Wo ist eigentlich Dr. Watson?*

*oder das Problem mit den fiktionalen Eigennamen


Masterarbeit, 2006

88 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhalt

Abkürzungsverzeichnis

Verzeichnis aller Beispielsätze

Kapitel 1 Das Dilemma mit den fiktionalen Eigennamen
§ 1.1 Sätze & Kommunikation I
§ 1.2 Eigennamen & Wahrheit
§ 1.3 Existenzbegriff
§ 1.4 Handwerkszeug
§ 1.5 Sätze & Bedeutung
§ 1.6 Sind fiktionale Eigennamen pseudo-Eigennamen?
§ 1.7 Dilemma & Lösungsstrategien

Kapitel 2 Semantische Ansätze I
§ 2.1 Objekttheorien (Motivation & Ziel)
§ 2.2 Arten von Beispielsätzen
§ 2.3 Nicht-existierende Objekte (à la Parsons)
§ 2.4 Dilemma & nicht-existierende Objekte
§ 2.5 Einwände zu Parsons
§ 2.6 Existierende abstrakte Objekte (à la van Inwagen)
§ 2.7 Dilemma & abstrakte Objekte
§ 2.8 Einwände zu van Inwagen

Kapitel 3 Semantische Ansätze II
§ 3.1 Paraphrasestrategie (Motivation & Voraussetzung)
§ 3.2 Intensionale & extensionale Kontexte
§ 3.3 Werkskonstitutive Sätze & Verwendung
§ 3.4 Interne fiktionale Sätze
§ 3.5 Externe fiktionale Sätze
§ 3.6 Intensionale Kontexte & fiktionale Eigennamen
§ 3.7 Dilemma & Paraphrase-Strategie

Kapitel 4 Pragmatische Ansätze
§ 4.1 Was ist ein fiktionaler Text?
§ 4.2 Fiktionale Texte & Wahrheit
§ 4.3 Intention & fiktionale Texte 1
§ 4.4 Dilemma & pretense
§ 4.5 Intention & fiktionale Texte II
§ 4.6 Sätze & Kommunikation II
§ 4.7 Was sind fiktionale Eigennamen?

Kapitel 5 Begriffswortthese
§ 5.1 Kriterien für Theorien fiktionaler Eigennamen
§ 5.2 Begriffswörter
§ 5.3 Begriffswortthese
§ 5.4 Begriffswortthese & Beispielsätze
§ 5.5 Begriffswortthese & Kriterien
§ 5.6 Vorteile der Begriffswortthese

Anhang

Literaturverzeichnis

Literarische Beispiele

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Verzeichnis aller Beispielsätze

Kapitel 1

(1.1) Edmund Stoiber ist Politiker.

(1.2) Bismarck war Politiker.

(1.3) Sherlock Holmes ist Detektiv.

(1.4) Sherlock Holmes ist Astronaut.

(1.5) Sherlock Holmes existiert nicht.

(1.5*) Sherlock Holmes existiertm nicht.

(1.5**) Sherlock Holmes existierta nicht.

(1.6) Kilefitz existiert nicht.

(1.7) Alle Menschen sind sterblich.

(1.8) Ich bin Ministerpräsident von Bayern.

Kapitel 2

(2.1) Sherlock Holmes lebt in der Baker Street.

(2.2) Sherlock Holmes ist Detektiv.

(2.3) Sherlock Holmes ist berühmter als Heinrich Hauser.

(2.4) Sherlock Holmes existiert nicht.

(2.4*) —3 x (Sherlock Holmes (x))

(2.5) Sherlock Holmes ist eine fiktive Figur.

(2.5*) Der N-Begriff 'Sherlock Holmes' ist berühmter als Heinrich Hauser.

(2.5**) Der Menschentyp - den Conan Doyle mit der Kreation des N-Begriffs 'Sherlock

Holmes' gezeichnet hat - auch wenn er von keiner wirklichen Person erfüllt wird, ist berühmter als Heinrich Hauser, der wirkliche Detektiv.

(2.6) (Vx) (Vy) (Vz) (Vw) [A(x,y,z) л x impliziert w ^ A(w,y,z)] )

(2.7) (Vx) (3 y) [A(x, Sherlock Holmes, y) v — A(x, Sherlock Holmes, y)]

(2.8) (Vx) (3 y) [A(x, Sherlock Holmes, y) v A(—x, Sherlock Holmes, y)]

Kapitel 3

(3.1) Edmund Stoiber ist Politiker.

(3.1*) Henrich glaubt, dass es ein Objekt gibt, auf das er sich mit dem Eigennamen

'Edmund Stoiber' zu beziehen glaubt, dem die Eigenschaft 'ist Politiker' zukommt. (3.1**) Der erstgeborene Sohn von Ursula Müller ist Politiker.

(3.2) Heinrich glaubt, dass Edmund Stoiber Politiker ist.

(3.2*) Heinrich glaubt, dass der erstgeborene Sohn von Ursula Müller Politiker ist.

(3.4) Sherlock Holmes ist Detektiv.

(3.4*) In den Sherlock-Holmes-Geschichten schreibt Conan Doyle, dass Sherlock Holmes

ein Detektiv ist.

(3.5) Sherlock Holmes ist berühmter als Heinrich Hauser.

(3.5*) Der N-Begriff 'Sherlock Holmes' ist berühmter als Heinrich Hauser.

(3.5**) Der Menschentyp - den Conan Doyle mit der Kreation des N-Begriffs 'Sherlock

Holmes' gezeichnet hat -, auch wenn er von keiner wirklichen Person erfüllt wird, ist berühmter als Heinrich Hauser, der wirkliche Detektiv.

(3.7*) Der fiktionale Detektivname „Sherlock Holmes“ (verbunden mit einem bestimmten

Verständnis) ist berühmter als der Name „Heinrich Hauser“ (verbunden mit einem bestimmten Verständnis) des wirklichen Detektivs Heinrich Hauser, durch den er benannt wird.

(3.8) Ga (Sherlock Holme ist ein Detektiv)

(3.8*) Ga (Der Mitbewohner von Dr. Watson in der Baker Street 221B ist ein Detektiv)

(3.8**) Ga (Diejenige fiktive Figur, von der Heinrich das erste Mal am 01. 01. 2000 las, ist

Detektiv)

(3.9) Diejenige fiktive Figur, von der Heinrich das erste Mal am 01. 01. 2000 las.

Kapitel 4

(4.1) Am 1. Januar 1895 regnete es in London.

Kapitel 5

(5.1) Einhörner haben ein Horn.

(5.2) Einhörner haben zwei Hörner.

(5.3) Einhörner essen lieber Rosenknospen als Lilien.

(5.4) Sherlock Holmes lebt in der Baker Street.

(5.4*) Sherlock Holmese leben in der Baker Street.

(5.4**) Vx (Sherlock Holmes (x) ^ lebt-in-der-Bakerstreet (x))

(5.5) Menschen sind sterblich, Zweibeiner und haben Verstand.

(5.5*) Vx (Mensch (x) ^ sterblich (x) л Zweibeiner (x) л hat-Verstand (x))

(5.6) Sherlock Holmes existiert.

(5.6*) V x (Sherlock Holmes (x) ^ existiert (x))

Kapitel 1 Das Dilemma mit den fiktionalen Eigennamen

I should have known better than to count on language as a more efficient form of communication than nods and shakes of the head. [1]

Paul Auster

§ 1.1 Sätze & Kommunikation I

Wie kann man mit Hilfe eines Satzes Wissen an andere vermitteln? Zur Beantwortung dieser Frage werde ich annehmen, dass es prinzipiell möglich ist, dass eine Person A etwas an B vermitteln kann. Damit dies allein mit Hilfe der Satzbedeutung funktionieren kann, muss A mit einem Satz S etwas Wahres sagen können. Das was A unter Zuhilfenahme von S an B vermitteln kann, werde ich vorläufig P nennen. Damit A mit S an B P vermitteln kann, müssen mehrere notwendige Bedingungen erfüllt sein:

A kann allein mit Hilfe von S an B P vermitteln, gdw.

(1) P wahr ist,
(2) A davon überzeugt ist, dass P wahr ist und
(3) S dazu verwendet werden kann, P auszudrücken.

Um die Ausgangsfrage beantworten zu können, möchte ich Bedingung 3 genauer untersuchen. Im einfachsten Fall haben wir es mit einem Satz mit Subjekt-Prädikat-Struktur zu tun, wie beispielsweise S1 'Heinrich hat Locken'. Nehmen wir an S1 sei wahr. In S1 wird ein Sachverhalt P beschrieben, den man sinnlich wahrnehmen kann und der Satz repräsentiert diesen Sachverhalt irgendwie. Wie ein Satz einen Sachverhalt repräsentiert, wird nahe gelegt durch das, was wir tun, um herauszufinden, ob P wahr ist: Wir wenden uns den Bestandteilen von S zu. Das suggeriert, dass die Wahrheit des ganzen Satzes von seinen Bestandteilen abhängt.

Die Idee, dass die Wahrheit der Aussage eines Satzes von seinen Bestandteilen abhängt, werde ich im Folgenden Kompositionalitätsprinzip (KP) nennen.

Außerdem beziehen sich manche Wörter direkt auf Objekte. So ist Si deshalb wahr, weil das materielle Objekt Heinrich, bezeichnet durch den Eigennamen 'Heinrich', die ihm zugeschriebene Eigenschaft erfüllt. Die Idee, dass sich gewisse Bestandteile von Sätzen auf Objekte beziehen, nenne ich Referenzprinzip (RP). Nimmt man KP und RP zusammen, so kann man erklären, dass Si einen bestimmten Sachverhalt deshalb räpresentiert, weil ein Zusammenhang zwischen den Bestandteilen von Si und der Welt besteht.

Die Annahme der beiden Prinzipien als allgemein gültig scheint jedoch fragwürdig, zieht man auch Sätze mit Subjekt-Prädikat-Struktur in Betracht, die sich nicht so offensichtlich auf materielle Objekte beziehen und für die RP nicht in der selben Weise zu gelten scheint: S2 'Dr. Watson ist der Mitbewohner von Sherlock Holmes'. Auch in solchen Fällen scheint das KP zum Tragen zu kommen, jedoch wird das RP von den Eigennamen 'Dr. Watson' und 'Sherlock Holmes' nicht in derselben offensichtlichen Weise wie von 'Heinrich' erfüllt.

Wenn RP in S2 nicht gelten sollte, wie könnte es dann jedoch sein, dass A mit S2 an B etwas Wahres vermitteln kann? Mit der Beantwortung dieser Frage werde ich mich in diesem Aufsatz beschäftigen.

Facts are not born free and equal[2]

C. V. Wedgwood

§ 1.2 Eigennamen & Wahrheit

Eigennamen stellen ein notorisches Problem in der analytischen Philosophie dar. Auf welcher Grundlage, so fragt man sich, kann man über Wahrheit oder Falschheit von Sätzen entscheiden, die Eigennamen enthalten. Auch wenn wir im Alltag zunächst kein Problem damit haben, uns mit Eigennamen über Einzeldinge zu verständigen, so stellt für viele Philosophen das Verstehen dieser Bezugnahmen eine Schwierigkeit dar.[3] Eine Schwierigkeit besteht zunächst darin, anzugeben, wie ein Eigenname überhaupt ein Objekt herausgreifen kann.[4] Eine andere besteht in der Frage, was es eigentlich ist, das Eigennamen herausgreifen. Es besteht Uneinigkeit darüber, welcher Art das Herausgegriffene sein muss, damit es als Bezugsobjekt für einen Eigennamen in Frage kommt. Um die Ausgangsfrage aus §1.1 beantworten zu können, wie wir mit Sätzen wie S2 Wissen vermitteln können, werde ich mich mit der Frage befassen, wie Eigennamen und Referenzprinzip (RP) zusammenhängen. Wie so oft in philosophischen Debatten bietet es sich an, das Problem anhand von Beispielsätzen zu motivieren. Diese lassen sich in zwei Gruppen unterteilen:

Gruppe I: Sätze in denen einem Objekt durch ein Prädikat eine Eigenschaft zugesprochen wird. Gruppe II: Sätze in denen negative Existenzaussagen gemacht werden, also von etwas behauptet wird, dass es nicht existiere.

Man könnte in die Versuchung kommen zu glauben, dass Gruppe II eine Untergruppe von Gruppe I sei, würde man behaupten, dass in ihnen einem Objekt das Prädikat der Nicht-Existenz zugeschrieben wird. Aber nicht nur aufgrund der durch Kant so bekannt gewordenen Kritik an dieser Auffassung mache ich hier diese Unterscheidung, sondern hauptsächlich deshalb, weil sie mir wichtig erscheint, um sich zu vergegenwärtigen, warum man mit Eigennamen überhaupt Probleme haben könnte.

In diesem Abschnitt möchte ich nun eine Reihe von Beispielsätzen einführen und sie zunächst mit dem Common Sense erläutern. Es wird sich zeigen, dass die Sätze unter dieser Lesart eigentlich unproblematisch sind. In den folgenden Abschnitten werde ich dann versuchen zu zeigen, dass diese Ansicht aber unter philosophischer Betrachtung nicht üblich ist und nicht alle Sätze, die Tatsachen der Welt auszudrücken scheinen, gleich behandelt werden.

(1.1) Edmund Stoiber ist Politiker.

(1.2) Bismarck war Politiker.

(1.3) Sherlock Holmes ist Detektiv.

(1.4) Sherlock Holmes ist Astronaut.

(1.5) Sherlock Holmes existiert nicht.

(1.6) Kilefitz existiert nicht.

In 1.1 wird vom dem Objekt Edmund Stoiber ausgesagt, dass es ein Politiker sei. Äußert man den Satz zum heutigen Zeitpunkt, so macht man damit eine wahre Aussage. Wenn ich überprüfen wollte, ob die Aussage wahr ist, so bräuchte ich nur zu einer Parteiveranstaltung der CSU zu gehen, also in die Welt zu schauen, und werde herausfinden, dass Edmund Stoiber tatsächlich ein Politiker ist. Bei meinem in-die-Welt-Schauen identifiziere ich ein Objekt und stelle gewisse Eigenschaften des Objekts fest. Meine Entscheidung hängt von dem tatsächlichen Sachverhalt ab, den ich empirisch feststellen kann. Sollte es mir nicht vergönnt sein auf eine Parteiveranstaltung gehen zu können, so wird es meist genügen, um die Frage zu beantworten, warum es wahr ist, dass Stoiber Politiker ist, anzugeben, dass er momentan den Posten des Ministerpräsidenten von Bayern inne hat, und mit meinem Hintergrundwissen, dass Ministerpräsidenten Politiker sind, kann ich schließen, dass auch Edmund Stoiber Politiker ist. Das Wissen, das der Zuschreibung des Wahrheitswerts zugrunde liegt, ziehen wir aus dem begrifflichen Zusammenhang, den man a priori erkennen kann. Aber auch in solch einem Fall geht mein Urteil letztlich auf die empirische Tatsache zurück, dass Edmund Stoiber Ministerpräsident ist. Wenn auch im Alltag nicht immer eingefordert, so muss uns doch zumindest theoretisch die Möglichkeit der direkten Wahrnehmbarkeit von Herrn Stoiber gegeben sein, um eine Aussage über ihn zu machen.

Auch vom Satz 1.2 würden wir sagen, dass er wahr ist, obwohl man Bismarck nicht mal mehr theoretisch auf einer Parteiveranstaltung zu Gesicht bekommen könnte. Das hat natürlich damit zu tun, dass es Bismarck einmal gegeben hat. In solchen Fällen machen wir uns vielleicht darüber Gedanken, worin die Rechtfertigung unseres Wissens besteht - das kann eine Frage für Epistemologen sein -, aber sie ist im Alltag schnell beantwortet, wenn man angibt, in Geschichtsbüchern nachgesehen zu haben, die uns recht geben, dass Bismarck ein Politiker des neunzehnten Jahrhunderts war.

Den Beispielsätzen 1.3 und 1.4, die Sherlock Holmes gewisse Tätigkeiten zuschreiben, würden wir im Alltag alle völlig problemlos Wahrheitswerte zuordnen. Unsere Intuition legt uns nahe, dass die Aussage 1.3 wahr ist. Wir verstehen die Behauptung: In ihr wird Sherlock Holmes eine Eigenschaft zugeschrieben und Sherlock Holmes hat diese Eigenschaft irgendwie. Die Aussage 1.4 ist falsch, weil Sherlock Holmes die Eigenschaft nicht zukommt. Diese Intuition wird zudem durch zwei Überlegungen bestärkt: 1.) Wenn man Aussagen wie 1.3 mit 1.4 kontrastiert, so bekommt man die Überzeugung, dass letztere Aussage falsch ist. Und wenn von etwas etwas Falsches ausgesagt werden kann, so muss man auch etwas Wahres darüber aussagen können. 2.) Wenn man sich Gedanken darüber macht, welcher Tätigkeit Sherlock Holmes nachgeht, so wird man seine Behauptung ähnlich begründen, wie im Beispiel 1.2. Man könnte ein Buch von Conan Doyle zur Hand nehmen, etwas darin herumlesen, und man würde früher oder später auf eine Aussage treffen, die beschreibt, wie berühmt Sherlock Holmes für seine detektivischen Tätigkeiten war. Man hätte dann eine Rechtfertigung für die Behauptung, dass 1.3 wahr ist, wenn man Conan Doyle für eine glaubwürdige Quelle hält.

Fragen wir uns nach dem Wahrheitswert der Aussage 1.5, so gebietet der Common Sense zu behaupten, dass 1.5 wahr ist. (Ich denke, dass die meisten Leute diese Intuition haben). Wenn ein Kritiker eine Rückfrage stellt, warum der Satz wahr ist, so kann man möglicherweise kurz ins Grübeln geraten, wenn auch nicht für lange Zeit: «Na, ist doch klar! Was gemeint ist, ist dass es Sherlock Holmes nicht wirklich gibt; er besteht nicht aus Fleisch und Blut!» Der Kritiker könnte aber entgegengesetzt behaupten, dass es Sherlock Holmes in den Geschichten Conan Doyles gebe und 1.5 falsch sei. Damit könnte man sich jedoch dann zufrieden geben, wenn man weiß, dass der Kritiker 'existieren' hier eben als 'existiert-in-einer-Geschichte' auffasst. Bei der Begründung der Wahrheit von 1.5 ist es also manchmal notwendig, zu explizieren, was wir mit 'existieren' meinen. Auch wenn man bei 1.5 zwei sich widersprechende Antworten bekommen könnte, so kann man sich im Alltag damit zufrieden geben: Der eine meint mit 'existieren' besteht-aus-Fleisch-und-Blut, wohingegen der andere 'existieren' als existiert-in-einer- Geschichte versteht. Auch der Kritiker wird nicht sagen wollen, dass Sherlock Holmes aus Fleisch und Blut besteht.

Bei 1.6 verhält sich die Sache anders. Hier gebietet der Common Sense auf die Frage, ob der Satz wahr oder falsch sei, zu antworten: «Ich weiß nicht was der Satz bedeutet! Also kann ich nicht sagen, ob er wahr oder falsch ist.» Es ist also festzuhalten: der logische Status des Satzes 1.5 und 1.6 ist unterschiedlich. 1.5 ist wahrheitsfähig, 1.6 hingegen wahrheitsindifferent, bis geklärt ist, was 'Kilefitz' bedeutet. Unter Common-Sense-Lesart haben wir meist dieselben Intuitionen bezüglich des logischen Status der Beispielsätze. In gewissen Fällen kann es jedoch sein, dass wir uns über die Zuordnung eines Wahrheitswertes streiten. Im Alltag wird dieser Streit jedoch schnell ausgeräumt, wenn Unklarheiten bei der Verwendung von Begriffen wie 'existieren' expliziert werden.

§ 1.3 Existenzbegriff

Mit Beispiel 1.5 versuchte ich plausibel zu machen, dass man im Alltag kein Problem damit hat, zwischen besteht-aus-Fleisch-und-Blut und existiert-in-einer-Geschichte zu unterscheiden. Wenn man diese Unterscheidung akzeptiert, so kann man erklären, warum einer den Satz für wahr, der andere ihn für falsch hält. Ist diese prima facie einleuchtende Unterscheidung jedoch sinnvoll? - Ich glaube nicht. Dies werde ich kurz erläutern: Den Vertreter der These, dass 1.5 wahr ist, werde ich im Folgenden M-ist ('M' für Materialist)[5], den Kritiker, der 1.5 für falsch hält, F-ist nennen ('F' für falsch). Es ist einleuchtend worauf der M-ist hinaus will. Worum es ihm geht, ist zu zeigen, dass 'existieren' nur ein materielles existieren bedeuten kann. Nun impliziert diese These, dass 'existieren' immer so zu lesen ist, da sie die des F-isten ausschließt. Dies hat für den M-isten jedoch die unangenehme Folge, dass er Aussagen wie 1.3 nicht mehr als wahr auffassen kann. Der F-ist hat hier einen Vorteil, denn er könnte vertreten, dass 'existieren' in manchen Fällen besteht-aus-Fleisch-und-Blut, in anderen Fällen ein existieren bedeutet, beispielsweise in dem Sinn, wie man von Zahlen behauptet, sie würden existieren. Denn auch Zahlen bestehen nicht aus Fleisch und Blut, und dennoch hat man die Intuition, dass es sie irgendwie gibt. Nehmen wir an, der F-ist würde, um diese Unklarheit ein für alle mal auszuräumen, zwei verschiedene Wörter einfähren: Für materielles existieren 'existierenm' und für die andere Art zu existieren 'existieren/. Aus dem seiner Meinung nach zweideutigen Satz 1.5 werden dann die zwei eindeutigen Sätze:

(1.5*) Sherlock Holmes existiertm nicht.

(1.5**)Sherlock Holmes existierta nicht.

Mit dieser nun eindeutigen Formulierung wäre dann 1.5* wahr und 1.5** falsch. Der F-ist kann die Falschheit von 1.5** als Erklärung anführen, wie es sein kann, dass 1.3 wahr ist.

Das Problem für eine solche Mehrdeutigkeits-These tritt jedoch dann auf, wenn der F-ist gefragt wird, was mit den verschiedenen 'existieren' gemeint sei. Für 'existierenm' kann der F-ist auf das materielle existieren des M-isten zurückgreifen: 'existierenm' heißt raumzeitlich ausgedehnt zu sein, kausal wirken zu können und in manchen Fällen für den Menschen mit Sinnesorganen wahrnehmbar zu sein. Im Fall von 'existieren/ ist es jedoch schwierig, eine Bedeutungserklärung zu geben, denn der F-ist kann höchstens negative Bestimmungen geben, indem er all die Eigenschaften des existierenm verneint. 'existierena' heißt dann soviel wie nicht­raumzeitlich sein, nicht kausal wirksam sein, usw.

Hier kann der M-ist nun zu Recht einwenden, er habe nicht wissen wollen, was es alles nicht heiße, sondern was 'existieren/ bedeutet. Auch eine andere Option scheint nicht vielversprechender zu sein, würde der F-ist versuchen, 'existieren/ unter Rückgriff auf 'existieren' oder 'es gibť zu erklären, denn dann würde er seiner Mehrdeutigkeits-These widersprechen.

Mir geht es hier vorerst nur darum anzudeuten, dass weder der M-ist, noch der F-ist eine plausible Erklärung dafür parat haben, wie 1.5 und 1.3 gleichzeitig wahr sein können. Der M-ist hat vorerst eine etwas bessere Position, denn ihm bleibt noch die Möglichkeit, radikal mit Eigennamen wie 'Sherlock Holmes' abzurechnen. Er könnte vertreten, dass er lieber auf die Wahrheit der Aussage 1.3 und 1.5 verzichte, da 'Sherlock Holmes' ein Eigenname wie 'Kilefitz' sei, als die These des F-isten zu akzeptieren. Ich werde auf diesen Punkt, nach der Einführung einiger begrifflicher Anmerkungen, in § 1.6 genauer zu sprechen kommen.

§ 1.4 Handwerkszeug

Kommen wir nochmal zurück zu der These, dass 1.6 weder wahr noch falsch ist. 'Kilefitz' zu sagen ist offensichtlich etwas anderes, als 'Edmund Stoiber' oder 'Sherlock Holmes'. Bei der Betrachtung der Beispielsätze verwendete ich den Begriff 'Eigenname' noch völlig vortheoretisch. In den Beispielsätzen tauchten drei Typen von Wörtern auf: 'Edmund Stoiber', 'Sherlock Holmes' und 'Kilefitz'. Aufgrund des Unterschiedes der ersten beiden zu 'Kilefitz', lege ich hier fest, dass es sich bei letzterem nur um einen pseudo-Eigennamen handelt, bis geklärt ist, wie er verwendet wird und was mit ihm gemeint ist.

Man sollte auch nicht ohne weiteres voraussetzen, dass sowohl 'Edmund Stoiber', als auch 'Sherlock Holmes' Eigennamen sind, denn sie sind, wie es scheint, ihrer Natur nach sehr verschieden. Der Unterschied ist offensichtlich: wohingegen man sich mit ersterem auf eine reale Person bezieht, kann man von letzterem dies nicht sagen. Wenn überhaupt, so kann man sagen, dass er in der Geschichte Conan Doyles der Eigenname einer Person ist. Dieser Unterschied legt eine terminologische Unterscheidung nahe. Vergegenwärtigen wir uns, dass die Zuschreibung eines Wahrheitswerts von 1.1 eng mit dem materiellen Objekt Edmund Stoiber zusammenhängt. Die semantische Rolle solcher Eigennamen ist es, ein materielles Objekt zu bezeichnen. Solche Eigennamen werde ich normale Eigennamen (NE) nennen. Im Gegensatz dazu werde ich Eigennamen wie 'Sherlock Holmes', deren semantische Rolle kein materielles Objekt übernimmt, fiktionale Eigennamen (FE) nennen.[6] Diese Unterscheidung soll weder nahe legen, dass FE überhaupt sinnvoller Weise zu den Eigennamen gerechnet werden können, noch soll die

Unterscheidung nahe legen, worauf sich FE beziehen.[7] Die Unterscheidung soll bis jetzt nur verdeutlichen, dass wir im Alltag für ganz verschiedene Dinge Eigennamen haben. Vorläufig werde ich FE folgendermaßen definieren:

(FE)Def Ein Ausdruck N ist ein fiktionaler Eigenname, gdw. N in einem fiktionalen Text

wie ein normaler Eigenname verwendet wird, um sich auf eine fiktive Figur zu beziehen (im Gegensatz zu einer realen Person außerhalb des Textes), die entweder erstmals in dem relevanten Text mit N bezeichnet wird, oder bereits in einem anderen fiktionalen Text mit N bezeichnet wurde.

Die zentrale Frage dieser Arbeit wird sein, herauszufinden, was man sinnvoller Weise als Eigennamen bezeichnen sollte. Wenn FE zur Klasse der Eigennamen zählen sollen, so muss man erklären, wie sie ihre semantische Rolle in Sätzen erfüllen. (Diese Frage wird in Kapitel 2 und 3 behandelt). Bevor ich zu einer präzisen Formulierung des Problems mit den fiktionalen Eigennamen komme, ist es jedoch nötig, noch einige terminologische Fragen anzusprechen.

Bis jetzt habe ich so gesprochen, als ob Sätze wahr oder falsch wären. Auch wenn man möglicherweise so sprechen mag, so ist es notwendig eine Präzisierung vorzunehmen. Wenn man davon spricht, dass ein Satz wahr oder falsch ist, so ist damit eigentlich gemeint, dass die Aussage oder die Behauptung, die ein Satz (oder jemand mit einem Satz) aufstellt, wahr oder falsch ist. Das was wahr oder falsch ist, wird in der analytischen Philosophie die Proposition genannt, die ein Satz ausdrückt. Die Rede von Propositionen ist jedoch nicht unkontrovers und ist, insbesondere im Zusammenhang dieses Aufsatzes, problematisch.[8] Es sprechen aber auch Gründe dafür, die Rede von Propositionen zu übernehmen: erstens ist es eine sehr elegante Art mit verschiedenen sprachlichen Phänomenen umzugehen (Propositionen fungieren als das, was wir zustimmen, wenn wir einer Aussage zustimmen; sie sind es, die verschiedene logische Beziehungen eingehen und die Träger der Wahrheitswerte sind; und sie können erklären, worauf wir uns in Nebensätzen beziehen). Zweitens können Propositionen erklären, wie Kommunikation möglich ist, denn sie sind intersubjektive Entitäten, über die man sich verständigt, wenn man kommuniziert. So könnte man das durch einen Satz S von A an B vermittelte P (siehe §1.1) als die Proposition bezeichnen, die S ausdrückt.

Nun ist es aber nicht unbedingt nötig, auf die Rede von Propositionen zurückzugreifen.[9] Bevor ich erkläre, wie ich mit dieser Schwierigkeit umzugehen gedenke, möchte ich noch eine Bemerkung zu einem zweiten Stück Terminologie machen, bei der man auf eine analoge Schwierigkeit für diesen Aufsatz trifft. Um zu erklären, wie wir Aussagen Wahrheitswerte zuschreiben können, wird oftmals die Unterscheidung zwischen Satztypen und Satztoken verwendet.[10] Um den Unterschied zwischen diesen beiden Arten Sätze aufzufassen, zu verdeutlichen, betrachtet man am einfachsten ein analoges, aber nicht-sprachliches, Beispiel: Cervantes schrieb bekanntermaßen den Don Quijote. Das Buch wurde millionenfach verkauft. Man bezieht sich auf den Buchtyp Don Quijote, wenn man beispielsweise die Behauptung macht, dass in ihm ein Ritter gegen Windmühlen kämpft. Bezieht man sich hingegen auf das Buch in seiner Einkaufstüte, das man gerade erworben hat, so bezieht man sich auf einen Buchtoken des Don Quijote.

Warum man auch bei Sätzen zwischen Satztypen und Satztoken unterscheiden sollte, zeigen folgende Beispielsätze. Der erste ist ein zeitloser Satz, der zweite ein indexikalischer:

(1.7) Alle Menschen sind sterblich.

(1.8) Ich bin Ministerpräsident von Bayern.

Die Zeichenkette, die den Satz 1.7 zwei Zeilen weiter oben darstellt, kann in zwei Weisen aufgefasst werden. Als Satztyp aufgefasst bezieht man sich auf die Bedeutung von 1.7, die der Satz aufgrund einer konventionellen Festlegung hat. Die Bedeutung setzt sich, gemäß dem Kompositionalitätsprinzip (KP), aus der Bedeutung der einzelnen Teile zusammen. Im Gegensatz dazu kann man von 1.7 als einem Satztoken sprechen, wenn man sich auf diesen speziellen Fall der Verwendung des Satztypen beziehen will. Der Satztoken hat indirekt Bedeutung, weil er ein Token eines Typs ist. Bei dem zeitlosen Satz 1.7 ist die Bedeutung, die der Satztyp hat, dieselbe wie diejenige, die der Satztoken des Satztypen hat. Um zu kennzeichnen, in welchen Fällen wir uns auf einen Satztoken beziehen, werden Token in Anführungszeichen wiedergegeben.

Analog zum Beispiel der Unterscheidung zwischen Sätzen und Propositionen sehen wir, dass wir es bei Satztoken mit etwas Materiellem (sinnlich wahrnehmbaren) zu tun haben. Satztypen hingegen sind abstrakte Entitäten. Nehmen wir Satztypen an, so verpflichtet man sich ontologisch auf die Annahme abstrakter Entitäten. Wenn auch das wiederum manchem als problematisch scheint, so sieht man anhand von 1.8 die Nützlichkeit der Unterscheidung. Er charakterisiert den Zusammenhang zwischen den Begriffspaaren Satz/Proposition noch genauer. Im Falle von indexikalischen Sätzen wie 1.8 haben Satztypen wiederum eine konventionelle Bedeutung, sie drücken jedoch noch keine vollständige Proposition aus - die wahr oder falsch sein kann -, da sich das Wort „Ich“ nur in einem Äußerungskontext auf etwas bezieht; erst dann hat es eine vollständige Bedeutung. Ein Satztoken von 1.8 hingegen drückt eine Proposition aus, weil der Satz in einem Äußerungskontext steht. Es gibt einen Sprecher, einen Äußerungszeitpunkt und die Intention eines Sprechers, aufgrund derer dem Satz ein Wahrheitswert zugeordnet werden kann. Äußert ihn Edmund Stoiber beispielsweise im Jahr 2004, so ist der Satz wahr.

In manchen Kontexten dieses Aufsatzes (siehe Kapitel 3) ist es sinnvoll, die Rede von Propositionen zu vermeiden. In anderen, aufgrund der Annahmen, die manche der von mir besprochenen Theorien (Kapitel 2) von vornherein machen, ist ihre Annahme unproblematisch. Es ist wichtig im Kopf zu behalten, dass man die Redeweise von Propositionen und Typen dann vermeiden muss, will man keine abstrakten Entitäten annehmen.

Was für Möglichkeiten hat man, wenn man den Begriff der 'Proposition' vermeiden will? Man könnte anstatt des Ausdrucks 'Proposition' die möglicherweise weniger fragwürdigen der 'Bedeutung' und 'Aussage' verwenden. Die Bedeutung eines Satzes allein kann aber nicht wahr oder falsch sein. Man kann die Wahrheitsfähigkeit vielleicht so erklären, indem man die semantische Rolle von Sätzen betrachtet, Aussagen über die Welt zu machen. Stimmt das Beschriebene mit der Welt überein, so wird der Satz wahr, ansonsten falsch, genannt. Man vergleicht Sätze also auf ihre Übereinstimmung mit der Welt hin. Ein Satz ist dann wahr, wenn die Bedeutung des Satzes die Dinge so darstellt, wie sie in der Welt tatsächlich sind (also mit ihr korrespondiert). Der Rückgriff auf Bedeutung hat den Vorteil, dass die These, ein Satz habe eine Bedeutung, nicht notwendigerweise auf die Annahme abstrakter Entitäten verpflichtet; geht es darum mit indexikalischen Sätzen umzugehen, so bezieht man den Äußerungskontext mit ein und damit wird eine Aussage wahrheitsfähig. (Ich werde der Kürze halber dennoch oft davon sprechen, dass ein Satz wahr oder falsch ist und damit meinen, dass das von einem Satz Ausgedrückte wahrheitsfähig ist).

§ 1.5 Sätze & Bedeutung

Teilt man die Beunruhigung gegenüber Propositionen, die ich im letzten Abschnitt angesprochen habe, so sollte man nach der Common Sense Untersuchung der Beispielsätze 1.1­1.6 diese nochmals unter dem neuen Gesichtspunkt betrachten. Beginnen wir mit 1.6 und versuchen ein Kriterium dafür aufzustellen, warum der Satz weder wahr noch falsch ist. Sätzen kann offensichtlich dann kein Wahrheitswert zugeordnet werden, wenn der gesamte Satz keine Bedeutung hat. Nimmt man das Kompositionalitätsprinzip (KP) ernst, dass sich die Gesamtbedeutung eines Satzes irgendwie aus den Bedeutungen seiner Teile ergibt, so fallen mir folgende jeweils hinreichenden Bedingungen ein (deren Disjunktion notwendig sein sollte), wann ein Satz keine Bedeutung hat und man ihm daher keinen Wahrheitswert zuschreiben kann: Ein Satz (der einen Eigennamen enthält) hat dann keine Bedeutung, wenn:

(a) er in syntaktisch unzulässiger Weise gebildet wurde,

(b) er einen pseudo-Eigennamen enthält, oder

(c) in einem Satz Konstituenten miteinander verbunden werden, die für Dinge stehen, die aus kategorialen Gründen nicht zusammenpassen.

In all diesen Fällen können wir einen Satz nicht verstehen und ihm keinen Wahrheitswert zuordnen[11]. Angenommen die Bedingungen dafür, wann ein Satz keine Bedeutung hat, sind vollständig. Dann können wir einen Satz daraufhin untersuchen, ob in ihm eine der Bedingungen nicht erfüllt ist. Wenn dies nicht der Fall sein sollte, so können wir behaupten, der Satz habe eine Bedeutung. Diese Überlegung nenne ich These von der Satzbedeutung (TB):

(TB) Erfüllt ein Satz eine der Bedingungen (a)-(c), so hat der Satz keine Bedeutung. Er ist daher weder wahr noch falsch.

§ 1.6 Sind fiktionale Eigennamen pseudo-Eigennamen?

Der M-ist könnte vertreten (wie in §1.3 bereits angedeutet), dass 'Sherlock Holmes' eine unzulässige Komponente ist. Denn darauf festgelegt, dass er 'existieren' immer einheitlich zu verwenden, entschied er sich für die Bedeutung besteht-aus-Fleisch-und-Blut. Dafür, dass die

Sätze 1.3-1.5 eine unzulässige Komponente enthalten, müsste er meiner Meinung nach in etwa so argumentieren:

Argument from Meaning & Materialism (M&M):

(1) Ein Satz, der einen FE enthält, hat nur dann Bedeutung, wenn der FE allein auch schon eine Bedeutung hat.

(2) Ein Eigenname hat nur dann Bedeutung, wenn er Bezug hat.

(3) Ein Eigenname hat nur dann Bezug, wenn er sich auf Materielles bezieht.

(4) FE beziehen sich nicht auf Materielles.

(5) FE beziehen sich nicht (aus (3) und (4)).

(C1) FE haben keine Bedeutung (aus (5) und (2)).

(C2) Sätze, die FE enthalten, haben keine Bedeutung (aus (C1) und (1)).

Prämisse 3 stellt ein Kriterium auf, das FE in Prämisse 4 abgesprochen wird. Findet man die Kopplung der Bedeutung von Eigennamen an materielle Objekte überzeugend, so muss man als Konsequenz die von mir vorher vorläufig getroffene Unterscheidung von Eigennamen in NE und FE ablehnen. Diese Auffassung widerspricht nicht nur dem natürlichen Sprachgebrauch, sondern aus ihr folgt auch, dass 1.5 wahrheitsindifferent ist. Erkenntnistheoretische Überlegungen können einen dazu veranlassen Prämisse 3 zu vertreten, wie das Bertrand Russell beispielsweise tat: Für ihn sind nur solche Wörter Eigennamen, die direkt auf Wahrnehmbares zurückzuführen sind. Seine Überlegung war von dem Wunsch geprägt, eine logisch eindeutige Sprache zu entwickeln. Dieses Bestreben brachte ihn dazu FE als Eigennamen abzulehnen. Er zog aber nicht den Schluss, den M&M zieht, dass FE unzulässige Komponenten sind, sondern behauptete, dass FE ihren Bedeutungsbeitrag zu Sätzen auf andere Weise liefern. Um unsere natürlichsprachliche Intuition gegenüber 1.3-1.5 wahren zu können, interpretiert Russell FE als Abkürzungen für Kennzeichnungen.12 Mittels seiner Kennzeichnungsanalyse erklärt er, dass 1.3-1.5 Bedeutung haben und somit wahrheitsfähig sind. Jedoch erfasst seine Theorie unsere natürlichsprachlichen Intuitionen nicht vollends, da nach einer russellschen Kennzeichnungsanalyse der Satz 1.3 falsch ist. Wie man anders dafür argumentieren kann, dass FE keine Eigennamen sind, und die Sätze, die FE enthalten, dennoch wahrheitsfähig sind, werde ich in Kapitel 4 und 5 zeigen.

Nehmen wir an, jemand stimmt allen Prämissen aus M&M zu, widerspricht aber Prämisse 5. Zwar sei das materielle Objekt, auf die sich z. B. 'Edmund Stoiber' bezieht, irgendwie anderer Natur als das, worauf sich z. B. 'Sherlock Holmes' bezieht, jedoch habe auch letzterer ein materielles Bezugsobjekt. Worauf man sich bezieht, so ein möglicher Vorschlag, ist ein[12]

Gehimzustand, den man habe, wenn man den Satz äußere.[13] Ein Gehimzustand lässt sich als alternatives Bezugsobjekt jedoch leicht zurückzuweisen. Denn es ist zwar vorstellbar, dass man sich in einem speziellen Fall mit einer Äußerung von 'Sherlock Holmes' auf seine Vorstellung von Sherlock Holmes im Gehirn beziehen will - vorausgesetzt eine Vorstellung von Sherlock Holmes ist wenigstens teilweise auf einen physikalischen Gehirnzustand zurückzuführen -, jedoch kann es nicht sein, dass wir uns mit 'Sherlock Holmes' immer auf einen Gehirnzustand beziehen. Denn wäre das der Fall, wie könnte es uns dann überhaupt möglich sein, dass jemand anderes als man selbst versteht, was man mit Sherlock Holmes meint. Mit der von mir in §1.1 gemachten Annahme, dass Kommunikation möglich ist, kann ein solcher Vorschlag bereits ausgeschlossen werden. Gehirnzustände sind bei der Kommunikation nur derjenigen Person zugänglich, die sie hat. Und daher können wir uns unter Verweis auf sie nicht über die Bedeutung von Eigennamen verständigen. Wenn auch ein leicht auszuräumender Einwand, so ist er dennoch interessant, weil er in eine Richtung weist, die man alternativ einschlagen kann, auf die ich im nächsten Abschnitt zurückkommen werde.

§ 1.7 Dilemma & Lösungsstrategien

Nach diesen Vorbemerkungen komme ich nun zur Formulierung des Problems mit den fiktionalen Eigennamen, dessen Lösungsversuche mich von nun an beschäftigen werden. Wenn Sätze, die FE enthalten, Bedeutung haben sollen, so müssen wir erklären, wie FE ihren Bedeutungsbeitrag zur Satzbedeutung leisten. Das Problem mit den FE hat also folgende Struktur. Wir haben zwei sich widersprechende Intuitionen bezüglich der Sätze 1.5 und 1.3.

Einerseits haben wir die starke Intuition, dass die beiden Sätze (unabhängig voneinander betrachtet), wahr sind. Andererseits haben wir eine zweite Intuition, die uns suggeriert, dass die beiden Sätze nicht zugleich wahr sein können, denn a) wenn etwas nicht existiert, kann man ihm auch kein Prädikat zuschreiben und b) wenn etwas ein Prädikat zugeschrieben werden kann, wie sollte man dann behaupten können, dass es nichts gebe, was das Prädikat erfüllt?

Das Problem mit den FE ist das Dilemma, dass, egal ob man a) oder b) vertritt, man sich unerwünschte Konsequenzen einhandelt. Wählen wir die Auflösung des Dilemmas, indem man behauptet, dass 1.3 wahr ist, dann müssen wir 1.5 für falsch (oder weder wahr noch falsch) erklären. Wählt man das Dilemma zur anderen Seite hin aufzulösen, und behauptet, dass 1.5 ist wahr ist, so muss man in Kauf nehmen, dass 1.3 falsch (oder weder wahr noch falsch) sein muss.

Wir haben also drei Überzeugungen bezüglich der Sätze 1.3 und 1.5, die man nicht gleichzeitig vertreten kann:

(Ü1) Wir haben die Intuition, dass 1.5 wahr ist.

(Ü2) Wir haben die Intuition, dass 1.3 wahr ist.

(Ü3) 1.5 und 1.3 können nicht gleichzeitig wahr sein.

Um dem Dilemma zu entgehen, müssen wir mindestens eine der Überzeugungen Ü1-Ü3 aufgeben. Die Auffassung, die dem Argument M&M zugrunde liegt, lehnt Ü1 und Ü2 ab. Will man jedoch weniger radikal vorgehen, und wenigstens an einer der beiden Überzeugungen Ü1 bzw. Ü2 festhalten, so gibt es mehrere Möglichkeiten. Die philosophische Debatte, die sich mit dem Problem mit den fiktionalen Eigennamen beschäftigt, lässt sich grob in zwei Lager einteilen.

Im einen Lager befinden sich jene, die behaupten, FE funktionieren wie NE. Vertreter dieser These behaupten, entweder Ü1 oder Ü2 sei in einer direkten Lesart zurückzuweisen. Mit den Versuchen Ü1 so umzuformulieren, dass alle drei Überzeugungen miteinander vereinbar werden, beschäftige ich mich in Kapitel 2. Ich werde Theorien, die diese Strategie einschlagen, als Objekttheorien bezeichnen. Sie legen das Referenzprinzip (RP) aus §1.1 wörtlich aus und behaupten, die semantische Funktion von FE sei dieselbe wie die von NE, nämlich sich auf Objekte zu beziehen. Aufgrund der Phänomenologie unseres Diskurses, so die These, sind wir zur Annahme von Objekten verpflichtet, auf die sich FE beziehen.

Mit Versuchen Ü2 umzuformulieren, beschäftige ich mich dann in Kapitel 3. Vertretern dieser Position, die ich Paraphrasestrategie nennen werde, scheint die Annahme der Existenz der Objekte der Objekttheorien als seltsam (einerseits aufgrund des merkwürdigen ontologischen Status der Objekte, andererseits wegen der Ungeeignetheit der Objekte, unsere Redeweise über fiktive Figuren erklären zu können). Ihre Grundüberlegung ist daher, den scheinbaren Bezug FE auf Objekte zu eliminieren. Sie bleiben jedoch dem Referenzprinzip (RP) verpflichtet, da sie behaupten, FE bezögen sich auf die mit den Eigennamen verbundenen Sinne.

Ich werde versuchen zu zeigen, dass keiner der Vertreter des ersten Lagers dazu in der Lage ist, eine plausible Lösung des Dilemmas hervorzubringen. Deshalb wende ich mich in Kapitel 4 und 5 dem zweiten Lager zu, mit dem Dilemma umzugehen. Vertreter des zweiten Lagers lehnen ab, dass FE dieselbe semantische Funktion haben, wie NE, ohne jedoch den Schluss aus M&M zu ziehen. Die Position besteht vielmehr in einer These - gestützt auf eine Analyse der Natur fiktionaler Texte überhaupt -, dass FE sprachliche Ausdrücke sind, die ihren semantischen Beitrag in anderer Weise erfüllen, obwohl FE den Anschein erwecken, dass es sich bei ihnen um Eigennamen handelt. Auf diese Beobachtung gestützt, werde ich dann im Kapitel 5 abschließend einen Ansatz vorstellen, wie man die semantische Funktionsweise von FE in verschiedenen Kontexten erklären kann. Mithilfe dieser Theorie lässt sich meiner Meinung nach dann auch das Dilemma mit den fiktionalen Eigennamen zufriedenstellend lösen.

Kapitel 2 Semantische Ansätze I

§ 2.1 Objekttheorien (Motivation & Ziel)

Objekttheoretiker vertreten die Position, dass FE dieselbe semantische Rolle haben wie NE. Auch bei FE leisten Objekte den nötigen semantischen Beitrag. All diesen Theorien ist das Ziel gemeinsam, Ü2 wahren zu wollen. Motiviert wird dieser Wunsch durch die Berufung auf gewisse Intuitionen, die wir bezüglich verschiedener Sätze haben, in denen FE vorkommen. Eine dieser Intuitionen entsteht dann, wenn man einen fiktionsexternen Standpunkt einnimmt und Sätze betrachtet, in denen Aussagen über fiktive Figuren und reale Personen gemacht werden. Bei diesen Sätzen entsteht der Eindruck, dass wir uns mit den FE auf etwas beziehen. Äußert ein Literaturwissenschaftler beispielsweise den Satz 'Sherlock Holmes ist berühmter als jeder wirkliche (lebende oder tote) Detektiv', so entsteht einfach der Eindruck, dass er sich mit 'Sherlock Holmes' auf etwas bezieht. Dass wir uns auf ein Objekt beziehen, wird nahe gelegt durch den Vergleich mit Sätzen wie 1.1, die deshalb wahr sind, weil ein Objekt eine ihm zugeschriebene Eigenschaft erfüllt. Um die Wahrheitsfähigkeit von 1.3 und 1.4 erklären zu können, ist es nach den Objekttheorien einfach die am nächsten liegende Erklärung, dass auch in diesen Sätzen ein Objekt dafür verantwortlich ist. Wir haben es also mit einem Schluss auf die beste Erklärung zu tun. Ein zweites Argument beruft sich auf die Beobachtung, dass wir oftmals emotional auf fiktionale Texte reagieren. Wie könnte eine emotionale Reaktion von einer fiktiven Figur ausgelöst werden, wenn nichts für diese Reaktion verantwortlich wäre? Aus einem Satz wie 'Einige wirkliche Detektive bewundern Sherlock Holmes', müsse daher einfach folgen, dass es etwas gibt, was einige wirkliche Detektive bewundern. Objekttheorien fordern uns also auf, die Bezugnahmen auf 'Sherlock Holmes' für bare Münze zu nehmen.

Der fundamentale Unterschied der zwei Objekttheorien, die ich vorstellen werde, liegt in den Auffassungen darüber, welcher Natur die anzunehmenden Objekte sind. Zum einen wird vertreten, dass die Objekte konkret sind. Der Unterschied zu wirklichen Objekten liegt darin, dass sie nicht existieren. Als Vertreter dieses Ansatzes werde ich Parsons vorstellen. Zum anderen wird in Ablehnung der These Parsons vertreten, dass die angenommenen Objekte existieren müssen. Damit das möglich ist, müssen die Objekte abstrakt sein. Diese Position wird hier exemplarisch durch van Inwagen vertreten sein.

Zusätzlich zu diesen Ansätzen gibt es noch weitere Varianten von Objekttheorien. Ihnen zufolge haben wir es bei den Objekten mit möglichen Objekten zu tun.[14] Diese Varianten stützen sich in ihren Erklärungen hauptsächlich auf die Rede von möglichen Welten. Sie behaupten, dass die Bezugsobjekte fiktionale Objekte sind, die in möglichen Welten existieren. Ich werde auf diese Variante aus folgendem Grund nicht eingehen: Die Erklärungskraft des Verweises auf mögliche Welten scheint mir recht gering zu sein. Denn zu sagen, ein fiktionales Objekt existiere in einer möglichen Welt, ist genauso erklärungsbedürftig, wie zu sagen, es gebe fiktionale Objekte in Geschichten. Auch der Verweis auf eine mögliche-Welten-Semantik kann nicht weiterhelfen, den ontologischen Status der Objekte zu erklären; denn mögliche Welten und Geschichten unterscheiden sich gerade darin, dass es nur konsistente mögliche Welten gibt, wohingegen Geschichten (also fiktionale Welten) sich oftmals gerade dadurch auszeichnen, dass sie inkonsistent sind. Die Auseinandersetzung mit den beiden von mir ausgewählten Objekttheorien wird zudem ausreichen zu zeigen, dass es grundlegende Probleme für jegliche Art von Objekttheorie gibt und sie somit nicht zu einer Lösung des zentralen Dilemmas beitragen können.

§ 2.2 Arten von Beispielsätzen

Um größtmögliche Klarheit zu haben, mit welchen Arten von Sätzen, die FE enthalten (im Folgenden kurz Sätze* genannt), jede Theorie umgehen können muss, ist es hilfreich im Vorfeld anzugeben, was für Klassen von Sätzen* es überhaupt gibt. Soweit ich sehe, muss man zwischen drei Arten von Sätzen unterscheiden:[15]

(i) Werkskonstitutive Sätze: diese Äußerungen sind Bestandteile von fiktionalen Texten, von Autoren geäußert (oder von Imitatoren reproduziert), mit denen fiktionale Inhalte vermittelt werden:

(2.1) Sherlock Holmes lebt in der Baker Street.[16]

(ii) Interne fiktionale Sätze: diese Äußerungen sind keine Teile von fiktionalen Texten, greifen jedoch auf, was innerhalb eines fiktionalen Textes beschrieben wird, oder aus den Aussagen, die in dem relevanten Text gemacht werden, gefolgert werden kann.[17] Solche Sätze befassen sich mit dem, was innerhalb eines Textes gesagt wird:

(2.2) Sherlock Holmes ist Detektiv.[18]

(iii) Externe fiktionale Sätze: in diesen Äußerungen werden reale Vorgänge ins Verhältnis mit Werkinhalten gebracht. Dies ist auf mehrere Arten möglich. Zum einen können wir fiktive Figuren in Verbindung mit realen Vorgängen bringen. Zum anderen können wir Werke (oder Werksbestandteile) in Verbindung mit realen Vorgängen bringen:

(2.3) Sherlock Holmes ist berühmter als Heinrich Hauser.[19]

(2.4) Sherlock Holmes existiert nicht.

(2.5) Sherlock Holmes ist eine fiktive Figur.

§ 2.3 Nicht-existierende Objekte (à la Parsons)

Die erste Variante einer Objekttheorie (OT), stützt sich auf Überlegungen, die durch den Philosophen Alexius Meinong bekannt geworden sind. Seine Theorie ist in der Auseinandersetzung mit Frege und Russell starken Einwänden ausgesetzt gewesen. Diese kann ich hier natürlich nicht ausräumen, doch werde ich versuchen die meinongschen Grundlagen der Theorie Parsons so unkontrovers wie möglich zu formulieren, und nehme dabei (wie Parsons) in Kauf, dass die Grundlagen möglicherweise nicht mehr verdienen, meinongsch genannt zu werden.

Die Grundüberlegung Meinongs war es, all das 'Objekť zu nennen, was Gegenstand der Erkenntnis sein kann. Diese Behauptung ist zunächst als terminologischer Ratschlag zu verstehen. Motiviert ist er durch das Anliegen, die Verwendung von Sprache möglichst gut erklären zu können. Meinong spricht sich gegen das Vorurteil aus, nur das Objekt zu nennen, was wirklich ist. Denn dieses Vorurteil verleite dazu, das Wirkliche als das einzige anzuerkennen, was es gebe. In seinem Aufsatz Über Gegenstandtheorie schreibt Meinong: „Aber die Gesamtheit dessen, was [wirklich] existiert, (...) ist unendlich klein im Vergleiche mit der Gesamtheit der Erkenntnisgegenstände; und daß man dies so leicht unbeachtet läßt, hat wohl darin seinen Grund, daß das besonders lebhafte Interesse am Wirklichen, das in unserer Natur liegt, die Übertreibung begünstigt, das Nichtwirkliche als ein bloßes Nichts, genauer als etwas zu behandeln, an dem das Erkennen entweder gar keine oder doch keine würdigen Angriffspunkte fände.“[20] Aufgrund der wichtigen Rolle, die das Nichtwirkliche für unsere Erkenntnis spielt, sollen wir es nicht vernachlässigen. Auch das Nichtwirkliche, wie etwa das Dreieck, das man in einem mathematischen Beweis idealerweise annimmt, gebe es, wenn auch in anderer Weise als ein wirkliches Dreieck. Um dieser Überzeugung Rechnung tragen zu können, verwendet Meinong 'Objekť als Oberbegriff für verschiedene Arten von Dingen: Einerseits für existierende Objekte (z.B. Edmund Stoiber), andererseits für nicht-existierende Objekte, die sowohl möglich, als auch unmöglich sein können. Ein nicht-existierendes mögliches Objekt ist beispielsweise ein gleichseitiges Dreieck, ein nicht-existierendes unmögliches Objekt ein rundes Quadrat.

Die Behauptung, es gebe nicht-existierende Objekte, mag einem auf den ersten Blick absurd erscheinen und stößt daher bei vielen vehement auf Ablehnung. Aufgefasst als bloße terminologische Einführung - zur Erklärung der Funktionsweise von Sprache - könnte sie aber möglicherweise große Erklärungskraft besitzen und muss daher untersucht werden. Genau dieser Auffassung ist Terrence Parsons. In seiner Objekttheorie lässt er sowohl existierende, als auch nicht-existierende Objekte zu. Um die ontologische Seltsamkeit der nicht-existierenden Objekte auszuräumen, versucht er seine Theorie mengentheoretisch zu begründen. Diese Vorgehensweise ermöglicht es ihm, mit denselben ontologischen Grundannahmen auszukommen, wie es die Gegner von nicht-existierenden Objekten tun. Denn die Existenz von Mengen wird auch von den Gegnern Parsons meist als ontologisch unproblematisch akzeptiert.

Grundbegriffe seiner Theorie sind 'Menge', 'Individuum' und 'Eigenschaft'. Als Individuen fasst er solche Dinge wie Personen, Schatten und Zahlen auf (letztere sind hier jedoch nicht relevant).[21] Eigenschaften gibt es zweierlei Sorten: Zum einen die normalen Eigenschaften, die er 'nukleare Eigenschaften' nennt: z.B. 'blau sein' und 'schlau sein'. Mit diesen entwickelt er weite Teile seiner Theorie. Die zweite Sorte nennt er 'extra-nukleare Eigenschaften', auf die ich weiter unten eingehen werde.

[...]


[1] Auster, Paul (2005): The Brooklyn Follies. New York: Faber and Faber, S. 183f.

[2] Murray, John G. (1996): A Gentelman Publisher’s Commonplace Book. London: John Murray, S. 12.

[3] Ein Eigenname ist ein Name, der ein Individuum (Person, Gruppe, Sache) bezeichnet und als einmaliges, von allen gleichartigen Individuen unterscheiden soll. Der Ausdruck 'Name' wird in einem Sinn gleichbedeutend mit 'Eigenname' verwendet. Im Unterschied zu 'Eigenname' wird 'Name' jedoch auch zur Bezeichnung von Arten und Gattungen verwendet.

[4] Diesbezüglich werden im Wesentlichen zwei Theorien vertreten: Zum einen deskriptive, zum anderen kausale Theorien. Auf diesen Unterschied werde ich nur dann eingehen, wenn es für das Problem mit den fiktionalen Eigennamen entscheidend ist.

[5] Nicht nur ein Materialist wird 1.5 für wahr halten. Dies würden auch Vertreter anderer Positionen tun. Ich schreibe diese Position hier, stark vereinfachend, nur dem Materialisten zu, da dadurch mein Punkt am deutlichsten wird.

[6] Zu diesen zähle ich auch solche wie 'Pegasus' für mythologische Gestalten, 'Entenhausen' für Orte usw. Ich werde in diesem Aufsatz die beiden Adjektive 'fiktional' und 'fiktiv' unterscheiden. 'fiktional' verwende ich als ein Prädikat für Namen, Sätze, Texte und Geschichten, wohingegen ich 'fiktiv' als Prädikat für Figuren und Objekte verwenden werde, die erstmals in fiktionalen Texten vorkommen.

[7] Im Englischen werden fiktionale Eigennamen als Teilklasse der empty names aufgefasst. Von dieser Bezeichnung möchte ich Abstand nehmen, weil sie mir zu stark in die Richtung zu weisen scheint, als müssten sich fiktionale Eigennamen auf etwas Immaterielles beziehen.

[8] Propositionen, wenn es sie gibt, müssen eine Klasse abstrakter Entitäten sein, denn sie haben die Eigenschaften weder raum-zeitlich, noch sprach- oder geistesabhängig zu sein. Macht man die Überlegung mit, dass man davon spricht, dass nicht Sätze, sondern Propositionen wahr oder falsch sind, so wird möglicherweise der Teil in der Debatte über FE unsinnvoll, der sich damit auseinandersetzt, ob die Annahme von abstrakten Entitäten problematisch ist. Wenn es Propositionen gibt, warum nicht auch abstrakte Objekte, auf die sich FE beziehen?

[9] Üblicher Weise wird eine Paraphrasestrategie eingeschlagen, um zu zeigen, dass sich die Rede von ontologisch problematischen Propositionen auf die Rede von Sätzen und deren Bedeutung zurückführen lässt.

[10] Eingeführt wurde die Unterscheidung von C.S. Peirce. Die Unterscheidung lässt sich auf Buchstaben-, Wort- und Satzebene erklären. Da es mir hier um Sätze geht, werde ich anhand dieser Ebene die Unterscheidung erläutern.

[11] Diese These muss natürlich eingeschränkt werden, denn in gewissen Kontexten, wie etwa in der Lyrik, können Sätze Bedeutung haben, auch wenn sie eine der Bedingungen nicht erfüllen. Solche Fälle können von einer semantischen Theorie nicht erfasst werden, sondern müssen pragmatisch erklärt werden. Die Bedingungen sind demnach als eine semantische These zu verstehen, und nicht als eine pragmatische. Das bekannteste Beispiel einer pragmatischen Theorie wurde von H.P. Grice ausgearbeitet, auf die ich in Kapitel 4 zu sprechen kommen werde.

[12] Russell, Bertrand (2001): „On Denoting“. In Bertrand Russell: Logic and Knowledge: essays 1901-1950. London: Routledge. (Originalausgabe 1905).

[13] Das Beispiel ist angelehnt an Quines Zurückweisung des McX in On what there is. Quine, Willard v. O. (2001): „On what there is“. In Willard v.O. Quine: From a Logical Point of View. Cambridge, Ma: Harvard University Press, S. 1-2.

[14] Vgl. Lewis, David (1978): “Truth in Fiction”. American Philosophical Quarterley 15, S. 37-46. Und Pavel, Thomas (1986): Fictional Worlds. Cambridge, Ma: Harvard University Press.

[15] Ich übernehme hier die Terminologie von Bodrozic. Vgl. hierzu Bodrozic, Davor (2003): „Was heißt 'hier 'Sherlock Holmes'?“. Proceedings der GAP.5, 22.-26.09.2003, S. 272-283.

[16] Hier möchte ich noch keine Stellung bezüglich der Frage beziehen, ob sich 'Baker Street' in dem Satz auf die wirkliche Baker Street in London bezieht, oder nicht.

[17] Wenn die Figur eines Romans (eines Autors) in mehreren Teilen auftaucht, so sind diese der Einfachheit halber als ein fiktionales Werk aufzufassen.

[18] Solche Arten von Sätzen können wir verwenden, um Aussagen über Geschichten zu machen. Kennzeichnend für solche Sätze ist, dass sie nicht explizit in den Geschichten auftauchen. Solche Sätze werden beispielsweise von Literaturwissenschaftlern gemacht, wenn auch meist in komplexerer Form als Satz 2.2, da man die meiste Zeit damit beschäftigt sein wird, gewisse Dinge aus einer Geschichte abzuleiten, die nicht so explizit gesagt werden, wie die Detektivtätigkeiten von Sherlock Holmes. Ein Aspekt der Auseinandersetzung mit Wahrheit und Fiktion macht die Frage aus, welche Inferenzen man machen kann und welche nicht: Vgl. hierzu Lewis (1978).

[19] Aufgrund der Unbekanntheit von wirklichen Detektiven nehme ich in diesem Aufsatz an, dass Heinrich Hauser ein mittelberühmter wirklicher Detektiv ist.

[20] Meinong, Alexius (1988): “Über Gegenstandstheorie”. In Josef M. Werle (HG:): Über Gegenstandstheorie. Selbstdarstellung. Hamburg: Felix Meiner Verlag, S. 4. (Originalausgabe 1904).

[21] Parsons, Terence (1974a): “A Prolegomenon to Meinongian Semantics”. Journal of Philosophy 71, S. 564.

Ende der Leseprobe aus 88 Seiten

Details

Titel
Wo ist eigentlich Dr. Watson?*
Untertitel
*oder das Problem mit den fiktionalen Eigennamen
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München
Note
1
Autor
Jahr
2006
Seiten
88
Katalognummer
V188503
ISBN (eBook)
9783656121787
ISBN (Buch)
9783656122777
Dateigröße
696 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
watson, problem, eigennamen, analytische philosophie, fiktionalität, fiktionale namen
Arbeit zitieren
Gregor von dem Knesebeck (Autor:in), 2006, Wo ist eigentlich Dr. Watson?*, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/188503

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