Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Der Begriff „politische Kultur“
2.1 Allgemeine Definition der politischen Kultur und die Kulturtypologisierung
2.2 Rolle der politischen Kultur für die Stabilität des politischen Systems
3. Aufbau und Funktion der Zivilgesellschaft
4. Einflüsse auf die politische Kultur in Afrika und ihre Folgen für die Zivilgesellschaft
4.1 Die Bedeutung der Ausbildung einer Übergangskultur in Afrika
4.2 Fallbeispiel: Namibia
5. Aufbau der Zivilgesellschaft in Afrika
5.1 Selbsthilfegruppen als Hoffnungsträger zivilgesellschaftlichen Fortschritts in Afrika
6. Fazit
7. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Ob ein Systemwandel vom autoritären Regime zu einem auf demokratischen Grundsätzen basierenden politischen System gelingt bzw. gelingen kann hängt von unterschiedlichen Faktoren ab. Neben der Notwendigkeit des Vorhandenseins wirtschaftlicher Ressourcen auf der einen Seite und staatlicher Institutionen andererseits, die den Aufbau eines funktionierenden Gemeinwesens ermöglichen und den Staat in die Lage versetzen seiner Aufgabenerfüllung nachzukommen, woraus sich zugleich auch ein beträchtlicher Teil seiner Legitimation ableitet, gehört insbesondere auch die Zivilgesellschaft zu einer notwendigen Voraussetzung des Gelingens des Demokratisierungsprozesses. Der Zivilgesellschaft kommt innerhalb der Trias Wirtschaft - Staat − Zivilgesellschaft eine herausragende Bedeutung zu. Zum einen stellt die Zivilgesellschaft personelle Ressourcen sowohl für die Wirtschaft als auch den Staat zur Verfügung und zum anderen fungiert die Zivilgesellschaft in einem demokratischen System als Bindeglied zwischen Staat und Gesellschaft, Gesellschaft und Wirtschaft, sowie auch zwischen Wirtschaft und Staat1. Aus diesem Grund ist die Auffassung, dass Staat und bzw. oder die Wirtschaft und Gesellschaft verschiedene Entitäten sind, unzutreffend, da sowohl staatliche wie auch wirtschaftliche Akteure einem bestimmten gesellschaftlichen Habitus gemäß handeln.2 Der Habitus einer Gesellschaft wiederum ist das Ergebnis ihrer jeweiligen politischen Kultur, die somit die Grundlage für die Ausbildung politischer Wahrnehmungs- und Handlungsmuster darstellt.
In Afrika führte ebenso wie in Süd- und Osteuropa, das Ende des ″Kalten Krieges″, zu einer Welle von Transformationsprozessen. Nach anfänglich viel versprechender Entwicklung in Richtung der Etablierung stabiler, demokratischer Regierungsführungen wurde in einigen Länder aus dem Fortschritt ein Rückschritt zum Beispiel in Liberia, Niger, Zaire (heute Demokratische Republik Kongo), Ruanda, Sudan, Äthiopien, Somalia und es kam, im Gegensatz zur Entwicklung in Süd- und Osteuropa, wo der Demokratisierungsprozess in den meisten Ländern in konsolidierte Demokratien mündete3, mitunter auch aufgrund einer als Ausgangspunkt der Veränderung betrachteten, anders ausgeprägten, traditionellen, politischen Kultur, zu einem nicht so erfolgreiche Verlauf des Transformationsprozesses.
Diese Krise der Demokratisierung in Afrika verdeutlicht womöglich, dass bei der Modernisierung einer Gesellschaft eine zweifache Entwicklung vollzogen wird. Durch die „Kollektivitätsmodernisierung“ wird eine „Individualmodernisierung“4 bedingt, so dass die jeweilige Modernisierungsart eine bestimmte Folge hinsichtlich des Verhaltens einzelner Bürger gegenüber dem Staat bewirkt. Während die Modernisierung des Kollektivs zu einem Wertewandel führt, der sich oft in einer Aufwertung der Rolle des Kollektivs äußert, bedingt die „Individualmodernisierung“ in vielen Fällen eine stärkere Berücksichtigung individueller Vorstellungen sowie der praktische Umsetzung dieser in Abgrenzung zum Kollektiv.
Der These folgend, dass die Umwandlung der ehemals autoritär geführten in stabile und dauerhafte, demokratisch aufgebaute Staaten nur dann erfolgen kann, wenn die Zivilgesellschaft und deren Aufbau auf der Grundlage der politischen Kultur erfolgend als wesentlicher Bestandteil eines politischen Systems akzeptiert wird , soll im ersten Teil der vorliegenden Arbeit, ausgehend 1) von einer allgemeinen Definition der Politischen Kultur und ihrer Rolle für die Stabilität politischen Systems sowie der Kulturtypologisierung 2) der allgemeine Aufbau und die Funktion der Zivilgesellschaft dargestellt werden. Anschließend wird 3) die politische Kultur in Afrika auf ihre charakteristischen Merkmale hin untersucht. Die Charakteristika des afrikanischen Verständnisses von politischer Kultur berücksichtigend wird dann im letzten Teil dieser Arbeit 5) der Aufbau der Zivilgesellschaft in Afrika eingehend untersucht.
2. Der Begriff „politische Kultur“
Obwohl der Begriff der politischen Kultur in einem engen Zusammenhang mit dem allgemeinen Kulturbegriff steht, besteht auch eine wichtige Unterscheidung zwischen diesen beiden Begriffen. Während der allgemeine Kulturbegriff „als eine Gesamtheit aller geistigen und ideellen Traditionen, gesellschaftlichen Normen und Institutionen, Verhaltensstille, etc.“5 zu verstehen ist, handelt es sich bei dem Begriff der politischen Kultur um eine Größe, die die politischen Handlungs- und Wahrnehmungsmuster einzelner Individuen gegenüber dem politischen System prägt. Der Begriff politische Kultur umfasst „einen neutral beschreibenden engeren Begriff im Sinne einer Bezeichnung der Gesamtheit der Werte, Glaubensüberzeugungen und Einstellungen der Bürger gegenüber Politik oder politischen Objekten.“6 Politische Kultur ist also ein Bestandteil des allgemeinen Kulturbegriffes, der sich jedoch auf das spezifische Feld des Politischen in einer Gesellschaft bezieht.
2.1 Allgemeine Definition der politischen Kultur und die Kulturtypologisierung
Zu den Faktoren, die die politische Kultur inhaltlich bestimmen gehören Werte, Einstellungen und Meinungen. Diese unterscheiden sich wiederum sowohl in ihrer Beschaffenheit wie auch in ihrer Wirkung stark von einander. Während Werte als „situationsübergreifende und objektunspezifische“7 Orientierungsgröße für das politische Handeln zu verstehen sind und sie sich aufgrund des übergreifenden und spezifischen Charakters als besonders stabil erweisen, sind Einstellungen als „Beurteilungen von Personen und Institutionen“8 zu verstehen. Als Beurteilungskriterium für die Meinungen dienen wiederum die Werte. Die Differenz zwischen den Werten und Einstellungen liegt in der Situations- und Objektbezogenheit der Einstellungen. Da jedoch die Werte ein Teil der Einstellungen sind, bedingen sie gleichzeitig den stabilen Charakter der Einstellungen. Im Gegensatz zu diesen beiden handelt es sich bei Meinungen um „situationsabhängige Äußerungen“9, die wiederum, da sie oft emotionaler Natur sind, sehr variabel und daher instabil sind. Aus der Interaktion der Werte, Einstellungen und Meinungen einzelner Individuen entwickelt sich eine bestimmte Haltung gegenüber dem politischen System, woraus sich dann wiederum die Art der politischen Kultur formt. Almond Gabriel und Verba Sidney bestimmen von der erwähnten inhaltlichen Bestimmung der politischen Kultur ausgehend drei ″Idealtypen″ dieser.
„When the frequency of orientations to the specialized political objects (…) aproaches zero, we can speak of the political cultur as a parochial one (…) In these societies there are no specialized political roles…“10.
Die parochiale Kultur ist gekennzeichnet durch die Unkenntnis über und Desinteresse am politischen System. In dieser leistet die Bevölkerung den Vorgaben des politischen Systems zwar Gehorsam, jedoch ohne einer emotionalen oder wertenden Haltung.
Das Spezifische an der Untertanenkultur wird wie folgt bestimmt:
„Here there is a high frequency of orientations toward a differentiated political system and toward the output aspects of the system, but orientations toward specifically input objects, and toward the self as an active participant, approach zero.”11
Dieser Typ der politischen Kultur zeichnet sich durch das Vorhandensein einer emotionalen und wertenden Haltung sowie der output-Orientierung aus, wobei die den eigenen Initiativen entsprungenen Aktivitäten nicht, trotz der emotionalen Bindung an das politische System, nicht vorhanden sind.
„The third major type of political culture (…) is one in which the members of the society tend to be explicitly orientated to the system as a whole and to both the political and administrative structures and processes: in other words, to both the input and output aspects of the political system.”12
Die partizipative politische Kultur ist geprägt vom Wissen und vorhandenem Interesse am politischen System bei gleichzeitiger ]Orientierung der Bürger sowohl an input-Leistungen, die die aktive Teilnahme über Bildung von Vereinigungen impliziert, als auch an outputLeistungen des politischen Systems.
2.2 Rolle der politischen Kultur für die Stabilität des politischen Systems
Die wesentlichen Grundannahmen hierbei sind, dass zum einen die in der Realität vorkommenden Typen der politischen Kultur keine reine Typen sind, d.h. es liegen vielmehr Mischtypen13 vor und, dass zum anderen die Stabilität des politischen Systems insbesondere von der das politische System tragenden, und zugleich auch anerkennenden politischen Kultur abhängt. Folgt man dem Gedanken von Almond und Verba, dass erst das Vorhandensein einer Bürgerkultur den Aufbau und die Aufrechterhaltung eines demokratischen politischen Systems bedingt, ist es, um den Transformationsprozess von der Diktatur zur Demokratie erfolgreich umzusetzten, unbedingt notwendig, einerseits den Wandel der bestehenden politischen Kultur auszulösen, was der Reformierung der bestehenden politischen Kultur entspricht, und diese andererseits als Teil einer Bürgerkultur und als demokratiestabilisierenden Faktor wieder zu integrieren. Worin die Aufgabe hinsichtlich des Wandels und Aufbaus einer neuen politischen Kultur besteht, wird aus den Konsequenzen des Zusammenhangs zwischen der politischen Kultur und der politischen Struktur ersichtlich. Wenn Kongruenz zwischen diesen beiden zur Stabilität und Inkongruenz hingegen zur Instabilität des politischen Systems führen können, dann sind vor allem die „Erklärungsfaktoren für Unterschiede zwischen politischer Kultur und politischer Struktur“14 von entscheidender Bedeutung, da diese Faktoren bzw. vielmehr die Veränderung dieser über den Wandel oder die Aufrechterhaltung der politischen Kultur bestimmen.
In welcher Weise die politische Kultur auf das organisatorische Gefüge eines staatlichen Systems Einfluss nimmt, wird aus dem Aufbau der Zivilgesellschaft deutlich, da das Gelingen, die Akzeptanz und Anerkennung, der institutionelle Aufbau sowie die aktive Mitarbeit im Rahmen eines politischen Systems zu einem großen Teil von dem Konzept der Zivilgesellschaft abhängt.
[...]
1 Vgl. Erfried, Adam, Wie ist wieder Staat zu machen in Afrika? In: Internationale Politik und Gesellschaft, 1994, Heft 4, S. 378 f.
2 Vgl. Hildebrand, Ernst, Nachdenken über Zivilgesellschaft und Demokratie in Afrika. In: Internationale Politik und Gesellschaft, 1994, Heft 1, S. 57
3 so in Polen, Tschechei, Slowakei, Ungarn, wie auch auf dem Balkan, wo mit Slowenien, Bulgarien, Rumänien, Kroatien, die Mehrheit der Staaten bereits konsolidierte Demokratien sind oder sich im Augenblick in der Konsolidierungsphase befinden wie zum Beispiel Serbien, Montenegro und Bosnien und Herzegowina;
4 Vujcic, Vladimir, Politicka Kultura Demokracije, PanLiber, Osijek-Zagreb-Split, 2001. S. 107
5 Reichel, Peter, zitiert nach Schreyer Bernhard/Schwarzmeier Manfred, Grundkurs Politikwissenschaft: Studium der politischen Systeme, Westdeutscher Verlag, Wiesbaden 2000, S.78
6 Susanne, Pickel/Gert, Pickel, Politische Kultur- und Demokratieforschung, Grundbegriffe, Theorien, Methoden. Eine Einführung, VS, Wiesbaden 2006, S. 49
7 Kmieciak, Peter, zitiert nach Schreyer Bernhard/Schwarzmeier Manfred, Grundkurs Politikwissenschaft: Studium der politischen Systeme, Westdeutscher Verlag, Wiesbaden 2000, S. 77
8 Ebd. S. 79
9 Ebd. S. 79
10 Almond, Gabriel A., Verba, Sidney, The Civic Culture. Political Attitudes and Democracy in Five Nations. Princeton, New Jersey 1963, S. 17
11 Ebd. S. 19
12 Ebd. S. 19
13 Vgl. hierzu Susanne,Pickel/Gert, Pickel, Politische Kultur- und Demokratieforschung, Grundbegriffe, Theorien, Methoden. Eine Einführung. VS, Wiesbaden 2006, S. 65f.benutzte Seiten 49-69 -
14 Ebd. S. 55; Zu den Erklärungsfaktoren zählen die Autoren an derselben Stelle a) langfristige historisch- kulturelle Entwicklungslinien, wie Traditionen, geschichtliche Ereignisse und nationale Spaltungen, die eine abweichendes Verständnis der politischen Wirklichkeit erzeugt haben, b) die ökonomischen Gelegenheitsstrukturen, wie sie sich in wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und Entwicklungen manifestieren, oft von prägendem Charakter für die Überzeugungen der Bürger gegenüber ihrem System, c) politische Determinanten - also die Bewertungen des politischen Prozesses selbst - wirken sich auf die politische Kultur aus, d) psychische Prägungen, die sowohl rein individuell als auch massenpsychologisch bedingt sein können.