Mensch und Person bei John Locke und Jürgen Habermas


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

20 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Konstituierung der Identität bei John Locke
2.1 Das Lokalisierungsprinzip
2.2 Die Bedeutung der Organisationsstruktur

3. Die Verschiedenheit von Mensch und Person
3.1 Identität des Menschen
3.2 Identität der Person und ihr Verhältnis zur Identität des Menschen

4. Die Quellen der Identität bei Jürgen Habermas
4.1 Die raum-zeitliche Dimension des Personseins bei Habermas
4.2 Habermas’ ‚Schiefes’ Argument gegen das Dammbruchargument

5. Zusammenfassung

6. Literatur

1. Einleitung

„Wo menschliches Leben existiert, kommt ihm Menschenwürde zu; es ist nicht entscheidend, ob der Träger sich dieser Würde bewusst ist und sie selbst zu wahren weiß. Die von Anfang an im menschlichen Sein angelegten potenziellen Fähigkeiten genügen, um die Menschenwürde zu begründen.“1

Mensch und Person sind dieser Entscheidung des Verfassungsgerichts zufolge unzertrennlich; sogar auch dann, wenn der ‚Träger’ der Menschenwürde sich seiner eigenen Trägerschaft nicht einmal bewusst ist. Die unerschütterliche Beziehung des Menschen und der Person liegt in diesem Fall in der Erhebung ‚potenzieller Fähigkeiten’ zum einzigen Bestimmungskriterium der Identität des Menschen, die zugleich auch eine Identität der Person begründet.

Diese Einheit der Begriffe Mensch und Person war und ist jedoch keineswegs unumstritten, wie die Diskussion um die Embryonenforschung in der Bundesrepublik zeigt.2 Wer darüber bestimmt, wann ein Mensch eine Person ist und welche Voraussetzungen für das Personsein erfüllt werden müssen, sind die zentralen Fragen, die in dieser Diskussion erläutert werden.

In der vorliegenden Arbeit wird daher der Versuch unternommen, zwei Positionen, die das Vorhanden des Personseins von bestimmten inneren und äußeren Bedingungen des Menschseins abhängig machen, d.h. die das Personsein des Menschen als etwas künstliches betrachten, zu vergleichen und kritisch zu beurteilen. Auf der einen Seite steht John Lockes Konzept einer Trennung der Identität des Menschen und der Identität der Person, in dessen Zentrum das räumlich-zeitliche Kriterium der Identitätsbestimmung steht. Da neben diesem „Lokalisierungsprinzip“ auch die Art der Organisationsstruktur von Dingen und Lebewesen eine wichtige Rolle in Lockes Untersuchung der Grundlagen des Mensch- und Personseins einnimmt, gehört diese ebenso zum Gegenstand dieser Arbeit. Den Ausführungen zu John Locke folgt dann die Darstellung und kritische Erläuterung der Position von Jürgen Habermas, die er in Die Zukunft der menschlichen Natur. Auf dem Weg zu einer liberalen Eugenik? (2001) entwickelt. Die durchaus vorhandene Ähnlichkeit in der Argumentation von Locke und Habermas bildet den Anlass für die vergleichenden Aspekte folgender Untersuchung.

2. Konstituierung der Identität bei John Locke

John Locke beschäftigt sich im 27. Kapitel seines Werkes Über den menschlichen Verstand (1694), „Über die Identität und Verschiedenheit“, mit der Frage der Identität und ihrer Bestimmung, in deren Mittelpunkt das Verhältnis der materiellen Substanz des menschlichen Körpers zur geistigen Identität des Menschen als Person steht. Dabei ist sowohl die räumliche als auch die zeitliche Einbettung der Existenz der Dinge und Lebewesen das zentrale Bestimmungsmerkmal der Identität. „Wenn wir darum fragen, ob ein Ding dasselbe sei oder nicht, so bezieht sich das immer auf etwas, was in einem gegebenen Augenblick an einem gegebenen Ort existierte und in jenem Zeitpunkt zweifellos nur mit sich selbst und mit nichts anderem identisch war.“3 Zum Raum und der Zeit tritt noch die Organisationsstruktur von Dingen und Lebewesen als drittes Merkmal der Identitätsbestimmung hinzu.

2.1 Das Lokalisierungsprinzip

Die Identität eines Dings ergibt sich also daraus, dass dieses besagte Ding zu einem bestimmten Zeitpunkt und an einem bestimmten Ort existiert, und dass es auch nur dort an diesem Ort existieren kann. Das heißt, es kann nicht beobachtet werden, dass ein und dasselbe Ding gleichzeitig an verschiedenen Orten sein kann. Was jedoch hinsichtlich der Identität eines Dings bestimmt werden kann, ist die Übereinstimmung der Existenz eines Dings zu einem früheren Zeitpunkt und Ort mit der Existenz desselben Dings zu einem späteren Zeitpunkt und an einem anderen Ort. Die Gleichzeitigkeit einer doppelten Existenz eines Dinges in verschiedenen Räumen wird demzufolge ausgeschlossen. Aus dem Gesagten über die Identität folgt für Locke hinsichtlich der Bestimmung der Verschiedenheit, dass diese ebenso das Ergebnis eines bestimmten Verhältnisses der Existenz der Dinge zu den beiden Größen Zeit und Raum ist. „Was einen einzigen Anfang gehabt hat, ist daher ein und dasselbe Ding; was einen nach Ort und Zeit davon verschiedenen Anfang gehabt hat, ist nicht dasselbe, sondern davon verschieden.“4

Die Antwort auf die Frage, wer oder was nun darüber bestimmt, wann eine räumliche und zeitliche Positionierung dem Identitätsanspruch gerecht ist, ist eng verbunden mit dem Individualitätsprinzip, welches Locke zufolge dadurch begründet wird, dass die „Existenz selbst, die jedem Wesen, von welcher Art es auch sei, seine besondere Zeit und seinen besonderen Ort zuweist.“5 Die Art und Weise, wie jemand oder etwas seine räumliche Gestalt annimmt, deren Bildung wiederum von der von Locke bestimmten zeitlichen Größe der Identität abhängt, stellt die Bedingung der Existenz dar und zugleich auch das Merkmal der Individualität. „Dies bedeutet, dass Individualität für Locke nicht etwas ist, das Dingen zukommen oder auch nicht zukommen kann. Denn „Existenz“ sei gleichbedeutend mit „Existenz an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit.“6 Lockes Grundgedanke lässt sich in drei Schritten nachzeichnen:

1. Etwas oder jemand existiert, weil er/es einen zeitlichen und räumlichen Anfang hat.
2. Der zeitliche und räumliche Anfang ist ein Ausdruck der Existenz von etwas oder jemand, weil die Existenz von etwas oder jemand den zeitlichen Anfang und die räumliche Gestalt desselben bestimmt.
3. etwas oder jemand existiert, weil er/es in seiner räumlichen und zeitlichen Bestimmung einzigartig ist.7

Diese wechselseitige Interdependenz zwischen der Existenz von etwas oder jemand sowie der Zeit und des Raumes, innerhalb welchen etwas oder jemand existiert, ist das Ergebnis der Ablösung der Zielstrebigkeit als Ursächlichkeit durch die Kausalität. Das heißt: etwas existiert, weil es eine räumliche und zeitliche Beschaffenheit hat, und nicht weil es die Anlage zur Existenz per se besitzt. Ein ontologisches Prinzip der Identität wird somit obsolet.8

2.2 Die Bedeutung der Organisationsstruktur

Um den Nachweis für das Vorhandensein einer kontinuierlichen Identität von etwas oder jemand zu erbringen, der/das sich einer oder mehreren Veränderungen unterzieht ohne dabei ein Anderer/-s geworden zu sein, erweitert Locke die Bestimmungskriterien der Identität um eine weitere Größe, nämlich die der Organisationsstruktur von Dingen oder Lebewesen. Die Organisationsstruktur unterscheidet Locke nach einer „beliebig“ angeordneten Materienmasse und einer „zusammenhängenden“ Organisation des Körpers.9 Die durch Beliebigkeit zustande gekommene Organisationsstruktur stellt nur eine bloße Materienmasse dar, die einer beliebigen Aneinanderreihung einfacher Substanzen gleicht - wobei die Aneinanderreihung nicht die Entstehung einer Organisationsstruktur bedingt, die in ihrem Zusammenhang etwas Neues bewirkt. Die Eigentümlichkeit einer beliebigen Materienmasse besteht darin, dass eine Veränderung der Bestandteile eine Veränderung der Identität dieser Masse bewirkt. Die Tatsache, dass diese Organisationsstruktur nicht in der Lage ist, die Entstehung von etwas Neuem zu bewirken, ist auch der Grund dafür, dass aus dieser kein Leben entstehen kann.

Eine strukturierte Materie hingegen ermöglicht die Entstehung des Lebens aufgrund der Zusammenführung einzelner Bestandteil zu einer zusammenhängenden Organisation. Das heißt: Erst eine bestimmte Organisationsstruktur einzelner Bestandteile in und zu einem Ganzen bedingt die Entstehung des Lebens. Die Eigentümlichkeit der strukturierten Materie besteht darin, dass eine Veränderung der Bestandteile nicht zur Veränderung ihrer Identität führt, weil diese Veränderung die Aufrechterhaltung des Lebens nicht beieinträchtigt. Die Identität ist also an das Leben gebunden, das wenn man so will den Raum darstellt in welchem sich die strukturierte Masse organisiert. Die Bildung eines lebendigen Körpers erfolgt also zu einem bestimmten Zeitpunkt10 und an einem bestimmten Ort, dab]ei dem „organischen“ Organisationsprinzip folgend.

„Denn diese Organisation, die in jedem Augenblick in jeder Ansammlung von Materie anzutreffen ist, unterscheidet sich im besonderen Einzelfall von allen anderen. Sie macht das individuelle Leben aus, das von jenem Augenblick an vorwärts und rückwärts gerechnet in derselben Kontinuität fortdauert […].“11

3. Die Verschiedenheit von Mensch und Person

Locke vervollständigt seine Ansichten über die Individuation durch eine Dreiteilung von allgemeinen Substanzen, die ihm zugleich auch ein Beleg für die Existenz der Pluralität von Substanzen ist. Gott ist, weil er nicht an Ort und Zeit gebunden ist, unveränderlich und ewig. Die Unveränderlichkeit und die Ewigkeit machen also die Identität der Substanz Gott aus. Im Gegensatz zu Gott sind endliche geistige Wesen an die Zeit und den Ort gebunden, weshalb die Einbettung des endlichen geistigen Wesens in einen bestimmten zeitlichen und räumlichen Kontext immer auch seine Identität bestimmt. Die Endlichkeit des geistigen Wesens äußert sich also im Angewiesensein seiner Existenz auf den Ort sowie die Zeit.12 Die Substanz Körper ist ebenso an Zeitpunkt und Ort gebunden. Diese Unterscheidung der Substanzen von einander hat zufolge, dass die Bestimmung der Identität immer von der Art der Substanz abhängt und somit von der Art des Verhältnisses der jeweiligen Substanz zur Zeit und dem Raum. Das heißt: Die Verschiedenheit der Substanzen ist die Voraussetzung für die Verschiedenheit der Dinge.

Auf der Grundlage der Unterscheidung zwischen der beliebigen Anordnung und der strukturierten Materie sowie der Dreiteilung der allgemeinen Substanzen gibt Locke eine an der Empirie orientierte Antwort auf die Frage: Was ist der Mensch?

[...]


1 Urteil des Bundesverfassungsgerichts zitiert aus Spaemann, Robert, Gezeugt, nicht gemacht, in: Die Zeit, Januar 2001, Nr. 41

2 Vgl. exemplarisch für die die erwähnte Diskussion, die immer noch anhält, den 2001 in „Die Zeit“ (2001 Nr.4 - Nr.10) geführten Meinungsaustausch.

3 Locke, John, Über den Menschlichen Verstand (1694), Band I, Felix Meiner Verlag, Hamburg 1962, S. 410

4 Ders., S. 411

5 Ders., S. 412

6 Thiel, Udo, Individuation und Identität, in: Ders. (Hrsg.), Klassiker Auslegen, John Locke. Essay über den menschlichen Verstand, Akademie Verlag, Berlin 1977, S. 153

7 Die Individualität von etwas oder jemand hat also, Locke gemäß, ihre Ursache in der Besonderheit des Verhältnisses zum Raum und der Zeit.

8 Vgl. hierzu Thiel, Udo, Individuation und Identität, in: Ders. (Hrsg.), Klassiker Auslegen, John Locke. Essay über den menschlichen Verstand, Akademie Verlag, Berlin 1977, S. 154; Dass es Locke trotzdem gelingt, den teleologischen Charakter existenter Dinge und Wesen zu bewahren, hängt damit zusammen, dass das Ziel (telos) im Bestreben nach Aufrechterhaltung der Organisationsstruktur wiederkehrt.

9 Ders., S. 413 und 414

10 Der Zeitpunkt wird also durch das Verschmelzen einzelner, für eine lebendige Organisationsstruktur notwendiger Bestandteile, die als Grundlage für die Ausbildung eines Körpers dienen, bestimmt. Aufgrund dessen, dass Locke von einer Möglichkeit der Veränderung lebendiger Körper bei gleichzeitiger Beibehaltung der menschlichen Identität ausgeht, ist womöglich auch der Beginn des menschlichen Lebens nach Locke erst mit der Ausbildung der menschlichen Glieder des Fötus gegeben.

11 Locke, John, Über den menschlichen Verstand (1694), Felix Meiner Verlag, Hamburg 1962, S. 414

12 So sind für Locke z.B. auch die Tätigkeiten des endlichen Wesens, das Denken und die Bewegung deshalb nicht identisch, weil sie zu verschiedenen Zeitpunkten und somit in verschiedenen Räumen stattfinden.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Mensch und Person bei John Locke und Jürgen Habermas
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Fakultät für Philosophie, Wissenschaftstheorie und Religionswissenschaft)
Veranstaltung
Personen
Note
1,7
Autor
Jahr
2007
Seiten
20
Katalognummer
V188275
ISBN (eBook)
9783656119418
ISBN (Buch)
9783656119807
Dateigröße
495 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Identität, John Locke, Habermas, Person, Anerkennung, Verantwortung
Arbeit zitieren
Ernest Mujkic (Autor:in), 2007, Mensch und Person bei John Locke und Jürgen Habermas, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/188275

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