Grenzen und Möglichkeiten der Implementierung von Trendsportarten in den Sportunterricht der Sekundarstufe I am Beispiel Parkour


Examensarbeit, 2011

77 Seiten, Note: 1,1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Trendsport - EineBegriffsbestimmung
2.1 Was sind Trends?
2.2 Was istTrendsport?

3. Schulsport
3.1 DerAuftrag des Schulsports
3.2 Die Rahmenbedingungen des Schulsports für die Sekundarstufe I

4. Trendsport in der Schule
4.1 Argumente für eine Integration von Trendsport in den Schulsport
4.2 Argumentegegen eine Integration von Trendsport in den Schulsport
4.3 Zwischenfazit

5. Parkour
5.1 Was ist Parkour
5.2 Didaktische Analyse von Parkour
5.2.1 SportpädagogischeAspekte
5.2.2 Inhaltliche Aspekte
5.2.3 Sicherheitsaspekte
5.2.4 Leistungsbewertung
5.3 Parkour im Kontext derTrendsportdiskussion

6. Parkoursport-Konzept
6.1 Äußere Rahmenbedingungen
6.2 Anforderungen an die Lehrperson

7. Fazit

8. Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1. Trendportfolio (Wopp, 2006, S. 15)

Abbildung 2. Entwicklungsverlauf von Trendsportarten (Lamprecht, Murer & Stamm, 2003, S. 38)

Abbildung 3. Inhaltsbereiche des Schulsports (MSFW, 2001, S. 47)

1. Einleitung

Stöbert man in den Pressearchiven der Zeitungen vergangener Jahre und Monate, so scheinen die Meldungen zu neuen Trendsportarten und deren Vielfalt unbegrenzt zu sein.

Im SPIEGEL ONLINE ist die Rede von „Polo auf Fahrrädern, Klettern an Autobrücken, Golf in der Fußgängerzone - immer neue Trends ersetzen in den Großstädten den traditionellen Sport.“ (SPIEGEL ONLINE, 21.09.2009). Wenige Monate zuvor titelte der Münchner Wochenanzeiger mit der Meldung: „Neuer Trend-Sport - Wave-Board: der Spaß kommt ins Rollen“ (Münchner Wochenanzeiger, 26.03.2009). Auch in aktuellen

Pressemeldungen erhalten Trendsportarten weiter Einzug. Besonders die Trendsportart Parkour findet hier großen Anklang. So schreibt der Hochschulanzeiger der Frankfurter Allgemeinen „Parkour: Trendsport und Lebenseinstellung - die 'Traceurs'[1] überwinden Mauern, Zäune und ganze Hochhäuser mit scheinbar spielerischer Eleganz“ (21.08.2011). Bereits 2007 prognostizierte die FAZ die erfolgreiche Entwicklung dieser Sportart und wies darauf hin, dass sie besonders in den Städten auf dem Vormarsch sei (FAZ.NET Gesellschaft, 11.01.2007).

Die Auszüge aus den Pressemeldungen deuten die Entwicklung an, dass immer neue Sportarten Einzug in die Bewegungskultur des Sports erhalten. Neu an dieser Entwicklung ist nicht die Tatsache, dass neue

Bewegungsfelder zu den traditionellen Sportarten hinzukommen, sondern mehr die Geschwindigkeit und Dynamik, in der sich die Aktivitäten ändern, die wir gewohnt sind als Sport zu bezeichnen (Laßleben, 2009, S. 5). Das Angebot an Sportarten ist somit riesig, wodurch auch die Schule aus einer Masse von Inhalten und Bewegungsfeldern wählen muss, wenn sie Trendsport im Unterricht teilhaben lassen will.

Es ist verständlich, wenn Sportlehrern hier teils die Orientierung fehlt und sie eher auf Altbewährtes zurückgreifen. Begründen ließe sich ein solches Handeln auch dadurch, dass die Bedeutung vieler Trendsportarten sicher auf eine mediale Überhöhung neuer Trends zurückführen ist. Der steigende Stellenwert einiger neuer Sportarten lässt sich jedoch auch durch diesen Einwand nicht schmälern. So werden der Sport und sogar der olympische Sport nicht mehr nur allein von den traditionellen Sportarten geprägt und repräsentiert, sondern olympische Medaillen sind inzwischen auch in Trendsportarten zu gewinnen. Als Beispiele ließen sich etwa Mountainbiken, Snowboarden, Beachvolleyball oder Triathlon nennen (Laßleben, 2009, S. 5).

Daraus ergibt sich die Frage, ob sich der Schulsport wirklich noch vor einer Behandlung von Trendsportarten im Unterricht verschließen kann, wenn sich selbst eher traditionelle Sportwettkämpfe, wie die olympischen Spiele, diesen Sportarten öffnen. Folgt man den Einschätzungen von Balz (2001), so scheinen Trendsportarten noch eher die Ausnahme als die Regel im Kontext von Schule zu sein. Traditionelle Sportarten, wie Leichtathletik, Fußball, etc. bestimmen dort weiter das Geschehen (Balz, 2001a, S. 4). Ein Blick in die SPRINT-Studie des DSB (2005) bestätigt dies und liefert den empirischen Beweis, dass die befragten Schülerinnen und Schüler wenig Gelegenheit haben, sich im Schulsport mit Trendsport auseinanderzusetzten (Laßleben, 2009, S. 5).Betrachtet man aber die Schülermeinung zu diesem Thema, so existiert dort verstärkt der Wunsch im Sportunterricht „irgendwas Außergewöhnliches, was man nicht alle Tage macht“, zu behandeln (Theis, 2010, S. 118).

Festzuhalten bleibt, dass sich die Welt des Sports in einem stetigen Wandel befindet. Diese Tatsache ist kein neues Phänomen, sondern eine Aufgabe, der sich der Sport und der Schulsport in der Geschichte immer stellen musste (vgl. Lange, 2007, S. 22). Neu an dieser Situation ist die zunehmende Geschwindigkeit, in der sich die sportliche Bewegungswelt verändert, wodurch die Gefahr eines Auseinanderdriftens von außerschulischer Bewegungswelt und Schulsport provoziert wird (vgl. Laßleben, 2009, S. 5).

Es entsteht die Frage, wie Schule auf diese neue Entwicklung reagieren soll und welche Möglichkeiten und Pflichten dabei für sie bestehen.

Im Kontext dieser Arbeit, soll dabei vor allem der Frage nachgegangen werden, ob Trendsportarten eine Möglichkeit für den Sportunterricht darstellen können diese Sportentwicklung zu berücksichtigen und der Forderung nach mehr Abwechslung und zeitgemäßen Sportangeboten in der Schule gerecht zu werden.

Um eine Grundlage zu schaffen, was überhaupt als Trendsport bezeichnet werden kann, wird im zweiten Kapitel dieser Arbeit zunächst eine Begriffsbestimmung erfolgen. Dabei sollen die Begriffe Trend und Trendsport genauer gefasst werden. Ziel dieses Kapitels ist es, Merkmale und Kriterien herauszustellen, durch die Trendsportarten bestimmt und von anderen Sportarten unterschieden werden können.

Das dritte Kapitel betrachtet die Vorgaben für das Fach Sport. In diesem Zusammenhang wird der Frage nach dem Auftrag und den existierenden Rahmenbedingungen des Schulsports nachgegangen. Es soll ein Überblick darüber entstehen, was der Sportunterricht leisten soll und welche Möglichkeiten und Pflichten damit verbunden sind.

Auf Grundlage dieser Betrachtungen beschäftigt sich das vierte Kapitel mit der Sinnhaftigkeit von Trendsportarten im Sportunterricht. Dabei sollen - mit Rückgriff auf die Fachdiskussion - Argumente für und gegen eine Implementierung von Trendsport-Angeboten in den Sportunterricht entwickelt und diskutiert werden. Die Ausführungen des Kapitels haben das Ziel zu klären, wie der Schulsport auf die neuen Entwicklungen der Bewegungswelt reagieren soll und welche Pflichten mit diesen gegebenenfalls verbunden sind.

Im fünften Kapitel werden die vorangegangenen allgemeinen Fragen und Erkenntnisse auf eine spezielle Trendsportart konkretisiert - die Sportart Parkour. Dabei soll zunächst geklärt werden, was diese Sportart ausmacht und ob sie im Kontext dieser Arbeit als Beispiel einer Trendsportart betrachtet werden kann. Anschließend soll sie auf ihren Nutzen für den Sportunterricht untersucht und rückschließend in den Kontext der Trendsportdiskussion eingeordnet werden. Die daraus entstandenen Erkenntnisse werden im sechsten Kapitel, in Form eines möglichen „Parkour- Konzepts“ für den Sportunterricht, zusammengefasst.

Das abschließende siebte Kapitel führt die Gesamtheit der Betrachtungen dieser Arbeit in einem Fazit zusammen und gibt Auskunft über die gewonnenen Erkenntnisse. Dabei soll der Argumentationsverlauf der Arbeit noch einmal resümiert und die Ausgangsfrage beantwortet werden, ob Trendsportarten im Allgemeinen und die Sportart Parkour im Speziellen Möglichkeiten für den Sportunterricht darstellen können.

2. Trendsport - Eine Begriffsbestimmung

ln den in der Einleitung präsentierten Auszügen aus den Pressemeldungen wurden bereits einige zum Teil kurios klingende Sportarten, wie "Fahrrad­Polo" oder "Fußgängerzonen-Golf", als Trends bzw. Trendsportarten deklariert. Was wird aber in der Fachliteratur wirklich als Trendsport definiert und welche Kriterien unterscheiden eine Trendsportart von einer "normalen" Sportart?

Um sich der Antwort dieser Frage zu nähern, werden im Folgenden zunächst die Bezeichnung "Trend" sprachlich genauer gefasst und die Merkmale von Trends detaillierter beschreiben (2.1). Anschließend soll unter dem Hintergrund der sportwissenschaftlichen Fachdiskussion eine Definition von Trendsport folgen, welche Merkmale von Trendsportarten aufzeigt und diese von traditionellen Sportarten abgrenzt. Neben den Merkmalen von Trendsportarten soll auch deren Genese kurz zur besseren Trennschärfe erläutert werden (2.2). Bei der Begriffsbestimmung sei darauf verwiesen, dass dieses Kapitel nur als Diskussionsgrundlage der weiteren Kapitel dienen soll und somit keinen Anspruch darauf erhebt, Vollständigkeit in der Gegenüberstellung allerTrendsportdefinitionen zu besitzen.

2.1 Was sind Trends?

Der Begriff "Trend" stammt ursprünglich aus dem Englischen und lässt sich mit Tendenz oder "Grundrichtung einer Entwicklung" (Duden, 1996, S. 750) übersetzen. Trends formieren sich durch die "massive Verdichtung bestimmter Themen zu neuen Entwicklungslinien" (Schildmacher, 1998, S. 63). DerTrendforscher Wopp (2006) definiert Trends als „durch Menschen bewirkte Grundrichtungen von Entwicklungen, die als Metaphern im Bewusstsein vieler Menschen verankert sind und Handlungen großer Bevölkerungsgruppen mindestens fünf Jahre lang beeinflussen“ (S. 23). ln dieser Definition sind bereits zwei idealtypische Merkmale von Trends enthalten, welche sich auch in der Allgemeinen Fachdiskussion wiederfinden lassen.

Wopp (2006) selbst bezeichnet diese mit "Wirkungsbreite" und "Wirkungsdauer" (S. 14f.). Laßleben (2009) fügt diesen beiden primären Merkmalen, welche er selbst als "Zeitdauer" und "Qualität" bezeichnet (S. 30), noch drei sekundäre Merkmale hinzu: Die "Entwicklungsrichtung", "Regionalität" und "Zielgruppenspezifik" (S. 30).

Die Wirkungsbreite bzw. Quantität eines Trends gibt Auskunft darüber, wie viele Menschen einer neuen Entwicklung folgen und wie viele Bereiche der Gesellschaft davon betroffen sind. Laßleben (2009) weist in diesem Kontext darauf hin, dass die Bezeichnung "Trend" zunächst nichts über die eigentliche Richtung einer Entwicklung aussagt, meist sei allerdings eine Entwicklung gemeint, welche sich durch einen Zuwachs auszeichne (S. 30f). Die Wirkungsdauer bzw. Zeitdauer eines Trends beschreibt jeweils die zeitliche Präsenz einer neuen Entwicklung. Nach Horx (1998, S. 11) haben Trends eine Lebensdauer von zehn bis 25, mindestens aber von fünf Jahren. Popcorn (1992, S. 37) gibt in diesem Kontext eine durchschnittliche Lebensdauer von zehn Jahren an. Je nach Wirkungsbreite und Wirkungsdauer lassen sich Trends in verschiedene Untergruppen bzw. Trendformen einordnen. Wopp (2006) nennt dabei „Moden“, „Hypes“, „Megatrends“ und „Nischentrends“, sowie "echte Trends" (S. 15f), welche er in einem Trendportfolio, wie folgt darstellt:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.1: Trendportfolio (Wopp, 2006, S. 15).

Moden definiert er dabei als Entwicklungen mit kurzer Wirkungsdauer und niedriger bis mittlerer Wirkungsbreite; Hypes sind Entwicklungen mit kurzer Wirkungsdauer und hoher Wirkungsbreite; Nischentrends sind durch mittel- bis langfristige Wirkungsdauer bei geringer Wirkungsbreite geprägt; Megatrends hingegen zeichnen sich durch eine lange Wirkungsdauer mit hoher Wirkungsbreite aus; Die "echten Trends" lassen sich zwischen diesen Untergruppen wiederfinden und sind durch eine Wirkungsdauer von mindestens fünf Jahren und einer mindestens mittleren Wirkungsbreite gekennzeichnet (Wopp, 2006, S. 16ff). Der Begriff Trend ist in den meisten Fällen mit der Bezeichnung des "echten Trends" gleichzusetzen und lässt sich in der Abbildung im Bereich des "Tipping-Points" finden. Der aus dem Englischen stammende Begriff Tipping-Point beschreibt dabei den Punkt, an dem es nach einer Anfangsphase einer Entwicklung zu einem markanten Anstieg kommt (Laßleben, 2009, S. 31).

Bei den Definitionen von Trends und seinen Unterformen sei darauf verwiesen, dass diese auch in nicht-linearen Verläufen stattfinden können. So weist Wopp (2006) darauf hin, dass Trends auch über lange Jahre existieren und ebenso nach Tiefpunkten wieder neu aufleben können (S. 19ff). Ein Trend der über einen sehr langen Zeitraum existiert, läuft demnach also keine Gefahr nicht mehr ein solcher zu sein.

Neben den primären Merkmalen Wirkungsdauer und Wirkungsbreite seien noch die drei sekundären Trendmerkmale nach Laßleben (2009) genannt. Bei diesen beschreibt die Entwicklungsrichtung die Differenzierung zwischen sogenannten "Top-down-Trends", Trends die von Unternehmen konstruiert und auf den Markt gebracht werden und "Bottom-up-Trends", Trends die aus subkulturellen Entwicklungen entstanden sind. Die Regionalität eines Trends berücksichtigt, dass dieser häufig vom geographischen Standpunkt abhängig ist, bei dem sowohl regionale, als auch infrastrukturelle Gegebenheiten eine Rolle spielen. Die Zielgruppenspezifik beachtet abschließend, dass Trends und vor allem auch Trendsportarten jeweils von der Zielgruppe bedingt sind, welche sich in allen sozialen Schichten und Altersgruppen befinden können (Laßleben, 2009, S. 32f).

Auf Grundlage dieser Merkmale lassen sich Trends nach Laßleben (2009) als "Phänomene innerhalb der Gesellschaft beschreiben, die das Handeln und Erleben in Beruf, Konsum und Freizeit über mehrere Jahre, in zunehmendem Maße [...], von 'oben' gesteuert oder von 'unten' entwickelt, regional verschieden und mit zielgruppenspezifischen Differenzen beeinflussen können" (S. 33).

Nach Schildmacher (1998b) ist die aktuelle sportliche Entwicklung in diesem Zusammenhang von fünf Trends gekennzeichnet (S. 14ff): 1. Der Trend vom Indoor-Sport zur Outdoor-Variante; 2. Der Trend vom normierten zum unnormierten Sport; 3. Der Trend vom Mannschafts- zum Gruppensport; 4. Der Trend vom geschützten zum risikoreichen Sport; 5. Der Trend vom verbindlichen zum unverbindlichen Sport.[2]

2.2 Was ist Trendsport

Nachdem eine Definition des Begriffs Trend aufgestellt worden ist, muss zur Erfassung des Trendsportbegriffs auf sprachlicher Ebene noch der Begriff Sport definiert und mit dem Begriff des Trends verknüpft werden. Diese Herangehensweise zur Begriffsbestimmung lässt sich auch bei Laßleben (2009, S. 37ff) wiederfinden, welcher aufgrund der wenigen klaren Trendsportdefinitionen in der sportwissenschaftlichen Literatur eine eigene Definition formuliert.

Versucht man eine einheitliche Definition von Sport zu finden, so stößt man in der Fachliteratur jedoch auf eine nicht minder schwierige Situation.

Wopp (2006) bezeichnet Sport als "die Lösung von Bewegungsaufgaben, die von den Handelnden als Sport bezeichnet werden"(S. 24). Auch Laßleben (2009), der anmerkt, dass die Sportwissenschaft keine eindeutige Realdefinition von Sport liefert (S. 38), kann den Begriff des Sports kaum enger fassen. Er definiert Sport als "ein kulturelles Tätigkeitsfeld, in dem Menschen auf Basis individuell unterschiedlicher, selbst bestimmter Motive versuchen, willkürlich geschaffene Bewegungsaufgaben nach vereinbarten Regeln und vorwiegend unter Einsatz ihres Körpers zu lösen" (Laßleben, 2009, S. 38).

Diese allgemeinen Formulierungen liefern im Hinblick auf eine Trendsportdefinition nur wenig Hilfreiches, da sie zusammen mit den bisherigen Erkenntnissen ein sehr weites Verständnis von Trendsportarten zugrunde legen. Nimmt man die primären Merkmale eines Trends, so wäre das Lösen von Bewegungsaufgaben, die von den Handelnden als Sport bezeichnet werden und welche sich über mehrere Jahre zunehmender Beliebtheit erfreuen, Trendsportarten. Zu dieser Erkenntnis kommt auch Laßleben (2009, S. 39) bei seinem Definitionsversuch.

Neben den etablierten Definitionen von Lamprecht/Stamm (1998a, S. 370) und Schildmacher (2001, S. 52ff) scheint die Definition von Schwier (2002) wohl die vorerst sinnvollste Beschreibung von Trendsport zu liefern: Da heißt es "der Begriff der Trendsportart [wird] zur Kennzeichnung von neuartigen bzw. lifestylegerecht aufbereiteten Bewegungspraktiken verwendet, denen kurz- oder mittelfristig ein erhebliches Verbreitungspotential vorhergesagt werden kann" (S. 7). Zusätzlich weist Schwier (2002) Trendsportarten sechs wesentliche Merkmale zu: 1. Trend zur Stilisierung, 2. Trend zur Beschleunigung, 3.Trend zur Virtuosität, 4. Trend zur Extremisierung, 5. Trend zum Event und 6. Trend zum Sampling (S. 22-31). Die Beschreibung von Trendsportarten über Merkmale lässt sich in ähnlicher Form auch bei anderen Autoren wiederfinden. Schildmacher (2001) etwa nennt vier konstitutive Merkmale des Trendsports: Kollektivität, Öffentlichkeit, Fristigkeit und Verdichtung von Themen (vgl. Schildmacher 2001, S. 52ff). Ebenso definiert Laßleben (2009) Trendsportarten über sieben spezifische Merkmale (vgl. Laßleben 2009, S. 39-45).

Zur Begriffsbestimmung in dieser Arbeit sollen die Erläuterungen der Merkmale von Schwier (2002) genutzt werden, welche in der Fachdiskussion häufig auftauchen und als anerkannt angesehen werden können. Laßleben (2009, S. 37) merkt lediglich an, dass Schwier (2002) offen lässt, wie viele dieser Merkmale erfüllt sein müssen, um von Trendsport reden zu können. Er dokumentiert jedoch selbst, dass es keine allgemeinen Merkmale gibt, die für alle Trendsportarten gelten, sondern Trendsportmerkmale nur qualitative Ähnlichkeiten und Überschneidungen beschreiben können (Laßleben, 2009, S. 39).

Zu den sechs Merkmalen von Trendsportarten nach Schwier zählen (Schwier, 2002, S. 22ff):

- Trend zur Stilisierung: Stilisierung meint, dass der Sport als individuelle und kulturelle Ausdrucksform genutzt und Element des Lebensstils wird. Dies kann sich in Sprache, Gesten, Ritualen und Kleidungsstilen ausdrücken. Es kommt zu einer Szenenbildung anstelle einer Vereinsbildung. Die Ausübung der Trendsportart geht dabei über das reine Sporttreiben hinaus.
- Trend zur Beschleunigung: Die Sportarten zeichnen sich durch extreme Rasanz und Dynamik in den Bewegungen aus, was zu einer hohen Aktionsdichte führt. Dazu werden z.B. Spielerzahl, Spielfeldgröße oder Regeln der traditionellen Sportarten verändert.
- Trend zur Virtuosität: Bei der Ausführung der Bewegungen steht weniger der Leistungsgedanke im Vordergrund, sondern mehr die kreative Auseinandersetzung mit der Bewegungsaufgabe und dem Bewegungserlebnis. Das Einüben und die Perfektionierung von (eigenen) Tricks ersetzen den Konkurrenzkampf.
- Trend zur Extremisierung: Die Sportler suchen nach Extremen und Grenzerfahrungen. Dabei reicht die sportliche Leistung als Limit meist nicht aus. Es wird auf technische Hilfsmittel und Absicherungen verzichtet oder die Sportart unter besonderen äußeren Bedingungen durchgeführt. Besonders im Bereich der Outdoor-Sportarten steigt der Drang nach neuen Extremen.
- Trend zum Event: Die Organisation der Sportart ist im Gegensatz zu den klassischen Sportwettkämpfen informeller und unterhaltungs­orientierter. Dazu gehören häufig Verknüpfungen mit Partys und Produktwerbungen. Die Trennung zwischen aktiven Sportlern und Zuschauern wird dabei weitestgehend aufgehoben. Marketing und Kommerzialisierung spielen eine zunehmende Rolle.
- Trend zum Sampling: Bereits bekannte Sportarten werden aus ihrem bisherigen Kontext herausgelöst, neu kombiniert oder miteinander vermischt. Bekannte Beispiele sind etwa die Verlagerung von

Volleyball in den Sand zum Beachvolleyball oder die Addition der Sportarten Laufen, Schwimmen und Radfahren zum Triathlon.

Diese sechs Merkmale von Trendsportarten können jeweils in wechselnden Kombinationen auftreten (Schwier, 2002, S. 22). Laßleben (2009) ordnet Trendsportarten in seinen Ausführungen sehr ähnliche Merkmale zu (vgl. S. 39-45) und kommt abschließend zu folgender Trendsport-Definition, welche auch in dieser Arbeit, neben den Trendsportmerkmalen von Schwier (2002), als Begriffsgrundlage genutzt werden soll:

"Unter Trendsport werden neue, sportliche Bewegungsformen verstanden, die sich über mehrere Jahre hinweg zunehmender Beliebtheit erfreuen. Trendsport wird primär in informellen Kontexten organisiert, betont erlebnis- und verlaufsorientiert ausgeübt und vorwiegend nach stilistischen Kriterien bewertet.

Die durch ihre Verbindung mit hochwertigen Sportgeräten exklusiven Sportarten werden von den Akteuren in ihren Lebensstil eingebunden und umfassend kommerzialisiert." (Laßleben, 2009, S. 45)

Zur abschließenden Definition des Trendsportbegriffs sei schließlich noch auf dessen Entstehungsprozess verwiesen. Damit sich eine Sportart im sportwissenschaftlichen Sinn als Trendsportart bezeichnen lassen kann, muss sie neben der Erfüllung gewisser Merkmale auch in ihrer Entwicklung einem bestimmten Ablauf folgen. Diese so genannte Genese einer Trendsportart wird in der Sportwissenschaft im Rahmen verschiedener Modelle behandelt (vgl. Laßleben, 2009, S. 50).

Da dieser Abschnitt hauptsächlich der genaueren Trennschärfe zwischen Trendsportarten und Nicht-Trendsportarten dienen soll, beschränken sich die folgenden Ausführungen allein auf das Modell von Lamprecht & Stamm (2002). Diese unterscheiden fünf Phasen bei der Genese von Trendsportarten, von denen eine Sportart mindestens die ersten vier durchlaufen haben muss, um als Trendsportart gelten zu können (Lamprecht & Stamm, 2002, S. 108ff).

Mit Hilfe von sechs verschiedenen Kennzeichen lässt sich eine Trendsportart in diesem Modell leicht in eine derfünf Entwicklungsphasen einordnen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.2 Entwicklungsverlauf von Trendsportarten (Lamprecht, Murer & Stamm, 2003, S. 38)

Die erste der fünf Phasen bildet dabei die Invention, sprich die Erfindung oder Idee einer neuen Sportart. In dieser Phase wird eine mögliche Umsetzung der neuen Sportart von meist wenigen Personen geplant. In der zweiten Phase, der Innovation, greift die Begeisterung der neuen Sportart auf Kleingruppen über, wobei deren Ausbreitung auf lokale Zentren begrenzt ist. Die Bewegungsteilnehmer arbeiten an Verbesserungen und Verfeinerungen der Sportart, abseits der Bekanntheit in den Massenmedien. Der erste Durchbruch der Sportart gelingt in Phase drei, der Entfaltung und des Wachstums. Hier zieht die Sportart das Interesse weiterer Kreise auf sich und entwickelt "Kultpotential", allerdings noch eher in subkulturellen Lebensstilgruppen. Dabei überträgt sich das Lebensgefühl der Generation der Pioniere auf informelle Gruppen. Ein weiteres Merkmal dieser Phase ist die Öffnung erster Märkte für die Sportart. Industrielle Massenproduktion und eine zunehmend formelle Organisationsform prägen die vierte Phase, die Reife und Diffusion. Hier genießt die Sportart bereits einen starken Verbreitungsgrad, sowie ein hohes Medieninteresse. Die Sportindustrie versucht von dem neuen Trend zu profitieren und es kommt zur Kommerzialisierung der Sportart. Der Trend wird zum Allgemeingut und die Sportart darf offiziell als Trendsportart bezeichnet werden. In der fünften und letzten Phase, der Sättigung, lässt sich die Trendsportart dann kaum mehr vom traditionellen Sportangebot abheben. Sie ist hier fester Bestandteil des Sportmarktes und etablierter Sportorganisationen.

Mit der Darlegung der Trendsportmerkmale nach Schwier (2002) sowie der Definition der verschiedenen Phasen im Genese-Zyklus einer Trendsportart sollte die Begriffsbestimmung in diesem Kapitel abgeschlossen sein. Es bleibt festzuhalten, dass sich der Trendsport vom übrigen Sport nicht in absoluter Trennschärfe abgrenzen lässt (vgl. Laßleben, 2009, S. 56) und es nicht “die Merkmale” gibt, in denen alle Trendsportarten gleich sind. Durch die Ausführungen in diesem Kapitel sollte jedoch eine ausreichende Grundlage zur korrekten Verwendung des Trendsportbegriffs im Kontext dieser Arbeit erfolgt sein.

3. Schulsport

Bevor die Integration von Trendsportarten und vor allem die Sportart Parkour im Schulsport thematisiert werden kann, muss zunächst der Schulsport selbst genauer betrachtet werden. Es ist zu klären, welche Aufgaben diesem zugeordnet sind und wie ein „guter Sportunterricht“ nach den bestehenden Vorgaben aussehen sollte. Auf Grundlage der Richtlinien und Lehrpläne wird der Auftrag des Schulsports genauer erfasst und geklärt werden, warum Sport überhaupt in Schule stattfindet (3.1). Anschließend wird auf Grundlage der Rahmenvorgaben des Schulsports untersucht, welche Möglichkeiten dem Sportlehrer bei derWahl seiner Inhalte überlassen sind (3.2).

Ziel dieses Kapitels ist die Klärung, ob der Auftrag und die Vorgaben des Schulsports ein Unterrichten von Trendsportarten ermöglichen und dies ggf. sogar fordern, oder ob dafür in Schule kein Raum besteht. Wie im Thema der Arbeit formuliert bezieht sich die Analyse der Lehrpläne auf die Vorgaben für die Sekundarstufe I. Ebenso möchte ich mich dabei auf die Lehrpläne des Landes NRW beschränken, in welchem diese Arbeit verfasst wird, da eine Gegenüberstellung der Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Lehrpläne aller Bundesländer den Rahmen dieser Arbeit überschreiten würde. Neben dem persönlichen geographischen Bezug zeichnen sich die Lehrpläne Sport des Landes NRW von 2001 auch dadurch aus, dass sie in der Literatur häufig als Musterbeispiel für neue Tendenzen und Innovationen im Schulsport, sowie für die Entwicklung neuer Lehrpläne in ganz Deutschland angegeben werden (vgl. Stibbe & Aschebrock, 2007, S. 166ff).

3.1 Der Auftrag des Schulsports

Folgt man den Ausführungen des Ministeriums für Schule, Wissenschaft und Forschung (MSWF) des Landes NRW (2001) hinsichtlich der Richtlinien und Lehrpläne im Fach Sport, so kommt die Institution Schule durch den Schulsport ihrer Verantwortung für den Aufgabenbereich Körper und Bewegung, Spiel und Sport nach. Dabei habe dieser im Vergleich zu anderen Fächern aus pädagogischer Sicht eine Sonderstellung, da hier die

Körperlichkeit der Schüler[3] in besonderer Weise angesprochen würde (S. 39; vgl. Balz & Kuhlmann, 2003, S. 205). Er ist jedoch nicht allein auf die körperliche und motorische Dimension beschränkt. Da Bewegungen im Schulsport stets mit sozialen Bezügen, Emotionen, Motiven, Kognitionen und Wertvorstellungen verbunden sind, trägt der Sportunterricht ebenso einen entscheidenden Teil zur ganzheitlichen Erziehung der Schüler bei (MSFW, 2001, S. 39). Diese Position findet sich auch bei Bräutigam (2003) wieder, welcher der Meinung ist, dass Sportunterricht entscheidende Beiträge zur Leistungs-, Sozial- und Gesundheitserziehung, sowie auch der ästhetischen Erziehung liefert (S. 33ff). Diese Entwicklungsförderung von Kindern und Jugendlichen findet sich ebenso im Auftrag des Schulsports wieder, wie die Aufgabe den Blick der Schüler für die Bewegungs-, Spiel- und Sportkultur in der Gesellschaft zu öffnen. Diese beiden Positionen vereinen sich im Doppelauftrag des Schulsports mit der Entwicklungsförderung durch Bewegung, Spiel und Sport einerseits und der Erschließung der Bewegungs-, Spiel- und Sportkultur andererseits (MSFW, 2001, S. 39). Bräutigam (2003) beschreibt diesen Doppelauftrag auch als Erziehung zum und durch Sport (S. 84ff).

Der Bereich der Entwicklungsförderung richtet dabei den Fokus auf die Kinder und Jugendlichen. Diese sollen durch vielfältige Erfahrungen in sportbezogenen Aufgabenstellungen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung vorangebracht werden. Die Lehrperson ist also beauftragt, ausgehend von den individuellen Voraussetzungen der Schüler pädagogisch zu differenzieren (MSWF, 2001, S. 39f).

Die Aufgabe der Erschließung der Bewegungs-, Spiel- und Sportkultur richtet den Blick hingegen auf Aktivitäten und Handlungsmuster des Sports. Hier soll den Schülern die Vielfältigkeit der Sportarten aufgezeigt und ein selbstverantwortliches Sporttreiben initiiert werden (MSWF, 2001, S. 40). Außerdem dient dieser Aufgabenbereich dazu, Bezug zur gesellschaftlichen Wirklichkeit des Sports außerhalb der Schule zu nehmen. Die Schüler sollen zur Handlungsfähigkeit in vielfältigen Sportarten und zur eigenständigen Prüfung derer Sinnhaftigkeit angeleitet werden (MSWF, 2001, S. 40).

Das übergreifende Ziel dieses Bereiches ist Sport für die Schüler zu einem regelmäßigen Faktor einer aktiven und sinnbewussten Lebensgestaltung werden und bleiben zu lassen (MSFW, 2001, S. 40).

Für den Sportlehrer bedeutet dies, den Doppelauftrag als pädagogische Aufgabe zu erkennen und im Sportunterricht umzusetzen. Dazu liefern die Rahmenvorgaben für den Sportunterricht sechs pädagogische Perspektiven, die erkennen lassen inwiefern Sport pädagogisch wertvoll sein kann. Sie geben eine Antwort auf die Frage, wie sich die Entwicklung von Heranwachsenden im Sportunterricht fördern lässt (MSFW, 2001, S. 40). Das MSFW (2001) merkt in diesem Kontext explizit an, dass der Auftrag des Schulsports unvollständig erfüllt bleibt, wenn eine dieser Perspektiven vernachlässigt wird (S. 41). Die Auflistung der sechs pädagogischen Perspektiven, sowie die Erläuterung weiterer Rahmenvorgaben des Schulsports folgen im nächsten Abschnitt dieses Kapitels.

3.2 Die Rahmenvorgaben des Schulsports für die Sekundarstufe I

Zu den sechs pädagogischen Perspektiven aus den Rahmenvorgaben des MSFW NRW zählen: (a) Wahrnehmungsfähigkeit verbessern und Bewegungserfahrungen erweitern, (b) sich körperlich ausdrücken und Bewegungen gestalten, (c) etwas wagen und verantworten, (d) das Leisten erfahren, verstehen und einschätzen, (e) kooperieren, wettkämpfen und sich verständigen und (f) Gesundheit fördern und Gesundheitsbewusstsein entwickeln (MSFW, 2001, S. 41ff).

Auf eine detaillierte Erläuterung des pädagogischen Wertes der einzelnen Perspektiven wird an dieser Stelle verzichtet (siehe dazu: MSFW, 2001, S. 41ff). Es sei mehr darauf verwiesen, dass sich der pädagogische Wert der Perspektiven nicht von selbst ereignet, sondern durch eine entsprechende Auswahl von Unterrichtsinhalt und -gestaltung hervorgehoben werden muss (MSFW, 2001, S. 45).

[...]


[1] “Traceurs” oder “Traceur” (Plural: „Traceure“) ist die aus Frankreich stammende

Bezeichnung für die Akteure der Sportart Parkour ((vgl. Schmidt-Sinns, Scholl, Pach, 2010, S. 17).

[2] Laßleben benennt in diesem Zusammenhang drei Trends: 1. Die zunehmende

Entnormierung des Sports; 2. Die zunehmende Informalisierung des Sporttreibens; 3. DerTrend vom Belohnungsaufschub zum Instanterlebnis (Laßleben, 2009, S. 46-49).

[3] ln diesem und den folgenden Kapiteln wird in der Regel die männliche Form genutzt. Dies dient nur der besseren Lesbarkeit; es sind selbstverständlich beide Geschlechter angesprochen.

Ende der Leseprobe aus 77 Seiten

Details

Titel
Grenzen und Möglichkeiten der Implementierung von Trendsportarten in den Sportunterricht der Sekundarstufe I am Beispiel Parkour
Hochschule
Universität Paderborn
Note
1,1
Autor
Jahr
2011
Seiten
77
Katalognummer
V187640
ISBN (eBook)
9783656117469
ISBN (Buch)
9783656132301
Dateigröße
1228 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Trendsportarten, Le Parkour, Sportunterricht, Trendsport, Parkour
Arbeit zitieren
Steffen Schmidt (Autor:in), 2011, Grenzen und Möglichkeiten der Implementierung von Trendsportarten in den Sportunterricht der Sekundarstufe I am Beispiel Parkour, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/187640

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