Friedrich Aminghaus, Protagonist in Botho Strauß` Roman Kongreß. Die Kette der
Demütigungen1, verliebt sich in eine geheimnisvolle Stimme, die plötzlich zwischen den
Zeilen seines Buches hervortritt und ihm später als Buchfee Hermetia erscheint.
Ein Text für Kinder, ein Märchen gar? [...] Über Drogenmißbrauch ist aus [Aminghaus´]
Unterlagen nichts bekannt, obgleich die Begegnung mit charmanten Plagegeistern und
Elfen derartigen Verdacht nahelegen würde. Säufer unterhalten sich auch gerne mit
weißen Mäusen.2
So spöttelt der Rezensent Ulrich Weinzierl in der FAZ3. Den erotischen Novellenkranz, der
den Kern des zweiten Romanteils bildet, (ver-)urteilt Weinzierl, sei nichts anderes als
„Etüden aus der Vorschule der Läufigkeit“ nach dem „Modell [eines] gewissen Donatien-
Alphonse Francois de Sade“4. In der Zeit dagegen vergleicht Andreas Kilb abwägend den
Kongreß mit französischen Klassikern des Obszönen, wie Bataille oder Klossowski und
stellt als Unterschied fest, „wieviel sanfter, aber auch genauer Strauß das Tableau der Ausschweifungen
malt. Seine Erotismen sind von metallischer Klarheit; kühl und heiß zugleich
...“5
Diese beiden Positionen aus der Strauß Rezension zum Kongreß spiegeln exemplarisch das
grelle Pro und Contra der Kritikerurteile wider und zeigen, wieviel Zündstoff dieser sexuell
sehr freizügige Text bietet. Aber wird uns denn tatsächlich nur vorgeführt, wie der Protagonist
Aminghaus Gefangener seiner eigenen Phantasie wird ?
Ziel vorliegender Arbeit ist es, zu untersuchen, ob sich in den erotischen Phantasien, die
hier vorgeführt werden, einfach nur die Geschichte eines am Leben scheiternden Menschen
zeigt, oder, ob der Text andere Interpretationsmöglichkeiten bietet. Dazu wird zunächst in
einem kurzen Kapitel der Aspekt, den Weinzierl wohl als den ‚märchenhaft phantastischen‘
bezeichnen würde, betrachtet. Es geht um den außergewöhnlichen Wahrnehmungszustand,
in dem sich der Protagonist befindet. Darauf werden zum einen die Frauengestalten
untersucht, zum anderen der erotische Erzählreigen, die ‚Kette der Demütigungen‘,
analysiert.
1 Strauß, Botho: Kongreß. Die Kette der Demütigungen. München: DTV 1993. (Alle Seitenangaben im
laufenden Text beziehen sich auf diese Ausgabe)
2 Weinzierl, Ulrich: Federnder Schaft. Botho Strauß als verruchte Courthes-Mahler. In: FAZ 10. Okt. 1989
Nr. 253. S. L13
3 Ebd.
4 Ebd.
5 Kilb, Andreas: Spleen und Ideal. Ein „Kongreß“, viele Fragmente: Neues von Botho Strauß. In: Die Zeit
06. Okt. 1989 Nr. 41 S. 73f.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Textuelle Befangenheit oder Traum?
- 3. Erotik im Dienste des Erzählens
- 3.1 Die Frau als „Zwischen-Sphären-Geschöpf“
- 3.1.1 Die „Nicht-Leserin“
- 3.1.2 Die „Raucherin“
- 3.1.3 Ria
- 3.1.5 Hermetia, ein weibliches Hermes
- 3.2 'Die Kette der Demütigungen'
- 3.2.1 Was ist die Kette der Demütigungen?
- 3.2.1.1 Die 'Kette der Demütigungen' eine Lebensphilosophie
- 3.2.1.2 Die 'Kette der Demütigungen' ein Erzählprogramm
- 3.2.2 Struktur des Novellenkranzes
- 3.2.3 Der Novellenkranz als Indiz für eine geschädigte Psyche Aminghaus`?
- 3.2.1 Was ist die Kette der Demütigungen?
- 3.1 Die Frau als „Zwischen-Sphären-Geschöpf“
- 4. Zusammenfassung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht Botho Strauß' Roman "Kongreß. Die Kette der Demütigungen" und die Frage, ob die erotischen Phantasien des Protagonisten Friedrich Aminghaus lediglich die Geschichte eines gescheiterten Lebens darstellen oder weitere Interpretationsmöglichkeiten bieten. Die Analyse fokussiert auf die Darstellung von Aminghaus' Wahrnehmungszustand, die weiblichen Figuren und den erotischen Novellenkranz als zentrales Element.
- Die Ambivalenz zwischen Traum und Realität in Aminghaus' Wahrnehmung
- Die Rolle der Frauenfiguren im Kontext der erotischen Phantasien
- Die Interpretation des "Novellenkranzes" als Ausdruck von Aminghaus' Psyche
- Die verschiedenen kritischen Rezeptionen des Romans
- Die Funktion der Erotik in der Erzählung
Zusammenfassung der Kapitel
1. Einleitung: Die Einleitung stellt die gegensätzlichen Kritiken zu Botho Strauß' Roman "Kongreß. Die Kette der Demütigungen" vor, die das Werk als sowohl "Etüden aus der Vorschule der Läufigkeit" (Weinzierl) als auch als "sanfter[e], aber auch genauer[e]" Darstellung von Ausschweifungen (Kilb) bezeichnen. Die Arbeit untersucht, ob die erotischen Phantasien Aminghaus' lediglich seine gescheiterte Existenz reflektieren oder alternative Lesarten zulassen. Der Fokus liegt auf der Analyse von Aminghaus' Wahrnehmungszustand, der Darstellung der Frauenfiguren und dem erotischen Novellenkranz.
2. Textuelle Befangenheit oder Traum?: Dieses Kapitel untersucht Aminghaus' außergewöhnlichen Wahrnehmungszustand. Es wird die These von Gawlowska diskutiert, die von einer "textuellen Befangenheit" als Symptom einer psychischen Störung spricht. Alternativ wird die Hypothese einer Traumsequenz präsentiert, begründet durch Aminghaus' Erschöpfung und Übermüdung beim Lesen. Der Übergang zwischen Realität und Fiktion, die Vermischung von realen Erfahrungen (Kindheitserinnerungen, frühere Beziehungen, Kongreßteilnahme) mit fiktionalen, traumartigen erotischen Phantasien, wird als zentrales Thema beleuchtet. Die Ambivalenz der Interpretation wird betont, da sowohl die psychopathologische als auch die Traumdeutung plausible Erklärungen liefern.
Schlüsselwörter
Botho Strauß, Kongreß, Die Kette der Demütigungen, Friedrich Aminghaus, Erotik, Traum, Realität, Wahrnehmung, Novellenkranz, psychische Störung, Textuelle Befangenheit, Frauenfiguren, Literaturkritik.
Häufig gestellte Fragen zu Botho Strauß' "Kongreß. Die Kette der Demütigungen"
Was ist der Gegenstand dieser wissenschaftlichen Arbeit?
Die Arbeit analysiert Botho Strauß' Roman "Kongreß. Die Kette der Demütigungen" und untersucht die Frage, ob die erotischen Phantasien des Protagonisten Friedrich Aminghaus lediglich seine gescheiterte Existenz widerspiegeln oder alternative Interpretationen zulassen. Der Fokus liegt dabei auf Aminghaus' Wahrnehmungszustand, den weiblichen Figuren und dem zentralen Element des erotischen Novellenkranzes.
Welche Themenschwerpunkte werden behandelt?
Die Analyse beleuchtet die Ambivalenz zwischen Traum und Realität in Aminghaus' Wahrnehmung, die Rolle der Frauenfiguren im Kontext der erotischen Phantasien, die Interpretation des "Novellenkranzes" als Ausdruck von Aminghaus' Psyche, verschiedene kritische Rezeptionen des Romans und die Funktion der Erotik in der Erzählung.
Wie ist die Arbeit strukturiert?
Die Arbeit gliedert sich in eine Einleitung, ein Kapitel zur Unterscheidung zwischen textueller Befangenheit und Traum, ein Kapitel zur Erotik im Roman mit Unterkapiteln zu den weiblichen Figuren und dem Novellenkranz, und eine Zusammenfassung. Der Inhaltsverzeichnis bietet einen detaillierten Überblick über die Kapitelstruktur.
Wie wird Aminghaus' Wahrnehmungszustand interpretiert?
Das Kapitel "Textuelle Befangenheit oder Traum?" diskutiert zwei gegensätzliche Interpretationen: Gawlowskas These von einer "textuellen Befangenheit" als Symptom einer psychischen Störung und die alternative Hypothese einer Traumsequenz aufgrund von Aminghaus' Erschöpfung und Übermüdung. Die Ambivalenz beider Deutungen wird hervorgehoben.
Welche Rolle spielen die Frauenfiguren im Roman?
Die weiblichen Figuren werden im Kontext der erotischen Phantasien Aminghaus' analysiert. Die Arbeit untersucht verschiedene weibliche Charaktere und deren Bedeutung für das Verständnis des Protagonisten und seiner Psyche. Konkrete Beispiele sind "Die Nicht-Leserin", "Die Raucherin", Ria und Hermetia.
Welche Bedeutung hat der "Novellenkranz"?
Der "Novellenkranz" wird als zentrales Element des Romans betrachtet und als Ausdruck von Aminghaus' Psyche interpretiert. Die Analyse untersucht dessen Struktur und Funktion im Kontext der gesamten Erzählung und fragt nach seiner Bedeutung für das Verständnis des Protagonisten und seiner geschädigten Psyche.
Welche gegensätzlichen Kritiken zum Roman werden vorgestellt?
Die Einleitung präsentiert konträre Kritiken, die den Roman einmal als "Etüden aus der Vorschule der Läufigkeit" (Weinzierl) und einmal als "sanfter[e], aber auch genauer[e]" Darstellung von Ausschweifungen (Kilb) beschreiben. Die Arbeit nutzt diese gegensätzlichen Bewertungen als Ausgangspunkt ihrer eigenen Analyse.
Welche Schlüsselwörter beschreiben die Arbeit am besten?
Schlüsselwörter sind: Botho Strauß, Kongreß, Die Kette der Demütigungen, Friedrich Aminghaus, Erotik, Traum, Realität, Wahrnehmung, Novellenkranz, psychische Störung, Textuelle Befangenheit, Frauenfiguren, Literaturkritik.
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- Andreas Weidmann (Autor:in), 2001, Die Geschichte einer gescheiterte Existenz? Aminghaus` erotischer Traum in Botho Strauß: Kongreß. Die Kette der Demütigungen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/18684