Teplitz-Schönau: Kur- und Industriestadt? Eine nordböhmische Kleinstadt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts


Seminararbeit, 2002

31 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhalt

1. Fragestellung der Arbeit

2. Benützte Quellen

3. Die Stadt Teplitz – Daten und Zahlen
3.1 Teplitz – die „uralte Thermenstadt“
3.2 Teplitz – die wachsende Industrie- und Schulstadt
3.3 Die Bewohner von Teplitz
3.4 Die Gemeindeverwaltung
3.5 Schönau, kleine Schwester und Konkurrentin
3.6 Zentrum oder Peripherie?

4. Der Anschluss an das Eisenbahnnetz 1858
4.1 Die „Cur-Commission“
4.2 Finanzierungsprobleme
4.3 Nicht offen ausgesprochene Motive
4.4 Die folgenden Jahre
4.5 Resümee

5. Die „Quellkatastrophe“ von 1879
5.1 Die Ereignisse
5.2 Der 16jährige Streit zwischen Quellen- und Bergwerksbesitzern
5.3 Verschiedene Interessen

6. Der Streit um das in Teplitz geplante „Sokolfest“ 1896
6.1 Die Verhinderung des Festes
6.2 Die einzelnen Positionen
6.3 Einige Ereignisse der folgenden Jahre

7. Zusammenfassung

Bibliographie

1. Fragestellung der Arbeit

In der Literatur über berühmte Badeorte wird Teplitz-Schönau meist in eine Reihe mit den anderen drei nordböhmischen Kurorten Karlsbad, Marienbad und Franzensbad gestellt.[1] Erst bei genauerem Lesen findet man kurze Bemerkungen darüber, dass Teplitz auch ein bedeuten-der Industrieort war. In dieser Arbeit möchte ich der Frage nachgehen, wie zwei so wider-sprüchliche Entwicklungen miteinander zu vereinbaren waren. Insbesondere geht es darum, wer die Entscheidungsträger waren, ob und wo Konfliktlinien auszumachen sind und wie die Zeitgenossen zu dieser Problematik standen.

Der erste Teil der Arbeit enthält einige allgemeine Angaben über die Entwicklung der Stadt. Im Anschluss daran möchte ich drei Zeitpunkte herausgreifen, die über die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts verteilt sind, und anhand ganz unterschiedlicher Ereignisse die Machtkon-stellationen – soweit es im Rahmen einer solchen Arbeit möglich ist – genauer analysieren. Beim ersten Zeitpunkt handelt es sich um den Anschluss von Teplitz an das Eisenbahnnetz (1858), eine Entwicklung, die besondere Bedeutung für die Industrialisierung der Stadt hatte. Die zweite Episode betrifft ein Ereignis, das die Existenz von Teplitz und Schönau als Kur-orte existentiell bedrohte: die sogenannte „Quellkatastrophe von Teplitz“ im Jahr 1879. Im letzten Teil geht es um einen nationalen Konflikt, den Streit um die Abhaltung eines tsche-chischen Turnerfestes in Teplitz-Schönau (1896).

2. Benützte Quellen

Die Auswahl der von mir benutzten Quellen war teilweise durch deren Zugänglichkeit be-stimmt. In der mir zur Verfügung stehenden Zeit war es nicht möglich, in lokalen Archiven (etwa in Teplitz selbst oder in der Landeshauptstadt Prag) nach Quellen zu suchen. Deshalb stütze ich mich hauptsächlich auf die Analyse von in Teplitz erschienenen Zeitungen. Darüber hinaus habe ich einige ältere lokalgeschichtliche Darstellungen benützt, ergänzt durch Stadt-führer aus unterschiedlichen Zeitperioden, durch Statistiken und verschiedene weitere Lite-ratur. Insgesamt ist zu sagen, dass die in Wien zugängliche Literatur über Teplitz sehr um-fangreich ist und reiches Material über Details bietet, dass mir aber bei Bearbeitung dieses Materials auch dessen Grenzen sehr deutlich spürbar wurden. Insbesondere erwies sich das Fehlen von Wählerlisten und ähnlichen lokalen, ungedruckten Quellen als gravierend, da ich über die Bevölkerung von Teplitz sehr wenig erfahren konnte.

Einige der wichtigsten von mir benützten Quellen bzw. Literaturwerke möchte ich hier kurz vorstellen:

Die Zeitungen der Stadt Teplitz verfolgen fast alle bis zum Beginn der 1890er Jahre eine weitgehend liberale Linie. Es handelt sich vor allem um den 1861 begründeten „Teplitz-Schönauer Anzeiger“, um das „Teplitzer Wochenblatt“, das nur im Jahr 1858 erschienen ist, und die Teplitz-Schönauer Nachrichten (1874 bis 1879 erschienen). Aus der im Jahr 1870 begründeten „Teplitzer Zeitung“ sind eher deutschnationale Ansichten durchzuspüren. In den 1890er Jahren wird die Palette vielfältiger: Neben dem prononciert liberalen „Illustrierten Teplitzer Volksblatt“, den schon länger bestehenden Zeitungen und dem „Teplitzer Bezirks-blatt“, das für den gesamten Bezirk bestimmt war, kommen nun auch für Teplitz und Umge-bung die ersten sozialdemokratischen Zeitungen wie „Die Freiheit“, „Die Neue Freiheit“, „Freiheit“[2] oder die „Volksstimme“ heraus. Um die Jahrhundertwende beginnen dann auch prononciert deutschnationale Zeitungen wie die „Deutsche Volkswacht“ zu erscheinen.

Unter der benützten Literatur sind vor allem zwei Werke von lokalhistorischer Bedeutung. Wegen ihrer – sehr unterschiedlichen, aber sehr ausgeprägten – Tendenz möchte ich sie hier kurz beschreiben:

Das Werk „Töplitz, eine deutschböhmische Stadtgeschichte“ aus dem Jahr 1886 stammt von einem Historiker, nämlich Hermann Hallwich (1838 – 1913). Bereits die Wahl des Titels zeigt die deutschnationale Ausrichtung des Autors.[3] Hallwich versuchte anhand einer früher ge-brauchten Parallelform des Stadtnamens nachzuweisen, dass der Name nicht aus dem Slawi-schen stammt – dem Wort „teplý“ (warm) verdanken viele Orten mit warmen Quellen ihren Namen – sondern sich von einem keltischen Wort für einen umschlossenen Raum ableitet. Diese sowohl sprachwissenschaftlich als auch historisch unhaltbare Behauptung wurde bereits kurz nach Hallwichs Tod im Jahr 1913 vom Direktor der Teplitzer Realschule anhand aus-führlicher Quellenstudien widerlegt.[4] Trotzdem blieb die Verwendung der Form „Töplitz“ bis in die Erste Tschechoslowakische Republik ein Kennzeichen des radikalen Deutschnationa-lismus. An zahlreichen weiteren Stellen von Hallwichs Buch finden sich ebenfalls eindeutige Beweise einer kämpferisch deutschnationalen Haltung, was den historischen Wert des Wer-kes, das an sich schon wegen seines Umfangs (ca. 470 Seiten) für die Stadtgeschichte von Teplitz äußerst interessant ist, stark herabsetzt. Außerdem ist im Zusammenhang dieser Arbeit zu beachten, dass Hallwich explizit die These verficht: „Es ist nicht wahr, dass curstädtische und specifisch industrielle Interessen sich mit einander nicht vertragen.“[5]

Das zweite für meine Arbeit wichtige Werk muss aus anderen Gründen mit Einschränkungen betrachtet werden. Eduard Johns Buch „Licht und Schatten, oder: Teplitzer Zeitereignisse seit dem Jahre 1848 in sozialer, politischer und communaler Beziehung“ (1865 in Teplitz erschie-nen) stammt von einem „Insider“ der Kommunalpolitik. Es ist nicht ganz so umfangreich wie Hallwichs Buch, umfasst aber doch auch fast 200 Seiten. Eduard John, aus einer alten Tep-litzer Bürgerfamilie stammend, war von Juni 1851 bis Dezember 1855, als er von seinem Amt zurücktreten musste, Bürgermeister von Teplitz. In seinem Werk – einer Art Mischung aus Chronik und Memoiren, in der er aber von sich selbst fast immer nur in der dritten Person spricht - rechnet er mit großer Bitterkeit mit seinen Teplitzer Zeitgenossen ab und stellt seine Tätigkeit als einen Kampf des Guten gegen das Böse dar. Möglicherweise wurde das Buch, das voller Anspielungen ist und sehr verschiedenartige Teile enthält, aus Eduard Johns Nach-lass zusammengestellt und unter seinem Namen herausgegeben.[6] Für mich war es unentbehr-lich wegen der akribischen Wiedergabe zahlreicher Wahlergebnisse in Teplitz, dem wörtli-chen Abdruck lokaler Kundmachungen und Ähnlichem.

Weiters bieten noch die Arbeiten von Paul Wanie, der Geschichtslehrer in Teplitz-Schönau war, gute Informationen. Das von ihm verfasste Heft „Die Badestadt Teplitz-Schönau im Spiegel ihrer Geschichte“, 1950 in Deutschland herausgekommen, weist leider den Nachteil auf, dass Wanie außer dem nach Deutschland geretteten Stadtbuch zu dieser Zeit keine ande-ren Quellen mehr zur Verfügung standen. Für manche Angaben war mir auch die 1903 her-ausgegebene, allerdings sehr kurze Schrift von Rudolf Knott eine Hilfe.

3. Die Stadt Teplitz – Daten und Zahlen

3.1 Teplitz – die „uralte Thermenstadt“

Zum besseren Verständnis möchte ich in diesen Abschnitt auch einige Angaben einbeziehen, die die Zeit vor 1850 betreffen.

Teplitz liegt in Nordböhmen, 334 km von Wien, 76 km von Prag, aber nur ca. 12 km von der sächsischen Grenze entfernt Im Mittelalter war Teplitz eine Klosterstadt. Nachdem das Bene-diktinerinnenkloster, zu dem es gehörte, in den Hussitenkriegen zerstört worden war, wech-selten die Adelsgeschlechter sehr rasch, bis die Stadt 1634 in den Besitz des Geschlechts der Clary-Aldringen kam. Das Stadtrecht dürfte Teplitz im 13. Jahrhundert erhalten haben. 1848 wurde Teplitz zur „freien Stadt“, doch behielt das Geschlecht der Clary weiterhin Einfluss auf das Geschehen. Sein Besitz im Teplitzer Gebiet dürfte beträchtlich gewesen sein: In einer aus dem Jahr 1792 stammenden Aufstellung von 50 Herrschaften und Gütern des Leitmeritzer Kreises nimmt der Teplitzer Besitz des Fürsten Clary mit einem Schätzwert von 1,279.000 Gulden den ersten Platz ein.[7]

Die heißen Quellen, die bei Erkrankungen des Bewegungsapparates, aber auch bei verschie-denen anderen Krankheiten gebraucht werden, dürften schon im Altertum bekannt gewesen sein, wie man aus Münzfunden schließt. Sicher ist, dass sich hier bereits in der frühen Neuzeit ein reges Badeleben entfaltet hatte.[8] Die Stadt selbst zählte aber – vor allem nach dem 30jäh-rigen Krieg, in dem die Bevölkerung von Teplitz große Verluste erlitten hatte – nur relativ wenig Einwohner. Um 1800 waren es ca. 2000.

Teplitz wurde bereits im 17. Jahrhundert – teilweise regelmäßig - von zahlreichen Gästen aus dem Hochadel besucht, insbesondere aus Sachsen und später aus Preußen.[9] Als Zeit des Hö-hepunkts des Badelebens wird jedoch meist die Herrschaft von Fürst Johann Nepomuk Clary (1787-1826) bezeichnet. Bedeutung für die Stadt hatten u. a. die häufigen Besuche des preußi-schen Königs Friedrich Wilhelm III., eines großen Förderers von Teplitz; seine Söhne schick-ten nach Friedrich Wilhelms Tod eine großzügige Spende für wohltätige Zwecke, aus der das Teplitzer „Friedrich-Wilhelm-Hospital für Dienstboten, Handwerksgesellen und arme Tep-litzer Bürger“ erbaut wurde. Die Napoleonischen Kriege brachten Teplitz eine zusätzliche Funktion: es wurde zum „Kriegerbad“, in dem Soldaten der verschiedenen Nationen ihre Kriegsverletzungen auskurieren sollten. Die erste Badeanstalt dieser Art war das in den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts gegründete sächsische Militärinstitut; es folgte 1803-1808 das k. k. österreichische Militärbadehaus und 1826 das preußische Militärinstitut.[10]

Teplitz wies alle Charakteristika und Rituale eines Kurortes auf wie z. B. Kurkonzerte, Kur-listen oder Kurtaxe, was hier leider nicht näher ausgeführt werden kann. Wenn man die Ein-teilung von Fuhs in aristokratische Kuranlagen und medizinische Badeorte zugrunde legt[11], so gehörte Teplitz von seiner Tradition her beiden Gruppen an. Ein Teil der Bäder und der Quel-len gehörte dem Fürsten Clary, der auch Gäste aus dem hohen Adel beherbergte, einen ande-ren Teil der Bäder und die ergiebigeren Quellen besaß die Stadt. Zahlreiche rein medizinisch ausgerichtete Führer zeigen, dass neben der gesellschaftlichen Funktion auch die medizini-sche weitergepflegt wurde. Es wäre sicher reizvoll, zu untersuchen, welche Beziehungen, Verflechtungen und vielleicht auch Konflikte sich aus diesem Doppelcharakter ergaben.

Das Vorhaben, eine Übersicht über die Entwicklung der Kurfrequenz in Teplitz zu erstellen, ließ sich leider ohne Einsicht in die Kurlisten nicht verwirklichen.[12] Um wenigstens eine ungefähre Einordnung der Größenverhältnisse des Kurbetriebs zu den verschiedenen Zeit-punkten zu ermöglichen, möchte ich einige Vergleiche anstellen. Vorausschicken möchte ich, dass die Kurfrequenz in Teplitz sehr starke Schwankungen infolge äußerer Ereignisse auf-wies: So brachten die Cholera 1831/32, das Revolutionsjahr 1848 und das Jahr der Schlacht von Königgrätz 1866 starke Einbrüche der Frequenz. Von der Quellkatastrophe des Jahres 1879 wird später noch die Rede sein.

Gegen Ende der 1830er Jahre hatte Teplitz noch mehr Kurgäste als Baden bei Wien (Teplitz 6431 Personen im Jahr 1835, Baden 5734 Personen im Jahr 1832). Gegen Ende des Jahrhun-derts hatte sich die Zahl in Baden vervierfacht (im Jahr 1900: 23.879 Personen), in Teplitz-Schönau war sie gegenüber den 1830er Jahren gesunken (5.287 Personen im Jahr 1897). Dabei hatte Teplitz in den Jahrzehnten dazwischen durchaus auch Steigerungen erlebt. Das Maximum soll im Jahr 1871 erreicht worden sein mit 9253 Personen in Teplitz plus 2305 Personen in Schönau (ohne die Soldaten im k. k. Militärbadehaus). Im Jahr 1897 war Teplitz-Schönau jedoch bereits von Bad Ischl (ca. 7000 Personen) und Vöslau (5.394 Personen) über-holt worden. Der relativ nahe Konkurrenz-Badeort Karlsbad wies mit seiner Kurfrequenz von 44.478 Personen im Jahr 1897 überhaupt eine ganz andere Größenordnung auf.[13]

3.2 Teplitz – Die wachsende Industrie- und Schulstadt

Im 19. Jahrhundert durchlief Teplitz wie die meisten Kleinstädte einen Prozess der Moderni-sierung. Ab 1811 wurde mit dem allmählichen Schleifen der Stadtmauern und dem Ausbau der Stadt begonnen. 1858 erfolgte der Anschluss an das Eisenbahnnetz, im gleichen Jahr er-hielt Teplitz ein Gaswerk. Die erstaunliche Tatsache, dass die erste elektrische Straßenbahn Böhmens im Jahre 1895 auf der Strecke von Teplitz nach Eichwald errichtet wurde[14], wäh-rend das städtische Elektrizitätswerk erst fünf Jahre später entstand[15], lässt sich vermutlich damit erklären, dass ein sächsisches Elektrizitätswerk in Teplitz eine Niederlassung hatte.[16] Eine Wasserleitung gab es schon seit dem 16. Jahrhundert; in den Jahren 1860 und 1887 wur-den neue Leitungen gelegt. Viele repräsentative Bauten wurden errichtet.

Beim Ausbau der Stadt dürften allerdings die Kurzonen bevorzugt mit Mitteln beteilt worden sein. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts häufen sich in den sozialdemokratischen Zeitungen die Klagen über schlechte Straßen in den anderen Gegenden. Es heißt z. B. im Dezember 1896: „Die Straßen schwimmen beim ersten Schneefall im Koth“, während für die Kuranlagen so viel ausgegeben werde[17] ; oder es wird einen Monat später beklagt, die Teplitzer Stadtverwal-tung tue nichts gegen die Schmutzigkeit der Straßen.[18] Um die Kurzonen für Fremde attraktiv zu machen, scheute man auch nicht vor Diskriminierungen der Teplitzer Einwohner zurück. Selbst in einer so bürgerlichen Zeitung wie dem Teplitz-Schönauer Anzeiger erschien schon 1864 unter „Bescheidene Anfrage“ die Beschwerde eines Teplitzer Bürgers, eine „anständige Frau“ aus Teplitz sei von einem Parkwächter zum Verlassen einer Sitzbank im Kurgarten aufgefordert worden.[19]

Nachdem einzelne Pioniere der Industrialisierung schon in den 1840er und 1850er Jahren mit dem Bau von Fabriken in Teplitz und Umgebung begonnen hatten, erfolgten dann in den 1860er und 1870erJahren gehäuft Fabriksgründungen. Eine wichtige Grundlage dafür war der zu dieser Zeit explosiv zunehmende Braunkohlenbergbau. In Teplitz und seiner Umgebung befanden sich große Braunkohlenvorräte, die mehr und mehr ausgebeutet wurden. Zwar war der Kohlenbergbau in diesem Gebiet schon sehr alt; man hatte jedoch meist nur für den Ei-genbedarf gegraben.. Erst in den 1860er/1870er Jahren erfolgte der Abbau in großem Maß-stab. Auch die Fürsten Clary besaßen Kohlengruben.

Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts entwickelte sich Teplitz auch zur Schulstadt mit wei-tem Einzugsgebiet . Nur ca. die Hälfte der Schüler hatte Eltern, die in Teplitz wohnten; in Teplitz geboren waren noch weniger, nämlich nur ca. ein Viertel bis ein Drittel der Schüler.[20] Seit 1876 besaß Teplitz ein Realgymnasium, eine Realschule wurde 1901 gegründet, ein Mädchen-Lyzeum 1911. Daneben bestand seit 1874 eine Fachschule für Keramik und ver-wandte Kunst-Gewerbe. Diese Funktion als Schulstadt wurde von der Stadt auch kräftig zur Schau gestellt, z. B. durch den Neubau des Realgymnasiums im Jahr 1894 im Stil der deut-schen Renaissance „als monumentales Wahrzeichen der schulfreundlichen Gesinnung des Gemeinwesens der Thermenstadt“, wie es im Jahresbericht der Schule von 1894/95 heißt.[21]

3.3 Die Bewohner von Teplitz

Bevölkerungszahlen

Wie in vielen Städten kam es ab ca. 1830 auch in Teplitz zu einem raschen Bevölkerungs-wachstum. Die entsprechenden Zahlen bis 1910 lauten:

1830 ca. 2.000 Einwohner

1869 ca. 10.000 Einwohner

1890 ca. 18.000 Einwohner

1910 ca. 27.000 Einwohner[22]

Damit hat sich die Einwohnerzahl der Stadt zwischen 1830 und 1910 auf das 13- bis 14fache erhöht. Die letzte Erhöhung ist allerdings auch auf die im Jahr 1895 erfolgte Vereinigung von Teplitz mit Schönau zurückzuführen.[23]

Fialová errechnete auch Bevölkerungszahlen, die sich auf eine immer gleiche Fläche bezie-hen, und zwar auf jene, die im Dezember 1992 zur Stadtgemeinde gehörte. Leider liegen diese Zahlen nur für die letzten der drei anführten Jahre vor:

Zahlen bezogen auf das Gemeindegebiet von 1992[24]:

1869 ca. 15.000 Einwohner )

1890 ca. 31.000 Einwohner )

1910 ca. 51.000 Einwohner )

Diese Zahlen entsprechen einer Erhöhung der Bevölkerungsdichte zwischen 1869 und 1910 auf das 3.4fache, während sich bei Zugrundelegung des jeweiligen Gemeindegebietes für die gleiche Zeit trotz der Zusammenlegung von Teplitz und Schönau eine Erhöhung auf nur das 2.7fache ergibt. Die Bevölkerung hat also in der nächsten Umgebung von Teplitz und Schön-au – z. B. in Orten wie Turn/Trnavy, die 1992 in die Stadtgemeinde eingegliedert waren – wesentlich stärker zugenommen als im Kern der Stadt. Verständlich wird dies durch die star-ke Entwicklung der Industrie rund um Teplitz.

Religion

Was die Religion anbelangt, so war die Mehrheit der Bevölkerung Teplitz-Schönaus katho-lisch: 85.5 Prozent bekannten sich bei der Volkszählung von 1900 zum römisch-katholischen Glauben. Es gab jedoch auch eine beträchtliche Minderheit jüdischen, oder wie man damals sagte, „israelitischen“ Glaubens (10.2 Prozent im Jahr 1900) und eine kleinere Minderheit von 4.1 Prozent evangelischen Glaubensbekenntnisses.[25] Die jüdische Bevölkerung in Teplitz hatte eine lange Tradition; bereits in der frühen Neuzeit hatte es hier eine bedeutende Juden-gemeinde gegeben, die eine eigene Synagoge und ein eigenes rituelles Bad besaß und zeitwei-se bis zu 30 oder 40 Prozent der Bevölkerung ausgemacht haben soll.[26] Auch die protestanti-sche Gemeinde blickte auf alte Wurzeln zurück. In der Badestadt Teplitz, in die viele hochge-stellte Persönlichkeiten aus den protestantischen Ländern Deutschlands zur Kur reisten, konn-te man auch die einheimischen Protestanten nie so stark unterdrücken wie in abgeschlossene-ren Gebieten der Österreich-Ungarischen Monarchie. Wieweit eventuell Zuwanderer jüdi-schen bzw. evangelischen Glaubens an diesen Prozentsätzen beteiligt waren, wäre angesichts der Tatsache, dass unter den Unternehmern der Österreichisch-Ungarischen Monarchie solche nicht-katholischen Glaubens überrepräsentiert waren, ein interessanter Aspekt, den ich jedoch nicht untersuchen konnte.

Zum Vergleich möchte ich hier die betreffenden Zahlen für die nichtkatholische Bevölkerung im böhmischen Durchschnitt anführen: Sie betrugen sowohl für Juden als auch für Protestan-ten in den Jahren 1880 bis 1900 durchschnittlich je ca. zwei Prozent.[27]

Auffallend ist, dass an den höheren Schulen in Teplitz im Vergleich zu den Zahlen der Teplit-zer Bevölkerung die nicht-katholischen Religionen nochmals überrepräsentiert waren. So war ca. ein Viertel der Schüler des Realgymnasiums mosaischen Glaubens; in der Realschule be-trug deren Zahl ca. 15 Prozent, im Mädchen-Lyzeum ca. 32 Prozent. Ungefähr acht bis elf Prozent der Schüler und Schülerinnen waren evangelisch. Dies spricht dafür, dass die nicht-katholische Bevölkerung von Teplitz teilweise zu den wohlhabenderen Schichten gehörte, wohl aber auch der Bildung – und besonders der Mädchenbildung – gegenüber aufgeschlos-sener war als der Durchschnitt der katholischen Bevölkerung.

[...]


[1] Z. B. S. Canz, 1992; H.Biehn/J. Herzogenberg, 1960; E.H. Kisch (Hrsg.), 1902

[2] Um den pressegerichtlichen Gebühren des „Zeitungsstempels“ für politische Tages- und Wochenzeitungen zu entgehen, wurden mehrere, ähnlich lautende Titel herausgegeben, die gemeinsam einem ca. 2mal wöchentlich erscheinenden Blatt gleichkamen

[3] Im Reichsrat war Hallwich liberaler Abgeordneter; angeblich hat er sich sehr um einen deutsch-tschechischen Ausgleich bemüht – s. Neue Deutsche Biographie, 7.Band, Berlin 1966, S.566.

[4] J. Blumer, 1915, S.3-9

[5] H. Hallwich, 1886, S.454

[6] Leider konnte ich Eduard Johns Todesjahr nicht feststellen. Zur Person Eduard Johns vgl. P. Wanie, 1950, S.32

[7] nach J. Schindler, 1908, S.12

[8] Georg Agricola und ein Paracelsus zugeschriebenes Werk priesen die Teplitzer Quellen an – C. Neuhaus, 1853, S.29. Zwischen 1550 und 1557 widmete ihr der aus Nimburg östlich von Prag stammende Dichter Thomas Mitis sein „Idyllion de thermis Teplicensibus“, veröffentlicht im Jahres-Bericht des Communal-Realgymnasiums in Teplitz, 1885

[9] siehe insbes. die Listen hochadeliger Gäste in V. M. Hoffmann, um 1860, S.7-18

[10] V. M. Hoffmann, um 1860, S.102-103

[11] B. Fuhs, 1992, S.21

[12] Viele der in der Literatur angegebenen Zahlen erscheinen äußerst unzuverlässig und widersprechen einander teilweise stark (insbesondere sind einige der von P. Wanie, 1950, S.19 und S. Canz, 1992, S.237 angegebenen Zahlen sehr unwahrscheinlich). Dazu kommt noch die Schwierigkeit der verschiedenen Angaben (Parteien, Personen, Passanten usw.) und bei einigen Angaben die schwer zu klärende Frage, ob die Badegäste von Schönau mitgerechnet sind oder nicht.

[13] für Teplitz: R. Knott, 1903, S.17 und H. Heger, 1900, S.216; für Baden: E. Ulsperger, 2000, S.98 und H. Heger, 1900, S.220; für Vöslau O. Kühschelm, 1996; S.41 und H. Heger, S.223; für Bad Ischl M. K. Aigner, 2001, S.111; für Karlsbad H. Heger, 1900, S.206

[14] K. M. Brousek, 1987, S.28

[15] P. Wanie, 1950, S.28

[16] H. Starke, 1996, S.45. Es handelte sich um das Kummersche Elektrizitätswerk (späteres „Sachsenwerk“).

[17] „Die Freiheit“ vom 22. 12. 1896, S.5

[18] „Die Freiheit“ vom 23. 1. 1896, S.5

[19] Teplitz-Schönauer Anzeiger vom 24. Juni 1864, S.217

[20] s. die Jahresberichte der Teplitz-Schönauer höheren Schulen

[21] S.44

[22] L. Fialová et al., 1996, S.397

[23] Der „Schwesterstadt“ von Teplitz, Schönau, ist in dieser Arbeit ein eigener Abschnitt gewidmet

[24] L. Fialová et al., 1996, S.398

[25] nach Gemeindelexikon, 1904, S.888

[26] K. Kocourková, 1996, S.118; P. Wanie, 1936, S.6; R. Knott, 1903, S.8

[27] M. Weisz, 1995, S.96

Ende der Leseprobe aus 31 Seiten

Details

Titel
Teplitz-Schönau: Kur- und Industriestadt? Eine nordböhmische Kleinstadt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
Hochschule
Universität Wien  (Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte)
Veranstaltung
Seminar: Kleinstädte im 19. Jahrhundert
Note
1
Autor
Jahr
2002
Seiten
31
Katalognummer
V18696
ISBN (eBook)
9783638229814
ISBN (Buch)
9783638700153
Dateigröße
662 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Dichter Text - einzeiliger Zeilenabstand. Entspricht bei normaler Formatierung etwa 45 Seiten.
Schlagworte
Teplitz-Schönau, Kur-, Industriestadt, Eine, Kleinstadt, Hälfte, Jahrhunderts, Seminar, Kleinstädte, Jahrhundert
Arbeit zitieren
Ilsemarie Walter (Autor:in), 2002, Teplitz-Schönau: Kur- und Industriestadt? Eine nordböhmische Kleinstadt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/18696

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