Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Öffentlichkeit und Journalismus in Europa
3. Qualität im Journalismus
4. Steuerungsmechanismen für journalistische Qualität in Europa
4.1 Medienpolitik
4.2 Medienethik
5. Journalistische Ethik
5.1 Individualethik
5.2 Organisationsethik
6. Möglichkeiten einer gemeinsamen europäischen Medienethik
6.1 Europäische Pressekodizes
6.2 Ethik in der europäischen Journalistenausbildung
7. Fazit
Literaturverzeichnis
l. Einleitung
Europäische Integration bedeutet den „immer engeren Zusammenschluss der europäischen Völker“ (EU-Vertrag, Präambel). Während der Integrationsprozess auf wirtschaftlicher Ebene schon weit fortgeführt ist, besteht im Bereich der Medien noch Handlungsbedarf. Eine zu hohe Komplexität der Themen, die Unbekanntheit der politischen Akteure und der europäischen Zusammenhänge, sowie keine auf Europa zugeschnittenen Organisationsstrukturen sind Faktoren, die die europäische Integration erschweren.
Innerhalb der allgemeinen Kulturenvielfalt in Europa gibt es auch verschiedene Journalismuskulturen, die sich beispielsweise im unterschiedlichen Verhältnis zwischen Staat und Medien, in verschiedenen Ausbildungssituationen für Journalisten und in unterschiedlichen Ausprägungen der Redaktionsstrukturen niederschlagen - die vor allem aber durch differenzierte Standards, Normen, Qualitätsrichtlinien und Regulierungsmaßnahmen gekennzeichnet sind. Ethische Vielfalt und Wertepluralismus sind im internationalen Rahmen naturgemäß gegeben und rücken den Entwicklungsprozess gemeinsam anerkannter Normen in den Mittelpunkt. Es stellt sich die Frage, wie diese Standards und Normen innerhalb Europasvereinbart werden. Inwieweit können qualitative Ansprüche Standards im europäischen Raum ausgehandelt und festgelegt werden? Gibt es Möglich - keiten einer gemeinsamen europäischen Medienethik, und wie stellen sie sich dar? Diese Fragen sollen in der folgenden Arbeit behandelt werden.
Dafür wird zunächst der Entwicklungsstand von Öffentlichkeit und Journalismus in Europa skizziert werden. Davon ausgehend werden die Anforderungen an Qualität im europäischen Journalismus dargelegt und mögliche Regulierungsmaßnahmen für mediale undjournalistische Qualität dargestellt. Neben medienpolitischen Maßnahmen sollen auch die Regulierungschancen durch die Medienethik, insbesondere die journalistische Ethik beschrieben werden. Inwiefern kann der einzelne Journalist für sein Handeln und seine Berichterstattung Verantwortung übernehmen und inwieweit sind Redaktionen Verantwortungsträger? Ausgehend von Vorhandensein verschiedener Organisationsstrukturen und einem abweichenden journalistischen Selbstverständnis in den europäischen Ländern soll anschließend diskutiert werden, ob und auf welche Weise gemeinsame europäische ethische Leitlinien entwickelt werden können.
2, Öffentlichkeit und Journalismus in Europa
Das Zusammenspiel von Bürgerinnen und Bürgern mit Politik und Medien vollzieht sich vor allem im dem Kommunikationsraum, der als Öffentlichkeit bezeichnet wird. Die zentrale Bedeutung dieser Öffentlichkeit liegt in den demokratiepolitischen und sozialen Funktionen der Legitimation und Integration. Dies gilt natürlich sowohl im nationalen, als auch im europäischen Kontext. Form und Ausmaß der europäischen Öffentlichkeit seien daher auch maßgeblich für die demokratische Qualität der Europäischen Union und für den sozialen Zusammenhalt in Europa. (Vgl. Latzer/Saurwein 2006: tof) Schon im Grundgesetz ist der Auftrag zu internationaler Zusammenarbeit sowie zur europäischen Integration verankert (vgl. Rat der Europäischen Union 2008: 25, Artikel 8). Dies verlangt eine Öffnung gegenüber anderen Kulturen. Europäische Öffentlichkeit darf sich also nicht auf die 27 Mitglieder der EU beschränken, sondern meint ganz Europa im geographischen und kulturellen Sinne. Es ist eine, wenn nicht sogar die zentrale Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, diese zentralen Grundwerte zu vermitteln und damit Programmqualität zu verwirklichen (vgl. ebd.: 398) Anfang der achtziger Jahre richtete das Europäische Parlament die Aufmerksamkeit deshalb auf die Medien, insbesondere auf das Fernsehen: „Europäische Identität durch europäische Öffentlichkeit“, so die Hoffnung (vgl. Holtz-Bacha 2006: 303).
„Wo räumliche und zeitliche Bindungen an Bedeutung verlieren, wo unmittelbarer Kontakt die Distanz nicht überwinden kann, wo ökonomisches Handeln längst nationalstaatliche Grenzen überschritten hat, da gewinnt das mediale Angebot an Relevanz. “ (Lünenborg 2004: 435)
Massenmedien gelten dem idealtypischen Anspruch zufolge als „Vermittlungsinstanz zum Verständnis von ökonomischen, politischen und sozialen Zusammenhängen für eine offene, freie und möglichst vollständige Diskussion verschiedener Standpunkte.“ (Schicha 2003: 2) Mit ihren Mitteln stellen sie Öffentlichkeit her und sorgen für den Austausch von Informationen und Meinungen. Die EU ist auf die Vermittlungsleistung der Massenmedien angewiesen, sie braucht die Medien zu ihrer Legitimation. Nun wäre es die Funktion einer europäischen Öffentlichkeit, Verdichtungsprozesse der Politik, der Wirtschaft und der Kultur nicht nur zu begleiten, sondern sie für einen europäischen, nicht auf Nationalstaaten begrenzten politischen Diskurs aufzubereiten. Dies bilde eine entscheidende Voraussetzung das Projekt „Europa“ demokratisch zu verankern. (Vgl. Kopper 1997: 9f)
Der Journalismus kann an dieser Stelle eine spezifische Leistung für die Öffentlichkeit erbringen. Denn versteht man unter Journalismus mehr als die Summe des Handelns Einzelner (vgl. Weischenberg 1994: 428), ist auch unter europäischem Journalismus mehr zu verstehen als die Summe der unterschiedlichen journalistischen Handlungsfelder innerhalb Europas. Versteht man Journalismus außerdem als von sozialen Akteuren gestalteten Handlungszusammenhang, der in einem spezifischen Normen-, Struktur-, Funktions- und Rollenkontext realisiert wird (vgl. Weischenberg 1994), so wird damit an einen europäischen Journalismus eine entschieden höhere Voraussetzung formuliert: Normativ betrachtet soll dieser Journalismus dazu beitragen, Öffentlichkeit innerhalb eines politischen Raums der Europäischen Union herzustellen. (Vgl. Lünenborg 2004: 436f) Verstehe man Journalismus weiterhin als kulturelles Forum zur Verständigung der Gesellschaft über sich selbst, so schaffe europäischer Journalismus die Möglichkeit, zu einer diskursiven Selbstverständigung im Kulturraum Europa zu gelangen (vgl. ebd.: 437).
Die Vermittlungsleistungen für Europa sind jedoch immer wieder kritisiert worden. Die Problematik für Europa erwachse daraus, dass der EU kein eigenes Mediensystem gegenübersteht, wie das in den Nationalstaaten der Fall ist (vgl. Holtz-Bacha 2006: 16). Der politische Diskurs bleibe daher vielmehr auf die nationalen Öffentlichkeiten bzw. Sprachräu- me begrenzt. Da Sprachgemeinschaften zugleich als Erfahrungs- und Deutungsgemeinschaften gelten, fehlen ihnen Gemeinsamkeiten in der Wahrnehmung der Realität. (Vgl ebd.: 317) Die Herstellung einer europäischen Öffentlichkeit bringt somit viele Probleme mit sich, die zum Beispiel im Bereich der wirtschaftlichen Integration so nicht auftauchen.
Es lässt sich zusammenfassen, dass die größten Schwierigkeiten, die der Herausbildung einer europäischen Öffentlichkeit gegenüber stehen, soziokulturelle Faktoren wie Sprachbarrieren und unterschiedliche kulturelle Identitäten betreffen. Weitere Faktoren sind politisch-institutionell gegeben: die Intransparenz und mangelnde Nachrichtenwerte der europäi- sehen Politik, mangelnde Partizipations- und Mitbestimmungsmöglichkeiten, sowie medienspezifische Faktoren wie die Fragmentierung der Mediensysteme, Nachfrageorientierung, Kommerzialisierung und die nationalstaatliehe Fixierung des Journalismus. (Vgl. Latzer/Saurwein 2006: 23fr) Sievert konstatiert abschließend: „Eine europäische Öffentlichkeit und ein wirklich europäischer Journalismus [...] lassen noch auf sich warten.“ (Sievert 1998: 18) Das postulierte Öffentlichkeitsdefizit bestehe auch darin, dass eine europäische Berichterstattung und Meinungsbildung in den Medien unterentwickelt sei (vgl. Scharkow 2005: 4) Ein wichtiger Aspekt der kommunikationswissenschaftlichen Forschung ist es daher, auf die qualitativen Anforderungen an Berichterstattung und Öffentlichkeit in Europa zu blicken.
3. Qualität im Journalismus
Die Qualität der Medienöffentlichkeit stellt ein wichtiges Kriterium für die Qualität öffentlicher Diskurse dar: Von den dort vermittelten Informationen und Meinungen und der dadurch ermöglichten Transparenz der politischen Prozesse hängen zunehmend Wahlaussichten, politische Mei- nungs- und Entscheidungsprozesse ab. Mit sinkender Qualität der öffentlichen Diskurse sei auch ein Abnehmen der Standards demokratischer Politik zu erwarten: Entpolitisierung auf der einen Seite, wachsende Chancen für Populisten auf der anderen Seite. (Vgl. Minning 2006: 9) Was aber ist gemeint, wenn von journalistischer Qualität und Qualitätssicherung die Rede ist? Die Diskussion über die journalistische Qualität wird von ganz unterschiedlichen Akteurskategorien mit unterschiedlichen Interessen und unterschiedlichen Perspektiven bestritten. Schatz und Schulz stellen bei ihrem Vergleich zwischen öffentlich-rechtlichen und privat-kommerziellen Fernsehprogrammen Vielfalt als Zielvorgabe heraus, an der Qualitätsmaßstäbe zu entwickeln sind. Davon ausgehend arbeiten sie die Qualitäts-Kriterien Relevanz, Professionalität, Akzeptanz und Rechtmäßigkeit heraus. (Vgl. Schatz/Schulz 1992: 690ff) Auch Rager wählt das Vielfaltskonzept als normativen Rahmen und klassifiziert fünf verschiedene Dimensionen journalistischer Qualitätsbestimmung: Aktualität, Relevanz, Richtigkeit, Vermittlung und Ethik. Während Relevanz die Wichtigkeit der Informationen umfasse, lasse sich Aktualität daran bemessen, wie schnell das Medium auf ein Thema oder Ereignis reagiert. Sie stelle die zentrale Dimension journalistischen Handelns dar. Richtigkeit bedeute, dass Ereignisse in den Medien exakt und wahrheitsgemäß im Verständnis einer „sachlichen Richtigkeit“ und subjektiven „Wahrhaftigkeit“ dargestellt werden müssen. Sie gelte somit als das zentrale journalistische Qualitätskriterium. Das Kriterium Vermittlung sei wesentlich für den öffentlichen Diskurs und impliziere, dass Themen, die für den öffentlichen Diskurs bereitgestellt werden, um Aufmerksamkeit herzustellen, die Relevanz der vermittelten Informationen darlegen. Den letzten Aspekt Ethik sieht Rager selbst als Hauptfaktor der Qualitätssicherung: Einem Beitrag, der ethische Standards verletzt, könne letztlich keine hohe Qualität zugeschrieben werden kann, selbst wenn er den anderen Standards entspreche. (Vgl. Rager 1994: i94ff)
Vergleicht man die unterschiedlichen Definitionsversuchejournalistischer Qualität (vgl hierzu Minning 2006: 7f), lässt sich feststellen, dass es den einen Qualitätsmaßstab nicht geben kann. Dennoch lassen sich verschiedene gemeinsame Referenzen für Qualität ausmachen. Eine wesentliche Grundlage der Qualitätsbestimmung ist die Forderung nach einem vielfältigen Mediensystem. Qualität sei die notwendige Bedingung für Vielfalt und umgekehrt: Wo Vielfalt erreicht ist, da finde sich auch Qualität (vgl. Rager 1994:197).
„Publizistische Vielfalt ist dann erfüllt, wenn die Massenmedien über alle politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Angelegenheiten von allgemeiner Bedeutung in der Weise berichten, dass alle in der Gesellschaft vertretenen, auf öffentliche Verbreitung und politische Wirksamkeit gerichteten Auffassungen mitsamt den zu ihrer Begründung vorgetragenen Argumenten vollständig und angemessen zum Ausdruck kommen.“ (Minning 2006: 8)
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- Arbeit zitieren
- Isabelle Klein (Autor), 2010, Verantwortungsträger im europäischen Journalismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/188586
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