Welche Rolle spielt Geschlecht im Schulalltag? Kommunizieren Lehrerinnen anders als Lehrer, Schüler anders als Schülerinnen?


Hausarbeit (Hauptseminar), 2012

13 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe

Inhalt

1. Einleitung

2. Geschlecht in der Schule
2.1. Thematisierung von Geschlecht im Schulalltag
2.2. Die Gefahr der Dramatisierung von Geschlecht
2.3. Entdramatisierung von Geschlecht

3. „Männliche“ und „weibliche“ Interaktionsmuster

4. Einfluss des Geschlechts des Lehrpersonals auf Schulerfolg

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Der Schulalltag von Schülerinnen und Schülern wird von den vielfältigsten soziologischen Aspekten begleitet – so durchläuft beispielsweise jeder Schüler und jede Schülerin einen Sozialisationsprozess, welcher durch die Institution Schule maßgeblich geprägt werden kann. Des Weiteren sind dort unter anderem soziale Gebilde vorzufinden - sogenannte Figurationen wie Peergroups oder Cliquen. In der vorliegenden Ausarbeitung soll nun dargestellt werden, welche Rolle das Geschlecht von Schülerinnen und Schülern ebenso wie das des Lehrpersonals im Schulalltag spielt. Im Rahmen dieser Frage ist es vonnöten, vorweg zu klären, ob Geschlecht überhaupt in der Schule konstruiert und thematisiert wird. Birgt eine bewusste Thematisierung und damit Dramatisierung von Geschlecht Gefahren? Können Lehrerinnen und Lehrer etwas dagegen unternehmen? In zwei weiteren Punkten wird darauf eingegangen, inwiefern es männliche und weibliche Interaktionsmuster gibt und ob speziell das Geschlecht des Lehrpersonals Einfluss auf den Schulerfolg der SuS (im Folgenden steht SuS als Abkürzung für Schülerinnen und Schüler) nimmt. Des Weiteren wird anhand dessen im Fazit versucht, folgende Fragen zu beantworten: Kommunizieren Lehrerinnen anders als Lehrer, Schüler anders als Schülerinnen? Welche Schlussfolgerungen lassen sich insgesamt für die Schule ziehen?

2. Geschlecht in der Schule

In den folgenden beiden Abschnitten soll erläutert werden, wie Geschlecht als gender – das sozial konstruierte Geschlecht - in der Schule thematisiert wird und an welchen Stellen es eher im Hintergrund bleibt beziehungsweise entdramatisiert wird. Jürgen Budde führt in seinem Aufsatz „Wie Lehrkräfte Geschlecht (mit)machen – doing gender als schulischer Aushandlungsprozess“ diesbezüglich verschiedene Ansätze auf, auf die sich nun bezogen wird.

2.1. Thematisierung von Geschlecht im Schulalltag

Der erste zu erläuternde Ansatz ist der des doing gender, welcher die Basis dafür bildet, dass Geschlechterverhältnisse als normal angesehen werden. Er besagt, dass jeder sein soziales Geschlecht durch bestimmte Interaktionen herstellt.[1] Daran sind diejenigen beteiligt, „die ihr Geschlecht darstellen und diejenigen, die es anerkennen.“[2] Insofern ist es daher möglich, durch einen Blick oder durch Zuhören sofort das Geschlecht des Gegenübers festzustellen. Dies bedeutet gleichzeitig, dass Geschlechtszugehörigkeit immer eindeutig hergestellt wird, was stereotype Verhaltensweisen nicht einschließt, da „das Verhalten eines Menschen […] immer vor der Folie der Geschlechtszugehörigkeit beurteilt werden“[3] kann. Jürgen Budde bezeichnet den Konstruktionsprozess des doing gender dann als schwierig, „sobald die spontane Einordnung nicht funktioniert“.[4] Daher sind die Interaktionen zur Geschlechtsherstellung stark an das biologische Geschlecht gebunden. In diesem Zusammenhang kann es zur Dramatisierung des sozialen Geschlechts kommen, indem es in den Vordergrund rückt und damit zu einer zentralen Kategorie wird.[5] Nach Budde ist bezüglich des gendertheoretischen Ansatzes die Annahme wichtig, „dass nicht eine biologische oder natürliche Anlage das Verhalten steuert, sondern Interaktionen und sozialer Kontext entscheidend dafür sind, ob sich eine Person als ,weiblich‘ oder ,männlich‘ darstellt und/oder so wahrgenommen wird.“[6] Im Schulalltag sind daher viele Beispiele für Vorgänge des doing gender zu finden. Im weitesten Sinn gehört doing adult auch dazu . Von diesem wird gesprochen, wenn Jugendliche in der Phase der Adoleszenz mithilfe einer „Dramatisierung bzw. Überzeichnung spezifischer erwachsener Stilelemente“[7] – wie Kleidung und Kosmetika - versuchen, sich von der Kindheit abzugrenzen und damit Erwachsenheit herstellen wollen. Jürgen Budde betont diesbezüglich, dass Geschlecht nicht die einzige Differenz ist, die in der Institution Schule gefunden werden kann – er spricht von doing differences, wozu doing adult im engeren Sinn zu zählen ist. Neben dem Geschlecht können folglich andere Aspekte zu Kriterien der Verhaltensbewertung gemacht werden – wie die Gruppenzugehörigkeit oder das Alter der jeweiligen Person.[8] Beim undoing gender können statt dem Geschlecht beispielsweise unterschiedliche Nationalitäten der SuS in den Vordergrund rücken – so stehen sie sich dann nicht als Mädchen und Jungen gegenüber, sondern als Deutsche und Nichtdeutsche. Diese Dramatisierung von Ethnizität kann gleichzeitig eine Entdramatisierung von Geschlecht darstellen, was zusätzlich bedeutet, dass gender nicht omnipräsent ist und daher erst präsent gemacht werden muss.[9] Selbst beim Abschreiben in Klassenarbeiten spielt das Geschlecht keine Rolle. Vielmehr geht es darum, wie sauber der Banknachbar schreibt und wie seine zu erwartende Note ausfallen könnte. Dieser Ansatz ist als doing student zu bezeichnen, welcher „als angemessenes Verhalten im Bezug auf die in der Schule gestellten Erwartungen“[10] zu verstehen ist.

Geschlecht wird in der Institution Schule folglich nicht immer thematisiert. Dennoch gibt es spezielle Kontexte, die Geschlechtszugehörigkeit relevant machen. Georg Breidenstein führt fünf davon auf: „Spiele und Rituale, die die Geschlechter unterscheiden, um die Zuordnung zu einer von zwei Parteien zu bestimmen (2.); Verhandlungen zur Aufteilung der Schulklasse in kleinere Einheiten, die die ,Mischung‘ der Geschlechter als eine spezifische Option nutzen (3.); besondere pädagogische Inszenierungen, die die Geschlechter separieren (4.); und schließlich die ethnographische Beobachtung und Beschreibung selbst, die Gebrauch von der Kategorie Geschlecht macht (5.)“[11]

In Studien zeigten sich bei den Lehrkräften bezüglich der Thematisierung von Geschlecht im Unterricht drei Möglichkeiten: Zum ersten genderfreier Unterricht, zum zweiten gibt es Lehrpersonal mit einer konkreten Vorstellung von Geschlechtsunterschieden zwischen Mädchen und Jungen und der Einbringung dieser und zum dritten die für Geschlechtergerechtigkeit engagierten Lehrkräfte, welche dies mit der Dramatisierung der Differenz verwirklichen.[12] Welche Gefahr birgt eine solche Dramatisierung von Geschlecht?

2.2. Die Gefahr der Dramatisierung von Geschlecht

Oftmals wird sich bei einer bewussten Geschlechtsthematisierung auf eine zweigeschlechtliche Ordnung bezogen. So wird zur Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit an Genderdifferenzen angesetzt, „indem meist in zwei Gruppen geteilt wird: Mädchen in die eine, Jungen in die andere Gruppe, sofern es mit den zahlenmäßigen Anteilen an der Gesamtgruppe kompatibel ist.“[13] Pädagogische Maßnahmen bezüglich der Geschlechtergerechtigkeit werden zumeist mithilfe von geschlechtergetrennten Angeboten realisiert, was in zweierlei Hinsicht begründet werden kann. „Zum einen werden Jungen und Mädchen geschlechtsbezogen unterschiedliche Interessen und Fähigkeiten zugeschrieben. […] Das Problem bei dieser Dramatisierung der Interessensdifferenz ist die damit einhergehende Dichotomisierung: Die Mädchen (haben kein Interesse an Informatik) und die Jungen (interessieren sich nicht fürs Lesen). […] Zum anderen wird die unterrichtliche Geschlechtertrennung über vorhandene Geschlechterhierarchien begründet“[14] - Mädchen müssen scheinbar beschützt werden und Jungen bilden wohl den aggressiven Teil der Schulklasse. Diese Defizitzuschreibungen verweisen auf Stereotype und verstärken sie zusätzlich. Folglich geschieht „das Ansetzen an Geschlechterdifferenzen bisher über eine Dramatisierung von Geschlecht“[15], was die Gefahr birgt, dass solche Geschlechterstereotype festgeschrieben statt abgebaut werden. Laut Jürgen Budde erschweren Dramatisierungen der Differenzen „durch die klare Unterscheidung der Geschlechter zum einen die Wahrnehmung der Differenzierungen innerhalb der Gendergruppen. Zum anderen erzwingen sie mindestens teilweise ein stereotypes doing gender durch die Schülerinnen und Schüler.“[16] Wie kann einer Verstärkung von Stereotypen entgegengewirkt werden?

[...]


[1] Vgl. Budde, Jürgen (2006): S. 46

[2] Ebd.

[3] Ebd.

[4] Ebd.

[5] Vgl. Budde, Jürgen (2006): S. 47

[6] Budde, Jürgen (2006): S. 47 f.

[7] Budde, Jürgen (2006): S. 48

[8] Vgl. Budde, Jürgen (2006): S. 48 f.

[9] Vgl. Budde, Jürgen (2006): S. 49

[10] Ebd .

[11] Breidenstein, Georg (1997): S. 339

[12] Vgl. Budde, Jürgen (2006): S. 51

[13] Ebd.

[14] Budde, Jürgen (2006): S. 50

[15] Ebd.

[16] Budde, Jürgen (2006): S. 57

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Welche Rolle spielt Geschlecht im Schulalltag? Kommunizieren Lehrerinnen anders als Lehrer, Schüler anders als Schülerinnen?
Hochschule
Justus-Liebig-Universität Gießen
Note
1,0
Autor
Jahr
2012
Seiten
13
Katalognummer
V189566
ISBN (eBook)
9783656137498
ISBN (Buch)
9783656138594
Dateigröße
500 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Geschlecht, Schulalttag, Kommunikation, Interaktion, Soziologie, gender, doing gender, undoing gender, Interaktionsmuster, Einfluss des Geschlechts, Thematisierung von Geschlecht, Entdramatisierung von Geschlecht, Dramatisierung von Geschlecht, Geschlecht in der Schule
Arbeit zitieren
Antonia Zentgraf (Autor:in), 2012, Welche Rolle spielt Geschlecht im Schulalltag? Kommunizieren Lehrerinnen anders als Lehrer, Schüler anders als Schülerinnen?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/189566

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