Das Spiegelungsmotiv in Johann Wolfgang von Goethes Ballade „Der Fischer“


Hausarbeit (Hauptseminar), 2008

18 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Naturphilosophie, Selbstreflexion und Neue Mythologie
2.1 Die Bedeutung der Natur in der Romantik
2.2 Die Bedeutung der Reflexion in der Romantik
2.2.1 Selbstreflexion
2.3 Die Bedeutung des Mythos in der Romantik

3. Der Mythos des Narziss
3.1 Einführung: Ovids „Metamorphosen“
3.2 Ovids Narcissus
3.3 Die Rezeption des Narziss-Mythos

4. Johann Wolfgang von Goethe – „Der Fischer“
4.1 Form des Gedichts
4.2 Das Spiegelungsmotiv im „Fischer“

5. Schlussbetrachtung

Bibliographie

1. Einleitung

Die Epoche der Romantik ist eine Epoche voller Motive und Symbole. Dabei liegt das Hauptaugenmerk des Romantikers auf der Natur. Vor allem in der Lyrik wird häufig die Naturverbundenheit des lyrischen Ichs in den Vordergrund gestellt, oder die wichtigsten Gedanken werden durch Naturmetaphern verdeutlicht. Hierbei gründet das Naturverständnis des Romantikers aber nicht auf der Einheit von Mensch und Natur, sondern vielmehr auf dem Glauben, man habe diese Einheit verloren. Die Beschäftigung mit der Natur in der Lyrik versteht sich somit als Sehnsucht nach Wiedererlangung dieser Einheit. Nach Schiller ist die Natur demnach sentimentalisch belegt, sie wird zum „Ideal“ stilisiert. Des Weiteren ist für den Romantiker die Natur untrennbar mit der Kunst verbunden: die Kunst stellt die Natur einerseits dar, ist andererseits aber auch ein Weg, vielmehr sogar der Weg, zu ihr hin.[1]

Ebenso prominent in der romantischen Lyrik ist der Gestus der Selbstreflexion. Das lyrische Ich, der Dichter oder sogar das Gedicht hinterfragt und kritisiert sich selbst.

Zusätzlich ist in der Romantik die Tendenz zur Hinwendung zu antiken Mythen zu erkennen. So werden die althergebrachten, antiken Mythen wieder in der Literatur verwendet, entweder neu belebt oder umgestaltet. Dem Konzept der neuen Mythologie folgend, werden ebenso neue Mythen erschaffen.

Ein immer wiederkehrendes Motiv, das Naturmetaphorik und Selbstreflexion miteinander verbinden kann, ist das des Spiegels. So wird zum Beispiel oft die Wasseroberfläche, ein Element der Natur, als Spiegelungsmedium verwendet. Und durch den Mythos des Narziss besteht eine Verbindung zum neu entdeckten mythologischen Interesse der Romantiker.

Ziel dieser Hausarbeit ist es, anhand einer ausgewählten Ballade der Romantik (Goethe, „Der Fischer“) diese Motivik des Wassers als Spiegel darzustellen und in Beziehung zum Narziss-Mythos zu setzen. Hierbei verzichtet die Verfasserin auf übermäßigen Gebrauch von Sekundärliteratur, sondern versucht anhand einer eingehenden Analyse und Interpretation des Gedichts hinsichtlich der in ihm enthaltenen Spiegelungs-symbolik den Sachverhalt darzustellen. Ebenso werden etwaige biographische Bezüge zum Dichter vermieden, um die Aufmerksamkeit ganz allein auf das genannte Gedicht und seinen Inhalt zu lenken.

2. Naturphilosophie, Selbstreflexion und Neue Mythologie

2.1 Die Bedeutung der Natur in der Romantik

Wie schon in der Einleitung angesprochen, gründet sich das Naturverständnis des Romantikers auf der Annahme, man habe eine zuvor bestehende Einheit mit der Natur verloren. Ziel der Beschäftigung mit der Natur in der Literatur ist die Wiedererlangung dieser Einheit. Die Kunst sollte demnach als Weg zur Natur dienen. Der Mensch ist zwar ein Teil der Natur, befindet sich aber gleichzeitig fern von ihr. Wie Pikulik es in seinem Werk über die Frühromantik ausdrückt:

Unter dem Aspekt der idealischen Ferne definiert sich Natur als außermenschlicher Bereich: als Reich der Gestirne, der Steine und Metalle, der Pflanzen und Tiere, sowie als Gegensatz zur Stadt, als Landschaft. Unter dem Aspekt der ursprünglichen und wiederzugewinnenden Einheit wird der Mensch andererseits als Teil der Natur gesehen.[2]

Interessanterweise werden bei dieser Betrachtungsweise alle anderen Elemente der Welt zusammengefasst und als Natur bezeichnet. Die Natur erscheint als ein einziger Organismus, bei dem alles zusammenhängt.[3] Nur der Mensch bleibt außerhalb dieses Zusammenschlusses und auch sein Lebensraum, die Stadt, wird abgegrenzt. Beim Menschen entsteht durch diese Abgrenzung ein Gefühl der Melancholie, des Ausgeschlossenseins, welches zu beheben er bestrebt ist. Was den Menschen so anders macht, ist das Bewusstsein seiner selbst. Der Mensch ist fähig sich selbst und sein Umfeld zu begreifen, darüber nachzudenken und zu reflektieren.

[...] im Laufe des 18. Jahrhunderts immer stärker entwickelten Vorstellungen vom menschlichen Wesen als „Geist-Natur“, das zwar als Naturwesen den Gesetzen von Werden und Vergehen bedingungslos unterworfen ist, aber zugleich als intelligentes Wesen dennoch vermag, über die Grenzen eigenen Lebens zu transzendieren.[4]

Die Romantiker waren, in Anlehnung an den Idealismus, der Auffassung, dass sich die Strukturen des menschlichen Bewusstseins in der Natur widerspiegeln[5], oder wie Schelling sagt: „Die Natur soll der sichtbare Geist, der Geist die unsichtbare Natur seyn.“[6] In der Literatur kann dieser Geist allerdings auch als etwas dämonisches dargestellt werden und wird es auch in zunehmendem Maße, wobei dies in der späteren Romantik häufig durch die Einführung von Elementargeistern versinnbildlicht wird.[7]

Die Einheit der Natur sahen die Romantiker keinesfalls als spannungslos, sondern als von Polaritäten durchzogenes Gebilde. Zu dieser Ansicht trugen vor Allem fortschreitende Erkenntnisse in der experimentellen Naturwissenschaft bei.[8] „In der Polarität strebt Einheitliches in Gegensätzliches auseinander und schließt sich wieder zur Einheit zusammen.“[9] Das für den Romantiker am deutlichsten hervorstechende Beispiel dieser Polaritäten war die von Mann und Frau und die ganze Natur an sich wurde allgemein als etwas Weibliches betrachtet. So verwundert es nicht, dass in den Naturszenen der romantischen Lyrik immer wieder weibliche Wesen auftauchen (wie z.B. Hexen und Nixen), die nicht selten auch eine dämonische Verführung symbolisieren.[10] So erscheint auch in Goethes „Fischer“ eine Wassernixe als dämonische Verführerin.

Alle Gegebenheiten der Natur, die nicht mithilfe der Naturgesetze erklärbar waren, wurden vom Romantiker nicht negiert, sondern einfach mit der Kategorie des „Wunderbaren“ beschrieben. Dies erklärt die unausweichliche Verbindung von Natur- und Geisteswissenschaften, die in der Epoche der Romantik vorherrschte.[11]

2.2 Die Reflexion in der Romantik

Die Reflexion war in der Epoche der Romantik seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert ein wichtiges Thema in der Literatur. Bei der Reflexion denkt das Subjekt nicht einfach nur etwas, sondern es denkt gleichzeitig über diesen Vorgang des Denkens nach und hinterfragt seine Gedanken kritisch.

Reflexion ist nicht einfach der Gedanke von etwas, sondern die `Rückbeugung´ auf die denkende Tätigkeit als solche, auf das Denken des Gedankens. Sie besteht somit in der Spiegelung des Gedankens im Bewußtsein des denkenden Ich, das sich, indem es sich beim Denken gewissermaßen zuschaut, dabei seiner selbst bewußt wird. Deshalb kann Schlegel die Reflexion als „Zurückbringung der Aufmerksamkeit auf uns selbst“ verstehen[12]

Folglich entwickelt das Subjekt ein Selbstbewusstsein, es wird sich seiner eigenen Existenz bewusst. In Anlehnung an Fichtes Ich-Philosophie[13] erhielt die Reflexion in der Romantik einen neuen, höheren Stellenwert, sowohl in der Philosophie als auch in der Poesie. Die frühen Romantiker gingen dabei aber noch über Fichtes Theorie hinaus. Für sie waren der Reflexion keinerlei Grenzen gesetzt und sie begriffen sie als einen unendlichen Prozess.[14]

In der Dichtung der Romantik war die Tendenz zur Reflexion auch schon früher erkennbar. Laut Schiller sind die Eindrücke, die uns der sentimentalische Dichter von der Umwelt vermittelt, immer zuerst einem Prozess der Reflexion durch den Dichter unterworfen. Der Dichter denkt über diese Eindrücke nach, verbindet sie mit seinen eigenen Empfindungen und präsentiert sie uns schließlich mit seinen eigenen Worten. Und auch wenn in einem Gedicht der innere Zustand des Dichters thematisiert wird, erfahren wir diesen Zustand durch des Dichters Nachdenken darüber, der selbst nur als Zuschauer fungiert.[15]

[...]Nur ihr eigentlicher und herrschender Charakter ist es nicht, mit ruhigem, einfältigem und leichtem Sinn zu empfangen und das Empfangene eben so wieder darzustellen. Unwillkührlich drängt sich die Phantasie der Anschauung, die Denkkraft der Empfindung zuvor, und man verschließt Auge und Ohr, um betrachtend in sich selbst zu versinken. Das Gemüth kann keinen Eindruck erleiden, ohne sogleich seinem eigenen Spiel zuzusehen, und was es in sich hat, durch Reflexion sich gegenüber und aus sich herauszustellen. Wir erhalten auf diese Weise nie den Gegenstand, nur was der reflektierende Verstand des Dichters aus dem Gegenstand machte, und selbst dann, wenn der Dichter selbst dieser Gegenstand ist, wenn er uns seine Empfindungen darstellen will, erfahren wir nicht seinen Zustand unmittelbar und aus der ersten Hand, sondern wie sich derselbe in seinem Gemüth reflektirt, was er als Zuschauer seiner selbst darüber gedacht hat.[16]

Somit reflektiert die entstandene Poesie über sich selbst. Das Höchstmaß an Reflexion besteht, wenn die Reflexion schließlich über sich reflektiert. In der fortschreitenden Epoche der Romantik entwickelte sich der Gedanke, dass die Reflexion letztendlich eine Spaltung von Sein und Bewusstsein bewirkt und man die Unmittelbarkeit verliere. Um diesem Prozess entgegen zu wirken entwickelte man zwei Theorien. Der einen Theorie zufolge solle das letztendliche Ziel der unendlichen Reflexion die vollkommene Selbstdurchdringung des Geistes sein. Dies bedeutete für den Romantiker ein Bewusstsein, das sowohl sich selbst als auch die ganze Welt enthielte, was wiederum die Gleichheit mit Gott bedeutet hätte. Diese Theorie zielte also auf die Vervollkommnung der Reflexion ab. Die andere Theorie besagte, man müsse sich ein Kompensationsmoment zur Reflexion schaffen, um diese zu entschärfen. Im Zuge dieses Ansatzes befassten sich die Romantiker dann zunehmend mit psychischen Haltungen und poetischen Formen wie Traum, Mythos, Glaube etc.[17]

[...]


[1] Vgl. Pikulik, Lothar: Frühromantik, Epoche – Werke – Wirkung, 2., bibliographisch ergänzte Auflage, München 2000, S. 241 f.

[2] Pikulik, Frühromantik, S. 242.

[3] Vgl. Ebd., S. 244 und Schulz, Gerhard: Romantik – Geschichte und Begriff, München 32008, S. 102.

[4] Schulz, Romantik, S. 99.

[5] Vgl. Pikulik, Frühromantik, S. 243.

[6] Zitiert nach Pikulik, Frühromantik, S. 243.

[7] Vgl. Ebd.,, S. 243.

[8] Die Welt ist in der Tat reich an Polaritäten, wie z.B. Nord- und Südpol eines Magneten, Kälte und Wärme etc.

[9] Pikulik, Frühromantik, S. 244.

[10] Vgl. Ebd., S. 244.

[11] Vgl. Ebd., S. 245.

[12] Ebd., S. 46.

[13] Fichtes Ich-Philosophie besagt, es sei die einzige Aufgabe des denkenden Selbstbewusstseins sich beim Denken zuzuschauen, um sich als denkendes Selbst zu begreifen.

[14] Vgl. Pikulik, Frühromantik, S. 46 f.

[15] Vgl. Pikulik, Frühromantik, S. 47.

[16] Schiller, zitiert nach Pikulik, Frühromantik, S. 47 f.

[17] Vgl. Ebd., S. 48 – 51.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Das Spiegelungsmotiv in Johann Wolfgang von Goethes Ballade „Der Fischer“
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn  (Germanistisches Seminar)
Veranstaltung
Hauptseminar "Romantik"
Note
1,7
Autor
Jahr
2008
Seiten
18
Katalognummer
V187038
ISBN (eBook)
9783656104476
Dateigröße
506 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Goethe, Der Fischer, Ballade, Spiegelungsmotiv, Narziss, Neue Mythologie, Selbstreflexion, Naturphilosophie, Romantik, Gedicht, Lyrik
Arbeit zitieren
Kim Keller (Autor:in), 2008, Das Spiegelungsmotiv in Johann Wolfgang von Goethes Ballade „Der Fischer“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/187038

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