Polens Weg zur "Wende"


Seminararbeit, 2000

30 Seiten, Note: 1


Leseprobe


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1. EINLEITUNG

Der Zusammenbruch des „realen“ Sozialismus in Osteuropa stellt eine Zäsur in der internationalen Politik dar. Das über Jahrzehnte gültige bipolare Machtverhältnis zwischen Ost und West hat letztlich der Westen für sich entschieden, nicht nur politisch, sondern auch ökonomisch und gesellschaftlich. Zum Zerfall des Ostblocks trug maßgeblich der Verlust der faktischen politischen Monopolstellung der jeweiligen kommunistischen Parteien bei, als Folge der Abhaltung freier Wahlen, welche weitgehend das Ergebnis von Verhandlungsprozessen zwischen den staatlichen Eliten und der Bevölkerung waren. Begonnen haben diese Verhandlungen in den mittel- und osteuropäischen Satellitenstaaten der UdSSR.

Unter den mittel- und osteuropäischen (MOE) Staaten, die seit Ende der 80er Jahre eine Systemtransformation vollzogen haben ist Polen von besonderer Bedeutung, v.a. weil Polen als erster MOE-Staat die Transformationen einleitete und keinen vergleichbaren Staat als Vorbild heranziehen konnte, die polnische Lösung selbst jedoch für andere MOE-Staaten Vorbildfunktion hatte (v.a. der „Runde Tisch“).

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den Ursachen und Umständen die zur Einleitung des demokratischen Transformationsprozesses in Polen geführt haben. Der eigentliche Transformationsprozeß ist nicht Gegenstand der Arbeit.

Der überwiegende Teil der Untersuchung bezieht sich auf die Zeit zwischen der Verhängung des Kriegsrechts 1981 und den Gesprächen am „Runden Tisch“ und seinen Ergebnissen im April 1989. Weiter zurückreichende historische Gegebenheiten werden aufgegriffen, soweit sie für die Herbeiführung des Systemwechsels relevant sind.

Den räumlichen Rahmen der Ausführungen bildet der polnische Staat in seinen Grenzen nach Ende des 2. Weltkrieges.

Untersuchungsgegenstand ist die Konfliktkonstellation zwischen den gesellschaftlichen und den staatlichen Akteuren, ihre Interessen- und Machtstruktur und der Verlauf ihres Konflikthandelns.

Die Datenerhebung erfolgte mittels Literatur- und Inhaltsanalyse. Begriffsdefinitionen und Abkürzungserklärungen folgen im Text.

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2. GESELLSCHAFT

2.1 BÜRGER

In Polen funktionierte über lange Zeit ein eigenartiger Gesellschaftsvertrag, der sozialen Frieden und politische Stabilität weitgehend gewährleistet hat: Die Bürger verpflichteten sich in der Öffentlichkeit zu passiver Loyalität und das Regime, gemeint ist die kommunistische Partei und ihr Herrschaftsapparat, bot ein zufriedenstellendes Lebensniveau samt Arbeitsplatzgarantie und griff kaum ins Privatleben ein. (Heinrich 1997, S. 76) ad passive Loyalität im öffentlichen Leben:

Die wesentliche Stütze des Systems des „realen“ Sozialismus war die Folgsamkeit der Bürger. Sie äußerte sich in symbolischen, häufig semantischen Akten des Konformismus, wie zB. auf einem Schild mit der Aufschrift „Arbeiter aller Länder vereinigt Euch“ (und nicht etwa „ich fürchte mich und werde unterdrückt“) in der Auslage eines Gemüsehändlers. Der Händler identifizierte sich nicht mit dieser Aussage, handelte aber gemäß den Direktiven, um sich Ärger zu ersparen. Es war die Summe dieser symbolischen Akte, die das „Leben in Lüge“ manifestierten als ein Leben, das durch die Spaltung des Individuums in Unterstützer und Opfer zur gleichen Zeit das System trug. (Garton Ash 1992, S. 175f) ad Privatleben:

Die massenhaft vorhandene, typische Lebensweise im „realen“ Sozialismus kann als „diffuse Privatisierung“ bezeichnet werden. „Sie versucht, sich aus dem öffentlichen, namentlich politischen Leben zurückzuziehen und auf das Leben in kleinen Gruppen, in den Familien, höchstens im engsten Freundeskreis zu konzentrieren. ... Die instrumentalisch aufgefaßte Arbeit und die Konsumorientierung sind bei dieser Lebenseinstellung die wichtigste Bindung zur Gesellschaft“ (Mlynar 1992, S. 59)

Emanzipatorische Einstellungen und Verhaltensweisen aus dem Privaten heraus waren die Folge von vier Elementen:

a) Wiederentdeckung der nationalen Vergangenheit von Traditionen, Symbolen, Mythen.

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2.2 SOLIDARNOSC

Die 1980 gegründete Solidarnosc setzte sich aus Intellektuellen und Arbeitern zusammen. Die Intellektuellen waren ehemalige Reformer aus der KP und Dissidenten, die v.a. bei innenpolitischen Krisen an faktischer Bedeutung gewannen. Die Intellektuellen verstanden sich als demokratische Opposition, die

- kurzfristig gegenüber der Diktatur die Gewährleistung der Menschenrechte zwischen den Gesellschaftsmitgliedern einforderte und

- längerfristig die Schaffung unabhängiger, paralleler Strukturen anstelle eines Reformversuchs der offiziellen anstrebte.

Sie wollten vorerst keineswegs eine pluralistische parlamentarische Demokratie samt kapitalistischer Markwirtschaft einführen und strebten offiziell nicht nach „der Macht im Staate“ (Garton Ash S. 174), sondern versuchten einen “Dritten Weg“ einzuschlagen:

Sie forderten die Einführung einer sich selbst verwaltenden Gesellschaft mit dem Staat als ergänzendem Machtinstrument (Außenpolitik, Justizwesen, usw.) und verschiedenen demokratischen Grundrechten (Gewaltenteilung, Pressefreiheit, usw.). Die KP sollte nach dieser Konzeption eine politisch privilegierte Position behalten können, v.a. im Rahmen der Verpflichtungen aus dem Warschauer Pakt, sowie in Außenpolitik und Justizwesen.

Im ökonomischen Bereich wurde der „dritte Weg“ jedoch aufgrund einer konservativen Umfunktionalisierung unter Jaruzelski und der versagenden ökonomischen Kapazität der Planwirtschaft, wobei die Fünfjahrespläne weiterhin massiv aus der UdSSR beeinflußt wurden, zugunsten des Ziels der Einführung der Markwirtschaft verworfen. Die historische Aufgabe und das Selbstverständnis der polnischen „Inteligencja“ ist es, die Kultur und den Geist der Nation gegen die jeweils herrschenden politischen Mächte aufrechtzuerhalten. In der unfreien Realität sollte ein „Als-ob-Leben“ (d.h. als ob in einem freien Land gelebt würde) gelebt werden, was die wenigsten vor Gründung der Solidarnosc

Ende der Leseprobe aus 30 Seiten

Details

Titel
Polens Weg zur "Wende"
Hochschule
Universität Salzburg
Note
1
Autor
Jahr
2000
Seiten
30
Katalognummer
V185909
ISBN (eBook)
9783656990222
ISBN (Buch)
9783656991342
Dateigröße
688 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
polens, wende
Arbeit zitieren
Erich Gamsjäger (Autor:in), 2000, Polens Weg zur "Wende", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/185909

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