Implikationen der Prozeßtheorien für die Gestaltung von Anreizsystemen für Führungskräfte in Wachstumsunternehmen


Diplomarbeit, 2001

67 Seiten, Note: 1


Leseprobe

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1.1 Problemstellung

2. Motivationstheorien

3. Gestaltung von Anreizsystemen

4. Führungskräfte in Wachstumsunternehmen

5. Auf Prozeßtheorien basierende Gestaltung von Anreizsystemen für Führungskräfte in Wachstumsunternehmen

6. Anreizsysteme in Wachstumsunternehmen in der Praxis

7. Zusammenfassung und Ausblick

Verzeichnis des Anhangs

Anhang

Literaturverzeichnis

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1.Einleitung

 

1.1 Problemstellung

 

Die letzten dreißig Jahre waren einerseits von tiefgreifenden Weiterentwicklungen im Bereich des Managements geprägt,[1] andererseits fanden durch das Phänomen der New Economy[2] grundlegende Veränderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingung statt. Vor allem in den USA ist die wirtschaftliche Situation durch fortschreitende Globalisierung, stetiges Wachstum, flachen Konjunkturzyklen und einer niedrigen Arbeitslosenquote in Verbindung mit niedrigen Inflationsraten geprägt.[3] Dieses ging einher mit einer großen Zahl von Neugründungen und hohen Wachstumsraten von kleinen Unternehmen.[4] Auch in Deutschland schufen Gründungen im Bereich Internet/E-Commerce in den letzten Jahren etwa 150.000 Arbeitsplätze.[5]

 

Die New Economy stellt neue Anforderungen an ihre Mitarbeiter, die sich vom Schema der Old Economy wesentlich unterscheiden.[6] Aufgrund des Durchbruches der Informations- und Kommunikationstechnologien ist das Wissen der Mitglieder einer Organisation zum wichtigsten Wettbewerbsvorteil geworden.[7] Gleichzeitig hat sich in der heutigen Periode wachsender Unsicherheit[8] ein Wertewandel der Mitarbeiter vollzogen, die vielfältigere Aufgaben bewältigen und neue Formen der Entlohnung fordern.[9] Durch diese Entwicklungen kommt der Rekrutierung, Motivation und Zufriedenstellung von Mitarbeitern eine große Bedeutung zu.[10]

 

Diese tiefgreifenden Veränderungen führen zu einer neuen Fokussierung der wissenschaftlichen Diskussion, die Motivationswirkungen von Anreizsystemen in früheren Jahrzehnten vor allem auf ihre Wirkung auf Industriearbeiter untersuchte, zu einer Analyse von Anreizsystemen für Führungskräfte.[11] Jedoch fehlt bei diesen Betrachtungen meist die Fokussierung auf eine bestimmte Lebenszyklusphase der Branche oder des Unternehmens, die einen großen Einfluß auf die Motivation der Mitarbeiter aufweist. Wie Abbildung 1[12] zeigt sollte in der Wachstumsphase, die in dieser Arbeit im Vordergrund steht, vor allem Flexibilität, Zielorientierung und Mobilität belohnt werden.[13]

 

Die Grundlage der Gestaltung von Anreizsystemen bilden entweder die den Verhaltenswissenschaften entnommenen Motivationstheorien oder die Prinzipal-Agenten-Theorie. Dabei werden die Motivationstheorien vor allem für die Erklärung der Mitarbeitermotivation genutzt, wogegen die Prinzipal-Agenten-Theorie die Gestaltung von Anreizsystemen für Führungskräfte betrachtet.[14] Jedoch geben die Motivationstheorien ebenso aussagekräftige Implikationen für die Gestaltung von Führungskräfteanreizsystemen, was in der wissenschaftlichen Diskussion bislang kaum Beachtung findet.

 

Diese vorliegende Diplomarbeit betrachtet nun auf Grundlage der Motivationstheorien, insbesondere der Prozeßtheorien der Motivation, speziell die Gestaltung von Anreizsystemen für Führungskräfte in Wachstumsunternehmen.[15]

 

1.2 Gang der Untersuchung

 

Im Rahmen dieser Diplomarbeit sollen zuerst Motivationstheorien in allgemeiner Form diskutiert werden, wobei sowohl auf die Inhaltstheorien als auch auf die Prozeßtheorien der Motivation eingegangen wird, da Inhaltstheorien die Grundlage der Entwicklung von Prozeßtheorien bilden[16] bzw. die Prozeßtheorien aus der Kritik an den Inhaltstheorien entstanden sind. In einem zweiten Schritt werden Anreizsysteme für Führungskräfte erörtert, um eine umfassende Basis für die Gestaltung von Anreizsystemen zu legen. Dabei wird sowohl auf die Aufgaben als auch auf die Ausgestaltung von Anreizsystemen eingegangen, weil beide Aspekte für die Gestaltung eines funktionierenden Anreizsystems bedeutsam sind. Aufgrund der Fokussierung auf Führungskräfte werden tarifliche Regelungen zur Anreizgestaltung nicht berücksichtigt, da diese keine Auswirkungen auf die Führungskräftevergütung aufweisen. Aufgrund der Unterschiede in der Motivationsorientierung von Menschen,[17] wird auf die besonderen Bedürfnisse und Situationen von Führungskräften in Wachstumsunternehmen eingegangen, bevor auf Grundlage der Prozeßtheorien Aussagen über die Gestaltung von Anreizsystemen für Führungskräfte in Wachstumsunternehmen gemacht werden. Auf Basis dieser theoretischen Überlegungen werden in einem weiteren Schritt Anreizsysteme in der Praxis betrachtet und kritisch hinterfragt. In einer abschließenden Betrachtung sollen die Implikationen der Prozeßtheorien beurteilt und daraufhin geprüft werden, ob sie alle Aspekte der Gestaltung von Anreizsystemen berücksichtigen.

2. Motivationstheorien

 

2.1 Motivation, Motive und Motivationstheorien

 

In der Literatur existiert keine einheitliche Definition des Begriffes Motivation. In den Verhaltenswissenschaften wird Motivation zur Erklärung und Vorhersage beobachteten Verhaltens innerhalb verschiedener Theorien benutzt.[18] Motivation ist ein hypothetisches Konstrukt[19] bzw. eine Sammelbezeichnung für die Erklärung des „Warum“ menschlichen Verhaltens,[20] wobei Motivation immer dann vorhanden ist, „wenn ein bestimmter Zielzustand angestrebt wird, ohne daß dieser Prozeß „fest verdrahtet“ erfolgt.“[21] Somit ist mit Ausnahme von Effekthandlungen und routiniertem Verhalten sämtliches menschliche Verhalten motiviert,[22] das zu zielgerichteten Handlungen führt.[23] „Motive bzw. Motivationsprozesse sind Abstraktionen aus dem Sinnzusammenhang der menschlichen Aktivität, die in ihrem (sinnvollen) Zusammenhang mit Veränderungen jener Aktivität in bezug auf Intensität, Richtung und Form gesehen werden.“[24] Die Schwierigkeit der Arbeitsmotivation besteht darin, daß sie von vielfältigen Einflüssen, Umständen und Gegebenheiten beeinflußt wird, die zum Großteil außerhalb der Arbeitssphäre liegen.[25] Arbeitsmotivation beschreibt folglich „das Zusammenspiel mehrerer über die Anreize aktivierter Motive, die in einer Situation das Verhalten der Menschen bestimmen.“[26] Motive werden als latent vorhandene Verhaltensbereitschaft eines Menschen definiert,[27] deren Aktivierung als Motivation verstanden wird und zur Erreichung bestimmter auf Bedürfnisbefriedigung ausgerichteter Ziele führt.[28] „Wie auch immer Motivation definiert werden mag, ihr Studium betrifft die Begründung unseres Verhaltens, meint immer dasjenige in uns und um uns, was uns dazu bringt, treibt, bewegt, uns so und nicht anders zu verhalten.“[29] Die Erklärung der Aktivierung von Motiven aufgrund situativer Anreizbedingungen[30] ist Gegenstand der Motivationstheorien.[31] Im Rahmen dieser Theorien versucht die Motivationspsychologie, menschliches Handeln allgemein zu erklären, wobei die Erforschung der Arbeitsmotivation das Handeln in Organisationen in den Vordergrund stellt.[32] Die Grundannahme der Motivationstheorien ist, daß menschliches Verhalten durch Aktivierung von bereits vorhandenen Motiven nur mittelbar von der Umwelt bestimmt werden kann.[33] „Motivationstheorien sollen das Zustandekommen und die Wirkungen des theoretischen Konstrukts Motivation auf menschliches Verhalten schlüssig erklären.“[34] Dieses ist insbesondere erfüllt, wenn die Motivationstheorie in ihren Erklärungen die Anregung menschlicher Aktivität, die Zielgerichtetheit menschlichen Verhaltens, die Stärke der Reaktionen und Bemühungen und die Fortdauer des Verhaltens über einen Zeitraum hinweg berücksichtigt.[35] Bei der Anwendung der Motivationstheorien auf die Arbeitsmotivation geht es hauptsächlich um die Bedürfnisbefriedigung des Arbeitenden, die einerseits durch die direkte intrinsische Motivation und andererseits indirekt über das Arbeitsentgelt erreicht werden kann,[36] und um die Erklärung des Prozesses dieser Bedürfnisbefriedigung.

 

Die meisten Motivationstheorien sind in den sechziger Jahren von amerikanischen Psychologen entwickelt worden[37] und können in Inhaltstheorien und Prozeßtheorien unterteilt werden,[38] wobei Inhaltstheorien versuchen, die angestrebten Ziele zu klassifizieren[39] bzw. zu erklären, was ein bestimmtes Verhalten erzeugt,[40] wogegen Prozeßtheorien danach fragen, wie Verhalten entsteht[41] und sich somit mit dem Weg zum Ziel beschäftigen.[42] Dabei enthalten Inhaltstheorien immer auch Elemente der Prozeßtheorien und vice versa,[43] es ist ohne weiteres möglich, Elemente der Inhaltstheorien in die Prozeßtheorien zu integrieren.[44] Dennoch können beide Theorieansätze klar voneinander abgegrenzt werden.[45] Scholz klassifiziert Motivationstheorien darüber hinaus in In-halts-, Prozeß- und Aktionstheorien.[46] Da es sich bei Aktionstheorien um Theorieansätze handelt,[47] welche die Prozeßtheorien weiterentwickeln,[48] werden sie aufgrund des begrenzten Umfangs dieser Arbeit hier nicht berücksichtigt.

 

2.2 Inhaltstheorien der Motivation

 

Inhaltstheorien, Bedürfnistheorien oder Eigenschaftstheorien[49] versuchen zu erklären, „was im Individuum oder in seiner Umwelt Verhalten erzeugt und aufrechterhält.“[50] Inhaltstheorien analysieren somit u.a. Bedürfnisse und Anreize in Form von Be- und Entlohnungen, die Verhalten verursachen,[51] und legen die Beziehungen dieser Bedürfnisse untereinander offen.[52] Wie Abbildung 2[53] zeigt umfaßt die Theoriegruppe der Inhaltstheorien sowohl die Bedürfnistheorien von Maslow, Alderfer und McClelland als auch die Anreiztheorie von Herzberg.[54]

 

Die Bedürfnishierarchie von Maslow, dem Begründer der humanistischen Psychologie,[55] ist nicht auf systematische empirische Forschung begründet,[56] sondern direkt abgeleitet aus Maslows Erfahrungen als klinischer Psychologe.[57]

 

Maslow unterteilt Bedürfnisse in niedere Bedürfnisgruppen bzw. Mangelbedürfnisse (deficiency needs) und höhere Bedürfnisgruppen bzw. Wachstumsbedürfnisse (growth needs).[58] Zu den Mangelbedürfnissen zählen physiologische Bedürfnisse, Sicherheitsbedürfnisse, Bedürfnisse nach Zugehörigkeit und Liebe und Bedürfnisse nach Achtung. Das Wachstumsbedürfnis bezeichnet Maslow als Bedürfnis nach Selbstverwirklichung.[59] Dabei geht Maslow davon aus, daß immer die Bedürfnisse einer niedrigeren Stufe befriedigt sein müssen, ehe ein höheres Bedürfnis aktiviert wird und das Handeln beeinflußt, d.h. Maslow vertritt den Grundgedanken der relativen Vorrangigkeit in der Motivanregung.[60] Diese Hierarchie der Grundbedürfnisse stellt eine ungefähre Rangordnung von Bedürfnissen dar, die nicht starr eingehalten werden muß.[61] Neben dieser Bedürfnishierarchie nennt Maslow einige Voraussetzungen, welche die Befriedigung von Grundbedürfnissen erst ermöglichen. Diese Voraussetzungen umfassen z.B. Meinungsfreiheit, Ausdrucksfreiheit, Gerechtigkeit, Fairneß und Ehrlichkeit.[62]

 

Die ERG-Theorie von Alderfer ist aus Alderfers Kritik an Maslows Theorie entstanden und kann als eine speziell auf die Organisationspsychologie ausgerichtete Bedürfnistheorie angesehen werden, die nur drei Ebenen von Grundbedürfnissen umfaßt, da Maslows Theorie nach Alderfers Meinung Überlappungen zwischen den Sicherheits-, Zugehörigkeits- und Wertschätzungsbedürfnissen aufweist.[63]

 

Die drei Ebenen von Bedürfnissen umfassen als Grundbedürfnis[64] die Daseins- und Existenzbedürfnisse („existence“-Bedürfnisse), die eine Erweiterung von Malows physiologischen Bedürfnissen um monetäre und nicht-monetäre Be- und Entlohnungen sowie Arbeitsbedingungen darstellen.[65] Die zweite Bedürfnisebene sind die Kontakt-[66] oder Beziehungsbedürfnisse („relatedness“-Bedürfnisse), die Maslows Bedürfnisse der Zugehörigkeit und Zuneigung und der Achtung und Wertschätzung umfassen.[67] Die dritte Bedürfnisebene beinhaltet das Bedürfnis nach Selbstentfaltung[68] oder geistig-potentielle Wachstums- und Selbsterfüllungsbedürfnisse („growth“- Bedürfnisse), die eine Überlappung von Maslows Bedürfnissen der Achtung und Wertschätzung und der Selbstaktualisierung bezeichnen.[69] Von diesen Bedürfnisgruppen leitet Alderfer sieben Grundaussagen ab,[70] auf die wegen der Kürze dieser Arbeit hier nicht eingegangen wird.

 

Im Gegensatz zu den Bedürfnistheorien von Maslow und Alderfer teilt die Anreiztheorie von Herzberg menschliche Bedürfnisse in zwei Faktorengruppen ein. Die zwei Faktorengruppen von Herzberg nehmen eine Unterscheidung zwischen Satisfaktoren und Dissatisfaktoren vor. Satisfaktoren bzw. Motivatoren können die Zufriedenheit erhöhen, wogegen Dissatisfaktoren bzw. Hygienefaktoren keine motivationale Wirkung aufweisen, sie dienen allenfalls dem Abbau von Unzufriedenheit.[71] In diesem Sinne kann Herzbergs Theorie als eine hierarchische Motivationstheorie verstanden werden, welche die zwei Handlungsebenen der Suche nach Hygiene und der Suche nach Motivation umfaßt.[72] Als Motivatoren nennt Herzberg Leistung, Anerkennung für Leistung, Arbeitsinhalt, Verantwortung bei der Arbeit, Aufstiegsperspektiven, geistiges Wachstum und Entwicklungschancen. Der Führungsstil des Vorgesetzten, die interpersonellen Kontakte, der Status oder das Gehalt dagegen sind nach Herzberg lediglich Hygienefaktoren,[73] wobei die Ebene der Motivation eindeutig zu bevorzugen ist.[74] Im Gegensatz zu den anderen Inhaltstheorien betont Herzberg die unterschiedlichen Konsequenzen der verschiedenen Motive und trifft die Aussage, daß bestimmte Anreize nicht unbegrenzt als Motivatoren einsetzbar sind.[75]

 

Aufgrund der Annahme, daß technische und wirtschaftliche Entwicklung eines Landes ausschließlich aufgrund einer starken Leistungsmotivation wichtiger Mitglieder der Gesellschaft entsteht,[76] entwickelt McClelland seine Theorie der Leistungsmotivation. Die Bedürfnisarten von McClelland stellen eine Liste menschlicher Bedürfnisse dar, die drei „Schlüsselbedürfnisse“ des Menschen umfaßt. Diese Bedürfnisse sind das Bedürfnis zur Leistungsmotivation, das Affiliations- oder Zugehörigkeitsbedürfnis und das Machtbedürfnis, wobei das Leistungsbedürfnis im Mittelpunkt von McClellands Betrachtungen steht.[77] Motivation zur Leistung ist ein anerzogenes[78] und relativ stabiles Persönlichkeitsmerkmal,[79] so daß Leistung um ihrer selbst willen entsteht und McClellands Theorie auch als „Theorie der gelernten Bedürfnisse“[80] bezeichnet wird. Leistungsmotivation muß jedoch aktiviert werden, was durch bestimmte Situationskonstellationen oder Anreize geschehen kann, so daß ein inneres Gefühl der Zufriedenheit und des Leistungsstolzes entsteht.[81] Diese Motivation ist durch zwei verschiedene Motivtendenzen,[82] nämlich der Furcht vor Mißerfolg und der Hoffnung auf Erfolg charakterisiert,[83] wonach Menschen in erfolgsorientierte und mißerfolgsorientierte Persönlichkeiten eingeteilt werden können, die eine divergierende Leistungsmotivation aufzeigen.[84]

 

Diese Inhaltstheorien bilden die Grundlage der Prozeßtheorien, welche die Motivstrukturen der Inhaltstheorien in einen dynamischen Zusammenhang setzen,[85] und somit die viel geäußerte Kritik an der Starrheit der Inhaltstheorien aufgreifen.

 

2.3 Prozeßtheorien der Motivation

 

Im Gegensatz zu den Inhaltstheorien erklären die Prozeßtheorien die menschliche Motivation nicht inhaltlich, sondern betrachten den Prozeß bzw. das Zustandekommen von Motivation und identifizieren konkrete Interventionspunkte zur Beeinflussung der Motivation.[86] Die Prozeßtheorien beschäftigen sich mit der Frage, „wie ein bestimmtes Verhalten hervorgebracht, gelenkt, erhalten und abgebrochen wird“,[87] wobei die Interdependenz von Person und Situation vorausgesetzt wird.[88] Zu den Prozeßtheorien zählen hauptsächlich die Instrumentalitäts- oder Erwartungstheorien und die Balance-[89] bzw. Gerechtigkeitstheorien.

 

2.3.1 Zielsetzungstheorie von Locke

 

Locke stellt in seiner Zielsetzungstheorie die Hypothese auf, daß gesetzte Ziele den zentralen Impuls zur Motivation geben.[90] Diese Aussage beruht auf der Annahme, daß die biologische Basis jeglichen Handelns das Streben zur Sicherung des eigenen Überlebens durch gezielte Aktionen ist. Ziele werden von Individuen durch ihren Inhalt und die mit dem Ziel verknüpfte Anstrengung definiert und durch das Ergebnis der aus der Zielsetzung resultierenden Handlungen beeinflußt.[91] Damit wird nicht das mechanistische Menschenbild der Maschine unterstellt, sondern der Mensch wird als ein bewußt Ziele und Aktivitäten setzendes Individuum angesehen.[92]

 

Aufgrund empirischer Studien[93] konnte Locke wiederholt zeigen, daß die Leistung bei der Erledigung von Aufgaben direkt von den Zielsetzungen abhängt,[94] und kam zu der Schlußfolgerung, daß „die Leistung um so besser ist, je schwieriger das gewählte Ziel ist, obwohl damit die Erfolgswahrscheinlichkeit, es zu erreichen, abnimmt.“[95] Diese Aussage wurde von 90% der von Locke durchgeführten Studien bestätigt.[96] Lockes Studien basierten jedoch fast ausschließlich auf einfachen Schnelligkeitsaufgaben, bei denen die Mengenleistung erwartungsgemäß mit wachsender Anstrengung steigt.[97]

 

Locke stellt neben diesen allgemeinen Aussagen weitere Hypothesen auf. Demzufolge führen schwierige Ziele zu besseren Leistungen als leichte,[98] so daß die Leistungskurve bei sehr schwierigen Aufgaben mit hohen Zielsetzungen ihr Maximum erreicht.[99] Des weiteren bringen spezifische Ziele höhere Ergebnisse als vage Vorgaben,[100] woraus folgt, daß Ziele nur dann zu einer Erhöhung der Motivation führen, wenn sie spezifisch, schwierig und herausfordernd sind.[101] Die Wirkung von Zielen erklärt Locke einerseits durch Aufmerksamkeitslenkung,[102] Anstrengungsmobilisierung, Stärkung der Ausdauer und Ausbildung geeigneter Handlungsstrategien,[103] und andererseits dadurch, daß schwierige Zielvorgaben die wahrgenommene Wichtigkeit der eigenen Arbeit erhöhen.[104] Neben der reinen Zielsetzung wirkt eine Kombination von Zielen und Rückmeldungen über das erzielte Ergebnis leistungssteigernd. Die Leistung steigt mit wachsender Zielbindung, so daß Zielvereinbarungen Zielvorgaben vorzuziehen sind und diese Zielbindung durch leistungsbezogene Entlohnung gestärkt werden kann.[105]

 

Wie Abbildung 3[106] zeigt können die beiden Befunde der allgemeinen Wirkung von Zielsetzungen und von spezifischen Zielen auf die Leistung zur Erklärung des Zusammenhangs zwischen Zielsetzungen und Leistungen genauer differenziert werden. Dafür wurde die Zielsetzungstheorie von Locke und Latham mit den Aussagen anderer Motivationstheorien integriert und zum High Performance Cycle weitergeführt,[107] der eine Unterscheidung in Mediatoren und Moderatoren vornimmt. Mediatoren sind danach Wirkungsmechanismen, welche die Richtung, Intensität und Ausdauer des Handelns beeinflussen. Als Moderatoren dagegen gelten Rückmeldungen über die Leistung, die Zielbindung und die Aufgabenstruktur.[108]

 

Zusammenfassend formuliert betrifft Lockes Zieltheorie „die Realisierung eines einmal (und wie auch immer) gesetzten Zieles – ein Volitionsproblem.“[109]

 

2.3.2 Gerechtigkeitstheorie von Adams

 

Im Gegensatz zu den bisher diskutierten Motivationstheorien stellt die Gerechtigkeits-, Gleichgewichts- oder Billigkeitstheorie[110] den sozialen Bezug von Anreizsystemen in den Mittelpunkt der Betrachtung.[111]

 

Adams geht von einem austauschtheoretischen Ansatz aus,[112] der Arbeitssituationen als Tauschverhältnisse interpretiert, d.h. für die Bereitstellung seiner Arbeitskraft erhält der Arbeitnehmer eine Gegenleistung vom Arbeitgeber.[113] Diese Tauschverhältnisse werden insbesondere in bezug auf ihre Gerechtigkeit oder Gleichheit betrachtet.[114] Die Gerechtigkeitstheorie ist eine kognitive Theorie,[115] die auf der Theorie der kognitiven Dissonanz von Festinger basiert. Festingers Dissonanztheorie besagt, daß diskrepante Kognitionen im Individuum psychologische Spannungen verursachen und diese Spannungen vom Individuum als unangenehm empfunden werden, so daß Individuen handeln, um diese Spannungen zu reduzieren.[116] Demgemäß streben Menschen nach Konsistenz,[117] wobei Festinger den Begriff Dissonanz für Inkonsistenz und den Begriff Konsonanz für Konsistenz verwendet.[118] Festinger stellt die These auf, daß „Dissonanz, d.h. das Bestehen von nicht zueinander passenden Beziehungen zwischen Kognitionen, ein eigenständiger, motivierender Faktor ist.“[119] Diese Dissonanztheorie betrachtet originär nicht explizit Probleme der Motivation,[120] so daß Adams Gerechtigkeitstheorie die Anwendung der Dissonanztheorie auf motivationale Problemstellungen darstellt.

 

Basierend auf der Dissonanztheorie formuliert Adams als Kerngedanke seiner Theorie das Ausgleichsprinzip, nach dem Menschen auf Ausgleich in ihren sozialen Beziehungen bedacht sind, da eine unausgewogene Verteilung von Vor- oder Nachteilen Unbehagen erzeugt, das dazu motiviert, Ausgewogenheit wieder herzustellen.[121] „Verhalten ist initiiert, gerichtet und aufrechterhalten durch die Versuche des Individuums, eine Art interne Balance zu finden, d.h. seinen psychologischen „Haushalt“ im Gleichgeweicht zu halten.“[122] Wie Abbildung 4[123] zeigt, wird der Gleichgewichtszustand empfunden, wenn das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung als gerecht beurteilt wird. Diese subjektive Wahrnehmung der Gerechtigkeit hängt vor allem davon ab, welche Bezugsgruppe oder Bezugsperson für den sozialen Vergleich herangezogen wird.[124] Die Kernaussage der Gerechtigkeitstheorie ist folglich, daß Mitarbeiter in Organisationen Vergleiche zwischen ihren Bemühungen und den dafür erhaltenen Belohnungen und den Bemühungen und erhaltenen Belohnungen ihrer Kollegen in der gleichen Arbeitssituation anstellen.[125] Die Kritik an seinem Modell, das nicht angibt, auf welche Weise kognitive Dissonanz abgebaut wird, beantwortet Adams mit einigen Präzisierungen.[126] Kognitive Dissonanz wird dadurch abgebaut, daß positiv bewertete Ergebnisse maximiert und anstrengende und kostspielige Einsätzen minimiert werden, einer Veränderung des eigenen Selbstbildes sich widersetzt wird, die Wahrnehmung von Belohnungen und Einsätzen anderer eher geändert wird als die der eigenen, der Situation nur bei großer erlebter Dissonanz aus dem Weg gegangen und die Wahl der Vergleichspersonen möglichst nicht verändert wird.[127]

 

Da die Gerechtigkeitstheorie nicht nur den Motivationsprozeß beschreibt, sondern auch Aussagen über den Inhalt der Ziele trifft, wie Gerechtigkeit und Harmonie mit der sozialen Umwelt, ist sie keine reine Prozeßtheorie.[128] Sie wird diesem Theoriekomplex jedoch meist zugeordnet.

 

2.3.3 Erwartungstheorie von Vroom

 

Vrooms Theorie ist den Erwartungs-Wert-Theorien zuzurechnen, die davon ausgehen, daß die Erfolgserwartung und der Anreizwert des Erfolges für die Motivation eines Individuums ausschlaggebend sind,[129] und die sich im Gegensatz zu anderen Motivationstheorien durch eine reine Zukunftsbezogenheit auszeichnen.[130] Diese Theorien sind komplexer und der Realität angemessener als einfachere Motivationsmodelle.[131]

 

Vroom beschäftigt sich innerhalb seine Theorie mit der Frage, wie Leistung zustande kommt,[132] warum Menschen bestimmte Arbeitstätigkeiten präferieren[133] und versucht, Leistungsverhalten vorherzusagen.[134] Das Kernstück der Vroomschen Theorie bilden die Konzepte der Valenz, Instrumentalität und Erwartung, wonach Vrooms Theorie als VIE-Theorie bezeichnet wird.[135] Innerhalb des Modells spielen fünf unterschiedliche Komponenten eine wesentliche Rolle.[136] „Ein Ergebnis hat eine positive Valenz, wenn die Person vorzieht, es zu erhalten.“[137] Die Valenz kann in Valenz 1 und Valenz 2 differenziert werden, wobei Valenz 1 das Handlungsergebnis und Valenz 2 den Handlungserfolg betrifft.[138] In der Originalfassung der Theorie sind Handlungsergebnis und Handlungserfolg jedoch nur implizit abgegrenzt.[139] Instrumentalität bedeutet eine wahrgenommene Kontingenz zwischen einem Handlungsergebnis und einem Handlungserfolg.[140] „Erwartungen beschreiben die Verknüpfung von Handlungen und Handlungsergebnissen“[141] in Form einer subjektiven Wahrscheinlichkeit. Das Handlungsergebnis wird durch das gewählte Anstrengungsniveau bzw. die Kraft herbeigeführt.[142] In Vrooms Modell werden die Valenz 2, die Instrumentalität und die Erwartung direkt von den Personen skaliert und die Valenz 1 und die Kraft errechnet.[143]

 

Wie Abbildung 5[144] zeigt unterteilt Vroom sein Modell in ein Valenz- und Kraftmodell. Im Valenzmodell wird der Wert des Handlungsergebnisses berechnet, indem die Valenz 2 mit der Instrumentalität multipliziert wird.[145] Die Instrumentalität kann zwischen +1 und –1 variieren.[146] Diese multiplikative Verknüpfung von Valenz und Instrumentalität steht in der Tradition der Erwartungs-Wert-Theorien[147] und besagt, daß das Leistungsergebnis Null sein muß, wenn eine der beiden Größen einen Wert von Null aufweist.[148] Dem Valenzmodell schließt sich das Kraftmodell an, das die Kraft bzw. das Anstrengungsniveau durch Multiplikation der Valenz 1 mit der Erwartung errechnet. Durch Einsetzen des Valenzmodells in das Kraftmodell ergibt sich das Gesamtmodell.[149]

 

Aus diesen Modellen folgen zwei wesentliche Grundannahmen. Erstens ist die gesamte Valenz eines Handlungsergebnisses eine monoton ansteigende Funktion der Summe der Produkte der Valenzen aller einzelnen Handlungsfolgen und ihrer jeweiligen Instrumentalitäten.[150] Zweitens entscheiden Personen subjektiv rational, d.h. die Kraft einer Person zur Ausführung einer bestimmten Handlung ist eine monoton ansteigende Funktion der Summe der Produkte der Valenzen der einzelnen Ergebnisse und Erwartungen.[151] Vrooms Modell kann durch intrinsische Valenzen erweitert werden, die ohne Berücksichtigung zusätzlicher Folgen per se existieren.[152]

 

In der empirischen Überprüfung wurden sowohl das Valenzmodell als auch das Kraftmodell im wesentlichen bestätigt, wobei i.d.R. die modellgerechte multiplikative Verknüpfung eher zutraf als eine additive Verknüpfung.[153]

 

2.3.4 Weg-Ziel-Modell von House und Evans

 

Das Weg-Ziel-Modell schließt sich in seiner Grundaussage der Erwartungstheorie an,[154] wobei es sich bei der Weg-Ziel-Theorie um eine Theorie der Führung handelt, welche die Auswirkungen von formal eingesetzten Führungskräften auf die Motivation ihrer unterstellten Mitarbeiter betrachtet[155] und diese Interaktionen analysiert.[156] Die Aufgabe von Führungskräften ist nach House die Erhöhung des persönlichen Erfolges der Mitarbeiter bei der Erreichung von Arbeitszielen.[157] House und Evans nehmen an, daß sich Motivation aus Valenz und Instrumentalität, Verhalten aus Motivation, Fähigkeit und Aufgabe und Zielerreichung aus Verhalten und Instrumentalität ergibt.[158] Folglich wählen Menschen bei Entscheidungen die Handlungsalternative, welche die größte positive Instrumentalität erwarten läßt.[159] In der formalen Darstellung des Modells, wie in Abbildung 6[160] dargestellt, wird Motivation durch die Verknüpfung von intrinsischer Valenz der Aktivität verbunden mit den positiven Effekten der Zielerreichung erklärt.[161]

 

Der eigentliche Wert des Modells liegt darin, daß sich aufgrund der drei Valenzen und zwei Instrumentalitäten die in Abbildung 7[162] dargestellten Interventionen zur Erhöhung der Motivation direkt zuordnen lassen, die als Werkzeugkasten verstanden gezielt eingesetzt werden können.[163]

 

Das Modell wurde in etlichen Studien empirisch überprüft,[164] wobei es nicht von allen Studien bestätigt wurde. Dieses Ergebnis wird einerseits durch falsche Testmethoden und andererseits durch fehlende Spezifizierungen innerhalb des Modells erklärt.[165]

 

Basierend auf der Theorie von House und Evans hat Neuberger 1976[166] eine Weg-Ziel-Theorie der Führung vorgestellt und 1984[167] präzisiert sowie kritisch überprüft.[168]

 

2.3.5 Rückkopplungsmodell von Porter und Lawler

 

Das Rückkopplungsmodell von Porter und Lawler[169] ist mit der Vroomschen Theorie eng verwandt,[170] konzentriert sich jedoch auf die Gegebenheiten in industriellen Organisationen[171] und vermeidet das Problem der diskreten Anstrengungsniveaus,[172] indem das Modell um Fähigkeiten und andere Persönlichkeitszüge sowie die für die Person kennzeichnende Rollenerwartung[173] und um die wahrgenommene Gerechtigkeit der erwarteten Belohnung erweitert wird.[174] Porter und Lawler versuchen plausibilitätsgestützte Beziehungen zwischen allen relevanten Komponenten aufzuzeigen, die zur Leistungserstellung führen.[175] Zur Erklärung von Leistung und Zufriedenheit entwickeln Porter und Lawler das in Abbildung 8[176] dargestellte Zirkulationsmodell,[177] d.h. ein mehrfach rückgekoppeltes System, was dazu führt, das Kausalitäten kaum aufdeckbar sind.[178] Das Zirkulationsmodell zeigt, daß die Anstrengung eines Individuums sowohl von dem Wert der Belohnung als auch von der wahrgenommenen Wahrscheinlichkeit für den Erhalt der Belohnung abhängt. Diese Anstrengung beeinflußt neben den Fähigkeiten und Persönlichkeitszügen und der Rollenwahrnehmung die Leistung.[179] Diese Leistung führt zu Belohnungen, die Porter und Lawler in intrinsische und extrinsische Belohnungen unterscheiden.[180] Der Grad der Zufriedenheit ist einerseits von den intrinsischen und extrinsischen Belohnungen abhängig, andererseits ist Zufriedenheit das Ergebnis eines Vergleichs der erhaltenen Belohnungen mit den erwarteten und als gerecht empfundenen Belohnungen.[181] Die empirische Überprüfung dieses Modells ist aufgrund der hohen Komplexität schwierig.[182]

 

In der Literatur existiert keine einheitliche Definition von intrinsischer und extrinsischer Motivation.[183] Meist wird intrinsische Motivation als Motivation, durch die Befriedigung bereits beim Weg zum Ziel feststellbar ist, definiert.[184] Intrinsisches Verhalten erfolgt um seiner selbst willen,[185] extrinsisches Verhalten dient als Mittel zu einem andersartigen Zweck.[186] Porter und Lawler gingen ursprünglich von einer Addition von extrinsischer und intrinsischer Motivation aus,[187] später begann jedoch eine Diskussion über die Verdrängung von intrinsischer durch extrinsische Motivation, was als Verdrängungseffekt bezeichnet wird.[188] Dieser Effekt läßt sich mit den Teileffekten der verminderten Selbstbestimmung, der Reziprozität, der Fairneß, der Reaktanz und des Spillover-Effektes erklären.[189] Die Existenz des Verdrängungseffektes wird durch empirische Studien bestätigt,[190] jedoch sind Situationen denkbar, in denen intrinsische durch extrinsische Motivation verstärkt wird (Verstärkungseffekt),[191] oder Änderungen der intrinsischen Motivation in einem Bereich Folgen für die Motivation in anderen Bereichen hat (Übertragungseffekt).[192] Aufgrund dieses Verdrängungseffektes besteht die Gefahr von Anreizsystemen darin, daß intrinsisch motiviertes Verhalten durch extrinsische Motivation ersetzt wird, ohne daß sich die Gesamtmotivation verändert. Diese Auffassung ist in der wissenschaftlichen Diskussion jedoch umstritten,[193] und wurde bei der empirischen Überprüfung des Effektes nur unter bestimmten Bedingungen bestätigt,[194] wobei genauso viele Studien den gegenteiligen Verstärkungseffekt beweisen.[195]

 

2.3.6 Zusammenführung und kritische Würdigung

 

Basierend auf diesen fünf Prozeßtheorien entwickelt Scholz ein Integrationsmodell, das die bewußten Zielsetzungen von Locke, das Gerechtigkeitsgefühl von Adams, die Aussage von Vroom, daß Motivation das Ergebnis aus Valenz des Zieles und der Instrumentalität der Aktion ist, die Verbindung von Valenz und Instrumentalität mit der Bewertung der Zielerreichung nach House und Evans und die Kausalkette Anstrengung, Leistung und Zufriedenheit von Porter und Lawler integriert darstellt.[196]

 

Die Prozeßtheorien bieten jedoch einige Angriffspunkte für Kritik. Die Bildung von Erwartungs- und Wertvariablen setzt vollständige Information des Individuums voraus, was unrealistisch und zu objektivistisch ist. Die negative Korrelation von Erwartung und Wert ist zu generalisiert und trifft nicht für alle Bereiche sozialen Handelns zu.[197] Sie unterstellen ein rationales Kalkül der Individuen[198] nach dem Modell des Homo oeconomicus, der „reichlich kopflastig“[199] seinen Nutzen kalkuliert und sein Handeln danach ausrichtet,[200] so daß die emotionalen und irrationalen Mechanismen der Verhaltenssteuerung nicht betrachtet werden.[201] Mit dieser Fokussierung auf die inneren Zustände der Individuen[202] weichen die Prozeßtheorien von der Sichtweise des Behaviorismus ab, da sie den Menschen als denkendes, bewußt und zielgerichtet handelndes Subjekt verstehen,[203] das kognitive Erwartungen bezüglich dem zu erreichenden Ziel oder Endresultat hat.[204] Dennoch haben die Theorien für die Verhaltensprognose einen großen Wert, denn selbst unreflektierte Entscheidungsprozesse scheinen kalkulatorische Komponenten zu enthalten, so daß sie häufig zu Ergebnissen führen, die mit den Modellvorhersagen übereinstimmen.[205]

 

Ein weiterer Kritikpunkt ist die unangemessene Formalisierung der Prozeßtheorien, die Variablen eines niedrigen Skalenniveaus algebraisch verknüpfen[206] und das aus der Mathematik stammende Bernoulli-Prinzip unterstellen.[207] Schließlich berücksichtigen sie keine individuellen Unterschiede in der Motivation verschiedener Menschen, so daß sie als zu universalistisch bezeichnet werden können.[208] Die Prozeßtheorien setzen die Hierarchie von Zielsetzungen voraus und betrachten seine Genese nicht,[209] so daß sie durch die Inhaltstheorien ergänzt werden müssen, um individuelle Handlungsentscheidungen zu erklären.[210]

 

Trotz dieser Kritik bieten die Prozeßtheorien Erklärungsansätze für den komplexen Motivationsprozeß, so daß auf deren Grundlage Empfehlungen für die Gestaltung von Anreizsystemen ausgesprochen werden können.

3. Gestaltung von Anreizsystemen

 

3.1 Gestaltung und Eigenschaften von Anreizsystemen

 

Die Ansätze zur Gestaltung von Anreizsystemen gehen auf das Scientific Management von Taylor zurück, der den Lohn als zentralen Motivator ansah[211] und zur Leistungserhöhung eine möglichst große Arbeitsteilung und Spezialisierung empfahl.[212] Die Human-Relations-Bewegung widersprach diesem Ansatz und hob menschliche Bedürfnisse[213] und die Bedeutung zwischenmenschlicher Beziehungen hervor.[214] Der humanistische Ansatz von McGregor besagte, daß sich menschliche Bedürfnisse stufenweise entwickeln und in seiner Theorie X und Y stellt er fest, daß Vorurteile einer optimalen Gestaltung von Organisationen entgegenstehen.[215] Diese Ansätze wurden zu einem systemtheoretischen Ansatz ausgeweitet[216] und häufig um rollentheoretische Überlegungen erweitert.[217]

 

Ein Anreizsystem umfaßt die „Summe aller bewußt gestalteten Arbeitsbedingungen, die bestimmte Verhaltensweisen (durch positive Anreize, Belohnungen etc.) verstärken, [und] die Wahrscheinlichkeit des Auftretens anderer [...] mindern (negative Anreize, Sanktionen etc.).“[218] Anreize müssen aufeinander abgestimmt werden, um zum erwünschten Verhalten zu führen.[219] Im Zusammenhang der Betriebswirtschaftslehre wird der Begriff des Anreizsystems dadurch präzisiert, daß die Organisation als Anreizgeber und der Mitarbeiter als Anreizempfänger definiert werden.[220] Legt man die Anreiz-Beitrags-Theorie zugrunde, so sind Anreize Zahlungen der Organisation an ihre Teilnehmer, welche die Teilnehmer wiederum zu Zahlungen in Form von Arbeitsleistung veranlassen.[221] Diese Anreize umfassen nicht nur ökonomische, sondern auch psychologische Größen.[222] Ein Anreizsystem beinhaltet  Kriterien wie z.B. Bemessungsgrundlagen und Relationen zwischen den Kriterien und Anreizen.[223] „Kriteriums-Anreiz-Relationen sind ein- oder mehrdeutige Zuordnungen zwischen der Menge der Kriterien und der Menge der Anreize; sie beschreiben in zeitlich differenzierter Form die Abhängigkeitsbeziehungen zwischen Kriterienausprägungen [...] und Anreizausprägungen.“[224] Insofern gilt das gesamte Unternehmen und sein Führungssystem als Anreizsystem,[225] das die implizite Förderung oder Unterdrückung von Verhaltensweisen[226] durch Aktivierung der Motive der Mitarbeiter am Arbeitsplatz bewirkt.[227] Diese Aktivierung der Motive ist in Wirtschaftsorganisationen insbesondere von kalkulatorischen Überlegungen geprägt, so daß die Anreiz- bzw. Motivationsproblematik an Wichtigkeit gewinnt.[228] Die Anreizpolitik eines Unternehmens ist ein Vielzweckinstrument, durch das unterschiedliche Ziele wie die Förderung der Attraktivität als Arbeitgeber, die Vermeidung von Unzufriedenheit, Leistungssteigerung usw. verfolgt werden können.[229]

 

Anreizsysteme beinhalten insbesondere zwei Gestaltungsaspekte. Einerseits werden durch Anreizsysteme Leistungs-Lohn-Verhältnisse strukturiert, die aufgrund des Lohnes fremdgesteuerte extrinsische Motivation auslösen. Dadurch werden die Individualziele an die Unternehmensziele gekoppelt.[230] Diese Anreize für Verhalten können kurzfristig operativ oder langfristig strategisch ausgerichtet sein.[231] Andererseits können Anreizsysteme als psychologische Verträge verstanden werden, welche die intrinsische Motivation aktivieren und somit Präferenzen beeinflussen.[232]

 

Die Gestaltung von Anreizsystemen kann nach verschiedenen Kriterien klassifiziert werden, so z.B. in motiv- bzw. bedürfniskongruente oder in situationsgerechte Anreizgestaltung. Traditionell werden Leistungsanreize in materielle und immaterielle Anreize unterteilt,[233] wobei Differenzierungen in Individual-, Gruppen und organisationsweite Anreize oder in extrinsische und intrinsische Anreize auch möglich wären.[234] Abbildung 9[235] stellt die Klassifizierung von Anreizen in monetäre (materielle) und nichtmonetäre (immaterielle) Anreize dar, die hier verwendet wird.

 

3.2 Materielle Anreize für Führungskräfte

 

Jede Form von materieller Gegenleistung für die Bereitstellung der Arbeitskraft des Mitarbeiters wird als Entgelt bezeichnet,[236] was somit den Oberbegriff für den Lohn der gewerblichen Arbeitnehmer und das Gehalt der Angestellten darstellt.[237] Ein Entgeltsystem ist folglich der Teil eines Anreizsystems, der materielle Anreize miteinander verknüpft[238] und die Gesamtheit aller an die Mitarbeiter ausschüttbaren monetären Anreize umfaßt.[239] Die Ausgestaltung des Entgeltsystems ist i.d.R. vertraglich vereinbart und besteht aus einem obligatorischen Teil wie dem Grundgehalt und einem fakultativen Teil wie z.B. der materiellen Mitarbeiterbeteiligung,[240] die in Erfolgs-, Kapital- und Fremdkapitalanteile unterteilt werden kann. Auch die Eigenkapital- oder eigenkapitalähnliche Beteiligung kann der materiellen Mitarbeiterbeteiligung zugeordnet werden, obwohl sie zum Teil immaterielle Elemente umfaßt.[241] Neben dem Grundgehalt und der materiellen Mitarbeiterbeteiligung existieren materielle Anreize in Form von betrieblichen Sozialleistungen,[242] variablen Entgeltkomponenten, Urlaub, Firmenwagen zur Privatnutzung,[243] dem betrieblichen Vorschlagswesen[244] und geldwerten Privilegien.[245]

 

Die Wichtigkeit materieller Anreize wird damit begründet, daß Geld einerseits als universelles Mittel zur Bedürfnisbefriedigung fungiert,[246] und andererseits ein Ausdrucksmittel für die Anerkennung von Leistung und der Selbstwertschätzung darstellt.[247] Geld kann Mittel zum Zweck sein, wenn es der Bedürfnisbefriedigung dient, oder zum Ziel der Arbeit werden, wenn Geld gesellschaftlich oder individuell hoch bewertet wird.[248]

 

In den letzten Jahren sind in den USA innovative Entlohnungsmodelle diskutiert worden, wobei es sich vor allem um Systeme von Leistungszulagen auf Basis der Leistungsbeurteilung („merit pay“), zielerreichungsorientierte Ansätze („gainsharing“), Beteiligungen am Unternehmenserfolg („profit sharing“) und Unternehmensbeteiligungen bzw. Aktienoptionen („stock option plans“) handelt.[249] Diese Entlohnungssysteme können im Einzelfall sehr unterschiedlich ausgestaltet sein, z.B. können Aktienoptionen entweder als „nackte“ Optionen, als Wandelanleihen oder in Form von Phantom Stocks als virtuelle Optionen ausgegeben werden. Aufgrund der rechtlichen Situation in Deutschland wurden bis zur Einführung des Gesetzes zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) im Mai 1998 hauptsächlich Wandelanleihen ausgegeben, die inzwischen von „nackten“ Optionen weitgehend abgelöst worden sind.[250]

 

Eine neuere Form eines Entlohungssystems ist ferner das Cafeteria-System, bei dem aus einer Vielzahl von Entlohnungskomponenten nach subjektiven Präferenzen individuell ausgewählt werden kann.[251]

 

Die Motivationsfunktion materieller Komponenten eines Anreizsystems ist umstritten. Empirische Studien konnten nur eine geringe Korrelation zwischen der Managementvergütung und dem Unternehmenserfolg finden,[252] und Befragungen von Arbeitnehmern über die wichtigsten Faktoren der Arbeit kamen zum Ergebnis, daß Geld erst weit hinter Faktoren wie eine interessante Aufgabe oder nette Kollegen genannt wurde.[253]

 

Die Entlohnung kann nur einen Teil des erwünschten Verhaltens steuern, wodurch Verhaltenskomponenten wie z.B. Teamfähigkeit, Engagement oder Kreativität leiden.[254]

 

3.3 Immaterielle Anreize für Führungskräfte

 

In den letzten Jahren wurde verstärkt über die Motivationsfunktion immaterieller Anreize diskutiert[255] und die wachsende Bedeutung dieser Anreize betont.[256] Immaterielle Elemente eines Anreizsystems sind weniger faßbar als materielle Anreize[257] und umfassen z.B. interessante, ganzheitlich gestaltete Aufgaben,[258] Arbeitsbedingungen, Arbeitszeitregelungen, Handlungsfreiräume der Mitarbeiter, Anerkennung und Status, der Führungsstil des Vorgesetzten, Aufstiegs- und Karrierechancen, Personalentwicklung, Information und Kommunikation im Unternehmen, das Betriebsklima bzw. die Unternehmenskultur im allgemeinen, das Image der Firma und der Branche, der Standort, Arbeitsplatzsicherheit[259] und Partizipationsmöglichkeiten.[260]

 

Insbesondere die Bearbeitung interessanter und anspruchsvoller Aufgaben wird als dominierender Motivationsanreiz angesehen, der vor allem von jüngeren Mitarbeitern gefordert wird, die im Zuge des Wertewandels den Wunsch nach Herausforderungen in der Arbeit, nach erlebnis- und erfolgreichen Tätigkeiten äußern.[261] Diese Bedürfnisbefriedigung einer Führungskraft unmittelbar durch ihre Aufgaben und deren Folgen, so wird argumentiert, führt zum intraindividuellen Zustand der Arbeitszufriedenheit und somit zur Erhöhung der Motivation.[262]

 

Auch wenn es generell im Management an attraktiven Aufgabenstellungen nicht mangelt, muß ein Unternehmen die Rahmenbedingungen schaffen, um diese Anreizwirkung vollständig zu aktivieren. Dieses kann insbesondere durch eindeutig definierte Arbeitsbereiche, einen umfassenden Handlungs- und Entscheidungsspielraum[263] und eine innovationsfördernde Unternehmenskultur erreicht werden.

Ende der Leseprobe aus 67 Seiten

Details

Titel
Implikationen der Prozeßtheorien für die Gestaltung von Anreizsystemen für Führungskräfte in Wachstumsunternehmen
Hochschule
European Business School - Internationale Universität Schloß Reichartshausen Oestrich-Winkel
Note
1
Autor
Jahr
2001
Seiten
67
Katalognummer
V185699
ISBN (eBook)
9783656981534
ISBN (Buch)
9783867465762
Dateigröße
926 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
implikationen, prozeßtheorien, gestaltung, anreizsystemen, führungskräfte, wachstumsunternehmen
Arbeit zitieren
Astrid Bertram (Autor:in), 2001, Implikationen der Prozeßtheorien für die Gestaltung von Anreizsystemen für Führungskräfte in Wachstumsunternehmen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/185699

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