Dissonanz- und Selbstwahrnehmungstheorie

Ein Erklärungsansatz zur Einstellungsbildung und -änderung


Lizentiatsarbeit, 2008

85 Seiten, Note: 6.0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

ABSTRACT (SP / CW) IV

1 EINLEITUNG
1.1 Definition der Einstellung (CW / SP)
1.2 Die verhaltensbezogene Komponente der Einstellung (SP / CW)

2 DISSONANZTHEORIE (SP)
2.1 Herleitung der Dissonanztheorie
2.2 Studien zur kognitiven Dissonanz
2.3 Zusammenfassung der Dissonanztheorie

3 SELBSTWAHRNEHMUNGSTHEORIE (CW)
3.1 Herleitung der Selbstwahrnehmungstheorie
3.2 Empirische Studien zur Selbstwahrnehmungstheorie
3.3 Zusammenfassung der Selbstwahrnehmungstheorie

4 VERGLEICH DER DISSONANZ- MIT DER SELBSTWAHRNEHMUNGSTHEORIE
4.1 Unterschiedliche Erklärung desselben Phänomens (SP / CW)
4.2 Vergleichende Studien zu den beiden Theorien (CW / SP)
4.2.1 Interpersonale Simulationen
4.2.2 Vorherrschende Einstellungsvalenz
4.2.3 Vorherrschende Einstellungsintensität
4.3 Gültigkeitsbereich der beiden Theorien (SP / CW)
4.4 Interpretation der inkonsistenten Resultate (SP / CW)

5 HERLEITUNG DER HYPOTHESEN (SP / CW)
5.1 Formulierung der Voraussetzungen
5.2 Formulierung des Gültigkeitsbereiches der beiden Theorien
5.3 Formulierung des Zusammenhangs zwischen der vorherrschenden Einstellung und dem Arousal
5.4 Formulierung der Indikatoren zur Dissonanztheorie
5.5 Formulierung der Indikatoren zur Selbstwahrnehmungstheorie
5.6 Zusammenfassung der Hypothesen

6 METHODE (CW / SP)
6.1 Experimentelles Design
6.2 Einstellungsobjekt
6.3 Messinstrumente
6.3.1 Einstellungsvalenz und -intensität
6.3.2 Arousal (Erregungszustand)
6.4 Versuchsplan
6.4.1 Rekrutierung
6.4.2 Erste Einstellungsmessung
6.4.3 Coverstory und Installation des Messgeräts
6.4.4 Manipulation
6.4.5 Zweite Einstellungsmessung und Manipulation der Handlungen
6.4.6 Misstrauensitems

7 RESULTATE (BEIDE GLEICH)
7.1 Stichprobe
7.2 Prüfung der Eindimensionalität
7.3 Aufbereitung der Rohdaten
7.3.1 Berechnung der Einstellungsvalenz und -intensität
7.3.2 Berechnung der elektrodermalen Aktivität
7.4 Prüfung der Kontrollitems
7.5 Prüfung der Voraussetzung: Änderung der Einstellung
7.6 Prüfung des Zusammenhangs zwischen der vorherrschenden Einstellung und dem Arousal
7.7 Prüfung der Indikatoren zur Dissonanztheorie
7.8 Prüfung der Indikatoren zur Selbstwahrnehmungstheorie
7.9 Prüfung des Gesamtmodells

8 DISKUSSION
8.1 Interpretation der Ergebnisse (CW / SP)
8.2 Erklärung der Resultate anhand der beiden Theorien (SP / CW)

LITERATURVERZEICHNIS

ANHANG A: KOGNITIVE AUFGABEN & AROUSAL

ANHANG B: MANIPULATION, ZWEITE EINSTELLUNGSMESSUNG UND KONTROLLITEMS

ABSTRACT

Der in dieser Arbeit vorgestellte Erklärungsansatz zur Einstellungsbildung und -änderung postuliert, dass die Selbstwahrnehmungstheorie die Einstellungsbildung, die Dissonanztheorie die Einstellungsänderung zu erklären vermag.

Um diese Aussage empirisch zu testen, führten wir ein Laborexperiment durch, bei dem die Probanden forciert wurden, entweder einer oder zwei einstellungsdiskrepanten Handlungen zum Thema 20min zuzustimmen. Erhoben wurden die prä- und post- manipulative Einstellungsvalenz und -intensität sowie das prä- und post-manipulative A- rousal.

Hypothesenkonform zeigten die Probanden tatsächlich eine Veränderung der Einstel- lungsvalenz zugunsten der kritischen Handlung bzw. Handlungen. Entgegen unseren Er- wartungen ist das Ausmass des erlebten Arousals allerdings unabhängig von der prä- manipulativen Einstellungsintensität und davon, ob eine grosse Diskrepanz zwischen der prä-manipulativen Einstellungsvalenz und der Handlung bzw. den Handlungen besteht. Auch die Veränderung der Einstellungsvalenz steht weder in einem systematischen Zu- sammenhang mit der Stärke des erlebten Arousals, noch mit der Anzahl eingewilligter Handlungen. Der Erklärungsansatz zur Einstellungsbildung und -änderung kann aufgrund der Resultate also nicht bestätigt werden.

1 EINLEITUNG

1.1 Definition der Einstellung

Die Frage, was Einstellungen genau sind, wie sie gebildet und verändert werden, wie sie gemessen werden können und welcher Zusammenhang zwischen Einstellung und Verhalten besteht, wurde in der Forschung breit diskutiert. Immer wieder werden die neuesten Erkenntnisse aus der Einstellungsforschung in Review Artikeln zusammen- gefasst (z.B. Ajzen, 2001; Cialdini, Petty & Cacioppo, 1981; Crano & Prislin, 2006; Petty, Wegener & Fabrigar, 1997; Tesser & Shaffer, 1990). Wir wollen uns für diese Arbeit mit einer umfassenden Definition begnügen und uns dann auf zwei klassische Theorien konzentrieren, die erklären, wie Einstellungen gebildet bzw. verändert werden. Es handelt sich dabei um die Dissonanztheorie (Festinger, 1957) und die Selbstwahr- nehmungstheorie (Bem, 1972).

Eagly und Chaiken (1993) definieren Einstellungen als „eine psychologische Ten- denz, die sich durch Evaluation einer spezifischen Entität als zu- oder abneigend aus- drückt“ (Eagly & Chaiken, 1993, S. 1). Gemäss dieser Definition beinhaltet eine Ein- stellung die drei Schlüsselaspekte Tendenz, Entität und Evaluation. Diese drei Faktoren bestimmen das Ausmass, zu welchem eine Person ein spezifisches Einstellungsobjekt positiv oder negativ bewertet. Wird eine Person mit einem Objekt (Entität) konfrontiert, löst dies bestimmte evaluative Reaktionen aus. Diese Bewertungen können bewusst oder unbewusst sowie kognitiv, affektiv oder verhaltensbezogen sein. Als Folge dieser Konfrontation und der dadurch ausgelösten evaluativen Prozesse entsteht eine psycho- logische Tendenz, die vorhersagt, wie eine entsprechende Person in Zukunft auf das Einstellungsobjekt reagieren wird. Dies kann in einer Zu- oder Abneigung resultieren (Eagly & Chaiken, 2007). Die psychologische Tendenz lässt sich als Einstellung im engeren Sinne gegenüber der Entität betrachten.

Mit dieser Definition gelingt es den Autoren, möglichst viele Konzepte und Theo- rien aus der Einstellungsforschung einzubeziehen. So können Entitäten Personen, Ob- jekte oder abstrakte Konstrukte sein. Die evaluativen Prozesse können sich auf kogniti- ve (z.B. es gibt viele Ausländer), affektive (z.B. Abneigung gegenüber Ausländern) oder verhaltensbezogene Elemente (z.B. soziale Interaktion mit Ausländern) beziehen, die entweder implizit oder explizit vorhanden sind. Somit wird die Definition auch der Annahme gerecht, dass implizite Einstellungen vorhanden sein können, welche sich nicht durch Befragungen messen lassen. Für die eigentliche Einstellung wurde bewusst der Ausdruck psychologische Tendenz verwendet, anstatt Disposition oder Zustand. Denn letztgenannte würden auf eine dauerhafte Stabilität der Einstellung hindeuten. Es gibt jedoch Forscher, die der Meinung sind, Einstellungen seien instabil und würden situativ immer wieder neu konstruiert (vgl. z.B. Schwarz, 2007).

1.2 Die verhaltensbezogene Komponente der Einstellung

Lange herrschte bei Psychologen die Meinung vor, dass eine Verhaltensänderung zunächst eine Einstellungsänderung voraussetzt. Verschiedene Studien belegen, dass die Einstellung tatsächlich ein nützlicher Prädiktor für zukünftiges Verhalten sein kann (vgl. z.B. Andrews & Kandal, 1979; Kahle & Berman, 1979). Diese Annahme musste allerdings der Erkenntnis weichen, dass ein Verhalten ebenso die Einstellung verändern kann (vgl. z.B. Aronson, 1997; Bem, 1972; Festinger, 1957). Einstellungen, welche aufgrund einer direkten Erfahrung mit einem Einstellungsobjekt gebildet werden, sind sogar ein besserer Prädiktor für das Verhalten als Einstellungen ohne solche Erfahrun- gen (Regan & Fazio, 1977; Songer-Nocks, 1976). Anstelle der ursprünglich angenom- menen einseitigen Wirkungsrichtung kann man heute davon ausgehen, dass sich die vorherrschenden Einstellungen und das gezeigte Verhalten gegenseitig beeinflussen.

Gemäss Eagly und Chaiken (2007) können Einstellungen durch kognitive, affektive oder verhaltensbezogene Aspekte ausgedrückt und geformt werden. Dabei müssen die genannten Aspekte keinesfalls gemeinsam auftreten. Eine Interaktion mit einem Einstel- lungsobjekt kann bereits genügen, um eine Einstellung zu formen, ohne dass kognitive oder affektive Prozesse involviert werden müssen. Zwei Theorien, welche diesen ver- haltensbezogenen Aspekt der Einstellungsbildung erklären, sind die Theorie der kogni- tiven Dissonanz (Festinger, 1957) und die Theorie der Selbstwahrnehmung (Bem, 1972). Beide Theorien erklären eine Veränderung der Einstellung aufgrund einer Hand- lung. Sie gehen aber von unterschiedlichen Prozessen aus, welche diesen handlungsbe- dingten Einstellungsänderungen zugrunde liegen. Die Selbstwahrnehmungstheorie wur- de dabei als alternative Erklärung zur Dissonanztheorie formuliert.

Im Folgenden sollen die beiden Theorien hinsichtlich der theoretischen Herleitung und der empirischen Evidenz ausführlich beschrieben und miteinander verglichen werden. Das Ziel dabei ist, den Gültigkeitsbereich jeder einzelnen Theorie aufzuzeigen und Hypothesen zu formulieren, wie die beiden Theorien zusammenhängen könnten. In einem zweiten Schritt werden die Theorien dann in einem umfassenden experimentellen Versuch hinsichtlich ihres Wirkungsbereiches gegeneinander getestet. Es wird dabei postuliert, dass sich die zwei Theorien nicht ausschliessen, sondern ergänzen. Schliesslich werden die Ergebnisse interpretiert und diskutiert.

2 DISSONANZTHEORIE

2.1 Herleitung der Dissonanztheorie

Die Theorie der kognitiven Dissonanz geht auf Festinger (1957) zurück. Sie postuliert, dass zwischen zwei oder mehreren kognitiven Elementen irrelevante, dissonante und konsonante Beziehungen bestehen können. Kognitive Elemente können dabei entweder das eigene Verhalten sein oder sich auf Faktoren der Umwelt beziehen. Ein einfaches Beispiel für eine irrelevante Beziehung zwischen zwei kognitiven Elementen ist „Ich bin Nichtraucher“ und „Ich mag Schokolade“. Eine konsonante Beziehung besteht zwischen den beiden Elementen „Ich bin Nichtraucher“ und „Ich versuche, gesund zu leben“. Ein Beispiel für eine dissonante Beziehung zwischen kognitiven Elementen wäre „Ich bin Raucher“ und „Rauchen schadet meiner Gesundheit“.

Da die Existenz von Dissonanz psychologisch als unangenehm wahrgenommen wird, versuchen Menschen grundsätzlich, sich konsonant zu verhalten und Dissonanz zu vermeiden. Dabei wirkt die Dissonanz als eigenständiger, motivierender Faktor. Die Theorie basiert darauf, „[…] dass ein Druck besteht, konsonante Beziehungen zwischen Kognitionen herzustellen und Dissonanz zu vermeiden und zu reduzieren“ (Festinger, 1978). Die Stärke der Dissonanz ist dabei eine Funktion der Wichtigkeit der Elemente und bestimmt den Druck zur Dissonanzreduktion. Je stärker die Dissonanz ist, desto grösser ist die Motivation zur Reduktion von Dissonanz. Wenn nun zwischen zwei E- lementen eine dissonante Beziehung besteht, kann die Dissonanz durch die Änderung eines Elements beseitigt werden. Dabei stehen folgende Strategien zur Verfügung:

1. Änderung eines kognitiven Elements, welches das Verhalten betrifft: Disso- nanzbeseitigung bzw. -reduktion durch die Änderung einer Handlung oder eines Gefühls.
2. Änderung eines kognitiven Elements, welches die Umwelt betrifft: Dissonanz- beseitigung bzw. -reduktion durch die Änderung der Situation.
3. Hinzufügen neuer kognitiver Elemente: Dissonanzbeseitigung bzw. -reduktion durch Hinzufügen neuer kognitiver Elemente, welche die Wichtigkeit der beste- henden dissonanten Kognitionen verringern oder die beiden dissonanten Ele- mente miteinander in Einklang bringen.

Diese Strategien lassen sich am besten durch ein Beispiel verdeutlichen: Eine Per- son, die sich der gesundheitsschädigenden Wirkung des Rauchens bewusst ist und trotzdem raucht, erlebt aufgrund der Unvereinbarkeit dieser beiden kognitiven Elemente Dissonanz. Sie könnte nun einfach ihr Verhalten ändern und aufhören zu rauchen (1). Sie könnte aber auch die negativen Folgen des Rauchens verneinen und somit die Situa- tion verändern (2) oder nach Argumenten suchen, die die positiven Eigenschaften des Rauchens hervorheben (3).

Für diese Arbeit besonders relevant sind die Aussagen von Festinger (1957) zur Dissonanz unter forcierter Einwilligung. Wird eine Person durch Belohnung oder Be- strafung zu einer Handlung forciert, die ihrer Einstellung widerspricht, entsteht eine Diskrepanz zwischen dem öffentlich gezeigten Verhalten und der persönlichen Über- zeugung. Auch hier hängt der Druck zur Dissonanzreduktion von der Stärke der beste- henden Dissonanz ab. Dieser ist am stärksten, wenn die Bestrafung oder die Belohnung gerade gross genug ist, um das Verhalten hervorzurufen. Ist die Belohung oder die Be- strafung zu klein, wird das gewünschte Verhalten gar nicht erst gezeigt. Ist die Belo- hung oder Bestrafung hingegen zu gross, entsteht keine Dissonanz, da die Begründung für das gezeigte Verhalten auf die hohe Belohnung bzw. strenge Bestrafung zurückge- führt wird.

Brehm und Cohen (1962) streichen heraus, dass das Commitment, also das Engagement in eine Handlung, sowie die Volition, also die subjektive Freiwilligkeit der Wahl einer Handlungsalternative, zentrale Elemente für das Erleben von kognitiver Dissonanz sind. Eine Person, die Dissonanz erlebt, sieht also die Konsequenzen ihrer Handlung ausschliesslich durch ihre Wahl einer Handlungsalternative, d.h. durch ihre eigene Entscheidung verursacht. Wenn die getroffene Entscheidung und ihre Konsequenzen nicht mit den vorherrschenden Einstellungen vereinbar sind, die Handlung aber subjektiv frei gewählt wurde, entsteht Dissonanz.

Im Kontext der forcierten Einwilligung kann die Dissonanz gemäss Festinger (1978) folgendermassen gelöst werden:

1. Die persönliche Meinung wird nachträglich verändert, um eine Konsistenz zwi- schen dem beobachtbaren Verhalten und der persönlichen Meinung herzustellen.
2. Die subjektive Bedeutung der Belohnung oder Bestrafung wird heraufgesetzt, damit diese als Begründung für das nach aussen hin sichtbare einwilligende Verhalten herangezogen werden kann.

Gemäss Lewin (1951, übersetzt 1963) kann man von forcierter Einwilligung spre- chen, wenn die induzierten Kräfte grösser sind als der Widerstand einer betroffenen Person, der durch diese induzierten Kräfte ausgelöst wurde. Nur wenn die Differenz zwischen induzierten und widerstrebenden Kräften gering ist und die beiden Kräfte eine mittlere Stärke aufweisen, wird eine Person Schwierigkeiten mit der Ursachenzuschrei- bung haben. Je mehr sich eine Person als sozial unabhängigen Entscheidungsträger wahrnimmt, desto eher wird sie sich selbst die Ursache für Handlungen zuschreiben, die ihrem Selbstverständnis widersprechen.

Um es in anderen Worten auszudrücken: In einem Experiment mit forcierter Ein- willigung wird eine Person dazu aufgefordert, eine Handlung durchzuführen, die in ei- ner diskrepanten Beziehung zu ihrer Einstellung steht. Wenn die entsprechende Person das Gefühl hat, freiwillig in diese Handlung einwilligt zu haben, entsteht aufgrund die- ser Diskrepanz ein Dissonanzerlebnis. Um diese Dissonanz abzubauen, wird die Ein- stellung nach dem gezeigten Verhalten so verändert, dass sie in einer konsonanten Be- ziehung zur getätigten Handlung steht (1), oder nach externen Gründen wie Belohnung oder Bestrafung gesucht, welche die Person zu dieser Handlung bewogen haben könn- ten (2).

2.2 Studien zur kognitiven Dissonanz

Das wahrscheinlich bekannteste Experiment zur kognitiven Dissonanz im Zusam- menhang mit der forcierten Einwilligung stammt von Festinger und Carlsmith (1959). Das Ziel ihrer Studie war aufzuzeigen, dass die Stärke der durch die forcierte Einwilli- gung hervorgerufenen Dissonanz von der Höhe der Belohnung für das einwilligende Verhalten abhängt. Dabei liessen sie die Probanden zunächst eine Stunde lang äusserst langweilige und monotone Aufgaben durchführen. Danach sollten sie einer wartenden Person, die eigentlich ein Konfident des Versuchsleiters war, erzählen, dass die Aufga- ben interessant seien und Spass machten. Die eine Experimentalgruppe erhielt für diese Lüge 1 Dollar, die andere 20 Dollar Belohnung. Eine Kontrollgruppe musste nur die monotonen Aufgaben lösen, ohne einer angeblich wartenden Person eine Lüge zu erzäh- len. Im Anschluss daran wurden die Probanden zu einem zweiten Versuchsleiter ge- führt, der ein Interview mit ihnen durchführte. Die entscheidende Frage während dieses Interviews lautete: „Empfanden Sie die Aufgaben als interessant und angenehm?“ Es zeigte sich, dass Probanden in der 1-Dollar-Bedingung das Experiment als wesentlich interessanter und angenehmer empfanden als Probanden aus der 20-Dollar-Bedingung und als die Kontrollgruppe. Die 1-Dollar-Gruppe zeigte analog dazu auch eine grössere Bereitschaft, bei zukünftigen Experimenten die Rolle des Instruktors zu übernehmen und Probanden eine langweilige Untersuchung als interessant anzupreisen.

Diese Ergebnisse stützen die Hypothese von Festinger (1957), welche eine negative Beziehung zwischen Belohnungshöhe und der Stärke der Einstellungsänderung postu- liert. Offensichtlich können Probanden, denen nur 1 Dollar Belohnung für das einstel- lungsdiskrepante Verhalten angeboten wurde, keine ausreichende Rechtfertigung für ihr Verhalten finden. Das Verhalten der Probanden (das Experiment als interessant anzu- preisen) steht also in einer diskrepanten Beziehung zur Einstellung der Probanden (das Experiment war in der Tat langweilig und monoton). Die einzige Möglichkeit, diese Dissonanz zu lösen, ist nun die Veränderung der Einstellung hinsichtlich des langweili- gen Experiments. Diese negative Beziehung zwischen der Höhe der Belohung und der Stärke der Einstellungsänderung konnte in verschiedenen Studien erfolgreich repliziert werden (z.B. Cohen, 1962; Nel, Helmreich & Aronson, 1969; Nuttin, 1966). Es gibt allerdings auch einige Untersuchungen, welche eine positive Beziehung zwischen Be- lohnungshöhe und Einstellungsänderung nachweisen konnten (Elms & Janis, 1965; Ja- nis & Gilmore, 1965; Rosenberg, 1965), was kontroverse Diskussionen auslöste. Mehr Belohnung führte in diesen Studien zu einer grösseren Einstellungsänderung. Diese po- sitive Beziehung wird im Folgenden als Verstärkungseffekt bezeichnet.

Es gelang Carlsmith, Collins und Helmreich (1966) schliesslich aufzuzeigen, dass sich diese beiden auf den ersten Blick unvereinbaren Resultate nicht zwingend wider- sprechen müssen, sondern sich im Gegenteil sogar ergänzen. Sie integrierten die disso- nanztheoretischen und die verstärkungstheoretischen Vorhersagen und formulierten die Hypothese, dass der Dissonanzeffekt und der Verstärkungseffekt davon abhängen, ob eine einstellungsdiskrepante Meinung öffentlich oder anonym bekannt gegeben wird. Bei einer öffentlichen Kundgebung der Meinung besteht ein negativer, bei einer ano- nymen Bekanntgabe der Meinung ein positiver Zusammenhang zwischen Belohnungs- höhe und Stärke der Einstellungsänderung. Den empirischen Nachweis dafür lieferten sie, indem sie die Studie von Festinger und Carlsmith (1959) etwas veränderten. Dabei mussten die Probanden ein langweiliges Experiment entweder als interessant anpreisen (Öffentlichkeits-Bedingung) oder in einem anonym gehaltenen Aufsatz interessant dar- stellen (Anonymitäts-Bedingung). Die Resultate konnten bestätigen, dass in der Öffent- lichkeits-Bedingung ein negativer und in der Anonymitäts-Bedingung ein positiver Zu- sammenhang zwischen der Höhe des Geldanreizes und der Stärke der Einstellungsände- rung besteht.

Eine weitere Interpretation der unterschiedlichen Ergebnisse hinsichtlich des Zu- sammenhangs zwischen Belohnungshöhe und Einstellungsänderung liefern Linder, Cooper und Jones (1967). Sie sind der Meinung, dass die Wahlmöglichkeit eine Hand- lung durchzuführen bzw. zu unterlassen, die Richtung des Zusammenhangs beeinflus- sen könnte. Dabei variierten sie in einem Experiment die Wahlmöglichkeit, einen ein- stellungsdiskrepanten Aufsatz zu schreiben. Die Resultate zeigen eine Wechselwirkung zwischen Wahlmöglichkeit und Höhe des Geldanreizes. Bei grosser Wahlmöglichkeit konnten sie einen negativen Zusammenhang (Dissonanzeffekt), bei keiner Wahlmög- lichkeit einen positiven Zusammenhang (Verstärkungseffekt) nachweisen. Dieser Inter- aktionseffekt zwischen Wahlmöglichkeit und Stärke der Einstellungsänderung konnte in verschiedenen Studien repliziert werden (Harvey & Mills, 1971; Holmes & Strickland, 1970; Sherman, 1970).

Frey und Irle (1972) kombinierten die Erklärungsansätze von Carlsmith et al. (1966) sowie Linder et al. (1967) und variierten die Bedingungen Wahlmöglichkeit / keine Wahlmöglichkeit und ö ffentliches Verhalten / anonymes Verhalten. Ihr experimen- telles Design bestand darin, die Probanden einen Diskussionsbeitrag über die Herabset- zung des Wahlalters von 21 auf 18 Jahre vorbereiten zu lassen, welcher entweder mit Namensnennung (öffentlich) oder ohne Namensnennung (anonym) behandelt werden sollte. Die Probanden erhielten entweder 1 DM oder 8 DM Belohnung. Unter der Be- dingung ö ffentlich / Wahlmöglichkeit zeigte sich ein Dissonanzeffekt, unter der Bedin- gung anonym / keine Wahlmöglichkeit ein Verstärkungseffekt. Die anderen beiden Be- dingungen (anonym / keine Wahlmöglichkeit und ö ffentlich / Wahlmöglichkeit) zeigten weder einen eindeutigen Dissonanz- noch einen deutlichen Verstärkungseffekt. Dieses Resultat stützt die von Frey und Irle (1972) postulierte Hypothese, dass die Wahlmög- lichkeit alleine nicht ausreicht, um Dissonanz auszulösen. Es bedarf nebenbei auch ei- nes öffentlichen Commitments in die Handlung. Haben die Probanden keine Wahlmög- lichkeit und glauben, dass ihre Namen nicht veröffentlicht werden, tritt ein Verstär- kungseffekt ein. Dieses Ergebnis wird durch eine Studie von Collins und Hoyt (1972) gestützt.

Einen weiteren Ansatz zur Erklärung des Dissonanz- und Verstärkungseffekts lie- fert das Rechtfertigungsmodell von Gerard, Conolley und Wilhelmy (1974). Dieses ba- siert auf der Annahme, dass eine unzureichende Rechtfertigung einen Dissonanzeffekt und eine übermässige Rechtfertigung einen Verstärkungseffekt hervorruft. Die Autoren vermuten dabei einen U-förmigen Zusammenhang zwischen der Rechtfertigung einer Handlung und der Einstellungsänderung. In den oben beschriebenen Experimenten stellt die Belohnung eine solche Rechtfertigung dar. Es gelang Gerard et al. (1974) in einer Reihe von Untersuchungen, diesen U-förmigen Zusammenhang empirisch nachzuwei- sen.

Inwiefern die Rechtfertigung der Handlung einen Einfluss auf die kognitive Disso- nanz unter forcierter Einwilligung hat, konnte eine Studie von Zanna und Cooper (1974) zeigen. Sie liessen die Probanden gemäss dem üblichen Versuchsplan kognitive Disso- nanz erleben und gaben ihnen Placebo-Tabletten mit dem Label beruhigend, erregend oder ohne Nebenwirkungen. Unter der Bedingung ohne Nebenwirkungen änderten die Probanden ihre Einstellung bei grosser Entscheidungsfreiheit stärker als bei kleiner Ent- scheidungsfreiheit, was dem Dissonanzeffekt entspricht. Erhielten die Probanden jedoch eine Tablette mit dem Label erregend und konnten so ihre Erregung auf die Tablette zurückführen, zeigte sich keine Einstellungsänderung. Die Dissonanz wurde folglich durch eine Fehlattribution eliminiert. Weitere Studien deuten ebenfalls darauf hin, dass eine Fehlattribution des Erregungszustandes auf eine externe Quelle die durch Disso- nanz induzierte Einstellungsänderung abschwächt (z.B. Cooper, Fazio & Rhodewalt, 1978; Fazio, Zanna & Cooper, 1977).

Der Frage, ob das Dissonanzerlebnis eine Voraussetzung für eine Einstellungsände- rung unter forcierter Einwilligung darstellt, gingen Cooper, Zanna und Taves (1978) nach. Sie liessen die Probanden einen einstellungsdiskrepanten Aufsatz schreiben, nachdem diese ein Sedativ, Amphetamin oder Placebo eingenommen hatten. Zudem variierten sie die Wahlfreiheit der Probanden, den Aufsatz zu schreiben. Allen Proban- den wurde gesagt, sie hätten ein Placebo bekommen. Es zeigte sich, dass in der Bedin- gung grosse Wahlmöglichkeit die Einstellungsänderung durch das Amphetamin ver- stärkt und durch das Sedativ abgeschwächt wurde. Interessanterweise änderten aber auch die Probanden in der Bedingung Amphetamin / keine Wahlmöglichkeit ihre Ein- stellung in Richtung des Aufsatzes. Die Autoren interpretieren dieses Ergebnis dahinge- hend, dass kognitive Dissonanz durch einen physiologischen Erregungszustand begleitet wird, welcher durch das Amphetamin nachgeahmt werden kann. Darüber hinaus hängt die Stärke der Einstellungsänderung unter Wahlfreiheit vom Erregungszustand ab, wel- cher pharmakologisch induziert werden kann. Es scheint also so zu sein, dass das Dis- sonanzerlebnis tatsächlich eine Voraussetzung für die Einstellungsänderung ist.

Was aber bis zu diesem Zeitpunkt noch fehlte, war eine direkte Messung des phy- siologischen Erregungszustandes, welcher gemäss Festinger (1957) einen zentralen Be- standteil der Theorie der kognitiven Dissonanz darstellt. Diesem Problem widmeten sich Croyle und Cooper (1983) in zwei empirischen Untersuchungen. Eine bis drei Wo- chen vor dem eigentlichen Experiment befragten sie Studenten zu ihrer Einstellung ge- genüber einem Verbot von Alkohol auf dem ganzen Campus. Im Labor liessen sie die Probanden dann entweder einen einstellungsdiskrepanten Aufsatz mit grosser Wahl- möglichkeit, einen einstellungsdiskrepanten Aufsatz mit geringer Wahlmöglichkeit oder einen einstellungskonsonanten Aufsatz mit grosser Wahlmöglichkeit schreiben. Die Ergebnisse zeigten, dass Probanden, welche einen einstellungsdiskrepanten Aufsatz unter hoher Wahlmöglichkeit schrieben, ihre Einstellung signifikant stärker veränderten als die anderen beiden Gruppen.

Diese Studie wiederholten sie mit der Änderung, dass nun zusätzlich die Herzrate und die elektrodermale Aktivität der Versuchspersonen erhoben wurden. Als Coversto- ry mussten die Probanden einfache kognitive Aufgaben wie z.B. Anagramme lösen. Danach sollten sie einstellungsdiskrepante Argumente hinsichtlich des Verbots von Al- kohol auf dem Campus auflisten. Es gelang den Autoren nachzuweisen, dass Probanden in der Bedingung Einstellungsdiskrepant / grosse Wahlmöglichkeit stärkere Reaktionen in ihrer Hautleitfähigkeit zeigten als die anderen beiden Gruppen. Die Herzrate unter- schied sich allerdings nicht zwischen den Gruppen. Ebenso wiesen alle drei Gruppen keine Einstellungsänderung auf und unterschieden sich hinsichtlich der Einstellung un- tereinander nicht. Da das experimentelle Design im ersten Versuch, bei dem noch keine psychophysiologischen Merkmale erfasst wurden, zu einer Einstellungsänderung führte und das zweite Experiment eine physiologische Erregung nachweisen konnte, kann die Hypothese bestätigt werden, dass ein Dissonanzerlebnis mit einer physiologischen Er- regung einhergeht. Die fehlende Einstellungsänderung im zweiten Experiment erklären die Autoren durch die Fehlattribution des Dissonanzerlebnisses. Die Probanden könnten den Erregungszustand auf die Geräte für die Aufzeichnung der physiologischen Merk- male zurückgeführt haben, was schliesslich zu einer unveränderten Einstellung geführt hat.

Ein weiterer wichtiger Aspekt der Dissonanztheorie befasst sich mit der Verände- rung der Sicherheit bei Entscheidungen. Je grösser die Unsicherheit einer Person vor der Entscheidung, desto stärker ist die daraus resultierende Dissonanz. Nach der Entschei- dung kann durch eine Erhöhung der Sicherheit bezüglich der Richtigkeit der getroffenen Entscheidung die Dissonanz reduziert werden, postuliert die Theorie. Knox und Inkster (1968) versuchten dies empirisch zu belegen. Sie befragten Personen, die eine Gewinn- wette über 2 Dollar bei Pferderennen abschlossen, wie sicher sie sich ihrer Entschei- dung seien. Die eine Gruppe wurde vor, die andere nach dem Wettabschluss befragt. Die Ergebnisse sind konsistent mit den Aussagen von Festinger (1957). Die Dissonanz kann durch eine Erhöhung der Sicherheit bezüglich der Richtigkeit der Entscheidung reduziert werden. Es ist allerdings anzumerken, dass diese Aussagen im Zusammenhang mit der Wahl zwischen Handlungsalternativen gemacht werden. Die Probanden im Ex- periment von Knox und Inkster (1968) konnten beim Wettabschluss auswählen, auf welches Pferd sie wetteten. Bei der forcierten Einwilligung unter grosser Wahlfreiheit können Probanden lediglich auswählen, ob sie ein gewisses Verhalten ausführen möch- ten oder nicht. Inwiefern diese Aussagen also für Situationen unter forcierter Einwilli- gung zutreffen, ist schwer vorherzusagen. Vorausgesetzt, eine Person hat keine ausrei- chende Rechtfertigung für ihr Verhalten, könnte allerdings auch unter forcierter Einwil- ligung eine Erhöhung hinsichtlich der Sicherheit der Einstellung nach der Entscheidung erwartet werden.

2.3 Zusammenfassung der Dissonanztheorie

Es scheint so zu sein, dass Personen, die einen Erregungszustand erleben, nach ei- ner Begründung für diese Erregung suchen. Da eine Veränderung der Einstellung das eigene Selbstbild bedroht und kognitiv aufwendiger ist als andere, externe Attributio- nen, wird die Ursache zunächst in der Umwelt gesucht. Solche Erklärungen können beispielsweise sein, das einstellungsdiskrepante Verhalten auf die Forcierung (man hat- te keine andere Wahl), die Belohnung oder auf die Situation (Stress durch Messgeräte etc.) zurückzuführen. Erst wenn die Umwelt keine ausreichende Rechtfertigung für das gezeigte Verhalten liefert, wird das einstellungsdiskrepante Verhalten auf interne Ursa- chen zurückgeführt.

Eine durch forcierte Einwilligung erzielte Einstellungsänderung setzt also sowohl ein Dissonanzerlebnis als auch eine interne Ursachenattribution der Dissonanz voraus. Dissonanz kann durch ein Commitment in ein einstellungsdiskrepantes Verhalten aus- gelöst werden, welches eine gewisse Bedeutung bzw. Konsequenz für die betroffene Person hat. Die elektrodermale Aktivität scheint ein geeignetes Mittel zu sein, dieses Dissonanzerlebnis zu erfassen. Die interne Ursachenattribution kann nur erreicht wer- den, wenn die Zielperson keine „einfacheren“ externen Ursachenattributionen für das Verhalten findet, also das Verhalten nicht durch externe Faktoren rechtfertigen kann. Abbildung 1 zeigt, wann gemäss der Dissonanztheorie eine Einstellungsänderung erwar- tet werden kann und wann nicht.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1. Schematische Darstellung der Dissonanztheorie.

3 SELBSTWAHRNEHMUNGSTHEORIE

3.1 Herleitung der Selbstwahrnehmungstheorie

Eine alternative Erklärung zur Dissonanztheorie im Zusammenhang mit der Einstellungsbildung bzw. -änderung wurde von Bem (1972) in seiner Selbstwahrnehmungstheorie formuliert. Im Gegensatz zur Dissonanztheorie wird die Einstellung eines Subjektes gemäss der Selbstwahrnehmungstheorie nicht durch dissonante Kognitionen beeinflusst, sondern durch das konkrete, beobachtbare Verhalten.

Wenn eine Person A beispielsweise beobachtet, wie eine Person B einem hilfsbe- dürftigen Menschen Geld spendet, dann wird die beobachtende Person A aufgrund des Verhaltens von B attribuieren, dass B eine grosszügige, soziale Person ist. Es wird also vom beobachtbaren Verhalten (Geld spenden) auf die nicht direkt beobachtbare Einstel- lung (sozial gegenüber Hilfsbedürftigen) geschlossen. Die Idee der Selbstwahrneh- mungstheorie nach Bem (1972) ist nun, dass eine handelnde Person ihr eigenes Verhal- ten wie eine aussenstehende Person beobachtet und aufgrund dieser Handlung mittels Selbstattribution ihre eigene Einstellung bildet bzw. verändert. Sie agiert also gleichzei- tig als Akteur wie auch als Beobachter ihres eigenen Verhaltens. Da Einstellungen per se nicht beobachtet werden können, attribuiert eine handelnde Person ihre Einstellung gemäss der Selbstwahrnehmungstheorie aufgrund ihres eigenen, beobachtbaren Verhal- tens.

Diese Einstellungsbildung bzw. -änderung erfolgt nicht in jeder Situation gleich. Bem (1972) hat in seiner Theorie zwei Postulate aufgestellt. Das erste Postulat bezieht sich auf die oben erwähnte Erschliessung der latenten Einstellung:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Da eine Handlung oft mehrdeutig sein kann, werden nicht nur die Handlung alleine, sondern auch deren Umstände (circumstances) für die Bildung bzw. Veränderung von Einstellungen herangezogen. Will man beispielsweise erfahren, welche Einstellung eine andere Person gegenüber einem bestimmten Restaurant - z.B. McDonald’s - hat, dann genügt die blosse Beobachtung, dass diese Person dort zu Mittag isst nicht aus, um dar- aus auf deren Einstellung gegenüber McDonald’s zu schliessen. Es könnten diverse ex- terne Faktoren dafür verantwortlich sein. Zum Beispiel könnte die Person mit jeman- dem essen, der sehr gern zu McDonald’s geht. Vielleicht gibt es auch keine anderen Restaurants in der Nähe. Es sind viele andere Gründe denkbar, die dafür verantwortlich sind, dass diese Person zum beobachteten Zeitpunkt im McDonald’s zu Mittag isst. Man muss als Beobachter all diese Faktoren beachten, bevor man aus dem Verhalten einer Person auf deren Einstellung schliesst. Dasselbe gilt bei der Selbstwahrnehmung. Es kann viele Gründe geben, warum man sich in einer bestimmten Art und Weise verhält. Wird man nach der Ausführung einer Handlung gefragt, welche Einstellung man zu dieser Handlung bzw. zum Gegenstand dieser Handlung hat, sucht man nach Gründen, die diese Handlung verursacht haben könnten. Überwiegen hier die externen Faktoren, erklärt man die Ursache für das Handeln durch Elemente in der Umwelt. Typische Bei- spiele hierfür sind die Belohnung, Bestrafung oder die eingeschränkte Handlungsfrei- heit, wie wir sie im Rahmen der Studien zur Dissonanztheorie gesehen haben. Gibt es jedoch keine genügende externe Begründung für das gezeigte Verhalten, wird man ge- mäss der Selbstwahrnehmungstheorie von diesem Verhalten auf die eigene Einstellung schliessen (vgl. Bem 1965, 1972). Gemäss der Selbstwahrnehmungstheorie ist die Ein- stellung einer Person nach ihrem Verhalten ein Set von Selbstattributionen, welche das Individuum auf Basis ihres eigenen Verhaltens und dessen Umständen durchführt.

Das zweite Postulat der Selbstwahrnehmungstheorie besagt, dass sich die handelnde Person gleich verhält wie ein externer Beobachter:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Entscheidend in diesem Postulat ist, dass die inneren Hinweise auf einen Zustand oder eine Einstellung schwach, unklar oder nicht interpretierbar sein müssen, damit die Selbstwahrnehmungstheorie zutrifft. Besitzt ein Individuum also bereits eine starke, klare Einstellung gegenüber einem Objekt, wird sein Verhalten gegenüber diesem Ein- stellungsobjekt keine Auswirkungen auf seine spätere Einstellung haben. Besitzt die Person jedoch keine oder nur eine schwache Einstellung und zeigt dann eine bestimmte Verhaltensweise gegenüber einem Objekt, dann wird sie dieses Verhalten als Grundlage für ihre Einstellungsbildung gegenüber diesem Objekt verwenden (vgl. Chaiken & Baldwin, 1981; Fazio 1987; Holland, Verplanken & Van Knippenberg, 2002).

3.2 Empirische Studien zur Selbstwahrnehmungstheorie

Bem (1965) versuchte, die Selbstwahrnehmungstheorie in einem Experiment zu belegen, indem er aufzeigen wollte, inwiefern sich Personen bei der Bildung bzw. Änderung ihrer Einstellung auf ihr eigenes Verhalten verlassen.

Die Probanden sollten zunächst eine Reihe von Fragen über sich selbst beantworten und auf Tonband sprechen. Dabei wurden sie instruiert, immer dann wahrheitsgemäss zu antworten, wenn ein gelbes Lämpchen aufleuchtete und immer dann zu lügen, wenn ein grünes Lämpchen aufleuchtete. Dieses Vorgehen beabsichtigte, die Probanden zu primen. Beim gelben Lämpchen sollten sie implizit lernen, den eigenen Aussagen Ver- trauen zu schenken, während sie beim grünen Lämpchen lernen sollten, sich selber zu misstrauen. Danach wurde den Probanden eine Reihe von Cartoons gezeigt, welche sie in einer früheren Sitzung als „neutral“ eingestuft hatten. Der Versuchsleiter gab den Probanden nun die Anweisung, sie sollten zu jedem Cartoon entweder den Satz dieser Cartoon ist sehr komisch oder dieser Cartoon ist nicht komisch auf ein Tonband spre- chen. Während der Proband das vorgegebene Statement abgab, brannte (zufälligerwei- se) entweder das gelbe oder grüne Lämpchen auf. Dieses Mal wurden jedoch keine In- struktionen bezüglich der Lämpchen gegeben. Im Anschluss daran sollten die Proban- den dann ihre tatsächliche Einstellung gegenüber den eben gezeigten Cartoons äussern. Bem (1965) hoffte, dass die Probanden ihre Aussage (dieser Cartoon ist komisch / nicht komisch) nur dann als Grundlage für diese Einstellung verwenden würden, wenn sie unter der Bedingung des gelben Lämpchens geäussert wurden. In dieser Bedingung lernten die Probanden vorher, ihren eigenen Aussagen zu vertrauen.

Die Resultate sind konsistent mit der Theorie der Selbstwahrnehmung. Die Proban- den änderten ihre Einstellung gegenüber den Cartoons signifikant häufiger, wenn die vorgegebenen Statements zuvor in der Vertrauensbedingung (gelbes Lämpchen) im Vergleich zur Misstrauensbedingung (grünes Lämpchen) abgegeben wurden. Durch das Statement bei brennendem gelbem Lämpchen lernte die Versuchsperson, ihren eigenen Aussagen Glauben zu schenken. Die Aussage wurde daraufhin als Grundlage für die Bildung bzw. Änderung ihrer Einstellung gegenüber den Cartoons verwendet. Im Cartoon-Experiment besteht das gezeigte Verhalten darin, Statements ab-zugeben, die entweder als wahr oder falsch geprimt wurden. Dieses Verhalten wird dann als Grundlage für die Einstellungsbildung bzw. -änderung verwendet. Da es hier-bei um ein Primingverfahren geht, lässt sich ein Vergleich zwischen dem Handelnden und einem externen Beobachter nur schwer herstellen. Bandler, Madaras und Bem (1968) wollten nun die Selbstwahrnehmungstheorie an einer konkreten, beobachtbaren Handlung demonstrieren. In einem Experiment wurden Probanden eine Reihe von E- lektroschocks verabreicht. Die Schocks waren alle gleich stark und dauerten - wenn sie nicht abgebrochen wurden - zwei Sekunden. Während des Schocks leuchtete je nach Experimentalbedingung entweder ein rotes, grünes oder gelbes Lämpchen auf. In der Austritts-Bedingung wurden die Probanden aufgefordert, beim Aufleuchten des roten Lämpchens einen Knopf zu drücken, welcher den Schock abbrechen würde. Um dabei die Wahlfreiheit hinsichtlich der Duldung des Elektroschocks zu gewährleisten, wurden die Probanden darauf aufmerksam gemacht, dass sie den Knopf nicht drücken müssten, wenn sie den Schock als nicht allzu unangenehm empfänden. In der Kein-Austritt- Bedingung sollten die Probanden den Kopf beim Aufleuchten des grünen Lämpchens nicht drücken, es sei denn, der Schock wäre nicht mehr auszuhalten. Nach jedem Schock wurde dessen Unannehmlichkeit auf einer 7-Punkte-Skala bewertet. Wie von den Autoren erwartet, wurden die Elektroschocks in der Austritts-Bedingung unangenehmer beurteilt als in der Kein-Austritt-Bedingung. Die Selbst-wahrnehmungstheorie erklärt diesen Umstand damit, dass sich die handelnde Person in der Austritts-Bedingung selbst beobachtet, wie sie die elektrischen Schocks freiwillig abbricht. Als Folge schliesst sie daraus, dass diese Schocks ziemlich unangenehm sein müssen. In der Kein-Austritt-Bedingung bricht sie die Elektroschocks nicht ab und er-trägt sie freiwillig. Folglich schliesst die betroffene Person daraus, dass die Schocks nicht allzu unangenehm sein können. Auch hier kann man den Vergleich mit einem ex-ternen Beobachter machen: Sieht man jemanden beim Versuch, solchen elektrischen Schocks auszuweichen, wird man aus dieser Beobachtung darauf schliessen, dass die Schocks ziemlich unangenehm sein müssen. Beobachtet man jedoch eine Person, die solche Schocks freiwillig über sich ergehen lässt, wird man davon ausgehen, dass sie nicht besonders unangenehm sein können.

Ende der Leseprobe aus 85 Seiten

Details

Titel
Dissonanz- und Selbstwahrnehmungstheorie
Untertitel
Ein Erklärungsansatz zur Einstellungsbildung und -änderung
Hochschule
Universität Zürich  (Psychologisches Institut)
Note
6.0
Autoren
Jahr
2008
Seiten
85
Katalognummer
V187934
ISBN (eBook)
9783656116264
ISBN (Buch)
9783656116622
Dateigröße
2433 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Note nach schweizer Notensystem entspr. deutscher "1"
Schlagworte
dissonanz-, selbstwahrnehmungstheorie, erklärungsansatz, einstellungsbildung
Arbeit zitieren
Satoshi Probala (Autor:in)Christopher Weber (Autor:in), 2008, Dissonanz- und Selbstwahrnehmungstheorie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/187934

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