Erlebnispädagogik mit störenden Schülern

Theorie und Praxis der Erlebnispädagogik


Hausarbeit (Hauptseminar), 2011

72 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Teil: Was ist Erlebnispädagogik
1. Einleitung
2. Definitionen und Begriffe
3. Geschichte
3.1 Jean-Jacques Rousseau
3.2 Henry David Thoreau
3.3 Kurt Hahn
4. Ziele erlebnispädagogischer Maßnahmen
5. Die Gruppe in der Erlebnispädagogik
5.1 Definitionen von dem Begriff Gruppe
5.2. Wofür brauchen wir Gruppen?
5.3 Die Phasen des Gruppenprozesses
5.4 Rollenverteilungen in Gruppen
6. Kooperatives Lernen
6.1 Schwierigkeiten beim kooperativen Lernen
7. Wirkungsmodelle
7.1 The mountain speak for themselves
7.2 Outward Bound plus Modell
7.3 Metaphorisches Modell
8. Lernen mit Erlebnispädagogik
8.1 Kommunikationsebenen
8.2 Die Waage der Erlebnispädagogik
8.3 Die E- Kette
8.4 Das Johari Fenster
8.5 Lernen zwischen Komfort und Panikzone
8.6 Das Flow Erlebnis
9. Grenzerfahrungen
10. Selbstkonzept
11. Sicherheit
12. Rechtliche Bedingungen in der Erlebnispädagogik
13. Kompetenzprofil eines Erlebnispädagogen
14. Trainingsraum Programm

2. Teil: Durchführung und Reflexion der zwei Projektwochen in Mönchengladbach
Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
Eidesstattliche Erklärung

1 Teil: Was ist Erlebnispädagogik

1. Einleitung

Diese Hausarbeit wird im Zusammenhang mit dem Seminar „Erlebnispädagogische Aktivitäten mit störenden Schülern“ geschrieben. Die Aufgabe unseres Seminars war es, zwei erlebnispädagogische Wochen in verschiedenen Schulen in Mönchengladbach mit störenden Schülern durchzuführen.

Diese Hausarbeit ist in zwei Teile gegliedert. Der erste Teil beinhaltet den theoretischen Teil der Erlebnispädagogik. Hier wird zunächst der Begriff der Erlebnispädagogik erläutert und kurz beschrieben, warum wir uns in unseren Trainings gerade für diese Methode der Erlebnispädagogik entschieden haben.

Anschließend wird über die Geschichte der Erlebnispädagogik berichtet. Wo kommt Erlebnispädagogik her, wer hat sie erfunden? In den darauf folgenden Kapiteln wird auf die Didaktik, Methodik und die Wissensvermittlung sowie die rechtlichen Bedingungen und die Sicherheit in der Erlebnispädagogik eingegangen. Am Ende des ersten Teils wird noch beschrieben, welche Kompetenzen ein Erlebnispädagoge mitbringen sollte.

Der zweite Teil dieser Hausarbeit befasst sich mit den zwei durchgeführten Projektwochen. Hier wird über die Planung und Durchführung der Projektwochen berichtet sowie über die Ziele und Reflexionen informiert. Es wird auf den genauen Ablaufplan der Wochen eingegangen, in denen auch beschrieben wird, welche Ziele wir uns für die jeweiligen Wochen gesetzt haben und in wie weit wir diese Ziele mit den Schülern zusammen erreichen können.

Beide Teile fließen an einigen Stellen zusammen. In dem ersten Teil wird die Theorie an einigen Stellen mit unseren Projektwochen in Zusammenhang gebracht und im zweiten Teil werden in den Reflexionen die entstehenden Veränderungen und Entwicklungen oder auftretenden Probleme mit Hilfe der zuvor besprochenen Theorie verdeutlicht.

2. Definitionen und Begriffe

Erlebnispädagogik setzt sich aus zwei Begriffen zusammen. Zum einem aus dem Begriff des Erlebnisses und zum anderen der Pädagogik. Das Erlebnis belehrt den Menschen und verbündet sich mit dem effektivsten Pädagogen: dem Leben selbst. Der Begriff der Pädagogik stammt aus dem Griechischen und wird zusammengesetzt aus den Wörtern pais = der Knabe, das Kind und agogos = der Begleiter, der Führer. Hiermit ist die Begleitung oder der Schutz des Kindes gemeint und nicht die strikte Erziehung nach Regeln. Anhand dieser Definition der Pädagogik sieht man den engen Zusammenhang zur Erlebnispädagogik.[1]

Es gibt für Erlebnispädagogik keine einheitliche Definition an der sich alle festhalten können. Jeder interpretiert Erlebnispädagogik auf seine Weise. Dies stellt in der Praxis oft ein großes Problem da. Viele Interessenten verstehen unter dem Begriff der Erlebnispädagogik aufwendige Outdooraktivitäten wie Kanufahrten, Kletterausflüge usw. und sind daher voreingenommen in der Anwendung der Erlebnispädagogik. An erster Stelle steht jedoch das erlebnisorientierte bzw. handlungsorientierte Lernen, welches auch als Indoor- Aktivität problemlos durchgeführt werden kann z.B. mit Hilfe von Kooperationsspielen.

Wie schon in der Einleitung angedeutet wurde, haben wir in unserem Projekt ein erlebnisorientiertes Training durchgeführt. Aber was versteht man darunter und warum gerade diese Art von Training?

Erlebnisorientiertes Lernen basiert auf dem Grundprinzip unserer Fähigkeit, durch Erlebnisse zu lernen. Hier wird das Lernen durch das Erleben vermittelt und nicht durch einfache theoretische Wissensvermittlung. Erlebnisorientiertes Lernen ist wirksam, weil diese Art des Lernens und Trainierens auf einer ganzheitlichen Ebene (Kopf, Hand, Herz, Geist) Potentiale freisetzt. Durch das Erleben wird zudem die Wahrscheinlichkeit der Umsetzung in den Alltag erheblich erhöht. Die folgende Zeichnung zeigt den Lernzyklus von David Kolb.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bei der konkreten Erfahrung geht es um das Erlangen von neuem Wissen. Durch Beobachtungen kommt es zu neuem Wissen.

In der Phase der Reflektion wird das Beobachtete aus der konkreten Erfahrung noch einmal

reflektiert. Hierbei überlegt sich der Teilnehmer mögliche Ursachen für das beobachtete Phänomen, und was dies für ihn und sein erlangtes Wissen bedeutet.

In der Phase der abstrakten Konzeptionalisierung geht es darum die gesammelten Erfahrungen in den schon vorhandenen Wissensschatz einzufügen und diese dann auf andere Situationen anzuwenden.

In der Phase des aktiven Experimentierens wird das neu gesammelte Wissen in Situationen des Alltags angewandt. Dadurch werden wieder neue Erfahrungen gewonnen und der Lernzyklus beginnt wieder bei der ersten Phase.

Erlebnisorientiertes Lernen eignet sich besonders da, wo nicht bloße Wissensvermittlung sondern z.B. Bewusstseinbildung und –erweiterung, Selbst- und Sozialkompetenz stattfinden soll.

Da es das Ziel unserer Projektwoche war, den Jugendlichen zu vermitteln wie wichtig Teamwork und Kommunikation sind und mit Hilfe eines Sozialtrainings ihre Störungen im Unterricht minimiert und sogar unterbunden werden können, eignete sich die Methode des erlebnisorientierten Lernens besonders, da sie ideal für Themen wie Kommunikation, Koordination, Teamentwicklung, Vertrauen usw. einsetzbar ist. Durch das gemeinsame Lösen von Kooperationsspielen und Teamspielen wurde den Schülern selbst bewusst, wie störend ihr aktuelles Verhalten ist. Sie erlebten selbst, dass dieses Verhalten für die Zusammenarbeit in einer Gruppe und das Lösen von Aufgaben nicht hilfreich ist.

In den zahlreichen Fachbücher der Erlebnispädagogik finden sich jedoch oftmals viele Übereinstimmungen. Die folgenden Definitionen zeigen nur einige von vielen Möglichkeiten um diese Art von Pädagogik besser verstehen oder einordnen zu können.

„Erlebnispädagogik ist eine handlungsorientierte Methode und will durch exemplarische Lernprozesse, in denen junge Menschen vor physische, psychische und soziale Herausforderungen gestellt werden, diese jungen Menschen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung fördern und sie dazu befähigen, ihre Lebenswelt verantwortlich zu gestalten.“[2]

Anette Reiners definiert erlebnispädagogische Maßnahmen damit, dass ein Einzelner oder eine Gruppe einschneidende Erlebnisse erfährt, die das Innere der Persönlichkeit betreffen.[3]

Erlebnispädagogik wird oft mit handlungsorietiertem- oder erfahrungslernen beschrieben.

Gerne werden auch Schlüsselwörter wie learning by doing, Erleben und Lernen, Gemeinschaftserleben, Grenzsituationen, Ganzheitlichkeit oder Outdoor-Aktivitäten benutzt wenn man über Erlebnispädagogik spricht.[4] Diese Schlüsselwörter spiegeln teilweise den Begriff der Erlebnispädagogik sehr gut wieder. Einzelne können für sich alleine sprechen wie z.B. Learning by doing oder Erleben und Lernen. Andere wiederum teilen nur einen einzelnen Bereich der Erlebnispädagogik mit wie z.B. das Schlüsselwort Outdoor-Training. Aktivitäten der Erlebnispädagogik können genauso gut „indoor“ stattfinden. Grenzsituationen werden nicht während jeder erlebnispädagogischen Aktivität erlebt. Im Kapitel 9 wird noch genau auf die Grenzsituationen eingegangen.

Selbst die Zuordnung von Erlebnispädagogik in einen bestimmten Bereich ist nicht einheitlich geregelt. Jörg Ziegenspeck sieht die Erlebnispädagogik als eine Teilwissenschaft der Pädagogik, Heckmaier und Michl sehen sie als eine Methode.[5]

Zusammenfassend kann man festhalten, dass Erlebnispädagogik eine Pädagogik ist, die handlungsorientierte Inhalte vermittelt, die in Aktion geschieht und deren Ziel es ist, eine Auseinandersetzung mit der eigenen Persönlichkeit zu erreichen.

Da genau dieses Ziel auch bei unseren Projektwochen erreicht werden sollte, bzw. die Jugendlichen sich durch handlungsorientierte/erlebnisorientierte Trainings mit ihrem störenden Verhalten auseinandersetzen sollten, haben wir uns für diese Methode des Trainings entschieden.

3. Geschichte

3.1 Jean-Jacques Rousseau

Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) war einer der bekanntesten Philosophen der Aufklärung. Er war einer der ersten Philosophen, die überzeugt davon waren, dass die Natur will, dass Kinder auch wie Kinder behandelt werden und nicht zu kleinen Erwachsenen erzogen werden sollten. Auf dieser Basis schrieb Rousseau 1762 seinen Erziehungsroman „Emile", in dem er am Leben des imaginären Schülers Emile erklärt, wie Kinder seiner Meinung nach erzogen werden sollten. Er spricht sich für eine „Natürliche Erziehung“ aus.

„Alles ist gut, wie es aus den Händen des Schöpfers kommt, alles entartet unter den Händen des Menschen.“ Dieser erste Satz aus Emile verdeutlicht gleich zu Beginn das Wesentliche des Werkes, das häufig mit dem Lemma Zurück zur Natur wiedergegeben wird. Bei der Erziehung nach Rousseau wird nicht den Pädagogen sondern der Natur die größte Rolle zugeschrieben. Die Kinder sollen durch eigene Erfahrungen lernen und nicht durch einwirken der Pädagogen.

Laut Rousseau spielen drei Faktoren bei der Erziehung des Menschen eine Rolle: Die Natur, die Dinge oder die Menschen. Die Natur ist der wichtigste Faktor in der Erziehung. Demnach orientiert sich das Lernen nicht so sehr an der Person des Erziehers, sondern vielmehr an den Wirkungen, die sich aus dem Umgang mit gegenständlichen Dingen in der Natur ergeben. Der Mensch gewährleistet nur den Einfluss der anderen beiden Faktoren. Der Erzieher soll sich aus der Erziehung so weit es geht zurückhalten und nicht in den natürlichen Lernprozess eingreifen. Rousseau definiert diese Art von Erziehung als negative Erziehung. Nicht der Pädagoge kritisiert oder bestraft falsche Handlungen, sondern die Kinder lernen durch eigene Erfahrungen die natürliche Strafe. Sie bekommen die negativen Folgen ihrer Handlungen selbst zu spüren.[6]

3.2 Henry David Thoreau

Henry David Thoreau (1817-1862) setzte das theoretische von Rousseau in die Tat um. Thoreaus Ziel war das ursprüngliche und unmittelbare Leben ohne Mittler. Thoreau machte, wie auch Rousseau den damals herrschenden Zeitgeist wie Luxus, Bequemlichkeit, Mode, Zivilisation und Technik für den Verlust der Unmittelbarkeit verantwortlich. Er suchte nach den eigentlichen Lebensbedürfnissen des Menschen und versuchte in einer selbstgebauten Blockhütte am Walden-See nahe seiner Heimatstadt Concord zweieinhalb Jahre lang ein bedürfnisloses Leben zu führen, um zum eigentlich Wichtigen vorzustoßen. Neben der Natur, an der jeder jederzeit kostenlos lernen konnte, war Thoreau der Ansicht, dass man Volkshochschulen einrichten sollte, die Bildung und Weltsicht verschaffen sollten.

3.3 Kurt Hahn

Kurt Hahn (*5. Juni 1886 Berlin; †14. Dezember 1974 in Salem) gilt ebenfalls als entscheidender Wegbereiter der Erlebnispädagogik. Oft wird er als der „Urvater der Erlebnispädagogik bezeichnet. Er fasste die Theorien seiner Vordenker zu einem handlungs- und erlebnispädagogischen Konzept zusammen.

1920 gründete er am Bodensee das Internat Schloss Salem. Bis zum Jahre 1933 war er Leiter dieser Schule. Aufgrund seiner jüdischen Abstammung floh er 1933 ins britische Exil. Dort gründete und leitete er die „British Salem School“ in Gordonstoun. 1941 gründete er die erste Outward Bound Schule woraus sich die Kurzschulbewegung entwickelte.[7] Hahns Ziel war es die Charakterbildung der jungen Menschen zu unterstützen und zu fördern.

Er kritisierte an der Jugend vier Verfallserscheinungen:

1. Verfall der körperlichen Tauglichkeit

Kurt Hahn beabsichtigt die positiven Auswirkungen von körperlichem Training auf Körper und Seele wieder herzustellen. Heute ist empirisch bewiesen, dass Bewegungsmangel sich negativ auf die geistige Entwicklung und auf das Selbstwertgefühl auswirkt.

2. Mangel an Initiative und Spontaneität

Dies soll durch Expeditionen behoben werden. Eine Expedition erfordert von der Gruppe höchste Planungs- und Vorbereitungsbereitschaft. Dies führt zu hoher Selbstverantwortlichkeit und bringt dazu noch die Verantwortlichkeit für die Gruppe mit.

Hier spiegelt sich das Konzept von Rousseau und der Minimalerziehung wieder. Die Teilnehmer sind hauptsächlich auf sich alleine gestellt und für sich und die Gruppe selbst verantwortlich. Die Trainer sind nur Begleitperson, die auf den reibungslosen Ablauf achten, sich aber nicht in die Planung mit einbringen.

3. Mangel an Sorgsamkeit

Der zunehmende Verlust an Konzentration, Ausdauer und Kreativität geht einher mit dem

Verlust des praktischen - handwerklichen Könnens. Durch Projekte sollen die Jugendlichen ihr praktisches Können wiedererlangen. Der Lehrer nimmt dabei die Aufgabe eines Coachs ein und nicht die eines Wissensvermittlers.

4. Mangel an menschlicher Anteilnahme

Hahn bemängelte, dass in Folge von Stress und des modernen Lebens eine Oberflächlichkeit entsteht, die den Menschen gleichgültig werden lässt. Dabei ist der Dienst am Nächsten laut Hahn einer der Wichtigsten in der Erlebnistherapie. Hiermit ist der Dienst bzw. die Mitarbeit bei gemeinnützigen Verbänden gemeint wie z.B. der Feuerwehr, der Bergwacht oder der Seerettung.[8]

Kurt Hahn stellte für das Schloss Salem sieben Salemer Gesetzte auf:

1. Gebt den Kindern Gelegenheit, sich selbst zu entdecken.

- Jedes Kind hat eine Leidenschaft die oft ewig verborgen bleibt. Sie kann nur durch verschiedene Aktivitäten zutage treten. Der Erzieher darf darauf keinen Einfluss nehmen. Das Kind muss sich selbst finden, es muss von ihnen selbst entdeckt werden.

2. Lasst die Kinder Triumph und Niederlage erleben.

- Nicht nur Stärken auch Schwächen müssen entdeckt werden, sie dürfen nicht vertuscht werden. Sie müssen lernen Niederlagen zu überwinden, damit sie für den Lebenskampf gewappnet sind.

3. Gebt den Kindern Gelegenheit zur Selbsthingabe an die gemeinsame Aufgabe.

- „Keiner darf nur Passagier auf dem Schiff sein“ Kinder jeden Alters sollen

Aufgaben übernehmen, die ernst genug sind, um den Schulstaat zu zerstören, wenn sie

schlampig durchgeführt werden. Jeder soll also Verantwortung tragen.

4. Sorgt für Zeiten der Stille.

- Kinder sollen früh die Fähigkeit der Ruhe und Besinnung erwerben, damit sie nicht

aufgrund der nervenzehrenden, zerüttetenden Zivilisation vorzeitig erschöpft sind.

5. Übt die Phantasie.

- Man muss Phantasie üben, damit sie nicht verkümmert. Darunter versteht Hahn Pläne für die Zukunft zu schmieden, sich Hoffnungen machen, sich seine Zukunft vorstellen

6. Lasst Spiele eine wichtige, aber keine vorherrschende Rolle spielen.

- Wenn man dem Spiel/Sport eine wichtige aber nicht die wichtigste Rolle gibt, erhält es/er eigentlich noch mehr Würde

7. Erlöst die Söhne reicher und mächtiger Eltern von dem entnervenden Gefühl der Privilegiertheit.

- Die „armen“ Jungen und Mädchen der Reichen haben keine Möglichkeit, sich zu Männern und Frauen zu entwickeln, die überleben können. Daher profitieren sie in hohem Maße vom Zusammenleben mit Kindern, deren Eltern um ihre Existenz kämpfen müssen.[9]

Die zuvor genannten Wegbereiter der Erlebnispädagogik sind nur drei von vielen Personen, die die Geschichte und die Entwicklung der Erlebnispädagogik geprägt haben. Die Literatur befasst sich wenn sie über die Geschichte der Erlebnispädagogik berichtet allerdings hauptsächlich mit diesen drei Wegbereitern.

In den folgenden Kapiteln wird darauf eingegangen, wie die zuvor beschriebene Entwicklung in der heutigen Arbeit mit erlebnispädagogischen Maßnahmen umgesetzt wurde.

4. Ziele erlebnispädagogischer Maßnahmen

Erlebnispädagogische Aktivitäten sollten immer zu der Verbesserung des Sozialverhaltens beitragen. Das Hauptziel der Erlebnispädagogik ist die Förderung individueller Fertigkeiten zur Lebensbewältigung und die Fähigkeit zu zwischenmenschlicher Kooperation und Kommunikation in der Gruppe im Alltagsumfeld. Erlebnispädagogik ermöglicht den Teilnehmern die Grenzen der eigenen Handlungskompetenz zu erproben und im angstfreien Raum der Gruppe zu lernen und zu wachsen. Bei der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen ist der Erwerb von Handlungskompetenz sehr wichtig. Hierunter versteht man, dass Kinder und Jugendliche in der Lage sind, „sich selbst ein Handlungsziel zu setzen und die Verwirklichung des Ziels selbständig zu planen.“ Somit sollte die Förderung der Handlungskompetenz mit in die Planung von Aktivitäten einbezogen werden. Dies kann durch das Lösen von Lernaufgaben aber auch durch Interaktionsspiele, die im Team gelöst werden müssen passieren.[10]

Weitere Ziele der Erlebnispädagogik können z.B. Persönlichkeitsentwicklung, soziale Kompetenz, Lernbereitschaft, Werthaltungen, Problemlösungsfähigkeit, Vertrauen, Kommunikationsfähigkeit, Kooperationsfähigkeit aber auch Spaß sein.

Die Stärkung der eigenen Persönlichkeit spielt überwiegend eine große Rolle. Es wird immer wieder der Wunsch bzw. das Ziel nach Stärkung von Selbstverantwortung, Selbstbestimmtheit, Selbstkritik, Aufbau eines positiven Selbstwertgefühls und einer Steigerung von Identität und Autonomie geäußert. Hier wird noch mal deutlich, wie effektiv die Erlebnispädagogik Einfluss auf die Persönlichkeit der Kinder und Jugendlichen nimmt.

Wenn die erlebnispädagogischen Aktivitäten von den Kindern oder Jugendlichen erfolgreich gelöst werden, steigert sich dadurch ihr Selbstvertrauen. Sie wagen sich an immer schwierigere Probleme heran.

Gerade bei störenden Schülern sind erlebnispädagogische Maßnahmen sehr hilfreich. Bei Aktivitäten die nur in der Gruppe gelöst werden können, wird den störenden Schülern oft selbst klar, dass sie mit ihrem bisherigen Verhalten nicht mit der Gruppe zum Ziel kommen können. Dies kann dann in der Reflexionsphase in den Schulalltag transferiert werden. Ihnen kann somit deutlich gemacht werden, dass störendes Verhalten im Unterricht nicht nur sie selber am Lernen und weiterkommen hindern kann, sondern auch ihre Mitschüler. Eine genaue Beschreibung des Ablaufs einer solchen Intervention und deren Wirkung befindet sich im Anhang.

Die Ziele können auch in unterschiedliche Gruppen eingeteilt werden:

- Sachliche Ziele

Sachliche Ziele befassen sich mit dem Erwerb von fachlichen Kompetenzen wie zum Beispiel

Techniken beim Klettern, Techniken für den Aufbau von Niedrigseilparcours.

- Individuelle Ziele

Diese Ziele befassen sich mit persönlichen Stärken und Schwächen die entdeckt und wahrgenommen werden sollen, wie z.B. Selbstständigkeit, Entscheidungsfähigkeit, Grenzen und Ressourcen entdecken

- Soziale Ziele

Hiermit sind Fähigkeiten gemeint, die für ein harmonisches Miteinander sorgen. Teamfähigkeit, Toleranz, Kommunikationsfähigkeit sind z.B. Fähigkeiten die nötig sind, um gemeinsam gesetzte Ziele in einer Gruppe auch wirklich zu erreichen.

- Ökologische Ziele

Diese Ziele befassen sich mit unserer Umwelt. Ökologische Zusammenhänge sollen wahrgenommen werden und umweltschonendes Verhalten soll vermittelt werden.[11]

In unseren Projektwochen haben wir vorwiegend auf die sozialen und individuellen Ziele hingearbeitet.

Die individuellen Ziele standen bei uns im Vordergrund um den Schülern bewusst zu machen, dass sie nicht nur durch das Stören Aufmerksamkeit der Anderen erlangen, sondern auch durch bewusstes Einsetzen ihrer Stärken und Schwächen.

Die sozialen Ziele waren uns wichtig für das Miteinander. Hier wurde den Kindern vermittelt, wie wichtig die Arbeit im Team ist und das man im Team meist viel schneller zum Ziel kommen kann. Auch das Akzeptieren anderer Meinungen und das Miteinbeziehen aller Gruppenmitglieder standen im Mittelpunkt.

Mit Hilfe dieser beiden Ziele sollten die Schüler lernen ihre Umgebung und Mitmenschen bewusster wahrzunehmen und angemessener darauf zu reagieren.

5. Die Gruppe in der Erlebnispädagogik

In unseren durchgeführten Projektwochen haben wir die Trainings in Gruppen durchgeführt.

Warum wir uns für die Gruppe entschieden haben und nicht mit jedem Schüler einzeln gearbeitet haben, wird in diesem Kapitel erklärt.

Sicherlich geht es bei Gruppenarbeit um die Erreichung eines gemeinsamen Ziels bei der jedoch das Lernen im Vordergrund stehen sollte. Eine Gruppe bietet die Möglichkeit, neue Sichtweisen und Perspektiven kennen zu lernen und durch den Austausch von Wissen mit anderen Mitgliedern zu profitieren. Bei gegenseitiger Unterstützung der Gruppenmitglieder sind somit sehr hohe Lerneffekte zu erzielen.

Durch die vielen verschiedenen Anregungen in der Gruppe ist das Lernen meistens motivierender. Alleine kommt man manchmal nicht so schnell zu der passenden Lösung. In einer Gruppe werden unterschiedliche Ideen, Wissensstände und Ansichten zusammengetragen. Aus diesem Grund kann die Kreativität der Gruppe deutlich gesteigert werden. Probleme lassen sich besser und meistens schneller lösen und jedes Gruppenmitglied bekommt so neue Sichtweisen und Gedanken. Die Arbeit in einer Gruppe verlangt immer ein hohes Maß an Kommunikation. Dadurch erlangen die Teilnehmer Erfahrungen im Argumentieren, Diskutieren und dem Vortragen. Viele Probleme und Missverständnisse werden erst durch das gemeinsame kommunizieren erkannt.

Die Mitglieder einer Gruppe lernen, wie wichtig tolerantes Verhalten ist. Es prallen unterschiedliche Sichtweisen und Meinungen aufeinander, die jedoch auf einen Nenner gebracht werden müsse. Dies wird jedoch in den Gruppenphasen noch ausführlicher erläutert.

In einer Gruppe kommt es zu dem Erleben sozialer Unterstützung. Das Ziel der Gruppe ist es, gemeinsam zu Ziel zu kommen. Dadurch werden auch Schwächere Mitglieder der Gruppe nicht im Stich gelassen oder vernachlässigt sondern zur Erreichung des Ziels mit eingebunden.

Da wir in unseren Projektwochen verstärkt darauf hinarbeiten wollten den Umgang der Schüler untereinander zu verbessern und den „störenden Schülern“ deutlich zu machen wie unangepasst ihr Verhalten in der Klassengemeinschaft ist, haben wir uns bei unserem erlebnisorientiertem Training für das Training in der Gruppe entschieden. So konnten die Schüler die negativen Auswirkungen ihres Verhaltens anhand der anderen Schüler feststellen und sehen wie sich das Gruppenklima bzw. die Beziehungen zu den Mitschülern verbessern kann, wenn man sein Verhalten ändert.

5.1 Definitionen von dem Begriff Gruppe

Lindgren definiert in einer Einführung der Sozialpsychologie: „Wenn zwei oder mehrere Personen in irgendeiner Beziehung zueinander stehen, bilden sie eine Gruppe.“

Olmsted beschreibt eine Gruppe in einer Einführung in die Kleingruppenforschung folgendermaßen: „Eine Gruppe kann definiert werden als eine Mehrheit von Individuen, die in Kontakt miteinander stehen, aufeinander reagieren und in wesentlichen Punkten Gemeinsamkeiten erleben.“[12]

5.2. Wofür brauchen wir Gruppen?

Die Gruppe gehört zu unserem menschlichen Dasein dazu. Mit ihr oder in einer Gruppe fühlen wir uns sicher und können effektiver arbeiten. Deshalb ist es wichtig, im Leben den Anschluss an Gruppen zu finden.[13]

Um das Leben oder Arbeiten in einer Gruppe überhaupt erst möglich und effektiv zu machen, gehört sehr viel Kommunikation dazu. Es müssen gemeinsame Regeln und Rollenverteilungen aufgestellt werden. Die Gruppenmitglieder stimmen zusammen ihr Handeln und ihre Ziele ab.

Die Regeln der Gruppe können den Teilnehmern entweder von außen vorgeschrieben werden (z.B. die Sitzordnung in einem Klassenzimmer wird vom Lehrer vorgegeben) oder von den Teilnehmern selbst entwickelt werden.[14]

In der Erlebnispädagogik ist es sinnvoll, die Teilnehmer selbst bestimmen zu lassen. So lernen sie wie die Kommunikation in der Gruppe am sinnvollsten funktioniert.

In unseren Projektwochen haben wir uns der Gruppe auch hauptsächlich als Beobachter von außen präsentiert. Die Gruppe hat für jedes Kooperationsspiel eine kurze Anleitung mit einem vorgeschriebenen Ziel bekommen. Wie sie jedoch zu diesem Ziel kommen, mussten sie selbst in der Gruppe lösen. Dadurch sollte den Schülern bewusst werden, wie wichtig es ist auf ihre Mitmenschen einzugehen.

Nur wenn der Trainer bemerkt, dass die Gruppe alleine nicht weiterkommt, kann er sich wieder einschalten und eine gemeinsame Zwischenreflexion mit der Gruppe machen.

5.3 Die Phasen des Gruppenprozesses

Jeder Trainer hat schon mal die Erfahrung gemacht, dass es einige Zeit dauern kann, bis eine Gruppe harmonisiert.

In unseren Projektwochen kannten sich viele Schüler schon. So das einige der folgenden Phasen entweder übersprungen werden konnten oder sehr schnell durchlebt wurden. Darauf wird im zweiten Teil der Hausarbeit noch näher eingegangen.

Grundsätzlich gilt jedoch: Eine Gruppe entwickelt sich. Aus einzelnen Kindern und Jugendlichen wird irgendwann eine Gruppe. Während dieser Entwicklung durchläuft eine Gruppe fünf Phasen:

1. Forming – Die Gründungsphase

Immer wenn eine Gruppe neu gegründet wird oder neue Gruppenmitglieder dazu kommen, kommt es bei den Teilnehmern zu Neugierde und Unsicherheit.

Kinder können verängstigt bzw. schüchtern reagieren oder sich cool geben. Je nachdem wie aufgeschlossen die Gruppenmitglieder sind. Jeder verschafft sich einen ersten Überblick und tastet sich vorsichtig an die Gruppe heran. Es ist die Phase des Kennenlernens, Einschätzens oder Einordnens. Es wird versucht, eine Rollenverteilung vorzunehmen und jedes Mitglied versucht seine passende Rolle zu finden. Alle versuchen auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen.

In dieser Phase finden die Jugendlichen zueinander, lernen die anderen kennen, lernen deren Meinung kennen.

In der ersten Projektwoche die wir abgeleistet haben kam es schnell zum Abschluss dieser Phase. Viele der Kinder kannten sich schon aus der Klasse. In der zweiten Projektwoche, kamen wir jedoch fast nicht über diese Phase hinaus, da die Gruppe immer wieder neu zusammengestellt wurde. Darauf wird im zweiten Teil noch genauer eingegangen.

2. Stormin – Die Streitphase

Nachdem die Gruppe auf einen gemeinsamen Nenner gekommen ist, kommen die ersten Meinungsverschiedenheiten zum Vorschein. Unterschiedliche Zielvorstellungen führen zu ersten Konflikten und Konkurrenzkämpfen untereinander.

Kampf, Streit, Macht und Rollenklärung sind die Kennzeichen dieser Phase.

Hier werden wir als Trainer gefordert. Unsere Aufgabe ist es, durch Beobachtung und eventuellem Gegensteuern zu versuchen, dass keine zu starke Polarisation auf ein paar wenige erfolgt, dass es keine Sieger und Verlierer gibt, dass die Gruppe bereits in dieser Phase zerfällt, oder sehr starken Konflikten ausgesetzt ist, weil einige unterdrückt und gar rausgeekelt werden.

3. Norming - Vertragsphase

Nachdem alle Konflikte der Streitphase bereinigt worden sind, muss die Gruppe sich auf ihre diskutierten und verfolgten Ziele einigen. Alle Gruppenmitglieder müssen der Entscheidung zustimmen. Aus allen Zielen müssen die wichtigsten Ziele selektiert werden.

Dadurch entsteht ein neuer Gruppenzusammenhalt. Die Mitglieder lernen ihre eigenen Vorstellungen nach hinten zu stellen und das Beste für die Gruppe zu entscheiden.

4. Performing – Arbeitsphase

In dieser Phase werden die zuvor ausgehandelten Ziele gemeinsam umgesetzt. Man hält zusammen, hilft sich gegenseitig und es erfolgt ein offener Austausch von Informationen auf der Basis gegenseitigen Vertrauens. Dadurch werden mit der Zeit bestimmte Strukturen wie z.B. Rollenstrukturen und Kommunikationsstrukturen gefestigt.

Nach dem Motto „Gemeinsam sind wir stark“ wird die Gruppe Erfolg haben und ihren Gruppenzweck erfüllen. Die Jugendlichen kommen gerne, freuen sich gemeinsam, Machtkämpfe sind nicht mehr nötig, gewinnen oder verlieren gemeinsam, unternehmen Ausflüge, Fahrten und bestehen Abenteuer.

Bei unserer Gruppe in der ersten Projektwoche wurde sehr schnell deutlich, dass auch mit den anfangs Schwächeren Schülern gerne zusammengearbeitet wird. Denn nach den ersten Kooperationsspielen hatten die Kinder sehr schnell gemerkt, dass auch die Stärken oder Schwächen der Anderen sehr hilfreich sein können, um gemeinsam zum Ziel zu kommen. Es wurden alle mit einbezogen und die ganze Gruppe arbeitete zusammen.

5. Reforming – Orientierungsphase

Die Gruppe geht auseinander oder spaltet sich. Einige Gruppenmitglieder gehen und neue kommen dazu.

Wichtig ist jetzt, dass den Gruppenmitgliedern deutlich wird, was sie aus dem Gruppenprozess gelernt haben. Was können sie aus den gesamten Ereignissen für ihr weiteres Leben mitnehmen.[15]

Bei unserer Projektwoche kam es jetzt darauf an, den Kindern noch mal zu verdeutlichen, wie sie das Gelernte der gesamten Woche auf ihren Alltag in der Schule und in ihrer Freizeit anwenden können.

Wie lange eine Phase dauert ist sehr unterschiedlich. Es gibt keine genaue Zeitvorgabe, an die man sich halten muss. Manchmal kann eine Phase sehr schnell abgeschlossen sein, wie bei unserer Gruppe z.B. die Forming Phase. Unsere Teilnehmer kannten sich teilweise schon aus der Klasse oder von dem Schulhof. Daher war die Forming Phase direkt nach dem ersten Training abgeschlossen. Andere Phasen wiederum können sich über mehrere Tage, Wochen oder sogar Jahre hinziehen. Dies ist immer abhängig von der Gruppenkonstellation, von dem Ziel und auch von den Problemen die gelöst werden müssen.[16]

Einige Phasen können ausgelassen oder übersprungen werden, wie z.B. die Storming Phase. Wenn die Rollen in einer Gruppe klar vergeben sind und die Gruppenmitglieder schnellstmöglich zum Ziel kommen wollen, kann es beispielsweise dazu kommen, das sie unnütze Streitereien direkt außen vor lassen und gleich nach rationalen, sachlichen Lösungen suchen.[17]

Für uns als Trainer ist es wichtig zu wissen, dass es diese Phasenabfolge gibt. In der Stormingphase kann es beispielsweise zu Auseinandersetzungen kommen. Hier ist es wichtig nicht direkt bei jeder kleinsten Auseinandersetzung zu intervenieren. Die Kinder müssen lernen, solche Auseinandersetzungen auch im Alltag lösen zu können.

Genauso muss man der Gruppe deutlich machen, dass sich die Gruppenkonstellation verändern kann oder sich die Gruppe sogar auflösen kann wenn ein Ziel erreicht ist. Auch neue Mitglieder müssen dann die Chance bekommen sich in die Gruppe zu integrieren. Die Phasenabfolge beginnt wieder von vorne.

Der Trainer kann anhand der Phasenabfolge der Gruppe sehen, wie sich die Mitglieder entwickeln.

5.4 Rollenverteilungen in Gruppen

Rollen vereinfachen das Miteinander in Gruppen. Durch fest eingenommen Rollen wird die Komplexität in der Gruppe verringert. Die Kommunikation der Gruppenmitglieder untereinander wird berechenbarer.[18]

Man kann vier gruppendynamische Rollen unterscheiden. Gruppenführer, Mitläufer, Außenseiter und Sündenbock. Gruppenführer sind Personen, die von der Gruppe verstanden werden bzw. die die Gruppe verstehen. Übliche Erwartungen eines Gruppenführers sind z.B. die Vertretung der Gruppe nach außen, das setzten von Gruppenzielen, anfallende Aufgaben nach den Fähigkeiten der Einzelnen so zu verteilen, das der Zusammenhalt der Gruppe gestärkt wird, bei Konflikten zu intervenieren und bei Bedarf auch einzelnen Gruppenmitglieder schützen.

Es gibt verschiedene Ausprägungen der Außenseiter-Rolle: der Trottel, der unerwünschte Mitläufer oder einfach ein nicht beachtetes Gruppenmitglied. Mögliche Gründe für die Entstehung von Außenseiter-Rollen sind z.B. Andersartigkeiten wie Nationalität, Sprache oder Religion, eine geringere Belastbarkeit im Gegensatz zu den übrigen Gruppenmitgliedern.[19] Der Außenseiter der Gruppe fühlt sich meist unwohl, da die übrigen ihm misstrauen oder ihn meiden. Für einen Trainer oder Gruppenleiter ist es nicht einfach, diese Rolle aufzulösen. Der Außenseiter gewöhnt sich an seine Rolle und passt sein Verhalten an diese Rolle an.

Als Trainer kann man in diesem Fall nur versuchen mit viel Geduld eine Lösung zu finden. Er kann mit dem Außenseiter sprechen, um dessen Situation zu verstehen und anschließend versuchen, das Problem mit der gesamten Gruppe zu lösen.

Die Mitläufer sind die größte Gruppe und machen das, was man von ihnen erwartet. Mitläufer sind machtflexibel, d.h. sie können sich jeder Führungskraft unterordnen. Sie liefern ihre Arbeit korrekt ab und tendieren zur Arbeit nach Vorschrift.

Der Sündenbock ist der ewig Schuldige. Er signalisiert Klarheit und bringt der Gruppe den Vorteil, dass die Schuldfrage geklärt ist.

Die Einnahme von Rollen führt dazu, dass die Gruppenmitglieder sich mit sich selbst auseinandersetzen müssen. Sie müssen sich klar darüber sein, in welcher Rolle sie sich selbst sehen, welche Rolle am besten zu ihnen passt.

Für uns als Trainer ist die Rollenverteilung hilfreich zur Einschätzung der einzelnen Gruppenmitglieder. Wir können so durch die Beobachtung feststellen, welche Rolle jeder einzelne Teilnehmer eingenommen hat und wie diese Rolle mit seiner Persönlichkeit übereinstimmt. Dies kann uns bei der Reflexion helfen. Wir können gezielter auf die Probleme der Gruppe oder der einzelnen Mitglieder eingehen und so einen besseren Transfer zum Alltag herstellen.[20]

6. Kooperatives Lernen

Da wir in unseren erlebnispädagogischen Trainings hauptsächlich kooperative Abenteuerspiele angewendet haben folgt hier eine kurze Einleitung in die Form des kooperativen Lernens.

Kooperatives Lernen ist eine Form des Gruppenunterrichts. Hierbei geht es um gemeinsame Prozesse die Schüler in Gruppenarbeit gemeinsam lösen sollen. Beim kooperativen Lernen spielen die Sozialkompetenzen eine große Rolle. Diese Kompetenzen sollen den Schülern genauso vermittelt werden wie die sachlichen Aspekte im Schulunterricht.

Ziel des kooperativen Lernens ist die Vermittlung von Sozialkompetenzen.

Kooperative Abenteuerspiele fördern das Selbstvertrauen, Mut und Geschicklichkeit. Es geht dabei aber nicht nur um die menschlichen Geschicklichkeiten für das Lösen einer Aufgabe sondern auch um das Kommunizieren mit den Gruppenmitgliedern. Mit Hilfe von kooperativen Abenteuerspielen können schwächere Gruppenmitglieder gestärkt werden und neue Fähigkeiten erkannt werden. Die Teilnehmer lernen miteinander zu arbeiten anstatt gegeneinander zu arbeiten.

Diese Art von Spielen verbindet die erlebnispädagogische Aktion mit dem sozialen Lernen in der Gruppe.

Bei den Spielen werden die Stärken und Schwächen der Gruppe aber auch der Einzelnen sichtbar. Die Gruppe und jeder Einzelne muss sich damit auseinandersetzen und lernen seine eigenen Stärken und Schwächen und die der Gruppe zu akzeptieren. Daher eigenen sich kooperative Abenteuerspiele hervorragend zur Förderung und Vermittlung des Sozialverhaltens.

Da bei unseren Projektwochen die Vermittlung von Sozialverhalten im Vordergrund stand, wurden hauptsächlich kooperative Abenteuerspiele durchgeführt.

6.1 Schwierigkeiten beim kooperativen Lernen

Doch auch das kooperative Lernen hat seine Ecken und Kanten. Auch hier können Schwierigkeiten auftreten. Für uns Trainer ist es deshalb wichtig, sich mit diesen Schwierigkeiten auseinander zusetzten und diese zu verhindern oder zu minimieren.

Auch hier besteht wieder die Gefahr der Überforderung. Die Gruppenmitglieder werden mit vielen neuen Informationen überladen, was den Lerneffekt verhindern kann.

Renkl, Gruber & Mandl (1995) beschreiben folgende Phänomene:

- Der-Hans-der-macht's-dann-eh-Phänomen:

Die Arbeit wird denjenigen Gruppenmitgliedern überlassen, denen es wichtig ist, ein gutes Ergebnis zu erzielen.

- Ja-bin-ich-denn-der-Depp-Phänomen:

Diejenigen, die die Hauptlast der Arbeit tragen, werden zunehmend verärgert und verlieren die Motivation für das Projekt.

- Da-mach-ich-es-doch-gleich-lieber-selbst-Phänomen (Matthäus-Effekt):

Gruppenmitglieder mit der höheren Motivation übernehmen hauptsächlich die Arbeit, da ihnen die Beiträge ihrer Mitstreiter oftmals nicht gut genug sind.

- Das-kann-und-mag-ich-nicht-mach-du-Phänomen (intrapersonaler Matthäus Effekt):

Die Arbeit wird aufgeteilt; was ich nicht kann das mach ich auch nicht, dann kann ich aber auch nichts Neues dazu lernen.

- Ich-habe-meinen-Teil-erledigt-Phänomen:

Manche Gruppenmitglieder weigern sich, weitere Beiträge zu leisten. Sie sind der Meinung, dass sie den Teil den sie erfüllen sollten bereits geleistet haben.

- Gruppenarbeit-nein-danke-Phänomen:

Bei auftretenden Schwierigkeiten innerhalb der Gruppe durch gestörte Kooperationsbereitschaft, sinkt die Motivation für Kooperationsbereitschaft für weitere Gruppenaufgaben.[21]

Wenn mir diese Phänomene als Trainer bekannt sind, kann ich bei Schwierigkeiten innerhalb der Gruppe besser intervenieren. Durch gezielte Reflexion kann spezieller auf Probleme eingegangen werden. Z.B. das „da mach ich es doch lieber selbst Phänomen“. In der Reflexionsphase kann gezielt darauf angesprochen werden, warum die Aufgabe nur von bestimmten Personen ausgeführt wird und wie diese Personen zu dem Verhalten der übrigen Gruppenmitglieder stehen.

7. Wirkungsmodelle

Wirkungsmodelle könnten auch als Reflexionsmodelle bezeichnet werden. Als Reflexion wird das an ein Training anschließende Aufarbeiten der Gefühle, der Eindrücke, die Stimmung der Personen, der Ablauf des Tages für jeden einzelnen Teilnehmer und der gesamten Gruppe verstanden. Diese Reflexion soll den Teilnehmern helfen, die Veränderungen die sie durch das erlebnisorientierte Training erfahren haben zu erkennen und dies auch sinnvoll in den Alltag zu übertragen. Hierfür gibt es eine Reihe von Modellen die diese Wirkungen hervorrufen sollen. Hier werden nun die drei in der Praxis gängigsten Modelle vorgestellt:

7.1 The mountain speak for themselves

The mountain speak for themselves ist das Urmodell der Erlebnispädagogik und war bis in die 60er Jahre relevant. Den Teilnehmern werden durch erlebnispädagogische Ausnahmesituationen in der Natur Schlüsselerlebnisse arrangiert die so beachtlich sind, dass sie Veränderungen hervorrufen. Der Transfer von pädagogischen Maßnahmen erfolgt bei den Teilnehmern automatisch, so dass eine Reflexion in diesem Modell nicht vorgesehen war. Die einzige Aufgabe der Pädagogen war es die Situation zu gestalten und die Sicherheit zu gewährleisten.

Dieses Modell wurde jedoch stark kritisiert. So war es fraglich, ob das Erlebte einfach nur dem Zufall überlassen werden kann ohne darüber ausführlich zu sprechen. Kann das Erlebte auch ohne Reflexion zu nachhaltigen Ergebnissen führen? Wie kann man ohne Reflexion den Lernerfolg der Teilnehmer feststellen oder auswerten? Das sind zu viele ungeklärte Fragen um eine längere Durchsetzung dieses Modells zu sichern.[22]

7.2 Outward Bound plus Modell

Dieses Modell baut auf das The Mountain speak for themselves Modell auf. Hier steht die Reflexion des Erlebten im Mittelpunkt. Durch eine gezielte Reflexion soll das Erlebte von den Teilnehmern besser verarbeitet und in das Leben integriert werden und so ein besserer Transfer für den Alltag hergestellt werden. Hier ist die Aufgabe der Pädagogen das Gestalten der Herausforderung und anschließend die Organisation des Reflexionsprozesses.[23]

Wie auch schon bei dem Ersten Modell ließ die Kritik des Outward Bound plus Modelles nicht lange auf sich warten. Es wurde kritisiert das die gelernten Erfahrungen hauptsächlich durch die Reflexion vermittelt wurden und nicht durch die erlebnispädagogische Aktivität. Durch die verstärkte Reflexion bekam dieses Modell einen therapeutischen Charakter.

Trotz all der Kritik gehört das Outward Bound Plus Modell heute immer noch zu dem am häufigsten angewendeten Modell.[24]

7.3 Metaphorisches Modell

Anfang der achtziger Jahre wurde der Schwerpunkt dann wieder mehr auf die Aktion gerichtet mit Hilfe des Metaphorischen Modells von Bacon.

In diesem Modell geht es darum die Lernsituation möglichst ähnlich der Lebenssituation mit Hilfe von Metaphern und Geschichten zu gestalten. Das heißt, die erlebnispädagogische Aktivität soll eine metaphorische Umsetzung des Alltags der Teilnehmer darstellen. Mit Hilfe einer isomorph gestalteten Alltagswelt, fällt es den Teilnehmern wesentlich leichter, das Gelernte im Alltag umzusetzen.

Die Teilnehmer befinden sich während der Trainingseinheit in zwei Wirklichkeiten. Erstens die dargestellte Trainingseinheit und zweitens der isomorphe Alltag. Je höher die Isomorphie bei der Trainingseinheit ist, desto weniger ist eine Reflexion im Anschluss notwendig.[25]

Bis heute gibt es keine genaue Anweisung darüber welches Modell am sinnvollsten ist. Eher ist man der Meinung, dass sich alle drei Modelle miteinander ergänzen. Für welches Modell man sich in der Praxis entscheidet oder ob man eine Kombination der Modelle wählt ist abhängig von der Schwerpunktsetzung, der Zielgruppe und der Aktion.[26]

Zusammenfassend kann man festhalten, dass es immer Kritik an den Reflexionsmodellen geben wird. Allerdings ist eine Reflexion in allen genannten Modellen nicht wegzudiskutieren, was eindeutig für diese Modelle spricht und je nach Zielsetzung in der Erlebnispädagogik Anwendung finden.

Das Thema des Transfers interessierte auch Simon Priest. Er vertiefte zusammen mit Michael Gass den Ansatz des metaphorischen Lernens nach Bacon.

Die folgenden Handlungslernmethoden sollen den möglich Transfer von der Aktivität zum Alltag darstellen:

- Handlungslernen pur“ (learning by doing)

entspricht dem Modell „The mountains speak for themself“

- „Kommentiertes Handlungslernen“ (learning by telling)

Nach dem Erlebnis kommentiert der Trainer seine Beobachtungen und versucht den Teilnehmern einen Transfer zum Alltag herzustellen

- „Outward Bound Plus“

Es kommt zu einer gemeinsamen Reflexion zwischen Teilnehmern und Trainer

Es werden gezielte Fragen zu Gefühlen und Verhaltensmustern gestellt

- „Direktives Handlungslernen“ (direction with reflection)

Lernziele und Entwicklungsmöglichkeiten werden von dem Trainer vor der Aktion angesprochen und thematisiert und dann durch die Aktion erprobt

- „Metaphorisches Handlungslernen“ (reinforcement in reflection)

Vor Beginn der Aktion wird eine Isomorphie zum Alltag hergestellt,

die Verhaltensänderung soll schon während der Aktivität vollzogen werden.

- „Indirektes metaphorisches Handlungslernen“ (redirection before reflection)

Die Teilnehmer werden in ihrem Interesse bestimmten kuriosen Situationen oder Provokationen ausgesetzt, durch die das gewünschte Verhalten zu Tage kommt (double bind Situationen). Vorher werden mögliche ineffektive aber sonst für die Gruppe typische Verhaltensweisen thematisiert, sodass die Gruppe sich entweder wieder so verhalten kann, es dann aber nicht als demotivierend erscheint, oder es besser macht.[27]

In der Erlebnispädagogik lernt man durch Handeln und metaphorisches Lernen. Lernen erfolgt immer in einem Prozess. Die Aufgabe des Trainers ist es, der Gruppe oder den Teilnehmern diesen Prozess so anzubieten, dass es zu keiner Über- oder Unterforderung kommt, denn dadurch wird die Motivation gesenkt und somit auch der Lernerfolg.[28]

Das Lernen in der Erlebnispädagogik geschieht durch ein Ereignis, ein Erlebnis und den anschließenden Transfer.

[...]


[1] Werner Michl, Erlebnispädagogik, S.17

[2] Erlebnispädagogik, Werner Michl, S. 11

[3] Praktische Erlebnispädagogik 1, Anette Reiners, S. 15

[4] Erlebnis und Pädagogik, Annette Reiners, S.17 f.

[5] Erlebnis und Pädagogik, Annette Reiners, S.17 f.

[6] Erlebnispädagogik, Werner Michl, S.21

[7] Praktische Erlebnispädagogik 1, Anette Reiners

[8] Erlebnispädagogik, Werner Michl, S. 27f.

[9] Erlebnispädagogik, Werner Michl, S. 29

[10] Vetter, 1998, S. 5

[11] Galuske; Methoden der sozialen Arbeit, S. 244

[12] Psychologie der Gruppe, Manfred Sader, S. 37 f.

[13] Dynamik in Gruppen, Stahl, Einführung

[14] Dynamik in Gruppen, Stahl, S.3 f.

[15] Eberhard Stahl, Dynamik in Gruppen, S. 45 f

[16] Eberhard Stahl, Dynamik in Gruppen, S. 62

[17] Eberhard Stahl, Dynamik in Gruppen, S. 55

[18] Stahl, Eberhard, Dynamik in Gruppen, S.303 f.

[19] Bähr, Wilhelm H. Ausbildung in der Gruppe. Berlin/Bonn 21999. S. 6E-9

[20] Dynamik in Gruppen, S. 302 ff.

[21] Renkl, A., Gruber, H. & Mandl, H. (1995) . Kooperatives Lernen in der Hochschule.

Forschungsbericht Nr. 46

[22] Erlebnispädagogik, Werner Michl, S.65

[23] Erlebnispädagogik, Werner Michl, S. 67

[24] Dolatschek: Erlebnispädagogische Ansätze- Neue Wege in der Gesundheitsförderung von Typ 2 Diabetikern, S.203 ff.

[25] Organisation in Bewegung bringen, S. 210, 211

[26] Schad, N., , S. 48f

[27] Vgl.Werner Michl (2009), S. 74

[28] Annette Reiners, Erlebnis und Pädagogik, S. 22

Ende der Leseprobe aus 72 Seiten

Details

Titel
Erlebnispädagogik mit störenden Schülern
Untertitel
Theorie und Praxis der Erlebnispädagogik
Hochschule
Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach
Note
1,3
Autor
Jahr
2011
Seiten
72
Katalognummer
V187430
ISBN (eBook)
9783656107712
ISBN (Buch)
9783656107750
Dateigröße
1494 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit ist in zwei Teile gegliedert. Der erste Teil beschäftigt sich mit der Theorie der Erlebnispädagogik, der zweite Teil befasst sich mit einem erlebnispädagogischen Training an einer Hauptschule.
Schlagworte
Erlebnispädagogik, störende Schüler, Sozialkompetenztraining
Arbeit zitieren
Gesine Timmer (Autor:in), 2011, Erlebnispädagogik mit störenden Schülern, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/187430

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Titel: Erlebnispädagogik mit störenden Schülern



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