Leseprobe
1. Inhaltsverzeichnis
2. Einleitung
3. Begriffsklärungen
3.1 Gruppe
3.2 Was ist Gruppendynamik und was bedeutet das für die Gruppenstrukturen
3.3 Strukturbegriff
4. Erläuterung der Fragestellung
5. Einige Beispiele der verschiedenen Sichtweisen auf gruppendynamische Rollen, die Individuen in Gruppen einnehmen
5.1 Das Modell der sozialen Gruppe (vgl. Homans, 1972)
5.2 Die Typenlehre von Fritz Künkel
5.3 Das Rang-Dynamische Positionsmodell von Raoul Schindler
5.4 Interpretation des Schindler Modells in Anlehnung an Litke (2007)
5.5 Rollen in Gruppen – ein Modell aus der Praxis
5.6 Teamrollen nach Belbin-Modell
5.7 TMS – der Weg zum Hochleistungsteam
6. Lassen sich Gemeinsamkeiten zwischen den verschie- denen Modellen gruppendynamischer Rollenstruktu- ren identifizieren?
7. Schlusswort
8. Verzeichnis der bearbeiteten und zitierten Literatur
9. Anlage Nr.1: „Stil-Funktionen-Kreis“ (Margerisson, Charles und McCann, Dick (2009)
2. Einleitung
Zu den verschiedenen Sichtweisen der Rollenstruktur im Zuge der Veränderung bzw. Erweiterung der Anwendungsfelder und des Verständnisses der Gruppendynamik.
Wiswede stellt die Frage, ob es sinnvoll ist, von der Gruppenstruktur zu sprechen, wenn man den Kontext der Kleingruppenforschung verlässt; da „der Kranz“ der sozialen Gruppe so vielfältig und komplex ist: „ ... vielmehr muss angenommen werden, dass es je nach Perspektive unterschiedliche Dimensionen der Strukturierung gibt und dass das Strukturie-rungsausmaß (z. B. die Regeldichte) u.a. ein empirisches Problem darstellt“ (Wiswede, 1980, S. 590). Tatsächlich gibt es viele Dimensionen der Gruppenstrukturen: je nach Perspektive z.B. Normen- und Regelstrukturen, Kommunikationsstrukturen, objektive und subjektive Strukturen – man könnte diese Aufzählung noch lange fortsetzen. Andererseits ist die Anzahl der Variationen von verschiedenen sozialen Gruppen fast unendlich (z.B. von einem Projektteam über die Freizeitgruppen bis zu bizarren Subkulturen.)
Es stellt sich, wie Wiswede es oben darlegt hat, überhaupt die Frage, ob alle diese Gruppen etwas gemeinsam haben und in wieweit die Aussagen der Kleingruppenforschung bei dieser Breite der Strukturen und Aufgaben/Zielen der Gruppen noch zutreffend sind. Wiswede fragt sich auch, ob die Erkenntnisse der Kleingruppenforschung, die in „Laborgruppen“ entwickelt worden sind, ihre Gültigkeit immer noch behalten, „wenn sie im Kontext größerer Organisationen gestellt werden, da hier andere und vor allem neuartige Randbedingungen auftreten (z. B. stärkerer Formalisierungsgrad, deutlichere Vorgaben, spezifizierte Leistungsziele).“ (Fischer/Wiswede, 2002, S. 583-584).
Mein Versuch in dieser Ausarbeitung zielt darauf ab, diese Frage am Beispiel von gruppendynamischen Rollenstrukturen zu bearbeiten. Diese Arbeit wird anhand einiger Beispiele darstellen, dass es doch für alle Gruppen-Arten gewisse Gemeinsamkeiten gibt. (Auch Wiswede, trotz seiner Skepsis, macht sich Gedanken darüber, wie man die im Labor entdeckten gruppendynamischen Gesetze auf andere Umstände übertragen kann, um sie so aus dem „Labor“ zu holen.)
Die Wirklichkeit scheint da schon weiter gegangen zu sein als die „Lehrbücher“. Ich finde es wichtig, zuerst einmal die verschiedenen Sichtweisen auf Rollenstrukturen in den Gruppen kurz vorzustellen. Danach wird der Frage nachgegangen, ob sich zwischen den verschiedenen Modellen der Gruppenrollen Parallelen finden lassen und ob man annehmen kann, dass sie alle ihre Wurzeln in der Kleingruppenforschung haben.
3. Begriffsklärungen
3.1 Gruppe
Aus verständlichen Gründen (unser Leben läuft in Gruppen ab) existiert eine extreme Definitions-/Beschreibungsvielfalt der Kategorie „Soziale Gruppe“ und auch von ähnlichen sozialen Gebilden, die für Nicht-Gruppen erklärt werden. Für diese Ausarbeitung entscheide ich mich für die Definition von Wolfgang Rechtien (1999), weil sie die wichtigen Aspekte der Gruppe zu erfassen scheint; und zwar von dem klassischen GDL bis zu Teamtrainings und Organisationsentwicklung, wo gruppendynamische Prozesse und/oder daraus abgeleitete Methoden eingesetzt werden.
„Unter einer Gruppe in sozialpsychologischem Sinne wird im allgemeinen eine Anzahl von miteinander in Beziehung stehenden Menschen verstanden, die durch die folgenden Merkmale charakterisiert ist:
- Relative Kleinheit (3 bis 25 Personen). Eine Dyade, also eine Gesamtheit von zwei Personen wird gelegentlich ebenfalls als (Zweier-) Gruppe bezeichnet, unterliegt aber hinsichtlich der Beziehungskonstellationen, die in ihr möglich sind, besonderen Bedingungen. So gibt es z.B. nicht die Möglichkeit der Bildung von Untergruppen oder wechselnden Paarbeziehungen, die in Gruppen ab 3 Personen möglich sind. Dyaden werden daher meist von Gruppen unterschieden.
- Unmittelbarer (Face-to-face) Kontakt zwischen den Gruppenmitgliedern, im Gegensatz zu vermitteltem Kontakt etwa durch Briefe, Telefon und andere Medien.
- Gemeinsame Ziele und Werte der Gruppenmitglieder.
- Rollen, Funktionen und Positionen, die aufeinander bezogen sind und die die Prozesse in der Gruppe und bis zu einem gewissen Grad auch das Verhalten der Gruppenmitglieder steuern.
- Relatives Überdauern. So etwas wie ein Mindestzeitraum kann dabei nicht angegeben werden; die für Gruppen typischen Phänomene treten jedoch bei längerem Bestehen deutlicher zu Tage.“ (Rechtien, 1999: S.13).
„Bei einem Team handelt sich um eine Gruppe, deren Mitglieder in einer funktionalen Arbeitsbeziehung stehen. Sie haben eine gemeinsame Aufgabe zu lösen, die meist, allerdings nicht immer, von außen vorgegeben ist. Im Sinne der obigen Definition stehen Teams also nicht den Gruppen gegenüber, sondern bilden eine Teilmenge dieses Phänomenbereiches.“ (Auhagn, Bierhof,L. Hrsg.:2003), S.105. (Phänomenbereich = Gruppe). Hervorzuheben ist:
- der Umstand, dass die Existenz der Gruppe auf einer formellen Übereinkunft zwischen einzelnen Individuen und einem Unternehmen zustande kommt
- es ist eine formale Organisationseinheit, bei der mehrere Personen in Form von Arbeitsteilung und Koordination arbeiten
- die Arbeitsgruppe ist in einen breiteren Kontext eingebettet
- die Arbeits- und Funktionsteilung schränkt den Spielraum jedes einzelnen Mitglieds ein.
Für das Thema Gruppenstrukturen ist dieser Umstand von Bedeutung, weil man nicht von einer Gruppenstruktur sprechen kann, losgelöst von Form, Art und Umgebung der sozialen Gruppe, wobei die entscheidende Unterscheidung hier wohl zwischen „aufgabenorientierten“ und „Selbsterfahrungs-“ bzw. „Freizeitgruppen“ verlaufen wird. „Jede Gruppe hat ihr eigenes Gesetz“, sagt der Volksmund.
Die in der Kleingruppenforschung entdeckten Gesetzmäßigkeiten finden sich auch in „realen“ (Wiswede) sozialen Gruppen, aber die Breite, Variation, Komplexität (dabei spielt auch die Frage der Ausprägung und/oder Vorhandensein aller vier typischen gruppendynamischen Strukturelemente) hat sich so ausgeweitet, dass die Frage wäre, welche von den Erkenntnissen bezüglich gruppendynamischen Strukturen auch für die anderen vielfältigen Formen und Arten der sozialen Gruppen möglich und brauchbar wären.
3.2 Was ist Gruppendynamik und was bedeutet das für Gruppen- Strukturen
Gruppendynamik bezeichnet eine Reihe verschiedenartiger Begriffe. Die ursprünglichen Formen und das Verständnis von Gruppendynamik, die von K. Lewin und seinen Schülern entwickelt wurden, die klassische Angewandte Gruppendynamik, ist heute nur eine von mehreren Dimensionen dessen, was man unter Gruppendynamik versteht.
Die Praxis scheint auf dem Feld der Gruppendynamik die sorgfältige Wissenschaft und Forschung überholt zu haben. Insofern ist es schwierig, mit diesem Thema zu arbeiten, ohne an Aktualität einzubüßen, wenn man sich nur an die „offizielle“ Lehre hält. In der Literatur zu sozialpsychologischen Themen (auch außerhalb von Lehrbüchern und „rein“ wissenschaftlichen Arbeiten) lassen sich mindestens vier Bedeutungen des Begriffs der Gruppendynamik auslesen.
Zum einen als eine Bezeichnung der in den Gruppen ablaufenden Prozesse von Dynamik in sozialen Dimensionen; Muster von Vorgängen und Abläufen, die in sozialen Gruppen erfolgen und deren Gesetzmäßigkeiten in jeder Gruppe ihre Geltung haben.
Zum zweiten die wissenschaftliche Beschäftigung mit diesen Prozessen; die wissenschaftliche Disziplin, die Muster und Methoden zur Identifikation und Erfassung der Gruppenprozesse/ Gruppenstrukturen erforscht.
Zum dritten eine gruppendynamische Methode, eine Bezeichnung für ein Bündel von Verfahren, mit denen die Gruppen zu einer definierten (erstrebten) Zielerreichung (z.B. persönliches Wachstum, Verbesserung der sozialen Kompetenz) geleitet werden sollen. Gemeint sind hier die Formen der gruppendynamischen Trainings innerhalb der klassischen angewandten Gruppendynamik: Das Gruppendynamische Laboratorium, Sensitivity Training, Prozessphasentraining, Seminare zu Veränderungen (und Bewusstmachungen) von intra- und interpersonaler Wahrnehmung (das Johari-Fenster), Encounter, Marathontraining, TZI, Skill Training, Kommunikations- und Interaktionstraining.
Diese Formen wurden und werden im Prinzip in der akademischen Welt und in den meistens aus „persönlichen-Wachstum-Sozialskills-Verbesserung-Gründen“ interessierten Kreisen (bevorzugt in Führungs-/Leitungs- und Sozial- /sozialpädagogischen Berufen) praktiziert. Man kann sagen, hier steht das Individuum und der Platz, den sie in der Gruppe einnehmen, im Zentrum. Gruppendynamisch entscheidend ist hier die Bedeutung/der Einfluß des Gruppenmitglieds auf das Gruppengeschehen, und die „Klar-/Bewußtmachung“ dessen, wie auch das praktische soziale Erlebnis in einem sozialen Schonraum, d. h. die Erfahrung machen zu dürfen, nicht in die üblichen sozialen und beruflichen Netze eingebunden zu sein. Wenn die Menschen sich nicht oder kaum kannten, wie es oft in „Laborgruppen“ vorkommt, so erweiterte es ihren Sozial- und Verhaltensspielraum und schafft eine Art sozialen Schonraum. Ihre Aussagen und Ausdrucksweisen müssen nicht lästige/schwere Konsequenzen nach sich ziehen, wie es normalerweise im Alltag der Fall wäre. Wir sprechen hier von sozialen Lernprozessen, die eine wichtige soziale/psychologische Reichweite für die Gruppendynamik wie für das Gruppenmitglied selbst haben.
Zum vierten haben sich die Anwendungsbereiche der gruppendynamischen Methoden auf andere Anwendungsfelder ausgebreitet, von denen einige noch in der Sozialpsychologie beheimatet sind; es haben sich aber allmählich immer mehr Schnittstellen mit der Soziologie entwickelt. Die klassischen Formen der angewandten Gruppendynamik spielten schon lange eine wichtige Rolle in der Erwachsenen- und Lehrerausbildung. Es gesellten sich allmählich dazu: Organisationstrainings, Managerial Grid, Survey-Feedback, das Human-Relationstraining, Team-Entwicklung und Intervention, Organisationsentwicklungstraining. Diese Formen der gruppendynamischen Trainings, Workshops, Interventionen wenden sich: erstens an real bestehende Gruppen, wie Teams, Arbeitsgruppen, Projektgruppen, die in eine breitere Organisation mit ihren Regeln und Aufgaben eingebunden sind. Zweitens steht hier die Gruppe im Zentrum: Verbesserung, Effektivierung der Zusammenarbeit und Leistung der Gruppe. Da es sich hier um eine rekursive Beziehung zwischen Gruppe und Individuum handelt (vgl. Brauner, S. 192), sind die Grenzen zwischen Gruppenstrukturen und Gruppenprozessen natürlich fließend. Entscheidend für die Gruppenstrukturen in diesem Fall wird es wohl vor allem (unter vielen anderen Faktoren) sein, wie stark aufgaben-orientiert/gebunden die “reale“ soziale Gruppe ist.
3.3 Strukturbegriff
„Mit Struktur bezeichnet man die innere Organisation und die internen Verfahrensweisen einer Gruppe. Es geht nicht nur darum, wieviel Struktur eine Gruppe hat, sondern darum, ob sie gemäß ihrer eigenen Bedürfnisse Regeln, Grenzen und Verfahrensweisen aufbaut.“ (Luft, 1989). Hier wird wieder deutlich, dass das Strukturgerüst der Gruppe, seine Ausprägung und seine Komplexität sehr unterschiedlich ausfallen können, je nachdem mit welchen Gruppenarten wir es zu tun haben. Luft bezieht sich in seiner Definition eher auf die klassische Laborgruppe.
Fischer, Wiswede (2002, S.590) definieren den Strukturbegriff als „relativ stabiles, bestimmten Regelhaftigkeiten unterliegendes Beziehungsgefüge (z.B. eine differentielle Intensität und Häufigkeit der Reaktion) zwischen bestimmten Teilen der Gruppe.“ Sie gehen auch von einem Struktur-Kontinuum aus, d.h. von wenig bis stark strukturierten Gruppen (siehe auch oben). Es wird auch die Frage formuliert, inwiefern man zwischen Gruppenstrukturen und Gruppenprozessen unterscheiden kann, da sich die Strukturen auch in einem Strukturierungsprozess bilden bzw. verändern. Sie ist ähnlich der in Punkt 2.3 erwähnten Rekursivität.
4. Erläuterung der Fragestellung
„One area of study, where (scientific) agreements are minimal is the study of group structures” (Mackenzie, 1976). Dies war 1976 wahr; heute ist das Feld Gruppe und Gruppenstrukturen noch weiter und komplexer geworden. Die Hinwendung zur Gruppe, zu den Prozessen und Strukturen in der sozialen Gruppe im klassischen Sinne hat offensichtlich seinen Höhepunkt überschritten. Die klassische angewandte Gruppendynamik hat an Bedeutung verloren.
1974 stellte Steiner die Frage: „Whatever happened to the Group in social psychology?“, um den Mangel an Forschung an den Gruppenprozessen zum Ausdruck zu bringen. Mit anderen Worten hielt wohl auch er den Höhepunkt der Gruppendynamik-Forschung für überschritten.
[...]
- Arbeit zitieren
- Magister der Philologie (PL) Kristina Bornemann (Autor:in), 2012, Gruppendynamische Rollen in Laborgruppen und aufgabenorientierten Gruppen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/189331
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