Beschwerdeverhalten im interkulturellen Vergleich: Eine empirische Analyse am Beispiel deutscher und japanischer Konsumenten


Diplomarbeit, 2008

92 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Stellenwert von Kundenbeschwerden im internationalen Wettbewerb

2 Deutschland und Japan im Diskurs von Kulturstudien
2.1 Definition des Konstrukts Kultur
2.2 Natur und Religion als Antezedenzen von Kultur
2.3 Ländervergleich anhand von Kulturdimensionen
2.3.1 Kollektivismus-Individualismus
2.3.2 Unsicherheitsvermeidung
2.3.3 Geschlechtergleichheit und Selbstbewusstsein
2.3.4 Menschlichkeitsorientierung
2.3.5 Machtdistanz, Zukunfts- und Leistungsorientierung

3 Beschwerdeverhalten im Fokus der Forschung
3.1 Unzufriedenheit als notwendige Bedingung
3.2 Antezedenzen des Beschwerdeverhaltens
3.2.1 Kosten-Nutzen-Verhältnis von Beschwerden
3.2.2 Theorie des geplanten Verhaltens
3.2.3 Kultur als Einflussgröße des Beschwerdeverhaltens
3.3 Vermutete Zusammenhänge zwischen Kultur und Beschwerdeverhalten

4 Empirischer Vergleich des Beschwerdeverhaltens deutscher und japanischer Konsumenten
4.1 Fragebogen und Datengrundlage
4.2 Reliabilität der Operationalisierungen
4.3 Ergebnisse von Mittelwertvergleichen
4.4 Kritische Würdigung der Befunde

5 Empfehlungen für Beschwerdeforschung und -management

Literaturverzeichnis

Anhang

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Außenhandel Deutschlands mit Japan (2006)

Abb. 2: Gang der Arbeit

Abb. 3: Bedeutung von Shintoismus und Buddhismus in Japan

Abb. 4: Überblick über Werte der drei Weltanschauungen Japans

Abb. 5: Kulturprofile für Deutschland und Japan nach House et al. (2004)

Abb. 6: Einfluss von Kultur auf Selbstkonzept und Konfliktverhalten

Abb. 7: Unsicherheit in Deutschland

Abb. 8: Haushalts-Sparquoten in Deutschland und Japan

Abb. 9: Überblick über beschwerderelevante Kulturunterschiede

Abb. 10: Disconfirmation-Paradigma

Abb. 11: Taxonomie des Beschwerdeverhaltens

Abb. 12: Einflussgrößen des Beschwerdeverhaltens

Abb. 13: Das Modell des geplanten Verhaltens

Abb. 14: Wirkungen von Kollektivismus auf Beschwerdeverhalten

Abb. 15: Vermutete Zusammenhänge im Überblick

Abb. 16: Quotenplan und Struktur der Stichproben in Deutschland und Japan

Abb. 17: Ergebnisse der isolierten Faktorenanalysen in Deutschland und Japan

Abb. 18: Ergebnisse der Mittelwertsvergleiche

Abb. 19: Äquivalenzkonzepte und korrespondierende Verzerrungen

Abb. 20: Mittelwerte der Stichproben des Online-/Offline-Vergleiches

Abb. 21: Kulturdimensionen nach House et al. (2004)

Abb. 22: Kulturdimensionen nach Hofstede (1983)

Abb. 23: Grafische Darstellung der Kulturdimensionen Hofstedes (1983)

Abb. 24: Übersicht der Items und semantische Analyse

Abb. 25: Bildungsniveau

Abb. 26: Chi²-Test und U-Test auf Unterschiede in Alterstruktur, Bildungsniveau und Geschlecht

Abb. 27: Deutscher Fragebogen

Abb. 28: Japanischer Fragebogen

Vorwort

“To my friends and colleagues from foreign cultures who taught me so much about my own culture.”

E. T. Hall

An dieser Stelle möchte ich mich insbesondere bei meinen japanischen Freunden und Kollegen bedanken, die entscheidend zum Erfolg meiner Diplomarbeit beitrugen. Sie haben meine Faszination und mein Verständnis für die japanische Kultur vertieft und mich zur Wahl des Themas bewegt.

Besonderer Dank gilt meinen Betreuern, Herrn Rosenkranz und Herrn Dr. Wünschmann für ihre Unterstützung im Rahmen eines Praktikums in Japan sowie an einem internationalen Forschungsprojekt des Lehrstuhls für Marketing der TU Dresden mit meinen Kenntnissen der japanischen Kultur beizutragen.

Darüber hinaus möchte ich mich bei Frau Okamoto, Frau Goto, Frau Iwabuchi und Frau Taniguchi sowie meiner Japanisch-Lehrerin, Frau Okada, für ihre Hilfe bei Übersetzungen und weiteren linguistischen Fragen oder Problemen bedanken.

Neben meinen japanischen Freunden unterstützten mich insbesondere Frau Kawano und Frau Goto bei der Datenerhebung und ermöglichten so die Realisierung einer hinreichend großen japanischen Stichprobe, wofür ich sehr dankbar bin.

Susanne Seifert

1 Stellenwert von Kundenbeschwerden im internationalen Wett- bewerb

Durch zunehmenden Wettbewerb und gesättigte Märkte gewinnen kundenorientierte Strategien an Bedeutung (vgl. Meffert 2005, S. 366; Stauss/Seidel 1998, S. 23). Zu- friedene Kunden tragen dabei unmittelbar zum Unternehmenserfolg bei (vgl. Stauss/Seidel 2007, S. 27f.; Homburg/Bucerius 2006, S. 64ff.), denn sie fragen wie- derholt Leistungen eines Anbieters nach (vgl. Homburg et al. 1999, S. 181ff.), emp- fehlen diese weiter (vgl. Heitmann/Herrmann 2007, S. 548ff.) und sind zudem bereit, zusätzliche Angebote des Unternehmens zu nutzen (vgl. Müller 1998, S. 212). Durch ein effektives Beschwerdemanagement lassen sich gefährdete Kundenbeziehungen stabilisieren und Abnehmer langfristig an das Unternehmen binden (vgl. Stauss/Sei- del 2007, S. 33f.). Beschwerden weisen darüber hinaus auf wahrgenommene Prob- leme und Servicemängel hin und liefern so preiswerte Informationen für das Quali- tätsmanagement (vgl. Spork/Palmersheim 2004, S. 285; Meffert 2005, S. 367).

Darüber hinaus eröffnen sich durch zunehmende Globalisierung und internationalen Handel Chancen für Unternehmen, Absatzpotenziale auf anderen Märkten zu er- schließen. Insbesondere asiatische Länder erscheinen dabei durch ihr starkes Wirt- schaftswachstum interessant (vgl. Wienges 2004, S. 74). So stellen bspw. Japan und Deutschland wichtige Handelspartner füreinander dar: Aus deutscher Sicht war Japan 2006 die drittwichtigste außereuropäische Import- und Exportnation nach den USA und China (vgl. Auswärtiges Amt 2007). Zudem verdeutlicht die deutsche Au- ßenhandelsbilanz, dass trotz einer starken Exportorientierung Importe aus Japan (und anderen asiatischen Staaten) deutlich überwiegen (vgl. Abb. 1; Statistisches Bundes- amt 2007). Dies könnte deutschen Unternehmen einen Anlass geben, auf diesem Markt aktiver zu agieren.

Abb. 1: Außenhandel Deutschlands mit Japan (2006)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Statistisches Bundesamt 2007.

Damit Firmen erfolgreich mit fremden Märkten interagieren können, gilt es, u. a. das kulturspezifische Verhalten von Konsumenten zu erforschen. Hierbei spielen insb. Verhaltensunterschiede bei Unzufriedenheit eine bedeutende Rolle, denn wie ver- schiedene Autoren zeigen konnten, variiert das Beschwerdeverhalten interkulturell (vgl. Liu/McClure 2001; Huang et al. 1996). In der Unternehmenspraxis ist das Wis- sen um diese Unterschiede entscheidend, nicht nur um variierenden Kundenbedürf- nissen gerecht zu werden, sondern auch um im Fall von Unzufriedenheit oder Be- schwerden entsprechend mit einem angepassten Beschwerdemanagement zu reagie- ren (vgl. Stauss/Seidel 2007, S. 619). Für die zunehmend bedeutsamen asiatischen Märkte im Allgemeinen und Japan im Besonderen liegen bislang jedoch keine aussa- gekräftigen empirischen Untersuchungen im direkten Vergleich zu Deutschland vor. Die zunehmenden wirtschaftlichen Verflechtungen begründen folglich die Notwen- digkeit, das Beschwerdeverhalten dieser beiden Länder empirisch zu vergleichen.

Abb. 2 verdeutlicht den Aufbau der Arbeit. Zunächst gilt es, Deutschland und Japan kulturell gegenüber zu stellen und den aktuellen Stand der Beschwerdeforschung zu diskutieren. Anschließend besteht die Herausforderung darin, das Beschwerdeverhalten deutscher und japanischer Konsumenten empirisch zu vergleichen und daraus Implikationen für Beschwerdeforschung und -management abzuleiten.

Abb. 2: Gang der Arbeit

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2 Deutschland und Japan im Diskurs von Kulturstudien

2.1 Definition des Konstrukts Kultur

Kultur gilt als schwer fassbares und vielschichtiges Konstrukt. Dies zeigen zahl- reiche Diskussionen zur Begriffsbestimmung in verschiedenen Wissenschaftsdiszip- linen, wie z. B. Anthropologie, Psychologie, Soziologie und Ethnologie. Allein in den fünfziger Jahren existierten bereits über 160 Definitionen über Kultur (vgl. Schödel 2005, S. 15). Dabei ist das Kulturkonzept von Hofstede (1983) eines der bis- lang umfassendsten und meistzitierten (vgl. Müller/Gelbrich 2004, S. 108 u. S. 156). Ebenso beziehen sich Studien zur interkulturellen Beschwerdeforschung fast aus- schließlich auf diesen Ansatz. Nach Hofstede/Hofstede (2006, S. 28) sehen sich alle Menschen den gleichen grundlegenden Problemen ausgesetzt, z. B. dem Verhältnis gegenüber Autorität, der Beziehung zu Anderen und sich selbst sowie der Reaktion in Konfliktsituationen. Kulturen beschreiben nun die Art und Weise, wie Mitglieder einer Gruppe diese Probleme lösen. So entwickeln sich gemeinsame Werte, Normen und Weltanschauungen, die von Gruppe zu Gruppe variieren (vgl. Müller/Gelbrich 2004, S. 43). Hofstede/Hofstede (2006, S. 2f.) fassen diese gemeinsamen Denk-, Fühl- und Handlungsmuster einer Gesellschaft unter dem Begriff „mentale Program- me“ zusammen.

House/Javidan (2004, S. 15) erweitern und präzisieren diese allgemeine Begriffsbe- stimmung im Rahmen des GLOBE-Projektes. Laut Ihnen prägen zusätzlich wirt- schaftspolitische und bedeutende historische Ereignisse sowie die Religion kulturelle Werte und Normen, welche Individuen im Rahmen von komplexen Sozialisierungs- prozessen erlernen und über Generationen hinweg tradieren (vgl. Schödel 2005, S. 16ff.). Daher wird Kultur für den weiteren Verlauf der Arbeit definiert als:

…” shared motives, values, beliefs, identities, and interpretations or meanings of significant events that result from common experiences of members of collectives that are transmitted across generations ” (vgl. House/Javidan 2004, S. 15).

Darüber hinaus beeinflusst Kultur durch eben beschriebene Sozialisierungsprozesse die individuellen Einstellungen und Verhaltensweisen (vgl. Schödel 2005, S. 16f.; Oetzel et al. 2001, S. 240), wie bspw. in Beschwerdesituationen (vgl. Liu et al. 1997, S. 91). Einstellungen gelten dabei als relativ stabile Gefühle, Kognitionen und Handlungsabsichten bzgl. eines Objektes (vgl. Ajzen 2005, S. 4ff.) und sind so von abstrakteren Werten in Form von Vorstellungen über wünschenswerte Verhaltens- weisen einer Gesellschaft abzugrenzen (vgl. Müller/Gelbrich 2004, S. 302).

Im Folgenden gilt es, zwei wesentliche Einflussfaktoren kultureller Besonderheiten, insb. der japanischen Kultur, aufzuzeigen, um so das Verständnis dieser außergewöhnlichen Kultur zu erleichtern.

2.2 Natur und Religion als Antezedenzen von Kultur

Laut Müller/Gelbrich (2004, S. 61f. u. S. 272f.) beeinflussen zum einen natürliche Gegebenheiten die Kultur eines Landes. Extreme Witterungsbedingungen und Na- turkatastrophen bestimmen das Leben in Japan (vgl. Hendry 2003, S. 6). Durch mehr als 1500 Erdbeben, neben zahlreichen Taifunen pro Jahr (vgl. CIA 2007), sind die Menschen in dieser Region auf Hilfe Anderer angewiesen, um ebendiese Kata- strophen zu überstehen. So entwickelte sich ein Weltbild, dass Individuen nur als Gemeinschaft überleben können.

Zudem lassen feuchtes Klima und Regenzeiten Holz - den wichtigsten Rohstoff Japans - schnell vermodern. Dies wird in der leichten Bauweise der japanischen Architektur bzw. in der Betonung eines ausladenden, „schützenden“ Daches sichtbar (vgl. Coulmas 2003, S. 236). Nach den Werten des Shintoismus werden deshalb Häuser und Schreine regelmäßig von Grund auf erneuert (vgl. Yusa 2002, S. 35). Dieses diesseitsbezogene Weltverständnis verdeutlicht der japanischen Gesellschaft die Vergänglichkeit des Materiellen und die Wichtigkeit des stetigen, wenn auch verschwenderischen Wandels (vgl. Coulmas 2003, S. 237; Yusa 2002, S. 35f.). Laut Yusa (2002, S. 35) schätzen Japaner daher besonders Aktualität und Neuheit, was nicht zuletzt zu Japans Fortschrittlichkeit hinsichtlich Technologie, Wissenschaft und Wirtschaft beiträgt.

Zum anderen stehen Kultur und Religion in unmittelbarem Zusammenhang (vgl. Coulmas 2003; Yusa 2002). Aus religiösen Überzeugungen und ethischen Grund- werten entwickelten sich Regeln für das Zusammenleben, um größere Konflikte in der Gemeinschaft zu vermeiden (vgl. Müller/Gelbrich 2004, S. 66; Coulmas 2003, S. 103 u. S. 149). Religiöse Werte spielen auch in Japan eine zentrale Rolle, denn wie die Anhängerzahlen verdeutlichen, identifiziert sich die Mehrheit der Japaner gleichermaßen mit den beiden Hauptreligionen Shintoismus und Buddhismus (vgl. Abb. 3; Auswärtiges Amt 2007). Sie existieren dabei friedlich nebeneinander, über- schneiden und beeinflussen sich sogar gegenseitig (vgl. Hendry 2003, S. 130; Yusa 2002, S. 120). Zudem spielen konfuzianische Werte in Japan eine bedeutende Rolle, welche jedoch weniger als eine Glaubensrichtung, sondern vielmehr als eine Philo- sophie gelten. Deshalb werden ihre Anhänger offiziell nicht erfasst. Coulmas (2003, S. 149) betont in diesem Zusammenhang die Einzigartigkeit der japanischen Kultur, denn in den meisten (v. a. westlichen) Gesellschaften dominiert nur eine Religion.

Abb. 3: Bedeutung von Shintoismus und Buddhismus in Japan

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Auswärtiges Amt 2007.

Auf den ersten Blick widerspricht dies den Ergebnissen des World Value Survey von Inglehart et al. (2004), denn da stehen Japaner weltweit an drittletzter Stelle der Nationen, die Religion Bedeutung beimessen. Auch Hendry (2003, S. 127) argumen- tiert, dass Japaner sich nicht als religiös erachten. Ursache dafür liegt in der eher volkstümlichen und pragmatischen Natur von shintoistischen, buddhistischen und konfuzianischen Werten (vgl. Hofstede/Hofstede 2004, S. 290; Coulmas 2003, S. 105ff.). Eine Gegenüberstellung mit westlichen Kulturkreisen verdeutlicht die unterschiedliche Auffassung des Konzepts „Religion“: Westliche Religionen kennen nur einen Gott; Gebote und Verbote sind folglich monotheistisch begründet. Verletzt jemand diese Regeln, macht er sich schuldig vor Gott als höchste Instanz. In Japan (bzw. asiatischen Kulturkreisen) hingegen trägt ein Individuum keine Schuld, sondern beschämt sich lediglich bei Regelverstoß (vgl. Hofstede/Hofstede 2004, S. 119f.). Diese sozial begründeten Umgangsformen basieren demnach weniger auf dem Strafprinzip westlicher Religionen, sondern dienen vielmehr dem Schutz vor unangenehmen Situationen wie Scham („haji“), um so das „Gesicht zu wahren“ und das Zusammenleben zu regeln (vgl. Schödel 2005, S. 107; Coulmas 2003, S. 76).

Laut Coulmas (2003, S. 108ff.) ist der Shintoismus weniger eine Religion, sondern vielmehr Japans nationaler und ältester Kult. Geprägt durch Aberglauben begründet er die Verehrung der Natur und Schreine als heilige Stätten der Natur, denn in Japan gilt sie ebenso als bedrohlich wie auch als unverzichtbar. Folglich verkörpert jener Kult die Erkenntnis, dass Materielles (Stoff, Körper) vergänglich ist und nur Imma- terielles (Form, Geist) Bestand hat (vgl. Coulmas 2003, S. 116f.). Diese Diesseitig- keit veranlasst wiederum verschiedene Feierlichkeiten des Lebens und dessen Ent- wicklung, wobei besonders die Familie und Gemeinschaft im Mittelpunkt stehen (vgl. Hendry 2003, S. 130). So gehen Japans Rituale und Volksfeste („matsuri“) mehr- heitlich auf den Shintoismus zurück (vgl. Coulmas 2003, S. 109).

Hingegen sucht der Buddhismus nach einer Befreiung vom diesseitigen Leben durch Erleuchtung (vgl. Coulmas 2003, S. 118). Der Buddhismus ist ebenso tief wie der Shintoismus in der japanischen Kultur verwurzelt, seitdem koreanische Mönche etwa 300-710 u. Z. diese Religion aus China überlieferten (vgl. Coulmas 2003, S. 118). Buddhistische Werte der Selbstlosigkeit, Bescheidenheit und Zurückhal- tung prägen Japans Moralvorstellungen sowie die Staatsverwaltung (vgl. Coulmas 2003, S. 72 u. S. 119). Aus ihm rührt die Erkenntnis, dass Wandel das einzige Be- ständige ist (vgl. Coulmas 2003, S. 120). Er beschreibt die „vier edlen Wahrheiten“: Leben ist leidvoll, maßgeblich verursacht durch selbstbezogenes Verlangen nach Ge- nuss und vergänglichen Dingen. Jedoch kann man durch entsprechendes Verhalten dieses Verlangen überwinden (vgl. Coulmas 2003, S. 121). Auch beruhen Japans Kunstfertigkeiten, bspw. Kalligraphie („schod “), Schwertkunst („kend “) oder Kampfkunst („jud “), auf buddhistischen Prinzipien, wie überlegtem Handeln („enryo“) und Selbstdisziplin (vgl. Coulmas 2003, S. 126). Die exakte Ausführung und Charakterbildung ist dabei wichtiger als Ergebnis und Leistung (vgl. Coulmas 2003, S. 71ff.). Im Vergleich dazu steht in westlichen Kulturkreisen Leistungs- und Ergebnisorientierung (z. B. bei Sportwettkämpfen) oft im Vordergrund.

Darüber hinaus haben die Lehren des Konfuzius die Geschichte Ostasiens maß- geblich beeinflusst (vgl. Coulmas 2003, S. 130). Seine Lehren kamen 285 u. Z. durch koreanische Gelehrte nach Japan. Aus politischen Wirren, Rechtlosigkeit und Krieg zu seiner Lebzeit entwickelte Konfuzius die „Philosophie von gerechten und harmo- nischen sozialen Beziehungen“, um Harmonie, Frieden und soziale Ordnung in der Gesellschaft herzustellen (vgl. Coulmas 2003, S. 130) und somit das „Gesicht zu wahren“ (vgl. Hofstede/Hofstede 2004, S. 291). Seine Lehren beschreiben weiterhin Verpflichtungen aus hierarchischen Beziehungen zwischen Menschen, indem der Jüngere Schutz und Fürsorge erhält, dagegen Respekt, Dankbarkeit, Loyalität und Gehorsam dem Älteren schuldet (vgl. Hofstede/Hofstede 2004, S. 290f.; Hendry 2003, S. 138). Darüber hinaus gelten Anstand und Höflichkeit als soziale Pflichten, welche der Mensch durch Bildung und Pflichtbewusstsein gewinnt (vgl. Hof- stede/Hofstede 2004, S. 291; Wienges 2004, S. 80). Abb. 4 stellt die japanischen Werte zusammenfassend dar.

Abb. 4: Überblick über Werte der drei Weltanschauungen Japans

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Arbeitsmoral und Bildungsniveau in Japan verkörpern noch heute diese Normen und Ideale (vgl. Wienges 2004, S. 80f.; Coulmas 2003, S. 133). Während Schubert (2006, S. 188ff.) von einem „Musterbeispiel einer Bildungsganggesellschaft“ spricht, verweist Hamm (1992, S. 135) auf ein hohes allgemeines Bildungsniveau mit über 90% Oberschulabsolventen. Im internationalen Vergleich der PISA-Studie von 2003, belegte Japan folglich Platz vier hinter Finnland, Korea und den Niederlanden sowie in der aktuellen PISA-Studie von 2006 immerhin noch Rang acht (vgl. OECD 2007b; OECD 2007c). Dies unterstützte letztlich die enormen wirtschaftlichen und techno- logischen Entwicklungen der letzten 50 Jahre (vgl. Hamm 1992, S. 88) bis hin zum Aufstieg Japans zu einer bedeutenden Wirtschaftsmacht (vgl. Coulmas 2003, S. 179).

2.3 Ländervergleich anhand von Kulturdimensionen

Um Kultur anhand von Indikatoren beurteilen zu können, entwickeln verschiedene Kulturforscher so genannte Kulturdimensionen. Hofstede (1983) bildete faktoranaly- tisch aus 116.000 Fragebögen zunächst vier Kulturdimensionen, später ergänzt durch eine weitere (vgl. Hofstede/Hofstede 2006; Hofstede 2001). House et al. (2004) ar- beiteten im Rahmen der GLOBE-Studie die bestehende Literatur umfassend auf und konnten durch eine detailliertere Operationalisierung nunmehr neun Dimensionen darstellen, die zum Teil auf Hofstedes ursprünglichem Konzept basieren.

Auch in verschiedenen anderen Punkten erscheint die GLOBE-Studie differenzier- ter. Im Gegensatz zu Hofstede (2006) betrachten House et al. (2004) nicht nur unter- nehmensbezogene, sondern auch gesellschaftliche Werte und unterscheiden darüber hinaus zwischen Idealwerten („Values“) und tatsächlich praktizierten Werten („Prac- tices“). Für eine Untersuchung des realen Beschwerdeverhaltens erscheinen in die- sem Fall die „Practices“ sinnvoll. Nicht zuletzt präzisieren sie die Ausprägungen der deutschen Kultur in neue und alte Bundesländer und weisen so kulturelle Unter- schiede in Ost- und Westdeutschland nach. Inglehart et al. (2004, S. 16) erklären dies durch die Trennung beider Länder nach dem zweiten Weltkrieg und die unterschied- lich wirkenden Einflüsse der Besetzungs-Regimes. Anzumerken ist dabei, dass die deutsche Stichprobe dieser Arbeit aus dem Raum Sachsen stammt.

Vor dem Hintergrund des Wertewandels (vgl. Schödel 2005, S. 19; Inglehart et al. 2004, S. 393) weist die GLOBE-Studie mit aktuelleren Erhebungen (1994-1997) einen weiteren Vorteil gegenüber Hofstedes Datengrundlage (1968-1972) auf (vgl. Voronov/Singer 2002, S. 462). Inglehart et al. (2004, S. 393) sprechen zwar von einem allmählichen Wandel über einen Zeitraum von 50 bis 100 Jahren, weisen aber darauf hin, dass sich gewisse Werte (wie z. B. Geschlechtergleichheit) schneller ändern können als andere.

Störeffekte ergeben sich auch durch Selbsteinschätzungen der IBM-Angestellten in Hofstedes Studie. Self-Biases und eine starke Unternehmenskultur könnten dabei kulturelle Werte überlagern und verzerren (vgl. Schödel 2005, S. 31; Voronov/Singer 2002, S. 466). Diese Probleme wurden in der GLOBE-Studie kontrolliert, indem 17.000 Manager aus 951 Organisationen ihre Kultur bewerten sollten (vgl. House/Javidan 2004, S. 22).

Aus diesen Gründen dient in der vorliegenden Arbeit die GLOBE-Studie zur kulturellen Abgrenzung japanischer und deutscher Konsumenten bzgl. des Beschwerdeverhaltens. Dabei ergeben sich in fünf Dimensionen signifikante Unterschiede zwischen diesen beiden Ländern (vgl. Abb. 5), welche nun in den folgenden Unterkapiteln näher untersucht werden sollen.

Abb. 5: Kulturprofile für Deutschland und Japan nach House et al. (2004)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

An dieser Stelle sei noch auf prinzipielle Probleme von Kulturstudien hingewiesen. Kulturstudien verwenden häufig Nation als Proxyvariable für Kultur, obwohl Kul- turen über Ländergrenzen hinweg greifen oder selbst verschiedene Regionen inner- halb eines Landes sich kulturell voneinander unterscheiden, z. B. Norddeutschland und Bayern (vgl. Schödel 2005, S. 31; Müller/Gelbrich 2004, S. 60). So stellten House et al. (2004) und Inglehart et al. (2004) Wertdifferenzen zwischen Ost- und Westdeutschen aufgrund der 40jährigen Trennung nach dem Zweiten Weltkrieg fest, welche sich jedoch laut Inglehart et al. (2004, S. 15f.) allmählich reduzieren. Letztere argumentieren darüber hinaus, dass Nationen als wichtige Quelle für gemeinsame landesspezifische Einstellungen, Werte und Verhaltensweisen gelten, da sie trotz der ereignisreichen historischen Entwicklungen (v. a. in Europa) mehr oder weniger er- halten geblieben sind.

Des Weiteren geben die Art von Kulturstudien sowie die folgenden Ausführungen lediglich aggregierte, durchschnittliche und somit tendenzielle Wertorientierungen und Auffassungen von Individuen einer Gesellschaft wieder. Müller/Gelbrich (2004, S. 70) verweisen in diesem Zusammenhang auf die subjektive Kultur eines Individuums, denn auch in kollektivistischen Kulturen wie Japan leben Menschen mit eher individualistischen Ansichten und Bedürfnissen und umgekehrt.

Zudem spricht Merkin (2006, S. 214) einen wichtigen Fakt an: Kulturdimensionen sind nicht unabhängig voneinander und überschneiden sich teilweise. Daher sollten sie im Zusammenhang zueinander und im Rahmen anderer Einflüsse (wie z. B. Natur, Religion und Wirtschaft) betrachtet werden, um typische Verhaltensweisen einer Gesellschaft herauszustellen und von anderen Gruppen abzugrenzen (vgl. Huang et al. 1996, S. 241). Eine solche Abgrenzung soll in den folgenden Kapiteln am Beispiel von Japan und Deutschland erfolgen.

2.3.1 Kollektivismus-Individualismus

Die Individualismus/Kollektivismus-Dimension ist ein Schwerpunkt der Kulturfor- schung (vgl. z. B. House et al. 2004, Hofstede 2001, Triandis 1994) und beschreibt, ob Mitglieder einer Gesellschaft eher Individualität oder Integration in die Gruppe wertschätzen (vgl. Wienges 2004, S. 67). In der GLOBE-Studie ergab eine Faktoren- analyse zwei Dimensionen des Kollektivismus (vgl. House/Javidan 2004, S. 13). Der „Institutionelle Kollektivismus“ reflektiert dabei den Grad, zu dem eine Gesell- schaft gemeinsames Handeln und Teilen von Ressourcen fördert oder belohnt. Die Befunde der GLOBE-Studie zeigen maximale Werte für Japan, während Deutsch- land (Ost und West) eher unter dem Durchschnitt aller Kulturen liegt (vgl. Abb. 5, S. 9). Coulmas (2003, S. 192) bestätigt, dass Teamarbeit, Großraumbüros und teambezogene Entscheidungen in Japan weit verbreitet und angesehen sind.

Den Ergebnissen zum „Intra-Gruppen Kollektivismus“ zufolge legen Japaner und Ostdeutsche im Vergleich zu Westdeutschen signifikant mehr Wert auf Zusammen- halt, Stolz und Loyalität gegenüber ihrer Familie und/oder ihrem Unternehmen. Zu „In-Groups“ zählen in kollektivistischen Gesellschaften Verwandtschaft, Freunde und anderen Personen, die im Zusammenhang mit dem eigenen Wohlergehen stehen sowie gemeinsame Werte, Einstellungen und Glauben teilen (vgl. Coulmas 2003, S. 31; Watkins/Liu 1996, S. 76). Im Folgenden wird jedoch zur Vereinfachung der Ausführungen lediglich Kollektivismus im Vergleich zu Individualismus betrachtet, da bislang keine weiterführenden Studien diese Dimensionen unterscheiden und somit eine trennscharfe Unterteilung erschweren.

Relationale Kultur: Kollektivismus und Selbstkonzept

Verschiedene Autoren assoziieren diese Dimension mit dem Selbstkonzept (vgl. Kusune 2006, S. 3; Mattila/Patterson 2004, S. 197ff.; Wienges 2004, S. 67; Wat- kins/Liu 1996, S. 72f.; Markus/Kitayama 1991, S. 224). Das „Selbst“ eines Indivi- duums setzt sich aus allen subjektiv wahrgenommenen kognitiven und emotionalen Eindrücken sowie Selbstbeurteilungen zusammen und kann daher als Einstellung gegenüber sich selbst definiert werden (vgl. Mummendey 2006, S. 25 u. S. 38f.). Mummendey (2006, S. 38f. u. S. 69f.) unterscheidet dabei zwischen dem Selbstkon- zept als kognitive Komponente des „Selbst“ und dem Selbstwertgefühl als affektiven Bestandteil.

Laut Mummendey (2006, S. 204) und Markus/Kitayama (1991, S. 224f.) besitzen Menschen in individualistischen Kulturen ein eher „unabhängiges“ Selbstkonzept. Diese Kulturen zeichnen sich demnach durch lose Bindungen zu Anderen aus und fordern Selbstständigkeit und Autonomie von ihren Mitgliedern (vgl. Wienges 2004, S. 67f.; Watkins/Liu 1996, S. 72f.). Darüber hinaus wird das Selbst durch Selbst- verwirklichung (vgl. Müller/Gelbrich 2004, S. 301) und selbstwertdienliche Motive wie Erfolg begründet (vgl. Chelminski/Coulter 2007, S. 96). Individualisten stellen daher persönliche Ziele in den Vordergrund und setzen sich gezielt für diese ein. Meinungen und Kritik Anderer gelten hingegen als nützlich zur Reflexion des Selbst, weshalb eine offene Meinungsäußerung bzw. der Umgang mit Konflikten als Tu- genden geschätzt werden (vgl. Hofstede/Hofstede 2006, S. 116; Markus/Kitayama 1991, S. 246). Mitmenschen dienen daher eher der Selbstbeurteilung und dem Vergleich, um sich so bspw. von Anderen abzugrenzen und das Selbstbewusstsein zu stärken (vgl. Oetzel et al. 2001, S. 239; Markus/Kitayama 1991, S. 246).

Im Gegensatz dazu besitzen Menschen in kollektivistischen Gesellschaften oftmals eine soziale Identität, d.h. ein „abhängiges“ Selbstkonzept. Der Einzelne bildet sein Selbstbild durch Beziehungen zu relevanten Gruppenmitgliedern, geprägt durch buddhistische Tugenden, wie Selbstkontrolle und Selbstdisziplin (vgl. Mummendey 2006, S. 197; Mattila/Patterson 2004, S. 199ff.; Markus/Kitayama 1991, S. 225 u. S. 245ff.). Er sieht sich demzufolge eher als Teil seiner sozialen Umgebung und ist ständig auf seinen umgebenden Kontext fokussiert. Zudem zeichnen sich kollekti- vistische Gesellschaften durch starke, verbundene Gruppen aus, die dem Einzelnen Schutz und Unterstützung bieten. Im Gegenzug schuldet dieser der Gruppe Loyalität, Respekt, Höflichkeit und Disziplin (vgl. Hofstede/Hofstede 2006, S. 117; Wienges 2004, S. 80). Durch diese Abhängigkeitsbeziehung stehen Gruppenziele vor den indi- viduellen Bedürfnissen der Gruppenmitglieder (vgl. Jabs 2005, S. 355; Oetzel et al. 2001, S. 239; Watkins/Liu 1996, S. 75). Zudem beeinflussen konfuzianische Werte die Verhaltensweisen im Umgang mit Anderen (vgl. Kap. 2.2, S. 4ff.): Somit streben Kollektivisten danach, Harmonie innerhalb der Gruppe zu wahren („wa“), ver- trauensvolle, großzügige und langfristige Beziehungen aufzubauen („amae“) und Konflikte, Konfrontationen und das damit verbundene Risiko des Gruppenaus- schlusses zu vermeiden (vgl. Hofstede/Hofstede 2006, S. 116; Watkins/Liu 1996, S. 76f.; Markus/Kitayama 1991, S. 246).

Die Bedeutung zwischenmenschlicher Beziehungen wird laut Coulmas (2003, S. 179) v. a. im Schulsystem Japans deutlich. Gruppenverantwortung, Kooperation und Zu- sammenhalt spielen eine große Rolle, so dass die Klassenstruktur trotz schlechter Leistungen einzelner Schüler nur selten geändert wird (vgl. Coulmas 2003, S. 179f.; Hendry 2003, S. 101). Zusätzlich stärken einheitliche Schuluniformen, Schullieder und Veranstaltungen das Zusammengehörigkeitsgefühl (vgl. Coulmas 2003, S. 180).

Zusammenhang zwischen „ Gesicht wahren “ und Konfliktverhalten

Laut „Facework“-Theorie spielt Harmonie in zwischenmenschlichen Beziehungen beim Konzept des „Gesicht wahrens“ eine große Rolle: Letzteres beschreibt dem- nach das Streben, sowohl das eigene öffentliche Ansehen als auch das Ansehen des Anderen zu wahren sowie die wechselseitigen Verantwortungen und Verpflich- tungen zu schätzen (z. B. Lerman 2006, S. 93; Jabs 2005, S. 355; Oetzel et al. 2001, S. 238). Indem Menschen Gesicht wahren bzw. Gesicht geben, werden unangenehme Situationen vermieden und Beziehungen gepflegt. Wenn ein Individuum hingegen bestehende soziale Normen der Gesellschaft missachtet, kann er sein „Gesicht ver- lieren“ (vgl. Wienges 2004, S. 75). Studien von Jabs (2005), Oetzel/Ting-Toomey (2003) und Oetzel et al. (2001) beweisen, dass Kulturen dieses Konzept unterschied- lich interpretieren. Kollektivistische Kulturen wie Japan neigen demnach dazu, das Gesicht anderer Personen zu wahren, während individualistische Kulturen eher be- strebt sind, das eigene Selbst zu schützen (vgl. Jabs 2005, S. 356; Oetzel/Ting- Toomey 2003, S. 604). Auch hier lassen sich Parallelen zum Selbstkonzept erkennen.

Als Erweiterung der „Facework“-Theorie besagt die „Face Negotiation“-Theorie von Ting-Toomey (1985), dass die kulturell bedingte Auffassung von „Gesicht wah- ren“ maßgeblich das Kommunikations- und Konfliktverhalten beeinflusst (vgl. Oetzel/Ting-Toomey 2003, S. 600). Demnach neigen Menschen in kollektivistischen Gesellschaften wie Japan dazu, Konfrontationen und Konflikte zu vermeiden. Indivi- dualisten zeigen hingegen ein vergleichsweise dominantes und aggressives Konflikt- verhalten, um ihr positives Selbstbild zu schützen (vgl. Oetzel et al. 2001, S. 252). Oetzel et al. (2001, S. 253) stellten zudem fest, dass Deutsche zu direkter, eindeu- tiger, unverblümter und konfrontativer Kommunikation neigen und sich in Ausein- andersetzungen häufiger verteidigen. Indes tendieren Japaner dazu, sich signifikant häufiger für Fehler zu entschuldigen und Konflikte zu vermeiden, indem sie ein- lenken und eine positive Stimmung vortäuschen. Hofstede/Hofstede (2006, S. 116) erklären, dass in kollektivistisch geprägten Nationen direkte Konfrontationen als unhöflich und unerwünscht gelten. Dies bestätigt ein von der Robert Bosch GmbH erstelltes Kulturprofil über Japan: Es weist Auslandsentsandte explizit darauf hin, dass Sach- und Beziehungsebene in Japan nur schwer trennbar sind, weshalb Kritik und Beschwerden als persönliche Beleidigung aufgefasst werden und der Ansprech- partner so sein Gesicht verlieren könnte (vgl. Robert Bosch GmbH 2005a, S. 15).

Höflichkeit ist laut „Politeness“-Theorie von Brown/Levinson (1987) eine weitere verbale Art, das Gesicht des Anderen zu wahren (vgl. Lerman 2006, S. 93). Coulmas (2003, S. 77) sowie auch Erfahrungen der Autorin bestätigen, dass Japan als eine sehr höfliche Kultur gilt, was sich nicht zuletzt in der komplexen japanischen Sprachstruktur aus verschiedenen Respekt- und Höflichkeits- sowie Bescheidenheits- stufen wieder erkennen lässt. Lerman (2006, S. 96ff.) deckte sogar in zwei Studien einen signifikant negativen Zusammenhang zwischen Höflichkeit und Beschwerde- verhalten auf.

Hamm (1992, S. 79ff.) argumentiert darüber hinaus, dass Konfliktpotenzial und Unzufriedenheit in Japan nicht aufgrund eines freiwilligen Konsens geringer sind, sondern vielmehr durch soziale Normen in Form eines Konsenszwangs unterdrückt werden. Unzufriedenheit bzw. eine ehrliche Meinung („honne“) wird zwar im privaten Bereich ausgedrückt, gegenüber sozialen Kontakten wird jedoch das sozial erwünschte Verhalten gezeigt („tatemae“) (vgl. auch Schödel 2005, S. 101f.; Hall/Hall 1985, S. 87). Auseinandersetzungen laufen also eher unterschwellig ab. Weiterhin unterstellt Hamm (1992, S. 79ff.), dass der „stumme Konflikt“ historisch- politisch aus Angst vor negativen Sanktionen erwachsen sei, denn offene Konflikte bedeuteten oft Nachteile wie Ausschluss aus der Gruppe und damit weniger Hilfe in Notsituationen. Demnach verhalten sich Japaner aus ihrem Bedürfnis nach Zuge- hörigkeit heraus konform zu sozialen Normen, um sich in eine Gruppe zu integrieren (vgl. Hall/Hall 1985, S. 107f.). Das japanische Sprichwort „ein herausragender Nagel muss eingeschlagen werden“ verdeutlicht dieses Konsens- und Integrationsbedürf- nis, denn laut Herbig/Palumbo (1994, S. 12) ist Andersartigkeit nicht erwünscht und sollte daher vermieden werden.

Oetzel/Ting-Toomey (2003, S. 608ff.) konnten die beschriebenen Wechselwirkungen zwischen Kultur (anhand der Dimension Kollektivismus), Selbstkonzept, „Gesicht wahren“ und Konfliktverhalten regressionsanalytisch nachweisen (vgl. Abb. 6).

Abb. 6: Einfluss von Kultur auf Selbstkonzept und Konfliktverhalten

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: in Anlehnung an Oetzel/Ting-Toomey (2003, S. 611); Liu et al. (1997, S. 92ff.).

Das Konzept des „Gesicht wahrens“ gilt dabei offensichtlich als guter Prädiktor für den Konfliktstil: „Self Face“ konnte die gesamte Varianz von dominantem Konflikt- verhalten abbilden (das gesamte Modell erklärte 19%) und „Other Face“ 70% der Varianz des integrierenden Konfliktstils (das gesamte Modell begründete 20%). Nur für vermeidendes Konfliktverhalten konnte das Konzept des „Gesicht wahrens“ nur 38% der Varianz erklären (21% das gesamte Modell) (vgl. Oetzel/Ting-Toomey 2003, S. 612f.). Dieses geringe Bestimmtheitsmaß und ferner ein nicht signifikanter Zusammenhang zwischen Kollektivismus und abhängigem Selbst lassen sich mög- licherweise auf kulturspezifische Auffassungen bestimmter Konstrukte zurückführen.

Häufig werden in westlichen Ländern entwickelte Konzepte auf östliche Kultur- räume angewendet, ohne deren Validität für diese Kulturkreise zu prüfen (vgl. Müller/Gelbrich 2004, S. 225). Solch ein Vorgehen nennt Triandis (1994, S. 69)

pseudo-etisch.

Kollektivismus und Kommunikationsstil

Ferner untersuchten andere Autoren den Zusammenhang zwischen Kultur und Kommunikationsstil (vgl. z. B. Trompenaars 1993; Hall/Hall 1990; Hall/Hall 1985). Da kollektivistische Gesellschaften in einem höheren Maße ihr Umfeld beachten, werden sie oft als „high context“-Kulturen bezeichnet (vgl. Triandis/Gelfand 1998, S. 122; Triandis 1994, S. 184; Hall/Hall 1990, S. 6f.). Schödel (2005, S. 101) erklärt, dass Individuen dieser Kulturen ihr Verhalten (bspw. ihre Kommunikation) je nach Situation und Kontext an eine bestimmte angemessene Rolle anpassen. Sehr hohe Werte der Dimension „high context“ bestätigen, dass Japaner somit eher vage, über- legt und implizit kommunizieren, um unbestimmten Rollenverhältnissen zwischen Personen ausweichen zu können (vgl. Coulmas 2003, S. 193; Hall/Hall 1990, S. 6f.). Individualistische Kulturen, insb. Deutsche, werden dagegen eher als kontextun- abhängig bezeichnet („low context“-Kultur), welche Informationen vorrangig aus dem Kommunikationsinhalt entnehmen. Diese kommunizieren daher detaillierter und direkter (vgl. Jabs 2005, S. 357; Hall/Hall 1990, S. 9 u. S. 49f.).

Hall/Hall (1985, S. 114f.) sprechen überdies weitere Besonderheiten der japani- schen Kommunikation an: Japaner sind darauf bedacht, stets überlegt und weise zu handeln (vgl. Kap. 2.2, S. 4ff.), weshalb sie während eines Gesprächs durchaus eine längere Zeit schweigen. Zudem zeigen sie ihre Gefühle nicht offen, um so ihr äuße- res Bild („tatemae“) an sozial erwünschte Normen anzupassen und Konsens herzu- stellen (vgl. Hamm 1992; Hall/Hall 1985, S. 153). Ähnliches stellte auch Trompe- naars (1993, S. 95ff.) fest: Japaner reagieren demnach auffällig neutral, zeigen also selten ihre Gefühle nach außen, im Vergleich zu anderen Nationen. So würden bspw. 83% der Japaner ihren Ärger aufgrund von störendem Verhalten von Kollegen nicht äußern. Die japanischen Sprichwörter „Nur ein toter Fisch hat einen offenen Mund“ und „Wer weiß, spricht nicht. Wer spricht, weiß nicht.“ verdeutlichen diese Werthaltung.

Kollektivismus, Wohlstand und Wertewandel

Verschiedene Autoren unterstellen einen Wandel hin zu individualistischen Werten durch zunehmende wirtschaftliche Entwicklungen eines Landes. So fanden Hof- stede/Hofstede (2006, S. 150ff.) und Triandis (1994, S. 165) einen signifikant posi- tiven Zusammenhang zwischen Wohlstand und Individualismus. Sie begründen, dass erst finanzielle und materielle Absicherungen zu sozialer Unabhängigkeit führen und somit eine individualistische Lebensweise ermöglichen. Auch Inglehart et al. (2004, S. 6) sprechen von Wechselwirkungen zwischen Wirtschaft, Politik und Kultur.

Verschiedene Kulturforscher und auch Beobachtungen der Autorin bestätigen, dass sich durch den rasanten Wirtschaftsaufschwung in Japan seit den fünfziger Jahren tatsächlich Werte leicht verschieben, v. a. in der jüngeren konsumorientierten Ge- sellschaft (vgl. Hofstede/Hofstede 2006, S. 154; Schödel 2005, S. 19; Möhwald 1996, S. 171). Möhwald (1996, S. 171ff.) beweist, dass Japaner individualistische Werte (z. B. Selbstentfaltung) vermehrt wertschätzen: Während 1930 14% der Befragten individualistische Werthaltungen äußerten, waren es 1995 bereits 66%. Dies könnte ein möglicher Grund dafür sein, dass verschiedene Studien Japan eher als individua- listisch einstufen (vgl. Voronov/Singer 2002, S. 464). Ein weiterer Grund könnte in der unterschiedlichen Auffassung von Kollektivismus liegen, denn wie House et al. (2004) zeigen, lassen sich zwei verschiedene Dimensionen unterscheiden: Während bei „Intra-Gruppen Kollektivismus“ Japan unter dem Durchschnitt liegt, was dem- nach andere Befunde über individualistischere Werthaltungen in Japan stützen könnte, weist diese Nation bei „Institutionellem Kollektivismus“ sehr hohe Werte auf. Letzteres wiederum unterstützt eine Feststellung Möhwalds (1996, S. 171ff.), dass trotz zunehmender individualistischerer Werte traditionelle Familienwerte (z. B. Gruppenorientierung) nicht an Bedeutung verlieren.

Verschiedene Autoren beobachteten dabei insb. bei der Bevölkerung in Städten (vgl. Schödel 2005, S. 90; Coulmas 2003, S. 31; Watkins/Liu 1996, S. 79f.), bei gebilde- ten Menschen (vgl. Voronov/Singer 2002, S. 466ff.) und jüngeren Altersgruppen (vgl. Möhwald 1996, S. 175) veränderte Werte. Dies lässt sich möglicherweise mit einer gewissen Offenheit dieser Gruppen begründen. Denn laut Kusune (2006, S. 5) und Ger/Belk (1996, S. 56) geben Entwicklungen in Kommunikationstechnologien sowie Transportwesen, aber auch zunehmende Einflüsse westlicher Kulturen (Me- dien, Filmindustrie, Literatur, Reisen) zusätzliche Impulse für einen Wertewandel. Ferner können kritische Ereignisse wie Kriege oder Wirtschaftskrisen diesen Wandel beschleunigen (vgl. Inglehart et al. 2004, S. 6). Da eine der Stichproben der vorlie- genden Arbeit aus dem Großraum Tokio stammt, gelten diese Erkenntnisse als wichtiger Anhaltspunkt für die Analysen in Kap. 4 (S. 42ff.).

2.3.2 Unsicherheitsvermeidung

Unsicherheitsvermeidung beschreiben House/Javidan (2004, S. 11f.) als „Ausmaß, zu dem Mitglieder einer Organisation oder Gesellschaft danach streben, Ungewiss- heit durch Vertrauen auf soziale Normen, Rituale und bürokratische Praktiken zu vermeiden, um die Unvorhersehbarkeit von zukünftigen Ereignissen zu verrin- gern“ (vgl. House et al. 1999, S. 192). Auch Hofstede/Hofstede (2006, S. 230) sehen die Entwicklungen von Technik, Recht und Religion als Möglichkeiten einer Gesell- schaft, mit Unsicherheiten bzgl. ihrer Zukunft umzugehen, da sie das Zusammen- leben regeln und strukturieren. Diese Gesetze und Normen geben nicht nur Ver- haltenssicherheit, sondern lassen auch Ereignisse besser vorhersagen und steuern (vgl. Merkin 2006, S. 216; Schödel 2005, S. 22; Wienges 2004, S. 69).

Trotz Hofstedes ähnlicher Definition dieses Konstruktes weichen seine Ergebnisse von denen der GLOBE-Studie ab. Während nach House et al. (2004, S. 622) Deut- sche signifikant stärker Unsicherheit vermeiden als Japaner, liegt genau der umge- kehrte Fall bei den Befunden von Hofstede/Hofstede (2006, S. 234) vor (vgl. Abb. 22, S. XVIII). Dies kann an der unterschiedlichen Operationalisierung des Konstruktes liegen, denn Hofstede/Hofstede (2006, S. 232f.) benutzten lediglich Items, die sich auf Arbeitssituationen beziehen. Weitere Kulturstudien stützen dabei eher die Befunde der GLOBE-Studie. So ermittelte bspw. Merkin (2006, S. 219) anhand Hofstedes „Value Survey Module“-Skala (1994) abweichende Unsicherheitswerte in sechs Ländern (bspw. Japan) im Vergleich zu Hofstedes Messungen.

Darüber hinaus zeigt diese Studie einen Zusammenhang zum Kommunikationsstil auf: Unsicherheitsvermeidende Länder reagierten durch ein stärkeres Bedürfnis nach Klarheit signifikant aggressiver, um ihre Rechte durchzusetzen. Dabei tritt die Wah- rung des Gesichts und somit das Aufrechterhalten harmonischer Beziehungen in den Hintergrund (vgl. Merkin 2006, S. 220ff.). Auch Schödel (2005, S. 117), Hall/Hall (1990, S. 6f.) und Hall/Hall (1985, S. 84f.) bestätigen, dass „low context“-Länder und insb. Deutsche aufgrund ihres Bedürfnisses nach Klarheit bzw. Informationen detaillierte, direkte und ehrliche Kommunikation bevorzugen. Daher meiden sie tendenziell mehrdeutige Situationen, um so Angst, Unklarheit und Unsicherheit zu reduzieren (vgl. Merkin 2006, S. 216f.). Darüber hinaus bezeugt Schödel (2005, S. 101ff.), dass Deutsche präzise Gesetze und Regeln als sehr wichtig erachten und entsprechende Verstöße missbilligen, da sie zu konformem und ordnungsgemäßem Verhalten neigen (vgl. Chelminski/Coulter 2007, S. 96; Hall/Hall 1985, S. 107f.). Im Gegensatz dazu stehen in Japan Beziehungen stärker im Vordergrund, weshalb Japaner sich vorrangig konform bzgl. bestimmter Bezugsgruppen verhalten (vgl. Hall/Hall 1985, S. 108).

Hofstede (2001, S. 353f.) erklärt, dass vermutlich geographisch und geschichtlich entstandene Identitätskrisen, wie bspw. Kriege und daraus resultierende Verschieb- ungen der Landesgrenzen, die Unsicherheit der Deutschen begründet. Weitere wirt- schaftspolitische Gründe liefert eine Studie des sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr, welches jährlich das sicherheits- und verteidigungspolitische Mei- nungsbild in Deutschland erhebt. Das allgemeine Unsicherheitsempfinden unterliegt dabei laut Buhlmann (2005, S. 7) erheblichen Schwankungen (vgl. Abb. 7, S. 20): Jeder zweite bzw.

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Ende der Leseprobe aus 92 Seiten

Details

Titel
Beschwerdeverhalten im interkulturellen Vergleich: Eine empirische Analyse am Beispiel deutscher und japanischer Konsumenten
Hochschule
Technische Universität Dresden
Note
1
Autor
Jahr
2008
Seiten
92
Katalognummer
V186679
ISBN (eBook)
9783869435466
ISBN (Buch)
9783869433608
Dateigröße
978 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
beschwerdeverhalten, vergleich, eine, analyse, beispiel deutscher, konsumenten
Arbeit zitieren
Susanne Seifert (Autor:in), 2008, Beschwerdeverhalten im interkulturellen Vergleich: Eine empirische Analyse am Beispiel deutscher und japanischer Konsumenten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/186679

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