unternehmensstärken-Portfolio
4.3.2 Lieferanten-Abnehmer-Markmacht-Portfolio
4.3.3 ABC-Versorgungsrisiko-Portfolio
4.3.4 Global-Sourcing-Portfolio
4.3.5 Ressourcen-Portfolio
4.3.6 Make or Buy-Portfolio
4.3.7 Bewertung der Portfolios
4.4 Informationssysteme
4.5 Berichtswesen
4.5.1 Bewertung der Informationssysteme und des Berichtswesens
4.6 Kennzahlen und Kennzahlensysteme
4.6.1 Bewertung der Kennzahlen und Kennzahlensysteme
5 Zusammenfassung und Ausblick
Vorwort
Die vorliegende Arbeit entstand zwischen Oktober 1998 und März 1999. Das Thema wurde motiviert durch eine Praxisphase im technischen Einkauf der Henkel KGaA, Düsseldorf. Alle Ausführungen beziehen sich auf Industrieunternehmen.
Untersuchungsgebiete sind existierende Controlling-Konzepte im Funktions-bereich Beschaffung mit Schwerpunkt der Controlling-Instrumente in diesem Bereich. Ziel ist es, den praktischen Nutzen dieser Instrumente für eine Unternehmung zu beurteilen. Wegen dynamischer Entwicklungen wie Globalisierung, Prozessdenken und Internet wurde dabei auf die Aktualität verwendeter Daten als auch der Literatur besonderer Wert gelegt.
Der Prüfungskommission der Fachhochschule, vertreten durch Herrn Prof. Dr. Herbert Krause und Herrn Prof. Dr. Andreas Syska, danke ich für die Betreuungsgespräche und die Übernahme des Referates.
Hürth, im April 1999
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Evolutionswürfel
Abbildung 2: Entwicklung der Fertigungstiefe
Abbildung 3: Planungshierarchie
Abbildung 4: Organigramm
Abbildung 5: PSA auf Vollkostenbasis
Abbildung 6: PSA auf Teilkostenbasis
Abbildung 7: Prozesskostenstellen
Abbildung 8: Vergleich Zuschlagskalkulation u. Prozeßkostenrechnung
Abbildung 9: Kalkulationstableau
Abbildung 10: Zweidimensionale Kostenstellenhierarchie
Abbildung 11: Zweidimensionale Kostenstellenhierachie (Forstsetzung)
Abbildung 12: Mehrdimensionale Kostenstellentabelle
Abbildung 13: Grundrechnung
Abbildung 14: Transaktionsmodell
Abbildung 15: ZBP (Preiskomponenten)
Abbildung 16: ZBP (interne Kosten)
Abbildung 17: Kostenverläufe der Andler´schen Losgröße
Abbildung 18: Kurvenverlauf einer ABC-Analyse
Abbildung 19: Kurvenverlauf einer Lieferantenstrukturanalyse
Abbildung 20: Kurvenverlauf einer XYZ-Analyse
Abbildung 21: Dispositionsmethoden bei der ABC&XYZ-Analyse
Abbildung 22: Phasen des Produktlebenszyklus´
Abbildung 23: Verlauf der Lernkurve
Abbildung 24: Wertanalyse-Arbeitsplan
Abbildung 25: Beschaffungsmarkt-Unternehmensstärken-Portfolio
Abbildung 26: Lieferanten-Abnehmer-Marktmacht-Portfolio
Abbildung 27: Soll-Portfolio
Abbildung 28: ABC-Versorgungsrisiko-Portfolio
Abbildung 29: Global-Sourcing-Portfolio
Abbildung 30: Ressourcen-Portfolio
Abbildung 31: Make or Buy-Portfolio
1 Einleitung
Die Beschaffung wurde lange Zeit nur als nicht-wertschöpfende Funktion eines Unternehmens betrachtet. Sie hatte in erster Linie die Funktion der mengen- und termingerechten Versorgung der Produktionsbetriebe mit Einsatzmaterialien zu erfüllen. Schwerpunkte waren dabei Disposition und Einkauf der Güter zum günstigsten Preis. Inzwischen ist Beschaffung ein aktiver Funktionsbereich mit langfristiger, d. h. strategischer Ausrichtung geworden. Der Kaufpreis wird im Rahmen der Einkaufsentscheidung nur noch als ein Kriterium unter anderen betrachtet. Die Geschäftsbeziehung zum Lieferanten wird ständig partnerschaftlicher gestaltet und die rasante Entwicklung in der Informationstechnik trägt mit Systemen wie „EDI“ (Electronic Data Interchange) und neuen Formen der Bestellabwicklung wie „direct purchasing“ zu einer Effizienzsteigerung bei. Die zunehmend aktive Gestaltung dieses Bereiches schlägt sich auch nieder in Begriffen wie „Beschaffungsmarketing bzw. -management”. Insbesondere durch die strategische Ausrichtung hat das Controlling hier steigende Bedeutung gewonnen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Evolutionswürfel[1]
Zum besseren Verständnis empfiehlt sich die folgende Umbenennung:
- Enabler = Strategieinstrument
- Organisation = Planung
2 Begriffsabgrenzungen
Es wird versucht, kurze Begriffsabgrenzungen vorzunehmen, die für das Thema erforderlich sind und zu einem Beschaffungscontrolling als Funktionscontrolling hinführen sollen. Das erscheint auch wichtig im Hinblick auf die immer häufigere Verwendung von Anglizismen (z. B. supply, sourcing) in der einschlägigen Literatur wie auch in der Praxis.
Hinsichtlich des Begriffs Beschaffung werden in der Literatur unterschiedlich weitgefaßte Definitionen vertreten. Das gilt sowohl für Umfang und Reichweite der Funktion als auch des Objektes der Beschaffung.[2]
Hier soll mit der eingegrenzten Definition operiert werden, da diese typischerweise ein Controlling der Beschaffung inhaltlich am geeignetsten charakterisiert. Am treffendsten formuliert dies Reichmann: „Zur Beschaffung im engeren Sinne zählt die wirtschaftliche Versorgung eines Unternehmens mit Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen sowie fertigbezogenen Teilen.”[3] Der gleichen Auffassung ist auch Arnold.[4] Sondergebiete wie die Beschaffung von Dienstleistungen und Investitionsgütern und die damit verbundenen rechtlichen bzw. mathematischen Aspekte (Investitionsrechnung) werden zumindest in Großunternehmen von einem dem Beschaffungscontrolling übergeordneten (zentralen) Controlling bewertet.[5] Sie werden im Rahmen dieser Arbeit nicht behandelt.
Einkauf wird von sämtlichen Autoren als verrichtungsorientierte Teilfunk-tion der Beschaffung betrachtet, welche operative Tätigkeiten wie z. B. Be-stands- und Terminkontrolle als auch Bestellschreibung umfaßt. Eine inhaltliche Abgrenzung zur Beschaffung ist aber nicht immer erkennbar. Der Übergang ist teilweise fließend. So führt der Einkauf auch gestaltende Tä-tigkeiten durch und achtet dabei auf die Kostenverursachung in anderen Funktionsbereichen.[6] Der Einkauf versucht unter Berücksichtigung vielfäl-tiger Kriterien (nicht nur des Einstandspreises) ein optimales Preis-Leistungs-verhältnis zu erzielen.[7] Damit bilden die Tätigkeiten im Einkauf eine Teilmenge der Beschaffung, sind jedoch zeitlich beschränkter.
Der Begriff „ Controlling “ wird von den Fachautoren am umfassendsten diskutiert. Bei der spezifischen Ausprägung eines Controllings spielen jedoch Branche und Unternehmensgröße eine wichtige Rolle. Hier wird deshalb nur das Wesentlichste erläutert.
Allgemein kann Controlling bezeichnet werden als ein managementergänzendes System bzw. als eine Koordinationsfunktion von Managementebenen. Controlling beinhaltet also eine umfassende, führungs-unterstützende Dienstleistung für das Management, d. h. für die Entscheidungsträger vom Geschäftsführer/Vorstand bis hin zum Abteilungsleiter. Diese Dienstleistung konkretisiert sich im Wesentlichen in der Mitwirkung bei Planungen und der Bereitstellung entscheidungsrelevanter Informationen.
Tendenziell gibt es im Controlling gegenwärtig zwei Entwicklungen:[8]
- Der Controller erfährt eine Spezialisierung hinsichtlich seines Aufgabenspektrums
- Standardaufgaben (z. B. Erstellung von Monatsberichten) werden auf Fachabteilungen verlagert. Die jeweiligen Abteilungsleiter übernehmen diese Aufgaben und fungieren als Quasi-Controller. Dieses Vorgehen wird als „Self-Controlling“ bezeichnet.
3 Beschaffungscontrolling
Im folgenden werden die Entwicklungsstufen des Beschaffungscontrolling dargestellt und es wird eine Charakterisierung vorgenommen.
Neben einem übergeordneten Unternehmenscontrolling sind je nach Unter-nehmensgröße auch Controllingeinheiten für die einzelnen Funktionsberei-che (Vertrieb, Personal, Produktion, ...) möglich. Aber auch in diesem Um-feld erfolgt die Begriffsabgrenzung nicht exakt wissenschaftlich im Sinne der Betriebswirtschaftslehre, sondern unscharf, weshalb hier zusätzlich der Be-griff „Einkaufscontrolling“ aufgegriffen werden muß. Vorwegnehmend läßt sich feststellen, daß Beschaffungscontrolling umfassender zu sehen ist als Einkaufscontrolling. Bereits Ende der 70er Jahre gab es Ansätze für ein Controlling des Einkaufs; dabei wurde Controlling nahezu nur im Sinne einer vergangenheitsbezogenen Kontrolle (quantitativer Größen) des Einkaufs be-schrieben.[9] Basierend auf den allgemeinen Controlling-Arbeiten, die im deutschsprachigen Raum besonders durch Deyhle, Eschenbach, Horvath, Reichmann und Weber geprägt sind, sowie der permanenten Weiterentwick-lung auf dem EDV-Sektor, wurden schrittweise einzelne Instrumente und Gesamtkonzepte entwickelt, um so ein modernes (Funktions-)Controlling zu etablieren. In neueren Ansätzen wird ein solches Controlling folgender-maßen formuliert: „Einkaufs-Controlling kann somit definiert werden als eine integrierte, zukunftsorientierte Führungsfunktion für die Einkaufslei-tung, deren Ziel es ist, den Einkauf ergebnisorientiert zu steuern.“[10] “Controlling im Einkauf bedeutet Koordination des Führungssystems eines Unternehmens mit spezifischen, funktionsbezogenen Aufgabenbereichen.”[11] Piontek benutzt Einkaufscontrolling und Beschaffungscontrolling sogar synonym, wobei er die Begriffe aber nicht definiert, sondern philosophisch formuliert: „Letztendlich geht es darum, Controlling als eine Art Denkhaltung für alle Entscheidungsträger in der Beschaffung zu verankern.“[12] Er kritisiert, daß in bisherigen Konzepten (d. h. bis ins Jahr 1994) oft nur Einzelfaktoren, keine Verbindung von Controlling und Beschaffung und zuwenig Strategieaspekte berücksichtigt wurden, ergänzt dann aber, daß zur Beurteilung der Beschaffungswirtschaftlichkeit auch eine operative Ausrichtung nötig sei.[13] Witt konkretisiert Beschaffungscontrolling als ein „Controlling in bezug auf Lieferantenauswahl und Kosten der Beschaffung.”[14] Arnold hingegen gibt nicht nur eine Definition, sondern leitet Beschaffungscontrolling zuerst aus dem Kontrollbegriff der Kybernetik her. Er sieht den Begriff als historisch notwendig geworden: „Die Weiterentwicklung der Feedback-Kontrolle [die sich früher vergangenheitsbezogen auf Regelung beschränkte, der Verfasser] zu einer wirklichen Steuerungsfunktion [die im Sinne einer Feed-Forward-Kontrolle auch zukunftsorientiert ist, der Verfasser] kann insbesondere durch das Konzept des Beschaffungs-controlling unterstützt werden.“[15] Er bleibt allgemein und bezieht sich dabei auf den allgemeinen, funktionsneutralen Controllingbegriff: „ ... kann das Beschaffungscontrolling als ein System von Führungshilfen verstanden werden, das durch die Bereitstellung von Methoden und Informationen zur Sicherung der Koordinations-, Adaptions-, Reaktions- und Innovations-fähigkeit beiträgt.“[16] Schließlich beschreibt er Beschaffungscontrolling an-hand des Systembegriffs: „Es übernimmt damit einerseits systembildende Aufgaben, indem beispielsweise Verfahrensabläufe in der Beschaffung ge-staltet oder verändert werden. Andererseits werden aber auch system-koppelnde Aufgaben (Teamarbeit bei Wertanalyse, ...) bearbeitet.“[17]
Demnach kann Beschaffungscontrolling definiert werden als führungsunter-stützende Tätigkeit für den Funktionsbereich Beschaffung, die integrativ und zukunftsorientiert zugleich ist.
3.1 Relevanz des Beschaffungscontrolling
Die Relevanz des Beschaffungscontrolling läßt sich exemplarisch anhand der Einsparmöglichkeiten durch Materialkostenreduzierung aufzeigen.
Der Beitrag der Beschaffung für den gesamten Unternehmenserfolg wird in vielen Unternehmen (noch) nicht erkannt, da sich Rationalisierungsbemühun-gen in der Mehrzahl fast ausschließlich auf den Fertigungsbereich beschränken.[18] Eine entscheidene Einflußnahme auf den Erfolg durch die Beschaffung ist aber sehr wohl möglich.
So beschreibt die Hebelwirkung in der Beschaffung den Effekt eines relativ hohen Gewinnanstiegs bei relativ geringer Reduzierung der Materialkosten. Um ein identisches Betriebsergebnis zu erzielen, müsste dabei eine vergleichbare Umsatzsteigerung (auf der Absatzseite) wesentlich höher ausfallen. Deshalb sollte eine Reduzierung der Materialkosten immer zuerst in Betracht gezogen werden.
Die erzielte Gewinnsteigerung Gs [%] bezogen auf den Basisgewinn errechnet sich bei einer vorgegebenen Reduzierung der Materialkosten (R) mit:
UR = Umsatzrentabilität; Mk = Materialkosten in Prozent des Umsatzes
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
UR = Umsatzrentabilität; Mk = Materialkosten in Prozent des Umsatzes
Umgekehrt läßt sich die erforderliche Reduzierung der Materialkosten (R) bei einer Soll-Gewinnsteigerung Gs (Zielgewinn) so ermitteln:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Beispiel:
Der Gewinn soll von derzeit DM 2,275 Mrd um 10% (=227,5 Mio) gesteigert werden.
Umsatz = 72,03; Materialkosten = 49,937 Mrd à69,3% des Umsatzes
1. Möglichkeit: Materialkosten reduzieren
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Durch eine Materialkostensenkung von (nur) 0,46% kann der Gewinn um 10% gesteigert werden.
2. Möglichkeit: Umsatz steigern
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Soll die Gewinnsteigerung von 10% durch eine Umsatzsteigerung herbeige-führt werden, müsste diese 10% (Steigerung von 72,03Mrd auf 79,2Mrd) betragen.
Hierbei werden die Auswirkungen von Maßnahmen nach außen, d. h. bzgl. des Beschaffungsmarktes, besonders sichtbar und verdeutlichen die Rolle der Beschaffung im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation des gesamten Unternehmens.
Tendenziell haben Globalisierung und schnelle Produkt-Innovationszyklen zur Folge, daß sich Unternehmen auf Ihr Kerngeschäft konzentrieren, so daß immer mehr Güter von außen zugekauft werden und so die eigene Fertigungstiefe weiter reduziert wird. Die Fertigungstiefe [%] kann formal ausgedrückt werden als:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten (1-Materialintensität) x 100%
Gleichbedeutend zu Materialintensität ist der Ausdruck „Materialkostenanteil am Umsatz“ zu sehen. Durch das Reduzieren der Fertigungstiefe wird primär versucht, die Flexibilität am Markt und die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Es läßt sich übereinstimmend feststellen, daß sich durch diese Vorgehensweise das Beschaffungsvolumen, je nach Branche, in Zukunft zwischen 10% und 26% erhöhen wird.[19] Damit steigt insbesondere der Stellenwert von Kostensenkungspotentialen weiter an und begründet damit umso stärker ein Controlling der Beschaffung, das der Impulsgeber für ein Kostenmanagement sein sollte. Außerdem ist ein Mitspracherecht des Beschaffungscontrolling auch in Bereichen der Beschaffung (z. B. Lieferanten- u. Teilestruktur empfehlenswert, um den internen Verwaltungs-aufwand in der Abteilung, d. h. die Gemeinkosten zu minimieren.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Entwicklung der Fertigungstiefe[20]
3.2 Systematik des Beschaffungscontrolling
Die Systematik des Beschaffungscontrolling kann in Anlehnung an die Strukturierung des Controlling (allgemein) methodisch in zwei Bereiche unterschieden werden, nämlich in den strategischen und den operativen Bereich.
Diese Unterscheidung wurde auch für den Begriff bzw. den Prozess der Planung in der Unternehmung getroffen und in einer sog. Planungshierarchie (siehe Abbildung 3) aufgestellt. Quantifizierende Zeitangaben werden aber dort nicht vorgenommen, wobei aber nach gängiger Auffassung die operative Ebene ca. ein Jahr und die strategische Ebene ca. fünf Jahre umfasst. Im Gegensatz zu dieser Einordnung wird in der Controlling-Fachwelt auch Planung als Primärbegriff gesehen und mit Controlling gleichgesetzt oder Controlling wird als Bestandteil der Planung bezeichnet.[21] Da Planung aber im Vergleich zum Controlling kein eigenständiger betrieblicher Funktionsbereich ist und Methoden und Techniken der Planung für sämtliche Funktionsbereiche bereitgestellt werden, soll deshalb Controlling als um-fassenderer Oberbegriff verstanden werden. Dennoch soll auf den Begriff der Planung eingegangen werden, so daß die Begriffe „strategisch“ und „operativ“ auf das Controlling adaptiert werden können. Planung kann beschrieben werden als systematisches und zielorientiertes Vorgehen zur Erkennung und Lösung von Problemen, die in der Zukunft liegen.
Im Sinne der Planung stellt strategische Planung die oberste Ebene der Pla-nungshierarchie dar, die globale und konzeptionelle Formulierungen enthält und vom Zeithorizont her langfristig angelegt ist. Strategische Planung zielt darauf ab, daß sich ein Unternehmen mittels spezifisch erstellter Strategie-pläne, die auf Standardstrategien basieren, adäquat, im Sinne der unterneh-merischen Zielsetzung, den Umweltveränderungen anpassen kann. Zur For-mulierung solcher Strategien werden für das Beschaffungscontrolling Me-thoden und Techniken instrumentalisiert (siehe dazu das Kapitel Instrumente des Beschaffungscontrolling). Auch beim strategischen Controlling spielt die strategische Planung eine zentrale Rolle: „ ... Controllingperspektive mit einem Schwerpunkt bei der strategischen Planung, nämlich der Geschäftsfeld- und der Kernkompetenzplanung ... .“[22] So kann man hinsichtlich einer Abgrenzung folgern: Strategische Planung ist wesentlicher Bestandteil des strategischen Controllings, wobei die Umkehrformulierung nicht gilt. Witt sieht sogar eher eine Verschmelzung beider Bereiche: „ ... wachsen die Begriffe ..., der strategischen Planung und des strategischen Controlling zusammen ... .“[23] Bei der operativen Planung ist die unterste Stufe der Planung gemeint. Hier werden Unternehmensbereiche in Detailfragen behandelt und der gültige Zeithorizont ist eher kurzfristig. In Analogie zum strategischen Controlling bezeichnet Witt die operative Planung als herausragendes Element des operativen Controlling.[24]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Planungshierarchie[25]
Die oben gemachten Ausführungen können auf ein Beschaffungscontrolling übertragen werden, bei dem im Sinne dieses Funktionsbereiches entsprechende Konkretisierungen erfolgen.
Zunächst werden aber Schriften erwähnt, in denen vom Zeithorizont her undifferenziert zu den Aufgaben eines Beschaffungscontrollings Stellung genommen wird, d.h. eine Abgrenzung in ein strategisches und operatives Beschaffungscontrolling nicht vorgenommen wird.
Das Controlling soll wirksame Methoden zur Lösung von Zielkonflikten im Einkauf entwickeln und muß sicherstellen, daß die Entscheidungen über Eigenfertigung oder Fremdbezug, Auswahl der Lieferanten und Preise umgesetzt werden.[26] „Aufgabe des Beschaffungs-Controlling muß es sein, sicherzustellen, daß die Einkäufer einen hohen Informationsstand haben und über alle Daten des Beschaffungsmarktes, die für ihre Einkaufsentscheidungen relevant sind, verfügen können.”[27] „Hauptaufgabe des Beschaffungs-controlling ist ... sämtliche direkte und indirekte Kostenfaktoren ... transparent darzustellen ... .”[28] „ ... Aufgabe des Einkaufscontrollers, die für den Einkauf geplanten Strategien im Hinblick auf betriebswirtschaftliche Konsequenzen für den Einkauf zu beurteilen.”[29]
3.2.1 Strategisches Beschaffungscontrolling
Bei der Definition eines strategischen Beschaffungscontrolling und der Zuordnung von Aufgaben für ein strategisches Beschaffungscontrolling sind die Autoren hinsichtlich Konkretisierung und Umfang unterschiedlicher Auffassung.
„Strategisches Beschaffungscontrolling bedeutet, daß systematisch, zukünf-tige Chancen und Risiken auf dem Beschaffungsmarkt und seinem Umfeld erkannt und beobachtet werden.”[30] „Im Rahmen des strategischen Beschaffungscontrolling geht es insbesondere um eine Sourcingstrategie bzw. um das sog. Zuliefermanagement.”[31] Für Piontek bestehen die wesent-lichen Aufgaben darin, die Durchführung und Realisation der Beschaffungs-strategien zu steuern und zu kontrollieren.[32] Für Arnold steht der Faktor Information im Mittelpunkt seiner Ausführungen, d. h. das strategische Beschaffungscontrolling hat die Aufgabe, den Bedarf in qualitativer und quantitativer Art zu ermitteln und dann die Information dem Management bereitzustellen.[33] Er formuliert zwei strategische Aufgaben bei der Beschaffungsplanung: Erstens muß das Beschaffungscontrolling in Zusammenarbeit mit den anderen bereichsspezifischen Controlling-Abteilungen die Informationen bereitstellen, die zu einer sicheren Make-or-Buy-Entscheidung notwendig sind und zweitens müssen für die Erschließung neuer Bezugsquellen (Märkte und Lieferanten) vom Beschaffungscontrolling zuerst Analysen über die potentiellen Beschaffungsgebiete erstellt werden, wobei aber auch neue Lieferanten aufgebaut werden können (“Lieferantenförderung”).[34] Auch Witt zählt die Wahl der Bezugsquelle dazu.[35]
Zusammenfassend bedeutet strategisches Beschaffungscontrolling damit ein langfristig ausgerichtetes und übergeordnetes Controlling der Beschaffung in den Gebieten Beschaffungsmarktforschung und Make or Buy.
3.2.2 Operatives Beschaffungscontrolling
Eine Konkretisierung erfährt das operative Beschaffungscontrolling aus beiden Funktionsbereichen der Unternehmung her, nämlich dem Controlling einerseits und der Beschaffung andererseits.
Eine Ableitung operativer Aufgaben aus dem Controlling führt Piontek durch. Basierend auf allgemeinen Controlling-Konzepten ordnet er den darin beschriebenen Funktionen operative Aufgaben der Beschaffung zu, die jedoch weitgehend allgemein formuliert sind.[36]
- Planungsfunktion: Planung von Kostensenkungsaktivitäten
- Kontrollfunktion: Beobachtung der Beschaffungsmärkte und Verfolgung innerbetrieblicher Entscheidungen
- Informationsfunktion: Erstellung von Berichten als Entscheidungsmittel für das Management
- Koordinationsfunktion: Sicherstellung und Abstimmung von Einzelaktivitäten
Bei der Ableitung operativer Aufgaben aus der Beschaffung wird deren bereichstypische Begriffssystematik beibehalten und sämtlichen Aufgabenfeldern wird ein Controllingstatus verliehen, wobei die Bedeutsamkeit von Information und die Unterstützungsfunktion für das Management immer wie-der betont wird.[37]
- Mengen- und Sortimentsplanung: Bereitstellung von Informationen, Unterstützung des Beschaffungsmanagements bei der Auswahl der Materialart und der Entwicklung eines unternehmensweiten Qualitätsinformationssystems
- Bestandsplanung: Entscheidungshilfen für das Beschaffungsmanagement geben
- Bestellpolitik: Entwicklung von angepaßten Berechnungsmodellen
- Preis- und Konditionenpolitik: Durchführung von Preisstrukturanalysen, Ermittlung von Preisobergrenzen
- Sonstiges: Unterstützung bei Änderungen der Aufbau- und Ablauforganisation
In Anlehnung an Weber[38] und Reichmann[39] wird hier vorgeschlagen, die Budgetierung ebenfalls als operative Aufgabe des Beschaffungscontrolling zu betrachten und nicht wie Piontek[40] und Spohrer[41], die diese als eigenständiges Instrument postulieren. Das unterstreicht den prozessualen (vorgangsorientierten) Vorgang der Budgetierung (Vereinbaren, Vorgeben, Verhandeln) als solches. Zudem kann eine wirtschaftliche Budgetierung nicht ohne jegliches kostenrechnerisches Gerüst durchgeführt werden. Dazu sind zuerst entsprechende Verfahren der Kostenrechnung als eigenständige Instrumente des Beschaffungscontrolling zu entwickeln und anzuwenden (siehe dazu das Kapitel Beschaffungskostenrechnung). Grundlage der Budgetierung sind Ziel- und Aktionspläne, die wertmäßig ergänzt bzw. operationalisiert wer-den. Budgetierung ist ein Vorgang, bei dem für eine Abteilung oder einen Funktionsbereich und ggf. nach Kostenarten differenziert für einen bestimmten Zeitraum im voraus der für Ausgabenzwecke zur Verfügung stehende Finanzierungsrahmen vereinbart wird. Aufgabe der beschaffungsbezogenen Budgetierung ist es, alle Maßnahmen der Beschaffung kosten- und leistungsoptimal vorzubereiten. Budgetierung in der Beschaffung umfasst die Mate-rialkosten (Beschaffungseinzelkosten) und die Gemeinkosten, möglichst in flexibler Form, d. h. beschäftigungsabhängig. „Starre Budgets, die nicht an Beschäftigungsfaktoren ... angepaßt werden, sind ... abzulehnen.“[42] In der Beschaffung ist die Budgetierung sowohl Prognoseverfahren als auch Er-folgskontrollverfahren.[43] Sie ist also gleichermaßen zukunftsorientiert und vergangenheitsbezogen.
Somit beinhaltet das operative Beschaffungscontrolling neben der Budgetierung unterstützende Mitarbeit in sämtlichen Gebieten der Beschaffung. Dabei wird die Sichtweise bis auf einzelne Produkte bzw. Lieferanten heruntergebrochen.
3.3 Organisation des Beschaffungscontrolling
Zur Organisation des Beschaffungscontrolling gibt es nur wenige konkrete Empfehlungen. Meist wird darauf verwiesen, diese Organisation unternehmensadäquat zu entwickeln. Prinzipiell muß eine Controllingorganisation aus den obersten Unternehmenszielen abgeleitet werden und besonders in Phasen struktureller Änderungen immer wieder auf ihre Optimalität hin geprüft werden, da es eine dauerhafte und ideale Organisation nicht gibt.[44]
„ ... organisatorische Einordnung des Controllings richtet sich nach Bedeutung, Istzustand und angestrebtem Profil ... im Unternehmen. Eine für alle Industriezweige allgemein gültige Lösung kann es nicht geben.”[45] Einige Autoren sehen die Stabsstelle als aufbauorganisatorisch zweckmäßig.[46] Hinsichtlich einer Kompetenzverteilung wird ausgeführt, daß der Controller in jedem Falle gleichberechtigt zum Abteilungsleiter der Beschaffung ist, aber weisungsbefugt gegenüber einem möglicherweise vorhandenen Unternehmenscontrolling ist.[47] Diese Beschreibung als auch Abbildung 4 verweisen auf das sog. „dotted-line-principle“ (gepunktetes/gestricheltes Linien-prinzip).[48] Hierbei ist das Funktionscontrolling dezentral eingebunden. Es ist dabei dem Unternehmenscontrolling und dem Funktionsbereich (Einkauf bzw. Beschaffung) weisungsgebunden. Insofern liegt hier doch keine echte Gleichberechtigung vor. Die gestrichelte Linie (s. Abb. 5) drückt aus, daß zum Unternehmenscontrolling hin nur in geringem Umfang Verbindungen bestehen. Die doppelte Unterstellung erfordert für das Beschaffungs-controlling ausgeprägtes Verhandlungsgeschick und eine hohe Kommunika-tionsfähigkeit, um mögliche Konflikte bewältigen zu können.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: Organigramm[49]
Arnold verweist unspezifisch auf eine autarke Controlling-Abteilung, d. h. es sind sogar mehrere Mitarbeiter für das Beschaffungscontrolling denkbar.[50]
Die konkrete organisatorische Einbindung eines Beschaffungscontrollers bzw. Beschaffungscontrolling (Abteilung) muß also immer aus der jeweiligen Größe, Branche u. den Zielen eines Unternehmens abgeleitet werden. Eine eigenständige Abteilung sollte aus Wirtschaftlichkeitsgründen nur für Groß-unternehmen in Betracht gezogen werden.
4 Instrumente des Beschaffungscontrolling
Die Instrumente des Beschaffungscontrolling sind identisch mit den Begrif-fen „Werkzeuge” und „Tools”. Eine einheitlich durchgängige Anwendungs-empfehlung seitens der Autoren ist aber generell als auch in zeitlicher Hin-sicht (Verwendung als Planungs- bzw. Kontrollinstrument) nicht erkennbar. Die Rolle des Beschaffungcontrolling in Bezug auf die Instrumente kann mit einem Wort als „gestaltend“ charakterisiert werden. „Bei allen Instrumenten ist es Aufgabe des Beschaffungscontrolling, die Instrumente zu entwickeln, ggf. unternehmensspezifisch zu adaptieren und die Entscheidungsträger beim Einsatz der Instrumente zu unterstützen.”[51] Der Controller hat Kosten- und Umsatzgrößen und sämtliche Analysen zur Verfügung zu stellen, um einen wirtschaftlichen Einkauf zu ermöglichen.[52] Die Instrumente haben meistens das Beiwort „-analyse”, was auf eine Kontrolle vergangenheitsbezogener Daten schließen läßt. Einige sind aber sowohl analytisch (vergangenheitsbezogen) als auch planerisch (zukunftsbezogen) anwendbar. Das trifft besonders auf die sogenannten „Portfolios“ zu.
4.1 Beschaffungskostenrechnung
Unter Beschaffungskostenrechnung sollen die für den Funktionsbereich Beschaffung spezifisch entwickelten Verfahren im Sinne einer Partialkostenrechnung verstanden werden und nicht ein übergreifendes neues Kostenrechnungssystem an sich. Ziel dieser Vorgehensweise ist es, eine genauere, vor allem verursachungsgerechtere Kostenerfassung zu ermöglichen, verbunden mit der Absicht, die Kostenrechnung vom reinen Abrechnungsinstru-ment zu einem Führungsinstrument zu erweitern. Dies kann in erster Linie geschehen durch Bildung neuer Kostenarten und/oder durch Einrichtung zusätzlicher Kostenstellen für die mit der Beschaffung verbundenen Einzelfunktionen. Auch die Kombination von gängigen Kostenrechnungs-systemen kann dazu als Möglichkeit in Erwägung gezogen werden.
„Die Materialkostenrechnung ist so zu gestalten, daß sie dem Einkaufs-controlling die benötigten Informationen liefert. Nach welchem Kosten-rechnungsverfahren das erfolgt, ist eine Frage der Planungsmethode.“[53] Zukünftig steht dabei aber nicht die Frage nach einem geeigneten Verfahren der Kostenrechnung als solches im Mittelpunkt, sondern vielmehr nach einem übergreifenden Kostenmanagement, bei dem wechselseitige Abhängigkeiten und daraus resultierende Komplexitäten im Unternehmen berücksichtigt werden können. Kostenmanagement soll bedeuten, Kostenplanung, funk-tionsübergreifende Zusammenarbeit und die Durchführung einer kontinuier-lichen Kostenoptimierung beim Lieferanten als auch im eigenen Unternehmen zu realisieren. Die besondere Problematik liegt bei allen Ansätzen immer in der möglichst genauen Verrechnung bzw. Vermeidung von Gemeinkosten: „Die Beschaffungskostenrechnung ist ... deshalb von besonderer Relevanz, da sie als Voraussetzung für die Ausgestaltung eines Beschaffungs-Budgetsystems anzusehen ist, das der Problematik der hohen Gemeinkostenintensität der Beschaffungswirtschaft ... begegnet.”[54] So werden im folgenden erst einzelne Verfahren und schließlich integrative Konzepte erläutert, die im Sinne eines Kostenmanagements aufgebaut sind.
4.1.1 Eigenfertigung oder Fremdbezug
In der Systematik der Beschaffungskostenrechnung stellt Eigenfertigung oder Fremdbezug (Make or Buy) ein Rechenverfahren zur Entscheidungsfindung dar. Es werden nicht die Kosten eines Beschaffungsobjektes oder einer Lieferantenbeziehung ermittelt, sondern mit mathematischen Kriterien wird eine grundlegende Entscheidung über das Ja oder Nein einer Objektbeschaffung getroffen. Dabei werden beschäftigungsbezogene Kosten (fixe und variable Kosten) und Opportunitätskosten berücksichtigt. Es geht bei dieser Entscheidung also darum, welche Güter zugekauft, d. h. fremdbeschafft und welche Güter im Unternehmen selbst erstellt, d. h. eigengefertigt werden sollen. Diese Entscheidung stellt einen Prozeß dar und berücksichtigt bereits verwendete als auch ggf. für das Unternehmen neue Güter. Demgegenüber ist der häufig zu findende Begriff „Outsourcing“ eingeschränkter zu verstehen: Er beschreibt im Gegensatz zu Buy nur den Vorgang von der bereits durchgeführten Eigenerstellung hin zur Fremdbeschaffung. Mit steigendem Zeithorizont (langfristige Entscheidung) gilt es aber, neben dieser aus-schließlich quantitativen Betrachtung auch qualitative Faktoren in den Ent-scheidungsprozeß mit einzubeziehen. Dazu gehören vor allem der Vergleich von Fertigungstechnologie, Qualitätsssicherungssystem, Logistiksystem und Personalqualifikation beim Lieferanten mit den internen Gegebenheiten des Abnehmers. Als unterstützende Instrumente können hierfür Stärken-Schwächen-Profil, Nutzwertanalyse und Lieferantenbewertung verwendet werden.[55] Auch der Einsatz des Make-or-Buy-Portfolios (vgl. 4.3.6) bietet sich hierzu an. Zusätzlichen Aufschluß gewinnt man durch die Beobachtung des Produktlebenszyklus, der eine Änderung erforderlich erscheinen lassen kann, je langfristiger man sich für eine der beiden Bereitstellungsalternativen entschieden hat. So wird man in der Einführungsphase (innovatives Objekt) Make praktizieren (Abschöpfen von Monopolgewinnen), aber in der Degenerationsphase, die durch Kostendruck geprägt ist, eher zu Buy übergehen. Da zu erwarten ist, daß aufgrund zunehmender Innovationsgeschwindigkeit die Produktlebenszyklen deutlich kürzer werden, wird somit auch der Wechsel zum Fremdbezug immer schneller erfolgen. Bei Objekten, die sich aber permanent signifikant von der Konkurrenz unterscheiden sollen (Differenzierungsrelevanz) und solchen, die imageprägend für das Endprodukt sind, wird man nur in Ausnahmefällen (betrieblicher Engpaß) auf Buy übergehen.
Da Make or Buy durch eine hohe Komplexität gekennzeichnet ist, sollten sämtliche Unternehmensbereiche (F+E, Beschaffung, Produktion und Vertrieb) involviert sein.
Unter Berücksichtigung von Zeithorizont und Kapazitätsauslastung können rechnerisch grundsätzlich vier Entscheidungsfälle unterschieden werden. Dabei hat im Umfeld des Beschaffungscontrolling der Controller die Aufgabe, die Kalkulationen des MoB-Teams zu begutachten.[56]
(1) Zeithorizont: kurzfristig (keine Abbau von Fixkosten möglich)
Kapazität: Unterbeschäftigung (freie Kapazitätseinheiten)
Kriterium: Variable Stückkosten (kvar)
Wenn: Lieferantenpreis (pL) > kvar -->Make
Wenn: Lieferantenpreis (pL) < kvar -->Buy
Beispiel:
eigene Herstellkosten = 30 DM/Stk, Kvar=20 DM/Stk,
Lieferantenpreis pL=25DM/Stk
Entscheidungssituation: Ist es unter Berücksichtigung der vorliegenden Daten wirtschaftlicher, das Objekt extern zu beschaffen ?
à Nein, da 25DM/Stk > 20DM/Stk weiterhin selber fertigen.
(2) Zeithorizont: kurzfristig (kein Abbau von Fixkosten möglich)
Kapazität: Vollbeschäftigung (keine freien Kapazitätseinheiten)
Variante A: 1 Engpaßkapazität, 1 Produkt
Kriterium: engpaßbezogener Deckungsbeitrag (Opportunitätskosten Ko) und variable Stückkosten (kvar)
Wenn: Ko+kvar > pL -->Buy
Wenn: Ko+kvar < pL -->Make
Beispiel:
Objekt X (Endprodukt): Fertigungszeit 10min/Stk., kvar=28DM/Stk,
Verkaufserlös=36DM/Stk, kein Zukauf mgl.
Objekt Y (Zwischenprodukt): Fertigungszeit 15min/Stk, kvar=20DM/Stk, pL=25DM/Stk
Entscheidungssituation: Ist es lohnenswert (d. h. wirtschaftlich) einen Kundenauftrag für Objekt X in Höhe von 300 Stk. anzunehmen und dafür eine gewisse Menge von Y fremdfertigen zu lassen ?
Objekt X: Deckungsbeitrag=Verkaufserlös-kvar
=36DM/Stk. - 28DM/Stk. = 8 DM/Stk.
Deckungsbeitrag je Engpaßzeiteinheit: 8DM/10min=0,80 DM/min
Objekt Y: Ko = 15min*0,80DM/min=12DM
12DM/Stk+20DM/Stk > 25DM/Stkó32DM/Stk. > 25DM/Stk.
à Ja, die Auftragsannahme ist sinnvoll.
Wieviel Stk. von Objekt Y müssen zugekauft werden ?
X benötigt insgesamt: 300 Stk.*10min=3000Stk.min Kapazitätseinheiten
3000Stk.min/5min=200Stk.
à Es müssen 200 Stk. von Y zugekauft werden
Variante B: 1 Engpaßkapazität, mehrere (konkurrierende) Produkte
Kriterium: Die engaßbezogenen Mehrkosten des Fremdbezuges je Produkt
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten und Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
tB=Bearbeitungszeit
Beispiel:
Die Teile B und C durchlaufen dieselbe Maschine, die einen Engpaß bildet. Prinzipiell können beide Teile auch fremdbezogen werden.
B C
kvar 20,- 23,-
pL 25,- 27,-
Bedarf [Stk/Monat] 600 450
Bearbeitungszeit tB [min/Stk] 15 8
Kapazitätsbedarf [min/Monat] 9.000 3.600
SUMME 12.600
verfügbare Kapazität [min] 10.200
-->Engpaß [min] 2.400
Entscheidungssituation: Welches Teil sollte in welcher Menge fremdbeschafft werden und wie hoch sind die Mehrkosten der Verlagerung ?
à Bei Verlagerung der Fertigung auf den Lieferanten entstehen Mehrkosten (Kostennachteile) pro Stk in Höhe von pL-kvar. Diese müssen auf die dadurch freigesetzten Engpaßzeiteinheiten bezogen werden. Gesucht sind also die minimalen engpaßbezogenen Mehrkosten des Fremdbezugs:
pL-kvar 5,- 4,-
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten 0,3 0,5
à Demnach sollte Teil B zugekauft werden. Die Höhe der Stückzahl beträgt dabei 2400min*Stk/15min=160 Stk.
à Die Mehrkosten der Verlagerung betragen insgesamt:
160Stk * 5DM/Stk.=800 DM
Variante C: Mehrere Engpaßkapazitäten, mehrere Produkte
-->Verfahren des Operation Research anwenden
(3) Zeithorizont: langfristig (Abbau von Fixkosten möglich)
Kapazität: Unterbeschäftigung (freie Kapazitätseinheiten)
Kriterien: variable Herstellkosten und abbaufähige Fixkosten (kfixab)
In der Praxis wird empfohlen, dabei kfixab möglichst differenziert zu erfassen bzw. zu planen; d. h. nach sachlicher Struktur in erzeugnisfix, erzeugnisgruppenfix und unternehmensfix und in zeitlicher Struktur nach Abbautermin (monatlich, halbjährlich, usw.) auszuweisen. So können alternative Zeiträume simulativ durchgerechnet werden.
Wenn: pL < kvar+kfixab -->Buy
Wenn: pL > kvar+kfixab -->Make
(4) Zeithorizont: langfristig (Abbau von Fixkosten möglich)
Kapazität: Volbeschäftigung
Kriterien: engpaßbezogener Deckungsbeitrag (Opportunitätskosten Ko), variable Stückkosten (kvar) und abbaufähige Fixkosten (kfixab)
Für kfixab gelten die unter (3) gemachten Empfehlungen.
Wenn: pL<kvar+kfixab+Ko -->Buy
Wenn: pL>kvar+kfixab+Ko -->Make
Die Formeln in (3) und (4) könnten beim Übergang von Make auf Buy noch um einmalig anfallende stückbezogene Stillegungskosten (Kst) erweitert werden.[57] Diese werden als sofort wirksamwerdende Kosten beschrieben. Die Interpretation dieser Kosten als nicht-abbaufähige Fixkosten wird jedoch ausgeschlossen.[58] Die zusätzliche Einführung von Kst ist ohnehin nicht plausibel, da ein Fixkostenabbau von heute auf morgen praktisch nicht durchführbar ist.
Sämtliche Kosten, die durch Stillegung verursacht werden (Personalfrei-setzung, Anlagenverschrottung), sollten fristgerecht mittels kfixab verrechnet werden.
Dagegen erscheint es jedoch sinnvoller, sog. Vorlaufkosten (Kvor) zu berücksichtigen.[59] Diese können eine Rolle spielen, wenn von der Eigenfertigung (Make) zum Fremdbezug (Buy) übergegangen wird. Dies sind z. B. dem Abnehmer entstehende Kosten für die Durchführung von Lieferanten-audits, die dem Lieferantenpreis hinzugerechnet werden müssen.
Wenn: pL+kvor<kvar+kfixab+Ko -->Buy
Wenn: pL+kvor>kvar+kfixab+Ko -->Make
Die oben ausgeführten Rechenkriterien sind in der Praxis zu relativieren, da Mengenrabatte, sprungfixe Kosten (Aufbau von Zusatzkapazitäten) und weitere Opportunitätskosten (durch Fehlmengen u. Imageverlust) eine Rolle spielen können. Die Formeln sind gerade bei längerwerdenden Zeiträumen als Näherungsverfahren zu verstehen, weil dort ein konstanter Mengenbedarf während des gesamten Planungszeitraums unterstellt wird und die zeitlich korrekte Berücksichtigung von Einnahmen und Ausgaben außer Betracht bleibt. Für genauere Aussagen, speziell beim Übergang von Buy auf Make, sollte die Investitionsrechnung angewendet werden. Investition als Sonderfall bleibt aber, wie bereits schon erwähnt, auch hier außer Betracht.
Eine Näherungsrechnung (statischer Kostenvergleich), die Auskunft über die Wirtschaftlichkeit des Umstiegs von Buy auf Make gibt, erfolgt mit der Break-Even-Formel.
[...]
[1] entnommen aus: Hamm, Einkaufs-Umfeld, Beschaffung Aktuell, 7/98, S. 33
[2] vgl. Arnolds/Heege/Tussing: Materialwirtschaft und Einkauf, 10. Aufl.,
Wiesbaden, 1998, S. 23; Harlander/Blom: Beschaffungsmarketing, 1. Aufl., Stuttgart, 1996, S. 9f. und Kluck: Materialwirtschaft und Logistik, 1. Aufl., Stuttgart, 1998, S. 1
[3] Reichmann: Controlling mit Kennzahlen und Managementberichten, 3. Aufl.,
München, 1993, S. 255
[4] Arnold: Beschaffungsmananagment, 2. Aufl., Stuttgart, 1997, S. 3 ff.
[5] vgl. Schlotterbeck: Controlling in Einkauf u. Logistik, Beschaffung Aktuell, 9/95, S. 36
[6] vgl. Katzmarzyk: Einkaufs-Controlling in der Industrie, Dissertation, Frankfurt/Main, 1988, S. 11
[7] vgl. Arnolds/Heege/Tussing: a. a. O., S. 22
[8] vgl. Witt: Lexikon des Controlling, 1. Aufl., München, 1997, S. 46f.
[9] vgl. Tanew: Controlling in der Materialwirtschaft, Interne Revision 14/79, S. 215ff. & Peemöller: Controlling im Einkauf, Beschaffung Aktuell 26/79, S. 60ff.
[10] Katzmarzyk: a. a. O., S. 111
[11] vgl. Spohrer: Controlling in Einkauf und Logistik, 1. Aufl., Gernsbach, 1995, S. 15ff.
[12] Piontek: Beschaffungscontrolling, 1. Aufl., München, 1994, Vorwort
[13] Piontek: a. a. O., S. 46f.
[14] Witt: a. a. O., S. 25
[15] Arnold: a. a. O., S. 221
[16] Arnold: a. a. O., S. 223
[17] Arnold: a. a. O., S. 240
[18] vgl. Homburg: Reengineering, Beschaffung Aktuell, 2/98, S. 77
[19] vgl. Kluck: a. a. O., S. 18 & Beschaffung Aktuell 2/98, S. 45
[20] entnommen aus: Kluck, a. a. O., S. 19
[21] vgl. Grotheer: Wie strategische und operative Planung erfolgreich verzahnen?, Controller Magazin 3/95, S. 137
[22] Witt: a. a. O., S. 354
[23] Witt: a. a. O., S. 354
[24] vgl. Witt: a. a. O., S. 275
[25] entnommen aus: Arnold, a. a. O., S. 57
[26] vgl. Spohrer: a. a. O., S. 20
[27] Reichmann: a. a. O., S. 256
[28] Witt: Controllingprofile, 1. Aufl., München, 1994, S. 148
[29] Spohrer: a. a. O., S. 33
[30] Piontek: a. a. O., S. 49
[31] Witt: Lexikon des Controlling, 1. Aufl., München, 1997, S. 30
[32] vgl. Piontek: a. a. O., S. 51
[33] vgl. Arnold: a. a. O., S. 223
[34] Arnold: a. a. O, S. 242
[35] vgl. Witt: Lexikon des Controlling, 1. Aufl., München, 1997, S. 26
[36] vgl. Piontek: a. a. O., S. 52ff.
[37] vgl. Arnold: a. a. O., S. 224ff.
[38] vgl. Weber: Logistik-Controlling, 4. Aufl., Stuttgart, 1995, S. 30ff.
[39] vgl. Reichmann: a. a. O., S. 406ff.
[40] vgl. Piontek: a. a. O., S. 162
[41] vgl. Spohrer: a. a. O., S. 39
[42] Kunesch: Controlling in der Materialwirtschaft, Beschaffung Aktuell, 2/93, S. 22
[43] vgl. Piontek: a. a. O., S. 164
[44] vgl. Eschenbach: a. a. O., S. 98
[45] Spohrer: a. a. O., S. 24
[46] vgl. Piontek: a. a.O., Vorwort & Spohrer: a. a. O., S. 27
[47] vgl. Spohrer: a. a. O., S. 27
[48] vgl. Witt: Lexikon des Controlling, 1. Aufl., München, 1997, S. 69 u. S. 94
[49] entnommen aus: Spohrer: a. a. O., S. 27
[50] vgl. Arnold: a. a. O., S. 224f.
[51] Arnold: a. a. O., S. 240
[52] vgl. Reichmann: a. a. O., S. 257
[53] Spohrer: a. a. O., S. 20
[54] Clemens: Entscheidungsorientierte Beschaffungskostenrechnung, Dissertation, Frankfurt/Main, 1995, S. 13
[55] vgl. Männel, Make-or-Buy-Entscheidungen, krp, 6/97, S. 310
[56] vgl. Spohrer, a. a. O., S. 23
[57] vgl. Fröhling: Make-or-Buy, Controller Magazin, 1/95, S. 19
[58] vgl. Palloks/Reichmann: Make-or-Buy-Entscheidungen, Controlling 1/95, S. 7
[59] vgl. Fröhling: Make-or-Buy, Controller Magazin, 1/95, S. 20
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