Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Literaturhistorischer und religiöser Hintergrund Goethes Behandlung des Opferbrauchs in „ Iphigenie auf Tauris “
2. Dramaturgie des Menschenopferdiskurses in „ Iphigenie auf Tauris “
2.1 Der Zweifel an der Legitimation und am Zweck des Opferbrauchs
2.2 Der argumentative Kampf um die Deutung der Begründung des Menschenopfers
2.3 Der Opferbrauch und die Sakralisierung von Gesetzen
3. Der Opferbrauch als Ort der Religionskritik
3.1 Zur Moralisierung der Religion - Trennung zwischen Opferbrauch und Religiosität
3.2 Zur Sakralisierung der Moral - Trennung zwischen Mythos und Opferbrauch
4. Die Folgen autonomen Handelns von Iphigenie für den Opferbrauch
4.1 Iphigenies Kritik am Stellvertreteropfer
4.2 Iphigenies Bedeutungsverschiebung des Opferbegriffs
5. Verteufelte Humanität oder das Kreuz mit dem Opfer
5.1 Zur Bedeutung des individuellen Widerstands gegen die Praxis der Gewalt
5.2 Zum Vorwurf der Inhumanität individueller Freiheitsbehauptung
6. Fazit
7. Literaturverzeichnis
7.1 Primärliteratur
7.2 Sekundärliteratur
1. Literaturhistorischer und religiöser Hintergrund Goethes Behandlung des Opferbrauchs in „Iphigenie auf Tauris“
Goethes Tragödie Iphigenie auf Tauris ist vor dem Hintergrund seiner Bezugnahme auf die Iphigenie in Aulis von Euripides zu betrachten.1 Euripides entwickelt das verloren gegangen Drama von Aischylos, das sich auch mit dem Thema des Opferbrauchs beschäftigt hat, dahingehend weiter, dass Iphigenie durch den Eingriff von Diane vor dem Tod „am Altar“2 gerettet wird. An diesen ersten Schritt zur Humanisierung der Menschenopferpraxis knüpft Goethes Iphigenie an. Dabei steht im Zentrum seiner Kritik an der machtpolitischen Instrumentalisierung der Opferpraxis die religiöse Begründung derselben, da es, an dieser liege, dass die Menschen von ihrer Verantwortung gegenüber sich selbst und anderen freigesprochen und damit jeglicher Möglichkeit, den Opferbrauch zu überwinden, beraubt werden. Darüber hinaus ist Goethes Beschäftigung mit der Opferthematik auch vor dem Hintergrund seiner Auseinandersetzung mit dem Christentum zu betrachten, weil er auch in diesem Zusammenhang die religiöse Begründung des Opferbrauchs kritisierte. Das insti- tutionalisierte Christentum gehe, so Goethe, davon aus, dass „die menschliche Natur durch den Sündenfall dergestalt verdorben sei [...], deshalb der Mensch auf seine eignen Kräfte durchaus Verzicht zu tun, und alles von der Gnade und ihrer Einwirkung zu erwarten habe“3. Diese Haltung, die seiner Überzeugung, dass es „einen gewissen Keim“ gebe, „welcher, durch göttliche Gnade belebt, zu einem frohen Baume geistiger Glückseligkeit emporwachsen könne“4, entgegengesetzt war, nennt er als Grund dafür, dass er sich „von [...] werten Christenseelen absonderte“ und sich „ein Christentum zu [s]einem Privatgebrauch [bildete]“5. Wie sehr Goethe die christliche Haltung zum Menschenopfer missbilligte, zeigt auch seine Äußerung gegenüber dem preußischen General Rühle von Lilienstern:
Ich heidnisch? Nun, ich habe doch Gretchen hinrichten und Ottilien verhungern lassen, ist denn das den Leuten nicht christlich genug? was wollen sie noch Christlicheres.6
In der vorliegenden Arbeit wird deshalb der Versuch unternommen, aufzuzeigen, dass 1. in Goethes Iphigenie auf Tauris die Abschaffung der Mordpraxis durch die Humanisierung des Opferbrauchs als möglich und notwendig vorgestellt wird, wobei zur Humanisierung auch die Moralisierung der Religion gehört (Kap. 3); 2. dass die Substituierung des Menschenopfers sowie auch die Symbolisierung der Opferhandlung nicht zur grundsätzlichen Beseitigung des Opferbrauchs, sondern nur zu dessen Verlagerung von der kollektiven „Opferinstitution“7 zum individuellen, d.h. innerlichen Opfermechanismus führt, die durch die Bedeutungsver- schiebung des Opferbegriffs bedingt wird (Kap. 4). Im darauf folgenden 5. Kapitel werden die Auswirkungen der Bedeutungsverschiebung des Opferbegriffs, auf die auch Arkas proleptisch gleich zu Beginn der Tragödie hinweist, wenn er davon spricht, dass Iphigenie „den alten grausamen Gebrauch“ nur „ aufgehalten “, also nicht aufgehoben habe (V. 122 u. 125, Hervorheb. v. Verf.), vor dem Hintergrund Goethes Problematisierung der Humanität von Iphigenie diskutiert. Der ausführlichen Diskussion der Behandlung des Opferbrauchs wird eine kurze, explizit auf die Opferthematik bezogene Zusammenfassung des Inhalts von Iphigenie auf Tauris vorangestellt (Kap. 1.)
2. Dramaturgie des Menschenopferdiskurses in „Iphigenie auf Tauris“
2.1 Der Zweifel an der Legitimation und am Zweck des Opferbrauchs
Während die Opferhandlung im 1. Akt des 1. Auftritts der 1779 entstandenen Prosafassung Iphigenie in Tauris zum einen allgemein auf das Leben aller in der Fremde Lebenden bezogen ist8, und zum anderen ohne Anklage der Götter thematisiert wird, sind sowohl die Götterkritik als auch die Menschenopferpraxis bereits in der Exposition zum Thema der überarbeiteten und 1787 veröffentlichten Fassung geworden, wo es gleich zu Beginn heißt: „Ich rechte mit den Göttern nicht; allein / Der Frauen Zustand ist beklagenswert“ (V. 23-24). Es ist der Schmerz der geopferten und in der Fremde den „zweiten Tod“ (V.53) erleidenden Iphigenie, die an der Sinnhaftigkeit sowohl gott- als auch menschengewollter Menschenopfer zweifelt. Dieser unerträgliche Zustand ist der Grund für ihre Forderung, dass Götter selbst ein Opfer bringen sollen, in dem sie sie opfern bzw. indem sie auf Iphigenies Opferdienst verzichten, wie ihr Appell an Diane zeigt: „So gib auch mich den Meinen endlich wieder, / Und rette mich, die du vom Tod’ errettet, / Auch von dem Leben hier, dem zweiten Tode“ (V. 46-53). Zur Begründung der Möglichkeit des Verzichts auf Menschenopfer führt Iphigenie zum einen die Verhinderung ihrer eigenen Opferung durch die Göttin Diane an („Und unsre Göttin sieht willkomm’nem Opfer / Von Thoas Hand mit Gnadenblick entgegen.“ V. 60-63).
Zum anderen zieht sie mit ihrer Beschreibung der Konsequenzen des Opferstatus’, wonach die Opfernden stets zu neuen Opfern verpflichtet werden, die Legitimationsgrundlage der Opferbrauchs in Zweifel („Selbst gerettet, war / Ich nur ein Schatten mir, und frische Lust / Des Lebens blüht in mir nicht wieder auf.“ V. 88-90).
Arkas erinnert wiederum Iphigenie daran, dass sie in ihrer Funktion als Geopferte die Ansicht des Tyrannen Thoas zur Menschenopferpraxis durch jene dem Brauch entgegen gesetzte Kunst des überzeugenden Wortes gravierend verändert habe: „Wer hat den alten grausamen Gebrauch, / Daß am Alter Dianens jeder Fremde / Sein Leben blutend läßt, von Jahr zu Jahr / Mit sanfter Überredung aufgehalten?“ V. 124-25). Thoas stellt den Opferbrauch dagegen als eine Reaktion auf Situationen, die bei den Menschen Entscheidungskrisen auslösen, dar sowie als Ergebnis der Erfüllung von Sittengesetzen: „Dies Ufer schreckt die Fremden: das Gesetz / Gebietet’s und die Not“ (V. 258-59). Diese Argumente für den Opferbrauch sowie Thoas’ Bemühung um eine kollektivistische Begründung desselben („Menge, die das Opfer dringend fordert.“ V. 521), sind vor dem Hintergrund seiner persönlichen Niederlagen zu betrachten: Tod des Sohnes, wahrscheinlicher Ansehensverlust infolge des Fehlens eines leiblichen Nachfolgers, der die Herrschaftsmacht bedroht, und die Ablehnung des Heiratsangebots durch Iphigenie; das heißt sie sind für Thoas nicht gottgewollt, wie Arkas’ Rede bezeugt: „Ich sage dir, es liegt in deiner Hand. / Des Königs aufgebrachter Sinn allein / Bereitet diesen Fremden bittern Tod. / Das Heer entwöhnte längst vom harten Opfer / Und von dem blut’gen Dienste sein Gemüt“, V. 1465-69). Auf denselben Zusammenhang deutet Iphigenie in ihrem Tantalidenbericht hin, wenn sie davon spricht, dass Diane zwar „[d]urch Kalchas Mund des Königs ältste Tochter [forderte]“ (V. 420-23), sie jedoch auch auf Iphigenies Blut verzichtete („Sie rissen mich vor den Altar und weihten / Der Göttin dieses Haupt. - Sie war versöhnt; / Sie wollte nicht mein Blut [...]“, V. 425-27).
2.2 Der argumentative Kampf um die Deutung der Begründung des Menschenopfers
An Thoas’ Forderung der Wiederaufnahme des Opferbrauchs, die er auf den Zorn Dianes und des Volkes zurückführt (vgl. V. 516-21), schließt sich ein Deutungskampf um die richtige Begründung des Opfers zwischen Iphigenie und Thoas an. Während Thoas Iphigenies These vom vernünftigen Opferverzicht als rein individuelles Wunschdenken harsch zurück weist, führt Iphigenie ihre eigene Rettung, wonach Diane sie auch der opfernden Hand der Griechen entzogen hat, als Gegenargument an (V. 522-27). Dieser Konnex zwischen dem kollektiven Wir und dem Menschenopfer bildet auch das Zentrum in der Argumentation von Orest: „Soll ich wie meine Ahnen, wie mein Vater / als Opfertier im Jammertode bluten: / So sei es!“ (V. 576-78). Pylades kritisiert hierauf Orest, der aufgrund seines Zustands nicht in der Lage sei zu erkennen, dass ihrer beider Tod nicht dem Willen der griechischen Götter entspringen könne, da diese selbst die Praxis des Menschenopfers scheuten: „Diane sehnet sich / von diesem rauhen Ufer der Barbaren / und ihren blut’gen Menschenopfern weg“ (V. 734-36), weshalb er auch Iphigenie indirekt in die Nähe jenes griechischen Humanismus bringt: „Ich weiß, ein fremdes, göttergleiches Weib / Hält jenes blutige Gesetz gefesselt; / Ein reines Herz und Weihrauch und Gebet / Bringt sie den Göttern dar. Man rühmet hoch / Die Gütige“ (V. 772- 75). Iphigenie würde, weil Sie eine Fremde unter den Barbaren ist, und weil sie aus reiner Empathie handelnd die rituelle Praxis des Opferns durch das Weihräuchern und Beten ersetzte, so Pylades, ‘göttergleich’ handeln.
Pylades’ Argumentation deutet insgesamt auf die Doppelmoral der Menschenopfer- begründung hin, die nicht nur den Barbaren vorgehalten wird: neben der individuellen Möglichkeit der Begründung des Opferverzichts zugunsten der Lebenserhaltung der Individuen - wenn es um sein und das Leben von Orest handelt - beinhaltet siezugleich auch die Begründung der Forderung nach dem Menschenopfer beinhaltet - wenn es um das Wohl der Gemeinschaft geht, wie im Falle von Iphigenies Opferung (vgl. 906-11), obgleich der so begründete Opferbrauch in das Gegenteil einer Stabilisierung der opfernden Gesellschaft umschlagen kann, wie Pylades in seinem Bericht über Klytämnestras Handeln nach dem Verlust von ihrer Tochter Iphigenie zeigt: „Dies, sagt man, hat ihr einen Widerwillen / So tief ins Herz geprägt, daß sie dem Werben /Ägisthens sich ergab und den Gemahl /Mit Netzen des Verderbens selbst umschlang“ (V. 906-17).
2.3 Der Opferbrauch und die Sakralisierung von Gesetzen
Indem nun Iphigenie konsequent Dianes Beispiel des Opferverzichts folgt übt sie auch Kritik an Klytämnestras gewalttätiger Kritik am Opfer: „Wie könnt’ ich euch / Mit mörderischer Hand dem Tode weihen?“ (V. 932-33). Dass kein Menschenmord mehr notwendig ist, liege damit primär an Menschen, wie ihre Ablehnung der Opferpraxis einerseits und die Hinwendung zur betenden Fürsprache für die Opfer zeigt: „Sie ist hier / Die längst verlorne Schwester. Vom Altar / Riß mich die Göttin weg und rettete / Hierher mich in ihr eigen Heiligtum. / Gefangen bist du, dargestellt zum Opfer, / Und findest in der Priesterin die Schwester“ (V. 1217-22).
Dagegen kritisiert Arkas Iphigenies Sturheit auf die Zwiespältigkeit ihrer Humanitäts- vorstellung anspielend: Sie, die Griechin, zeichnet nun durch ihr handeln (Ablehnung des Heiratsantrags von Thoas) verantwortlich, dass Thoas erneut Menschenopfer fordert: „Ich sage dir, es liegt in deiner Hand. / Des Königs aufgebrachter Sinn allein / Bereitet diesen Fremden bittern Tod. / Das Heer entwöhnte längst vom harten Opfer / Und von dem blut’gen Dienste sein Gemüt“ (V. 1465-69). Während Arkas Iphigenie hier mangelnde Opferbereitschaft vorwirft, beschuldigt Pylades sie darüber hinaus, durch ihren Beschluss, Thoas die Wahrheit über den Diebstahl und den Fluchtplan mitzuteilen und so ihren Bruder und ihn zu gefährden, den Sinn des Opferns bzw. der Opferpraxis völlig zu entstellen: „Man sieht, du bist nicht an Verlust gewohnt, / Da du dem großen Übel zu entgehen / Ein falsches Wort nicht einmal opfern willst.“ (V. 1674-76).
Nachdem Arkas’ und Pylades’ Kritik an Iphigenies Haltung zum Opferbrauch als einer Negation des menschlich notwendigen Handelns geübt hatten, gibt ihr auch Thoas zu erkennen, dass ihre Ablehnung jeglicher (auch der Selbstauf-)Opferung weder für die Barbaren noch Griechen nachvollziehbar ist, und dass sie auch mit den menschlichen Leben im allgemeinen nicht vereinbar ist. Ein Opfer macht stets ein Gegenopfer erforderlich - dies sei nun eine menschliche Konstante, d.h. wenn man auf Menschenopfer verzichte, dann opfere man etwas, wofür man eine Gegenleistung erwarte, weshalb die Menschenopferpraxis gar nicht erst beendet werden kann: „Ja, wäre sie / In Meiner Ahnherrn rohe Hand gefallen, Und hätte sie der heil’ge Grimm verschont: / Sie wäre froh gewesen, sich allein / Zu retten, hätte dankbar ihr Geschick/ Erkannt und fremdes Blut vor dem Altar / Vergossen, hätte Pflicht genannt / was Not war [...]“ (V. 1788-96).
Iphigenies Appell an Thoas, die Opfersubstitution durch symbolisches Handeln als den einzig richtigen Weg den Zirkelschluss der Opferpraxis zu akzeptieren („O laß die Gnade, wie das heil’ge Licht / Der stillen Opferflamme, mir umkränzt / Von Lobgesang und Dank und Freude lodern.“ V. 1983-85), stellt den Versuch dar, mittels Sakralisierung des Rechtes auf Arkas’ Vorwurf, wonach sie mit ihrem Handeln zur Wiedereinführung des Opferbrauchs beitrage, zu reagieren. In der Prosafassung bemüht Iphigenie ein allgemeingültiges Gesetz m das über das gemeinschaftlich beschlossenes Opferforderungsgesetz steht, und das Menschenleben für unantastbar erklärt: „Mir gebietet ein ander Gesetz, ein älters, mich dir zu widersetzen, das Gesetz, dem jeder Fremde heilig ist.“9 Der Verzicht auf Menschenopfer ist somit nicht primär die Angelegenheit einer Gemeinschaft, über die sie frei bestimmen kann, wie es ihr beliebt, sondern das Menschenopferverbot entspringe, so Iphigenie, einem über das Gesetz einer Gemeinschaft stehendem Gesetz, das alle Gemeinschaften umfasst. Das universale Menschenrecht auf Leben steht gegenüber dem partikularen Gemeinschaftsrecht auf Exklusion bzw. auf Exekution Fremder.
Hieran knüpft am Ende auch Orest an, wenn er von der zeitlichen Abhängigkeit und damit der grundsätzlichen Möglichkeit der Veränderung der positiven Gesetze spricht. Während er jedoch in der Versform die Sakralisierung guter Taten der Herrscher zur Grundlage dieser Gesetze erklärt („Nachahmend heiliget ein ganzes Volk / Die edle Tat der Herrscher zum Gesetz.“ V. 2049-50), ist in der Prosafassung nur von der Entstehung der Gesetze durch langfristige Nachahmung humaner Taten die Rede: „Seltne Taten werden durch Jahrhunderte nachahmend zum Gesetz.“10 Somit tritt anstelle der Sakralisierung der Gesetze die Sakralisierung der Taten, wodurch 1. eine Kritik am Opfer als legitim erscheinen kann und 2. eine Verschiebung des Opferdiskurses ins Innere der Menschen erfolgt.
3. Der Opferbrauch als Ort der Religionskritik
3.1 Zur Moralisierung der Religion - Trennung zwischen Opferbrauch und Religiosität
Dass Opfer von Göttern gefordert werden und damit auch Ausdruck der göttlichen Macht, des göttlichen Willens darstellen, wird von Iphigenie deshalb als unmenschlich kritisiert, weil sie Menschen in zweierlei Hinsicht (individuell und kollektiv) unfrei machen. Zum einen wird durch das Opfern die Familie resp. Gesellschaft in eine Krise gestürzt - es ist die Opferung Iphigenies, die zum Zwist zwischen Klytämnestra und Agamemnon sowie letztendlich deren beider Tod führt (vgl. V. 911-17); zum anderen wird das Leben des Individuums und seine Fähigkeit zur Autonomie dadurch abgewertet, dass das Menschenopfer einem Freiheitsverbot gleicht, das mit dem moralischen Sollen, auf das Iphigenie anspielt nicht vereinbar ist („Mein Leben sollte / Zu freiem Dienst dir gewidmet sein.“ V. 37-38). Die hier enthaltene Götter- resp. Religionskritik umfasst, wie Borchmeyer, zeigt, eine Moralisierung der griechischen Götterbilder,11 die Goethe möglicherweise im Jahr 1830 auch dazu veranlasste, Iphigenie als „keineswegs so klassisch und im antiken Sinne, als wie man glauben möchte“12 zu bezeichnen.
[...]
1 Vgl. Miller u. Reinhardt: Iphigenie auf Tauris..., S. 729ff.
2 Ebd., S. 730.
3 Goethe: Dichtung und Wahrheit..., S. 676.
4 Ebd.
5 Ebd., S. 677.
6 Goethe, z. n. Kleßmann: Goethe und seine lieben Deutschen..., S. 260.
7 Girard: Das Heilige..., S. 23.
8 Vgl. Goethe: Iphigenie in Tauris..., S. 249.
9 Ebd., S. 284.
10 Ebd., S. 289.
11 Borchmeyer: Iphigenie auf Tauris..., S. 119 ff.
12 Goethe in einem Brief an Eckermann v. 21.März 1830.