„Mit dem Tristanroman schuf die mittelalterliche Dichtung einen prototypischen, in der Neuzeit wiederholt neubearbeiteten Erzählentwurf zum Thema der leidenschaftlichen, autonomen Liebe.“
„[Dieser Roman] [erscheint] [...] ein für allemal als Prototyp für die großen Liebesnovellen und Liebesromane bis in die Neuzeit hinein.“
In dieser Weise beschreiben Autoren die Besonderheit des Tristanromans von Gottfried von Straßburg. Unter anderem spielt das Konzept der Minne eine bedeutende Rolle. Die Liebe zwischen Tristan und Isolde gilt als vorbildlich und wurde in folgenden Jahrhunderten oftmals adaptiert und als Vorlage genutzt.
Ein Thema, welches seither für Diskussionen sorgt, ist die Entstehung der Liebe zwischen den beiden Protagonisten. Hier reichen die Meinungen weit auseinander und Forscher versuch(t)en mit unterschiedlichsten Ansätzen, die 'wahre' Bedeutung des Minnetranks bei Gottfried herauszufinden. Eine verwendete Möglichkeit ist dabei die psychologisierende Vorgehensweise. Per Definition versuchen Forscher, die diese Methode einsetzen, „das literarische Werk (oder einzelne Aspekte) aus dem besonderen psychischen Zustand zu erklären, in dem sich ein Autor beim Verfassen des Textes befand“4.5 Doch hier stellt sich die Frage: Ist es möglich, psychologisch an mittelalterliche Literatur heranzugehen? Kann man eine „neuzeitliche Psychologie“6 überhaupt auf das damalige Weltbild, welches sich in der Literatur widerspiegelt, projizieren?
Diese Frage soll das zentrale Thema der folgenden Ausführungen werden.
Zur Beantwortung wird zunächst ein Aufsatz von Rüdiger Schnell herangezogen, der zusammenfassend die vorhandenen Positionen zum Thema 'Minnetrank' darstellt. Dieser gilt als Ausgangspunkt für die Untersuchung, inwieweit sich eine psychologische Interpretation für mittelalterliche Texte realisieren lässt. Zunächst soll der Begriff 'psychologisches Interpretieren' geklärt werden. Die anschließende Gegenüberstellung von Forschungspositionen zu dem Thema verdeutlicht die Komplexität. Dabei wird immer wieder auf den Minnetrank im Tristan von Gottfried von Straßburg eingegangen, denn auch anhand dieser Textstelle wurden bereits psychologisierende Deutungen vorgenommen. Der abschließende Ausblick stellt einen Kompromissvorschlag dar, inwieweit das psychologisierende Verfahren mittelalterliche Interpretationen bereichern kann.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Das Problem 'Minnetrank' – ein kurzer Überblick
- Das Problem der psychologischen Deutung
- Was ist psychologische Interpretation?
- Psychologisierung als unzulässiges Verfahren
- Psychologisierung als anwendbare Methode
- Schluss
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Dieser Aufsatz beschäftigt sich mit dem Problem der psychologisierenden Deutung mittelalterlicher Literatur, insbesondere anhand von Gottfrieds Tristan. Die Arbeit analysiert die Komplexität der 'Minnetrank'-Szene und untersucht, ob psychologische Interpretationen in der mittelalterlichen Literatur überhaupt sinnvoll sind.
- Die Vielschichtigkeit des 'Minnetrank'-Motivs in Gottfrieds Tristan
- Die Eignung psychologischer Interpretationen für mittelalterliche Texte
- Die Grenzen der Anwendung moderner psychologischer Konzepte auf mittelalterliche Literatur
- Mögliche Kompromisse und Anwendungsbereiche psychologisierender Interpretationen
- Der Einfluss des mittelalterlichen Weltbilds auf die literarische Darstellung von Liebe und Emotionen
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in das Thema des Aufsatzes ein und stellt die Problematik der psychologisierenden Deutung von Gottfrieds Tristan dar. Der 'Minnetrank' wird als zentrales Motiv und Ausgangspunkt der Analyse vorgestellt. Kapitel 2 bietet einen Überblick über die verschiedenen Deutungen des 'Minnetranks' in der Tristanforschung. Dabei werden unterschiedliche Positionen und Ansätze gegenübergestellt, die das Motiv auf unterschiedliche Weise interpretieren. Kapitel 3 widmet sich dem Problem der psychologischen Deutung selbst. Es wird untersucht, was unter 'psychologischer Interpretation' zu verstehen ist und welche Grenzen sich aus der Anwendung moderner psychologischer Konzepte auf mittelalterliche Texte ergeben. Schließlich stellt der Aufsatz in einem Ausblick mögliche Kompromissvorschläge dar, inwieweit psychologisierende Verfahren die Interpretation mittelalterlicher Texte bereichern können.
Schlüsselwörter
Psychologische Interpretation, Mittelalterliche Literatur, Gottfried von Straßburg, Tristan, Minnetrank, Liebeskonzeption, Weltbild, historische Kontextualisierung, Motivdeutung, Forschungsansätze, Psychologisierung, Interpretation, Minne, Literaturwissenschaft, Hermeneutik.
- Quote paper
- Kristina Eichhorst (Author), 2011, Psychologisierende Deutung mittelalterlicher Literatur: Überlegungen zu Gottfried von Straßburgs "Tristan", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/188403