Drain oder Gain? - Die polnische Arbeitsmigration nach Großbritannien, Irland und Schweden seit der EU-Osterweiterung

Ein Vergleich


Masterarbeit, 2010

135 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

1 EINLEITUNG
1.1 Zur Begrifflichkeit Migration
1.2 Migrationsforschung und aktueller Forschungsstand

2 MIGRATIONSTHEORETISCHE ANSÄTZE
2.1 Brain Drain
2.2 Brain Gain
2.3 Brain Circulation
2.4 Modell der Push- und Pull-Faktoren
2.5 Heckscher-Ohlin-Modell
2.6 Migrationstheorie von Hoffmann-Nowotny
2.7 Zwischenfazit

3 METHODISCHE KONZEPTSPEZIFIKATION
3.1 Methode des Vergleichs
3.2 Auswahl der Untersuchungsländer
3.3 Auswahl der Vergleichskriterien und deren Begriffsdefinition

4 EU-OSTERWEITERUNG
4.1 Migrationserwartungen in den alten Mitgliedstaaten der EU-15
4.2 Rechtliche Beschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit

5 POLNISCHE ARBEITSMIGRATION
5.1 Migrationsgeschichte Polens
5.2 Polnische Arbeitsmigration seit der EU-Osterweiterung
5.2.1 Statistische Probleme
5.2.2 Polnische Arbeitsmigration in Zahlen
5.2.3 Wer emigriert?
5.2.4 Rückkehr der polnischen Arbeitsmigranten
5.3 Ursachen der polnischen Arbeitsmigration
5.3.1 Analyse des polnischen Arbeitsmarktes
5.3.2 Wirtschaftliche Entwicklung Polens
5.3.3 Lebensbedingungen in Polen
5.4 Auswirkungen der Arbeitsmigration auf Polen
5.4.1 Wirtschaftliche Auswirkungen
5.4.2 Gesellschaftliche Auswirkungen
5.5 Zwischenfazit

6 GROßBRITANNIEN, IRLAND UND SCHWEDEN IM VERGLEICH
6.1 Migrationsgeschichte Großbritanniens
6.2 Migrationsgeschichte Irlands
6.3 Migrationsgeschichte Schwedens
6.4 Ländervergleichende Analyse zwischen Großbritannien, Irland und Schweden
6.4.1 Wirtschaftliche Entwicklung
6.4.2 Entwicklung der Arbeitsmärkte
6.4.3 Lohnniveau in den Zielländern
6.5 Zwischenfazit

7 ÜBERPRÜFUNG DER THEORETISCHEN VORÜBERLEGUNGEN
7.1 Brain Drain
7.2 Brain Gain
7.3 Brain Circulation
7.4 Modell der Push- und Pull-Faktoren
7.5 Heckscher-Ohlin-Modell
7.6 Migrationstheorie von Hoffmann-Nowotny
7.7 Drain oder Gain?

8 SCHLUSS

ANHANG

LITERATURVERZEICHNIS

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

TABELLENVERZEICHNIS

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

Erster Pole: „Die Statistik besagt, dass vier von zehn jungen Polen im Stress leben.“ Zweiter Pole: „Und die anderen?“

Erster Pole: „In London.“ (Kielinger 2008).

Diesen Witz hat ein britischer Journalist zu Beginn des Jahres 2008 in Polen aufgegriffen und in einem Zeitungsartikel zum Thema Polnische Arbeitsmigration veröffentlicht. Zwar ist der Witz, der Pointe zuliebe, stark übertrieben, aber er zeigt dennoch die Dimensionen, welche die polnische Arbeitsmigration zu diesem Zeitpunkt bereits angenommen hat. Offiziellen Statistiken zufolge liegt die Zahl der polnischen Arbeitsmigranten an ihrem Höhepunkt im Jahr 2008 bei etwa zwei Millionen (Vgl. Garapich 2010: 67). Inoffizielle Schätzungen gehen sogar von drei Millionen aus. So betitelt die Sunday Times bereits im Mai 2006 einen ihrer Artikel mit der Überschrift „Invasion by Poles hits ‚lazy‘ Britain“ (Foggo/Habershon 2006). Andere Zeitungen sprechen von der größten Immigrationswelle die Großbritannien1 in Friedenszeiten je erlebt hat.

Großbritannien ist das mit Abstand beliebteste Ziel polnischer Arbeitsmigranten. Zwischen dem 1. Mai 2004 und dem 30. Juni 2010 haben sich insgesamt 690.845 pol- nische Arbeitskräfte im Land registrierten lassen (Vgl. Worker Registration Scheme 2010). Diese hohe Zahl polnischer Arbeitsmigranten in Großbritannien übertrifft die vor der EU- Osterweiterung erstellten Migrationsprognosen bei weitem und wirft eine Vielzahl von Fragen auf. Einerseits stellt sich die Frage, wer emigriert - sind es junge oder alte Menschen, Männer oder Frauen, Hochqualifizierte oder Geringqualifizierte? Andererseits ist nach den Ursachen der polnischen Arbeitsmigration zu fragen. Worin liegen die Gründe, dass seit Mai 2004 rund zwei Millionen Polen ihr Land verlassen haben? Diesen beiden Fragen wird im 5. Kapitel der Arbeit nachgegangen. Ziel ist es dabei, die Entwicklung der polnischen Wirtschaft und des polnischen Arbeitsmarktes sowohl vor als auch nach der EU-Osterweiterung ausführlich darzustellen. Im polnischen Arbeitsmarkt, der neben der wirtschaftlichen Entwicklung maßgeblich durch politische Entscheidungen der Vergangenheit geprägt ist, liegen die wesentlichen Ursachen, die sogenannten Push Faktoren, für die polnische Arbeitsmigration. Damit bildet die Analyse des polnischen Arbeitsmarktes einen zentralen Teilabschnitt des 5. Kapitels. Zusätzlich werden in jenem Kapitel die in Polen vorherrschenden Lebensbedingungen sowie die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen der Emigration untersucht.

In Irland, das ebenfalls wie Großbritannien und Schweden seit der EU-Osterweiterung am 1. Mai 2004 die Arbeitnehmerfreizügigkeit für alle Bürger der neuen EU-Mitglied- staaten umgesetzt hat, haben sich im gleichen Zeitraum 326.118 polnische Arbeitsmigran- ten registrieren lassen. Damit ist der prozentuale Anteil der polnischen Arbeitsmigranten, berechnet auf die Gesamtbevölkerung Irlands, hend r noch höher als in Großbritannien (Vgl. Personal Public Service Number 2010). Schweden dagegen weist mit 25.910 polnischen Arbeitsmigranten die mit Abstand niedrigsten Immigrationszahlen der drei Länder auf (Vgl. Statistiska Centralbyrån [Statistisches Zentralbüro des Königreich Schwedens] 2009). Aus diesen Unterschieden ergibt sich die Frage nach den anziehend wirkenden Faktoren, den sogenannten Pull-Faktoren, die bei gleicher Arbeitnehmerfrei- zügigkeit ein unterschiedliches Migrationsvolumen hervorrufen. Mithilfe einer länderver- gleichenden Analyse sollen im 6. Kapitel die unterschiedlichen Pull-Faktoren, die zu einer Varianz des Migrationsvolumens in den drei Zielländern führen, untersucht und erläutert werden. Dabei werden zuvor festgelegte Vergleichskriterien wie beispielsweise Lohn- niveau oder Arbeitslosigkeit miteinander verglichen.

Beginnen möchte ich die Arbeit jedoch mit der Entwicklung eines theoretischen Rahmens, in welchen die Arbeit eingebettet ist. Dies erfolgt im 2. Kapitel. Erste Er- läuterungen zu den Theorien des Brain Drain, des Brain Gain und der Brain Circulation werden dabei ergänzt von Ausführungen zum Modell der Push- und Pull-Faktoren, zum Heckscher-Ohlin-Modell sowie zur Migrationstheorie von Hans-Joachim Hoffmann- Nowotny. Wie im Titel dieser Arbeit bereits zu erkennen ist, bilden die Brain Theorien den Ausgangspunkt der Untersuchung. Dabei ist der Titel als Frage formuliert: Drain oder Gain? Diese stark verkürzt formulierte Frage spiegelt die zentrale Leitfrage der Arbeit wider. Konkret wird untersucht, ob es sich bei der polnischen Arbeitsmigration um einen Brain Drain und somit um den dauerhaften Verlust von Humankapital handelt oder ob nur von einer vorübergehenden Migration gesprochen werden kann, die sich anschließend in einen Brain Gain umkehrt, wovon Polen als Land auf langfristige Sicht profitieren wird. Die Beantwortung dieser Frage unter Einbeziehung der Auswirkungen der Weltwirt- schaftskrise2 ist das wesentliche Ziel dieser Arbeit. Die Einbeziehung der Weltwirtschafts- krise ist erforderlich, da sich im Kontext der Krise das Migrationsverhalten der polnischen Arbeitsmigranten grundlegend ändert. Die Zielländer Großbritannien, Irland und Schwe- den verlieren an Attraktivität und es kommt zu einer Rückkehr der Arbeitsmigranten nach Polen.

Auf die theoretischen Ausführungen folgt im 3. Kapitel die methodische Konzeptspezifikation der Arbeit. Dabei werde ich sowohl die Methode des Vergleichs als auch die Auswahl der einzelnen Vergleichskriterien näher erläutern. Zusätzlich begründet dieses Kapitel die Auswahl der Untersuchungsländer. Im Mittelpunkt stehen hierbei zwei sich ergänzende Fragen: Warum wird Polen als Herkunftsland ausgewählt und wieso bilden Großbritannien, Irland und Schweden die zu vergleichenden Zielländer?

Im 4. Kapitel werden sowohl die im Vorfeld der EU-Osterweiterung erstellten Migrationsprognosen als auch die im Zuge der Prognosen getroffenen rechtlichen Beschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit ausführlicher analysiert. Sie haben entscheidenden Einfluss auf die seit der EU-Osterweiterung einsetzenden Migrationsströme und deren Richtung, so dass ein volles Verständnis der polnischen Arbeitsmigration erst bei Betrachtung der rechtlichen Rahmenbedingungen gewährleistet werden kann.

Im Anschluss an die beiden Hauptkapitel dieser Arbeit erfolgt im 7. Kapitel eine Über- prüfung der theoretischen Vorüberlegungen. Dabei basiert die Überprüfung auf den in der Analyse herausgearbeiteten Ergebnissen. Mit der Rückbeziehung auf die zu Beginn der Arbeit vorgestellten Theorien, schließt sich der theoretische Rahmen. Des Weiteren kann das Kapitel bereits als eine Art theoretische Schlussbetrachtung verstanden werden.

Bevor ich jedoch mit den Ausführungen zur Theorie im folgenden Kapitel beginnen werde, ist zunächst eine Definition des Begriffs Migration erforderlich (1.1). Zusätzlich erweist sich ein kurzer Einblick in die Entwicklung der Migrationsforschung sowie in den aktuellen Forschungsstand als hilfreich (1.2).

1.1 Zur Begrifflichkeit Migration

Migrations- und Wanderungsprozesse haben einen entscheidenden Einfluss auf die Geschichte der Menschheit. Der Mensch ist seit jeher auf der Suche nach optimalen Lebensbedingungen. Erst diese Suche und die damit einhergehenden Wanderungsbe- wegungen führen zu einer weltweiten Verbreitung der Spezies Mensch. Dieser Meinung ist der Geschichtshistoriker und Migrationsforscher Klaus J. Bade, indem er sagt, dass sich „der Homo sapiens […] als Homo migrans über die Welt ausgebreitet“ (Bade et al. 2007: 19) hat.

Migrationsbewegungen basieren oft auf sehr unterschiedlichen Entscheidungen, die von Individuen allein oder in einer Gruppe getroffen werden. Um die Vielfalt historischer und aktueller Migrationsprozesse umfassen zu können, bedarf es einer komplexen Begriffsbeschreibung. Ingrid Oswald definiert den Begriff der Migration daher wie folgt:

Migration wird […] im Weiteren verstanden als ein Prozess der räumlichen Versetzung des Lebensmittelpunktes, also einiger bis aller relevanten Lebensbereiche, an einen anderen Ort, der mit der Erfahrung sozialer, politischer und/oder kultureller Grenzziehung einhergeht (Oswald 2007: 13).

Dabei muss die Grenzziehung nicht zwingend nationalstaatlicher Art sein. Sie kann ebenso innerhalb eines Landes erfolgen. So können beispielsweise mehrere ethnische Gruppen innerhalb eines Staates leben. Zwischen ihnen verläuft zwar keine nationalstaatliche Grenze, dafür aber oft eine kulturelle, religiöse oder sprachliche Trennungslinie. Um Migrationsprozesse klassifizierbar zu machen, unterscheiden statistische Behörden zwischen Binnenmigration, erfolgt innerhalb eines Landes, und internationaler Migration, erfolgt erst beim Überschreiten der Staatsgrenze (Vgl. Ebd.: 17).

Zudem ist zwischen permanenter und temporärer Migration zu differenzieren. Generell versteht man unter der permanenten Migration die dauerhafte Verlagerung des Lebens- mittelpunktes in das Immigrationsland ohne Rückkehr. Bei der temporären Migration handelt es sich dagegen um die vorübergehende Lebensmittelpunktverlagerung, welche nach einigen Monaten bzw. Jahren wieder rückgängig gemacht wird. In diesem Zusammenhang haben die einzelnen Nationalstaaten oft unterschiedliche Richtlinien für die jeweilige statistische Erhebung von Migrationsbewegungen festgelegt, was bei gleicher Datenlage zu unterschiedlichen Interpretationen führen kann (Vgl. Han 2005: 7). Dieses Problem betrifft auch die in dieser Arbeit zu untersuchenden Länder. Polen, Großbritannien, Irland und Schweden haben zum Teil stark voneinander abweichende Kriterien zur Datenerhebung festgelegt. Eine Lösung für dieses Problem bieten gesamteuropäische Datenerhebungen, da sie eine bessere Vergleichbarkeit ermöglichen.

Zur weiteren Differenzierung lässt sich zwischen Arbeitsmigration, welche in der Regel auf der freiwillig rationalen Entscheidung des Migranten basiert, und Fluchtmigration, die durch äußere Faktoren erzwungen wird, unterscheiden. Allerdings gestaltet es sich oft schwierig zwischen freiwilliger und erzwungener Migration zu differenzieren. Eindeutig ist, dass Migrationsentscheidungen, die Kriege, Verfolgung, Vertreibung oder Natur- katastrophen als Ursache haben, aufgrund eines äußeren Zwangs und nicht auf freiwilliger Basis durchgeführt werden. Im Falle der Fluchtmigration haben Migranten oft nur eine begrenzte Auswahl an Fluchtmöglichkeiten. Auch bleibt meistens keine Zeit, um rationelle Entscheidungen zu treffen. Migranten, die aufgrund eines äußeren Zwangs fliehen müssen, besitzen aus rechtlicher Sicht den Sonderstatus eines Flüchtlings (Vgl. Oswald 2007: 73 ff.).

Für die Arbeitsmigration sind vor allem wirtschaftliche Kriterien wie Lohnhöhe oder die Nachfrage nach Arbeitskräften von entscheidender Bedeutung. Die Migration erfolgt dann von wirtschaftlich schwach entwickelten in wirtschaftlich hoch entwickelte Regionen bzw. Länder. Siedlungs-, Hochzeits- Ausbildungs- oder aber auch Wohlstandswanderungen stellen weitere Migrationsformen dar (Vgl. Oltmer 2010: 1).

Nach diesen Ausführungen lässt sich die polnische Migration als internationale Arbeitsmigration klassifizieren, die auf freiwilligen Entscheidungen beruht. Diese Einordnung ist wichtig für den weiteren Verlauf der Arbeit.

1.2 Migrationsforschung und aktueller Forschungsstand

Die Entstehung der Migrationsforschung kann auf das Ende des 19. Jahrhunderts datiert werden. Damit verbunden sind zwei Entwicklungen in ganz unterschiedlichen Gebieten. Die erste Entwicklung ist die massenhafte Auswanderung aus Europa in Richtung Nordamerika, die ab 1820 einsetzt und sich über knapp 100 Jahre hinzieht. Während dieser Zeit verlassen mehr als 60 Millionen Europäer für immer ihre Heimat (Vgl. Hatton/ Williamson 2008: 51). Die zweite Entwicklung lässt sich im wissenschaftlichen Bereich beobachten. Mitte des 19. Jahrhunderts entstehen die empirischen Natur- und Sozialwissenschaften, wobei speziell die Sozialwissenschaften ihren Fokus auf das gesellschaftliche Zusammenleben der Menschen richten, wozu auch das Phänomen der Migration gehört. In den Jahrhunderten zuvor gibt es ebenso Migrationsbewegungen, welche allerdings zu jener Zeit nicht von wissenschaftlichem Interesse sind (Han 2005: 42).

Der Brite Ernest George Ravenstein gilt im Allgemeinen als Begründer der Migrationsforschung. Ravenstein sucht in Anlehnung an die Naturwissenschaften nach den Gesetzen der Migration, wie sich aus dem Titel seiner 1885 erschienenen wissenschaftlichen Arbeit The Laws of Migration schlussfolgern lässt. Allerdings stellen diese ersten Ausführungen keine Migrationstheorie im heutigen Sinne dar, sondern haben eher „den Status empirischer Regularitäten“ (Hoffmann-Nowotny 1970: 45).

In den 1920er Jahren erfolgt der nächste Entwicklungsschritt innerhalb der Mi- grationsforschung. Robert E. Park und Ernest W. Burgess von der Chicagoer Schule für Soziologie erarbeiten das Modell des race-relation-cycle. Dieses Modell geht davon aus, dass ein Aufeinandertreffen von zwei oder mehreren ethnisch unterschiedlichen Migran- tengruppen innerhalb eines Gebietes stets das gleiche Assimilationsschema zur Folge hat. Auf das erste friedliche und von Interesse geleitete Aufeinandertreffen folgen in der Regel Konflikte und Streitereien, die sich zum Teil über mehrere Jahrzehnte hinziehen können. Die Konflikte lösen sich meist erst in der nächsten Generation. Park und Burgess gehen davon aus, dass sich durch interethnische Ehen, die zuvor von Bedeutung gewesenen ethnischen Unterschiede, marginalisieren und anschließend verschwinden. Kritiker des Modells betonen, dass Assimilationsprozesse nicht immer gleich ablaufen und sich eine ethnische Vermischung auch über mehrere Generationen hinziehen kann. Dennoch haben diese ersten theoretischen Ansätze nachhaltigen Einfluss auf die weitere Entwicklung der Migrationsforschung (Vgl. Han 2005: 46).

In Deutschland dagegen spielt die Migrationsforschung lange Zeit keine Rolle. Erst als in den 1950er und 1960er Jahren mehrere Millionen Gastarbeiter aus den Anrainerstaaten des Mittelmeers nach Deutschland kommen und nach dem Anwerbestopp 1973 nicht wie geplant in ihre Heimat zurückkehren, gewinnt das Thema wissenschaftliche und politische Aufmerksamkeit (Vgl. Ebd.: 1). In der Folgezeit entstehen die ersten Konzepte zur Integra- tion von Immigranten. Auch entwickeln Hoffmann-Nowotny und Hartmut Esser erste theoretische Ansätze zur Migration. In der öffentlichen Diskussion zu migrations- und integrationspolitischen Fragen nimmt der bereits erwähnte Klaus J. Bade eine zentrale Rolle ein. Er ist es auch, der den sogenannten Rat für Migration etabliert und am Aufbau eines der ersten deutschen Forschungsinstitute für Migrationsforschung an der Universität Osnabrück beteiligt ist.

Heutzutage wird Migrationsforschung in verschiedenen Disziplinen betrieben. Dabei reicht das Spektrum von „Anthropologie, Demographie, Geographie und Geschichte über Ökonomie und Politologie, Psychologie und Rechtswissenschaften bis hin zur Soziologie und Volkskunde“ (Bade 2004: 13).

In Deutschland entsteht in den letzten Jahren aufgrund der Breite der forschenden Disziplinen sowie der zunehmenden Institutionalisierung der Migrationsforschung eine Vielzahl von Publikationen zum Thema Migration. So erscheint beispielsweise im Jahr 2007 eine knapp 1.200 Seiten starke Enzyklopädie mit dem Titel Migration in Europa, welche alle europäischen Migrationsbewegungen vom 17. Jahrhundert bis hin zur Gegen- wart ausführlich beschreibt. Dessen ungeachtet ist die englischsprachige Migrations- forschung der deutschen in vielen Bereichen immer noch einen Schritt voraus, so dass bei neuesten Entwicklungen oder aber auch für aktuelle Forschungsergebnisse oft auf englische Literatur zurückgegriffen werden muss. In den letzten Jahrzehnten sind zudem zahlreiche neue Migrationstheorien in Ergänzung zu den älteren Theorien entstanden. Nachholbedarf für die Migrationsforschung gibt es noch im Bereich der statistischen Erfassung von komplexen Migrationsbewegungen.

Zur jüngsten polnischen Arbeitsmigration seit der EU-Osterweiterung lässt sich mittlerweile eine gute Auswahl an Literatur finden. 2009 hat etwa das Bundesamt für politische Bildung einen umfassenden Länderbericht zu Polen herausgegeben, der sich auch mit Fragen der Migration beschäftigt. Als neueste Veröffentlichung ist in diesem Jahr vom Deutschen-Polen-Institut in Darmstadt eine Publikation zum Thema polnische Arbeitsmigration mit dem Titel Jahrbuch Polen 2010. Migration erschienen. In diesem Buch lassen sich eine Vielzahl von Hintergrundinformation finden, welche für die vorliegende Arbeit hilfreich sind. Andere Forschungsinstitute, darunter auch zahlreiche polnische, haben in ausführlichen Analysen die Auswirkungen der EU-Osterweiterung untersucht. Exemplarisch kann hierfür die 2009 erschienene Studie 5 years of Poland in the European Union stehen, die mithilfe der EU-Kommissionsabteilung für Europäische Integration in Warschau erschienen ist. Die EU-Osterweiterung stellt für viele Wissen- schaftsbereiche sowohl aufgrund ihrer Aktualität als auch wegen ihrer vielfältigen Folgeerscheinungen ein hochinteressantes Betätigungsfeld dar. Zusätzlich zu all dem sind speziell in britischen Tageszeitungen seit der EU-Osterweiterung eine Vielzahl von guten Artikeln veröffentlicht worden, die sich mit der Zuwanderung polnischer Arbeitskräfte beschäftigen.

Es kann somit konstatiert werden, dass es sich bei der derzeitigen polnischen Arbeitsmigration um ein hochaktuelles Themengebiet handelt, welches in zahlreichen Wissenschaftsbereichen großes Interesse auslöst. Mit dieser Feststellung möchte ich die einleitenden Worte beenden und zu den theoretischen Ausführungen übergehen.

2 Migrationstheoretische Ansätze

In den letzten Jahrzehnten entstehen in mehreren Wissenschaftsbereichen zahlreiche Migrationstheorien. Diese Bereiche verfolgen weitestgehend soziologische, ökonomische oder historische Ansätze. Dabei besitzen die zum Teil sehr unterschiedlich ausfallenden Ansätze eine Gemeinsamkeit, welche besagt, dass alle Migranten, mit Ausnahme von Flüchtlingen, ihre Migrationsentscheidung auf freiwillig rationaler Basis treffen (Vgl. Kröhnert 2007: 1).

Dennoch vermag bisher kein theoretisches Modell vollkommen zu überzeugen, so dass viele Theorien zwar für einzelne Migrationsformen Gültigkeit besitzen, sie aber nicht in der Lage sind, die Komplexität der Gesamtheit aller Migrationsprozesse zu umfassen (Vgl. Ebd.). An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass es nicht der Anspruch dieser Arbeit ist, eine allumfassende Migrationstheorie zu erarbeiten. Vielmehr besteht das Ziel der Arbeit darin, die polnische Arbeitsmigration nach Großbritannien, Irland und Schweden vor allem aus einem ökonomischen Blickwinkel mit Bezugnahme auf ausgewählte soziologische Theorien und Konzepte zu betrachten.

Aufgrund dessen sollen im Folgenden sowohl wirtschaftswissenschaftliche als auch soziologische Theorieansätze näher behandelt werden. Dabei wird vertiefend auf die Theorien Brain Drain (2.1), Brain Gain (2.2) und Brain Circulation (2.3) eingegangen. Zudem sollen die in der Ökonomie häufig gebrauchten Modelle der Push- und PullFaktoren (2.4) sowie das Heckscher-Ohlin-Modell (2.5) erläutert werden. Als letzte theoretische Abhandlung wird die aus der Soziologie entnommene Migrationstheorie von Hoffmann-Nowotny vorgestellt (2.6).

2.1 Brain Drain

Wörtlich übersetzt ist unter der englischen Begriffskonstruktion Brain Drain der „Abfluss von Gehirn“ (Sippel 2009: 1) zu verstehen. Diese Übersetzung macht im Deutschen jedoch nur wenig Sinn, weshalb es üblich ist, von der Abwanderung Hochqualifizierter oder vom Verlust von Humankapital zu sprechen. Dabei geht die Brain Drain Theorie von einem dauerhaften Verlust aus.

Erstmalig wird der Begriff Brain Drain in einer wissenschaftlichen Veröffentlichung der British Royal Society im Jahr 1962 verwendet. Ausgangspunkt ist zu diesem Zeitpunkt die zunehmende Abwanderung britischer Ingenieure und Wissenschaftler in die USA. Dabei fließen zwei unterschiedliche Sichtweisen in die Betrachtung mit ein, zum einen die „migrationswissenschaftliche Perspektive“ und zum anderen die „qualifikationsspezifische Bewertung“ (Schultz 2008: 51).

Zwischen 1970 und 1980 wird die Brain Drain Theorie speziell auf die Entwicklungs- länder übertragen. Dabei liegt der Fokus auf der Emigration aus den Entwicklungs- in die Industrieländer. Durch die theoretische Verknüpfung mit der Dependenztheorie, die besagt, dass die ökonomische und politische Abhängigkeit der Entwicklungsländer aus den von den Industrieländern vorgegebenen Weltmarktstrukturen resultiert, ergibt sich ein in dieser Zeit viel beachtetes Theoriekonzept. Nachdem ist der reiche Norden für die permanente Ausbeutung des armen Südens verantwortlich. Das System der Ausbeutung wird durch die vom Norden bestimmten Weltmarktstrukturen noch zusätzlich gefestigt. (Vgl. Hunger 2003: 10). Dieses Theoriekonzept erfährt in den 1970er und 1980er Jahren speziell in den Entwicklungsländern große wissenschaftliche und politische Beachtung. Die Ausbeutung der Entwicklungsländer wird als äußerst negativ wahrgenommen, so dass sich infolge- dessen eine negative Konnotation des Begriffs Brain Drain entwickelt, welche bis zum heutigen Tag nachwirkt.

Seit den 1990ern beschränkt sich die Brain Drain Theorie nicht mehr ausschließlich auf die Abwanderung aus den Entwicklungsländern. Mittlerweile bezeichnet Brain Drain die generelle Abwanderung von Hochqualifizierten, auch aus Industrienationen. Während der letzten zwei Jahrzehnte hat der Begriff zudem Einzug in die Politik gefunden. Im Bereich der Politik wird Brain Drain vor allem mit zukunftsgefährdeten Prozessen gleichgesetzt, was einerseits wissenschaftlich nicht exakt ist und andererseits die negativen Assoziationen des Begriffs zusätzlich verstärkt (Vgl. Schultz 2008: 52). In vielerlei Hinsicht steht Brain Drain mittlerweile symbolisch für eine ganze Reihe von negativen Auswirkungen, so etwa für Personalknappheit, die Abwanderung zukünftiger Steuerzahler, den Verlust von Humankapital und von volkswirtschaftlichen Investitionen wie z. B. Ausbildungskosten (Vgl. Langthaler/Hornoff 2008: 12).

Innerhalb der letzten 20 Jahre hat sich die Brain Drain Theorie kontinuierlich erweitert. Inzwischen gibt es sogar Stimmen, die von positiven Effekten sprechen und in der Emigration eine Art Chance für die Herkunftsländer sehen. Als positive Effekte gelten auf der einen Seite die von Migranten getätigten finanziellen Rücküberweisungen, die den in den Heimatländern verbleibenden Familien direkt als Hilfe zugutekommen. Oft ist das effizienter als die öffentliche Entwicklungshilfe. In Entwicklungsländern mit großen Emigrantengruppen tragen Rücküberweisungen bis zu 45% zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei (Vgl. Ratha et al. 2008: 3).3 Die gesamten weltweiten Rücküberweisungen belaufen sich für 2007 laut World Bank auf 200 Milliarden Euro, was im gleichen Zeitraum mehr als doppelt so viel ist wie die gesamte öffentliche Entwicklungshilfe der Industrienationen (Vgl. Sippel 2009: 3). Auf der anderen Seite wird von Vertretern der Brain Drain Theorie darauf hingewiesen, dass durch die Migration von Hochqualifizierten ein sogenannter Brain Waste, die Verschwendung von Humankapital, vermieden wird. Brain Waste ergibt sich dann, wenn Hochqualifizierte im Herkunftsland arbeitslos oder unter ihren Qualifikationen beschäftigt sind (Vgl. Langthaler/Hornoff 2008: 13).

Vieles hängt vom jeweiligen Blickwinkel ab. Brain Drain kann negativ oder aber auch positiv, als eine Art Chance, interpretiert werden. Zusätzlich zum positiven Deutungsaspekt entwickeln sich in den letzten zwei Jahrzehnten, basierend auf dem Brain Drain, neue theoretische Ansätze wie Brain Gain oder Brain Circulation, welche ein wesentlich optimistischeres Bild von Migrationsprozessen beschreiben.

2.2 Brain Gain

Im klassischen Sinn ist der Brain Gain die Umkehrung des Brain Drain. Er spiegelt somit nicht den Verlust von Humankapital durch Abwanderung sondern den Hinzugewinn von Humankapital durch Zuwanderung wider. Immigration wird in den Zielländern als Gewinn wahrgenommen (Vgl. Sippel 2009: 2).

Die Aufnahmeländer profitieren durch die Einwanderung von Hochqualifizierten in vielfacher Hinsicht. Als erstes stehen ihnen aufgrund der Zuwanderung rein rechnerisch mehr Arbeitskräfte zur Verfügung, welche nicht mehr ausgebildet werden müssen und zusätzlich noch Steuern zahlen. Die Immigranten bringen aber nicht nur ihre Arbeitskraft sondern auch Wissen und Qualifikationen mit sich, die das Aufnahmeland in vollem Umfang nutzen kann. Das Zielland braucht somit für die Ausbildung und Qualifikation der Immigranten keine finanziellen Investitionen zu tätigen, wodurch es zum Teil erhebliche Ausbildungskosten spart. Zusätzlich erhöht sich infolge der Zuwanderung von Hochquali- fizierten das Innovationspotenzial im Einwanderungsland. Als bestes Beispiel kann hierfür die USA gelten, die seit Jahrzehnten die meisten Hochqualifizierten anzieht. So werden etwa zwischen 1995 und 1998 im Silicon Valley 20% aller neuen Unternehmen von Chinesen oder Taiwanesen gegründet, womit alleine von diesen beiden Migrantengruppen ein Fünftel des Innovationspotenzials im Silicon Valley ausgeht (Vgl. Hunger 2003: 28).

Neueren Ansichten entsprechend erfolgt ein Brain Gain aber nicht nur in den Zielländern, die direkt von der Zuwanderung profitieren. Indirekt können auch die Herkunftsländer gewinnen. Heutzutage ist es für Migranten aufgrund moderner Kommuni- kationstechnik wie Internet oder Mobiltelefone relativ einfach, den Kontakt mit Familien- mitgliedern oder Freunden im Herkunftsland aufrecht zu erhalten. Mithilfe moderner Kommunikationstechniken lassen sich aber nicht nur soziale Kontakte aufrecht erhalten, sondern es können zusätzlich sowohl Wissens- als auch Technologietransfers erfolgen. Demnach lässt sich ebenfalls für die Herkunftsländer von einem Brain Gain sprechen (Vgl. Langthaler/Hornoff 2008: 13). Dieser Gewinn spiegelt sich fürs Herkunftsland zwar nicht direkt in einem personellen Zugewinn wieder, dafür aber in Form einer Wissens- akkumulation der im Herkunftsland Verbliebenen.

2.3 Brain Circulation

Ebenso wie die Theorie des Brain Gain entsteht zu Beginn der 1990er Jahre die Theorie der Brain Circulation. Gegenwärtig wird sie von vielen Forschern, Entwicklungshelfern und Politikern als die bestmögliche Migrationsform angesehen.

Entwickelt hat sich die Theorie der Brain Circulation aus der Tatsache heraus, dass Migrationsforscher einen Wandel im Migrationsverhalten vieler Migranten festgestellt haben. Migration ist oftmals kein dauerhafter sondern vielmehr ein über einen bestimmten Zeitraum befristeter Zustand, der in der Regel durch einen hohen Mobilitätsfaktor geprägt ist. Dabei leben, studieren oder arbeiten die Migranten im Zielland und kehren nach einigen Monaten oder mehreren Jahren wieder zurück in ihr Herkunftsland. Die Länge des Aufenthalts im Zielland ist dabei nicht festgelegt und kann stark variieren. Wichtig ist nur, dass eine Rückkehr der Migranten erfolgt (Vgl. Fassmann 2008: 21).

Entscheiden sich die Migranten für die Remigration, ergibt sich eine Konstellation, die als „Win-win-Situation“ (Langthaler/Hornoff 2008: 17) bezeichnet wird. Zuerst einmal gewinnt bei der Immigration das Zielland, da sich durch die Zuwanderung das Angebot an Arbeitskräften erhöht. Während der Emigrationsperiode verringert sich im Herkunftsland das Angebot an Arbeitskräften, so dass es sich, rein formell gesehen, vorübergehend um einen personellen Verlust handelt. Bei hoher Arbeitslosigkeit im Herkunftsland kann die vorübergehende Emigration eine Entlastung für das Sozialsystem und somit sogar einen indirekten Gewinn darstellen. Auch soziale Spannungen, die mit hoher Arbeitslosigkeit verbunden sind, werden auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene abgebaut bzw. auf der Ebene des emigrierenden Individuums vollkommen vermieden. Mit der Rückkehr der Migranten gewinnt das Herkunftsland seine zuvor ausgewanderten Arbeitskräfte zurück, womit der zuvor entstandene Verlust personell wieder ausgeglichen wird. Dadurch, dass die Migranten im Ausland neue Kenntnisse und Qualifikationen wie etwa Arbeitserfahrung oder Sprachkenntnisse erwerben, ergibt sich mit der Rückkehr der Migranten für das Herkunftsland nicht nur ein Ausgleich sondern ein Zugewinn an Wissen. Dies ist dann als Brain Gain für das Herkunftsland zu verstehen. Einige Migrationsforscher und sogar der frühere UN-Generalsekretär Kofi Annan sprechen an dieser Stelle von einer „Triple-win- Situation“ (Thränhardt 2010), da neben dem Ziel- und Herkunftsland auch noch die Migranten selbst gewinnen. Sie profitieren in dieser Hinsicht vom zusätzlichen Qualifika- tionserwerb wie z. B. dem Erlernen einer Fremdsprache (Vgl. Fassmann 2008: 22).

Der Theorie nach ist das Konzept der Brain Circulation als optimale Lösung für alle bestehenden Migrationsprobleme zu verstehen, da alle Beteiligten im Endeffekt gewinnen. Dass die Brain Circulation auch in der Realität zu einem Erfolgsmodell wird, erfordert allerdings einige Grundbedingungen. Dabei ist eine der wesentlichen Voraussetzungen, die maßgeblichen Einfluss auf den Erfolg der Brain Circulation hat, ein offener, flexibler und grenzüberschreitender Arbeitsmarkt, der sowohl eine schnelle Integration im Zielland als auch eine problemlose Wiedereingliederung nach der Rückkehr ins Herkunftsland ermöglicht. Zusätzlich bedarf es einem liberal gestalteten Wanderungsraum, in dem jegliche Migrations- und Reisebeschränkungen aufzuheben sind (Vgl. Ebd.: 28). Ergän- zend zu den Grundbedingungen ist die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen im Herkunftsland von essentieller Bedeutung. Hier müssen vor allem die Ursachen, die zur Migration führen, behoben werden. Generell spielen dabei die harten Faktoren wie etwa die Erhöhung der Löhne oder die Reduzierung der Arbeitslosigkeit eine wesentliche Rolle. Aber auch die Verbesserung von Bildungsmöglichkeiten sowie der allgemeinen Lebens- bedingungen sollten im Zentrum der vom Herkunftsland zu unternehmenden An- strengungen liegen. Prinzipiell müssen Anreize für die Rückkehr ins Herkunftsland geschaffen werden. Auch eine finanzielle Förderung der Zurückkehrenden durch günstige Kreditvergabe ist denkbar. Dabei ist jedoch zu beachten, dass keine Benachteiligung für die im Land Verbliebenen entsteht, da sich sonst erneut soziale Spannungen aufbauen können (Vgl. Langthaler/Hornoff 2008: 18).

Negativ Beispiele aus der Vergangenheit zeigen, dass sich die als temporär geplante Immigration auch schnell in eine permanente Immigration umwandeln kann, so etwa die Zuwanderung der Gastarbeiter nach Deutschland während der 1950er und 1960er. Nach- dem 1973 der Anwerbestopp beschlossen wird, erfolgt in den meisten Fällen keine Rückkehr der zuvor angeworbenen Gastarbeiter. Viele entschließen sich für immer in Deutschland zu bleiben und holen in den darauffolgenden Jahren ihre in den Heimat- ländern zurückgebliebenen Familien nach, so dass das Migrationsvolumen weiterhin ansteigt. Dieses Phänomen kann damit erklärt werden, dass in den Herkunftsländern nicht genügend Anreize für eine Rückkehr geschaffen worden sind, wodurch vielen Gast- arbeitern eine Rückkehr als unattraktiv erscheint.

Schwierig ist es die Brain Circulation statistisch zu erfassen, da sie immer erst nach der Rückkehr und somit ex post festgestellt werden kann. Zudem muss für die statistische Erhebung ein völliger Wechsel des Wohnortes erfolgen. Viele Migranten melden aber ihren Wohnsitz nicht ab, da sie befürchten, ihren Aufenthaltsstatus zu verlieren (Vgl. Fassmann 2008: 23). An dieser Stelle liegen in der Liberalisierung des Wanderungsraums viele Vorteile, da Migranten von der Reisefreiheit und dem freien Zugang zum Arbeits- markt besonders stark profitieren und somit keine rechtlichen Beschränkungen mehr zu befürchten haben.

Trotz der nicht immer einfachen Umsetzung wird die Theorie der Brain Circulation von nahezu allen Beteiligten befürwortet. Im Jahr 2006 haben die Innenminister der EU ein Strategiepapier mit dem Titel zirkuläre Migration vorgelegt. Mithilfe dieses Konzepts soll sich zum einen die illegale Migration in die EU reduzieren und zum anderen sollen sich positive Effekte durch die Rückkehr der Migranten in den Herkunftsländern einstellen (Vgl. Ebd.: 21).

Abschließend kann in Anbetracht der hier vorgestellten Theorien Brain Drain, Brain Gain und Brain Circulation festgestellt werden, dass Migration im Allgemeinen eine Vielzahl von positiven Auswirkungen aufweist und selbst für die Herkunftsländer nicht immer einen Verlust bedeutet, sondern gleichzeitig auch einen Gewinn darstellen kann. Selbst im negativ konnotierten Brain Drain lassen sich positive Eigenschaften entdecken. In diesem Sinn ist zu vermuten, dass die polnische Arbeitsmigration nicht nur für die Zielländer Großbritannien, Irland und Schweden sondern ebenso für Polen einen Gewinn bedeutet.

2.4 Modell der Push- und Pull-Faktoren

Migrationsbewegungen lassen sich nur in den seltensten Fällen monokausal erklären. Oft beeinflusst eine Vielzahl von unterschiedlichen Faktoren, die im wirtschaftlichen, politischen, kulturellen oder im gesellschaftlichen Bereich liegen, den Entscheidungs- prozess. Es ist demzufolge von einer multikausalen Migrationsentscheidung auszugehen (Vgl. Han 2005: 8).

Sowohl in den Wirtschaftswissenschaften als auch in der Geographie wird für die Gesamtbetrachtung von Migrationsvorgängen gerne das an das physikalische Gravitations- modell von Isaac Newton angelehnte Push- und Pull-Modell herangezogen. Für Petrus Han gehört dieses Modell zu den klassischen Erklärungsansätzen von Migration, da es die „komplexen und multikausalen Bestimmungsfaktoren der Migration […] in zwei Gruppen der Push- und Pull-Faktoren einteilt“ (Ebd.: 14). Die Push-Faktoren wirken dabei als Druckfaktoren auf die Migranten, wodurch Abstoßungskräfte im Herkunftsland erzeugt werden. Als Push-Faktoren gelten in der Regel hohe Arbeitslosenquoten, niedrige Lohnniveaus sowie starre und von Unsicherheit geprägte Gesellschaftsverhältnisse. Dem gegenüber stehen die Pull-Faktoren im Zielland, welche auch Sogfaktoren genannt werden. Sie wirken anziehend auf Migranten. Exemplarisch für Pull-Faktoren stehen sichere demokratische Strukturen, hohe Lohnniveaus, niedrige Arbeitslosenquoten sowie hohe Lebensstandards (Vgl. Hunger 2003: 12).

Es lässt sich an den genannten Beispielen gut erkennen, dass die Push- und PullFaktoren noch weiter unterteilt werden können. Sie wirken jeweils auf politischer, sozialer und wirtschaftlicher Ebene. In der nachstehenden Tabelle ist eine Übersicht der einzelnen Faktoren nach unterschiedlichen Bereichen wiedergegeben. Auffällig sind dabei die konträren Positionen, welche die Faktoren einnehmen.

Tabelle 1: Übersicht der Push- und Pull-Faktoren

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Vgl. Hunger 2003: 12 ff. sowie eigene Hinzufügung weiterer Faktoren.

Mehrere wissenschaftliche Arbeiten haben darüber hinaus nachgewiesen, dass die Verbreitung moderner Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten wie Radio, Fernsehen, Telefon und Internet die Push- und Pull-Faktoren noch zusätzlich verstärken. Erst wenn Menschen etwas über andere und ihnen fremde Lebensbedingungen erfahren, sind sie in der Lage, diese mit ihren eigenen Lebensbedingungen zu vergleichen. Es wird angenommen, dass aufgrund dieser neuen Vergleichs- und Informationsmöglichkeiten der Migrationsdruck auf Menschen in unterentwickelten Ländern noch zusätzlich steigt (Vgl. Han 2005: 15).

Aus soziologischer Sicht wird das Push- und Pull-Modell oft belächelt und als nicht umfassend genug dargestellt. Es wird zwar angemerkt, dass das Modell sich gut als ordnendes System eignet, aber es dennoch nicht „anspruchsvoller soziologischer Forschung genügt“ (Oswald 2007: 72). Eine Schwäche wird darin gesehen, dass es Migrationsformen, die nicht auf rationellen Entscheidungen basieren, nicht berücksichtigt. An dieser Stelle werden Phänomene wie Ketten- oder Gruppenmigration angeführt. Auch auf den Einfluss von Migrationsnetzwerken wird keine Rücksicht genommen. Innerhalb des Modells ist es zudem schwierig Zuwanderungsbeschränkungen oder die Bevorzugung bestimmter Personengruppen, beispielsweise Ärzte, mit einzubeziehen.

Allerdings muss bei aller Kritik an diesem Modell gesagt werden, dass sich mithilfe des Push- und Pull-Modells speziell die harten Faktoren wie Arbeitslosigkeit oder Lohnniveau gut herausarbeiten und vergleichen lassen. Außerdem kann bei richtiger Anwendung des Modells eine gute Gegenüberstellung der im Herkunftsland drückenden und im Zielland ziehenden Faktoren erreicht werden. Im nächsten Abschnitt wird mit dem Heckscher- Ohlin-Modell eines der einflussreichsten Theoriemodelle im Bereich der ökonomischen Migrationsforschung erläutert.

2.5 Heckscher-Ohlin-Modell

Innerhalb der neoklassischen Wirtschaftswissenschaften ist das bereits in den 1930er Jahren von den Schweden Eli Heckscher und Bertil Ohlin entwickelte Heckscher-Ohlin- Modell eines der zentralen Theoriemodelle. Publiziert wird es erstmals 1933 im Bereich der Außenwirtschaftstheorie. Die Grundannahme ist, dass Produktionsfaktoren wie Arbeit, Kapital und Boden in den einzelnen Volkswirtschaften unterschiedlich verteilt sind (Vgl. Krugman/Obstfeld 2004: 105). Übertragen auf die Migrationstheorie heißt das, dass verschiedene Länder jeweils über eine unterschiedliche Ausstattung mit Arbeitskräften und Kapital verfügen. Bei offenen Grenzen erfolgt im Sinne des Heckscher-Ohlin-Modells im Bezug auf die Arbeitskräfte ein Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage, der über die Lohnhöhe reguliert wird. Han zufolge besteht in der neoklassisch geprägten Ökonomie die theoretische Annahme, dass die Marktlöhne in den Ländern sinken, in denen ein Überschuss an Arbeitskräften im Verhältnis zum Kapital existiert, während umgekehrt in den Ländern, in denen eine Knappheit an Arbeitskräften im Verhältnis zum Kapital existiert, die Marktlöhne steigen (Han 2006: 174).

Diese Lohndisparitäten führen demzufolge zu einer Migration der Arbeitskräfte aus den Niedriglohnländern in die Hochlohnländer. Durch die sich anschließende Vergrößerung des Angebots an Arbeitskräften in den Hochlohnländern sinken die Löhne, wohingegen sie in den Niedriglohnländern durch die Verknappung an Arbeitskräfte steigen. Ein Ausgleich und somit das Ende der Migrationsbewegungen wird dann erreicht, wenn sich Angebot und Nachfrage im Equilibrium treffen (Vgl. Ebd.: 174). Der Ausgleichsprozess stellt sich allerdings nur dann ein, wenn entgegengesetzt zur Bewegung der Arbeitskräfte eine Bewegung des Kapitals stattfindet. Diese erfolgt aufgrund der erhöhten Renditechancen aus den Hochlohnländern in die Niedriglohnländer. Dabei geht die Theorie von der Annahme aus, dass es sich bei den migrierenden Arbeitskräften sowohl um rationell denkende als auch um gewinnmaximierende Individuen handelt, die sich bei einem objektiven Vergleich zweier Länder für das Land entscheiden, das unter Einberechnung aller Kosten den höchsten Nettoverdienst ermöglicht (Vgl. Oswald 2007: 71).

An dieser Stelle ist es wichtig zu erwähnen, dass wirtschaftswissenschaftliche Theorien bei Ausschaltung aller möglichen Störfaktoren vom vollkommenen und ideal funktion- ierenden Markt ausgehen, in dem keine Beschränkungen existieren. Der Theorie nach sind die Pull-Faktoren bei großen Lohndifferenzen besonders stark. Es ist dementsprechend davon auszugehen, dass sich innerhalb eines vollkommenen Marktes die gegebenen Lohndifferenzen aufgrund von Migrationsbewegungen ausgleichen. Wie dieser Ausgleich innerhalb des Heckscher-Ohlin-Modells erfolgt, ist in der folgenden Abbildung graphisch dargestellt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Arbeitsmigration bei Lohndifferenzen im vollkommenen Markt

Quelle: Angelehnt an Baldwin/Wyplosz 2009: 252.

Die Grundannahmen in diesem Modell sind, dass in beiden Ländern Vollbeschäftigung herrscht und die Grenzen geschlossen sind. Somit kann keine Migration der Arbeitskräfte zwischen den beiden Ländern stattfinden. Dabei ist die Lohnhöhe im Zielland, welche mit L dargestellt ist, höher als die Lohnhöhe im Herkunftsland L*. Das Arbeitskräftepotenzial ist dagegen im Herkunftsland größer, in der Abbildung mit A* gekennzeichnet, als das Arbeitskräftepotenzial im Zielland, welches sich in A widerspiegelt. An PA und PA* lässt sich die jeweilige Produktivität der Arbeitskräfte in den Ländern erkennen. Vor der Grenzöffnung bilden Q und Q* das jeweilige Marktgleichgewicht (Equilibrium). Öffnet man nun die Grenzen und nimmt an, dass der Markt vollkommen ist und keine weiteren Störfaktoren außer den unterschiedlichen Lohnniveaus vorliegen, wäre die Folge, dass ein Teil der Arbeiter aus dem Herkunftsland aufgrund der höheren Löhne ins Zielland migriert. Gleichzeitig würde eine Kapitalbewegung vom Zielland ins Herkunftsland bedingt durch die höheren Renditechancen erfolgen. Dabei würden die Löhne im Zielland von L auf L‘ sinken, da sich das verfügbare Arbeitskräftepotenzial im Zielland von A auf A‘ erhöht, wie sich in der Abbildung erkennen lässt. Gleichzeitig würden im Herkunftsland die Löhne von L* auf L‘ steigen, da sich zum einen das verfügbare Arbeitskräftepotenzial im Herkunftsland von A* auf A‘ verringert und zum anderen sich infolge der Kapitalbewegung die Kapitalausstattung im Herkunftsland vergrößert. Die Migrationsbewegungen würden in der Theorie so lange andauern, bis das neue Equilibrium Q‘ erreicht ist (Vgl. Baldwin/Wyplosz 2009: 252 ff.).

Dass weltweit Lohndifferenzen zwischen einzelnen Ländern bestehen, ist kein Geheimnis. Potenzielle Migranten werden in ihrer Migrationsentscheidung stark von den anfallenden Zusatzkosten beeinflusst. Diese Zusatzkosten haben sich allerdings in den letzten Jahrzehnten enorm reduziert, weshalb sich die bereits bestehenden Lohndifferenzen noch vergrößern. Speziell im Bereich der Transport- sowie Kommunikationskosten lassen sich zum Teil extreme Kostensenkungen feststellen, wodurch diese Kosten bei einer Migration zunehmend weniger von Bedeutung sind. An dieser Stelle seien nur zwei Beispiele genannt, die diese Situation verdeutlichen. Zum einen haben sich Flüge durch die sogenannten Billigflieger, wie Ryanair oder easy Jet, sehr stark vergünstigt und zum anderen reduzieren Online-Telefonanbieter wie Skype die Kommunikationskosten nahezu auf Null. Aus diesen Gründen ist davon auszugehen, dass durch die Kostenreduzierungen für Transport und Kommunikation der bereits gegebene Lohnunterschied zwischen den Ländern noch an Bedeutung gewinnt. Aufgrund der Kostenreduzierungen werden sogar Staaten für Migranten interessant, die zuvor kaum bzw. gar nicht als lukrativ wahrge- nommen wurden.

An der neoklassischen Sichtweise dieser Migrationstheorie werden ganz speziell zwei Punkte kritisiert. Auf der einen Seite wird kritisiert, dass der hauptsächliche Fokus auf dem Faktor Lohnhöhe liegt. Alle anderen Einflussfaktoren werden nicht beachtet (Vgl. Oswald 2007: 72). Auf der anderen Seite wird die Grundannahme des vollkommenen Marktes moniert, da es ihn in der Realität nicht gibt. Laut Kritiker trifft somit eine der Grundvoraussetzungen nicht mehr zu.

Dennoch soll an dieser Stelle angemerkt werden, dass einzelne Kritikpunkte zwar im Allgemeinen richtig und angebracht sind, aber speziell auf die polnische Arbeitsmigration bezogen nicht in vollem Umfang zutreffen. Die EU stellt seit der Verwirklichung des gemeinsamen Binnenmarktes im Jahr 1993 aus wirtschaftstheoretischer Sicht einen nahezu vollkommenen Markt dar. Die wichtigsten Faktoren, welche die vier Grundfreiheiten: Personenfreizügigkeit, Dienstleistungsfreiheit, freier Warenverkehr sowie freier Kapital- und Zahlungsverkehr umfassen, werden bereits realisiert (Khan 2008: 375). Mit dem Beitritt zur EU am 1. Mai 2004 gelten auch für Polen, mit einzelnen Ausnahmeregelungen, die Regeln des einheitlichen Binnenmarktes. Für die innerhalb dieser Untersuchung bedeutenden Länder Großbritannien, Irland und Schweden gibt es keinerlei Beschränkungen mehr, womit der freie Verkehr von Arbeitskräften, Kapital und Waren gewährleistet ist. Allerdings können unterschiedliche Währungen sowie verschiedene Landessprachen als mögliche Störfaktoren des EU-Binnenmarktes angesehen werden. Diese werden zwar versucht durch die Einführung des Euro und Englisch als Verkehrssprache zu minimieren, aber um eine detaillierte Untersuchung innerhalb der Arbeit zu gewährleisten, müssen die zwei genannten Störfaktoren mit berücksichtigt werden.

Wie bereits angemerkt, handelt es sich bei der aktuellen polnischen Migrationsbe- wegung um die Form der Arbeitsmigration, welche auf Freiwilligkeit basiert. Freiwillig getroffene Migrationsentscheidungen beinhalten stets einen hohen Rationalitätsfaktor. Aus diesen Gründen ist anzunehmen, dass die Lohnhöhe für die polnischen Arbeitsmigranten von entscheidender Bedeutung ist, was im Verlauf der Arbeit überprüft werden soll.

Um den theoretischen sowie den späteren Fokus der Analyse nicht ausschließlich auf ökonomische Gesichtspunkte zu richten, bietet sich die soziologische Migrationstheorie von Hoffmann-Nowotny an, die im folgenden Abschnitt beschrieben wird.

2.6 Migrationstheorie von Hoffmann-Nowotny

Die Migrationstheorie Hoffmann-Nowotnys hat ihren Ursprung in den 1960ern und 1970ern, als es zu massenhaften Migrationsbewegungen aus den Entwicklungs- in die Industrieländer kommt. Hoffmann-Nowotny selbst hat diesen Ansatz in der Folgezeit weiter entwickelt, so dass sich die Theorie auch heute noch als ergiebig für die Analyse der polnischen Arbeitsmigration erweist.

Dabei beruht sein Konzept auf der Theorie struktureller und anomischer Spannungen von Peter Heinz. Hoffmann-Nowotny modifiziert diese Theorie, um sie anschließend auf Migrationserscheinungen anzuwenden. Den Mittelpunkt der Theorie bilden die beiden Dimensionen Macht und Prestige, die im sozialen System unterschiedlich verteilt und zugänglich sind (Vgl. Hoffmann-Nowotny 1970: 35). Macht ist „der Grad, zu dem ein Anspruch des Akteurs auf Teilhabe an zentralen sozialen Werten durchgesetzt werden kann“ (Ebd.: 26). Unter Prestige versteht Hoffmann-Nowotny dagegen den „Grad, zu dem der Anspruch von Akteuren auf Teilhabe an zentralen sozialen Werten oder ihr Besitz als legitim angesehen wird“ (Ebd.: 29). Somit legitimiert Prestige den Anspruch und den Besitz von Macht.

Soziale Systeme sind in der Regel so aufgebaut, dass Berufe in höheren Positionen einen Macht- und Prestigeüberschuss aufweisen. Dagegen sind Berufe in unteren Posi- tionen vornehmlich durch ein Macht- und Prestigedefizit gekennzeichnet. In offenen Gesellschaften mit flexiblen Arbeitsmärkten bestehen für alle Akteure potenzielle Aufstiegschancen, die eine Verteilung von Macht und Prestige ermöglichen. Ist dagegen ein sozialer Aufstieg innerhalb des sozialen Systems nicht möglich, sei es durch starre gesellschaftliche Strukturen oder eine hohe Arbeitslosigkeit, ergeben sich strukturelle Spannungen (Vgl. Han 2005, S. 60). Nach Ansicht von Hoffmann-Nowotny lassen sich aufgebaute Spannungen am einfachsten in Form eines Wechsels des sozialen Systems abbauen. Unter Wechsel des sozialen Systems kann ein Umzug in einen anderen Ort oder die Migration in ein anderes Land verstanden werden. Diesen Wechsel bezeichnet Hoffmann-Nowotny als „Mobilität“ (Hoffmann-Nowotny 1970: 37).

Er selbst hält die Emigration in zweifacher Hinsicht für eine nützliche Lösung. Durch Emigration können zum einen Spannungen auf der individuellen Ebene wie etwa in Form von Frustration über mangelnde Karrierechancen vermieden und zum anderen auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene wie beispielsweise hohe Arbeitslosigkeit abgebaut werden. Zudem offenbart die Emigration für den Auswanderungswilligen, sofern er einen seinen Qualifikationen entsprechenden Beruf findet, die Möglichkeit einer sozialen Auf- wärtsmobilität. Diese Aufwärtsmobilität wäre demzufolge mit einem Macht- sowie Prestigegewinn verbunden, so dass nicht nur Spannungen auf individueller und gesamtgesellschaftlicher Ebene vermieden werden, sondern ein zusätzlicher Vorteil für den Migranten entsteht. Somit würden an dieser Stelle alle Beteiligten profitieren (Oswald 2007: 88).

Bezüglich des ökonomischen Modells der Push- und Pull-Faktoren und des Heckscher- Ohlin-Modells stellt die Migrationstheorie von Hoffmann-Nowotny eine sinnvolle Erwei- terung dar. Während beide Modelle zur Analyse von Migrationsentscheidungen vor allem aus ökonomischer Perspektive die harten Faktoren wie Lohnhöhe und Arbeitslosigkeit heranziehen, bezieht Hoffmann-Nowotny sich auf die weichen Faktoren wie strukturelle Spannungen im sozialen System oder den Wunsch nach gesellschaftlicher Teilhabe an Macht und Prestige.

Oswald hebt zusätzlich hervor, dass mithilfe von Hoffmann-Nowotnys Migrations- theorie deutlich wird, warum etwa bei sehr hohen Lohndifferenzen nicht alle Menschen emigrieren. Auf der einen Seite sind viele Menschen mit ihrer sozialen Ausstattung an Macht und Prestige zufrieden, wodurch auch bei großen Lohnunterschieden kein Bedarf zur Emigration besteht. Auf der anderen Seite ermöglicht sich für den Emigranten im Allgemeinen erst dann die Möglichkeit eines sozialen Aufstiegs, wenn seine Qualifikationen im Zielland nachgefragt sind (Vgl. Ebd.: 91).

Als Kritikpunkt dieses migrationstheoretischen Ansatzes kann angeführt werden, dass Hoffmann-Nowotny stets von einer dauerhaften Auswanderung ausgeht. Die Möglichkeit einer auf Dauer begrenzten Migration bezieht er in seinen theoretischen Überlegungen nicht mit ein. Dabei wird bereits im Abschnitt zur Brain Circulation, darauf hingewiesen, dass sich das Migrationsverhalten in den letzten Jahrzehnten von der permanenten hin zur temporären Migration entwickelt. Andere Migrationsforscher wiederum sehen in einer Emigration nicht nur positive Effekte. Emigranten erfahren nicht selten aufgrund von sprachlichen Defiziten soziale Benachteiligungen. Rechtliche Schlechterstellung im Ar- beitsmarkt kann zudem zu qualifikationsentsprechenden Unterbeschäftigung führen.

Dies schränkt aber nicht die Gültigkeit der Theorie ein, da auch heutzutage noch strukturelle Spannungen häufig ein Grund für Migrationsentscheidungen sind.

2.7 Zwischenfazit

Am Ende dieser theoretischen Ausführungen kann konstatiert werden, dass es keine allumfassende Migrationstheorie gibt. Die einzelnen Theorieansätze spiegeln bestimmte Migrationsphänomene wider, die aus wirtschaftswissenschaftlicher und soziologischer Perspektive erklärt werden. Dabei habe ich versucht die Auswahl der hier vorgestellten Theorien sowohl an dem Ziel als auch an den begrenzten Möglichkeiten dieser Arbeit auszurichten. Gemeinsam ist allen Theorien, dass sie sich lediglich auf einzelne migrationsentscheidende Faktoren beziehen. Diese Faktoren sowie die Kernaussagen der Theorien sind in der nachstehenden Tabelle noch einmal zusammen gefasst.

Tabelle 2: Zusammenfassung der einzelnen Theorien

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Eigene Zusammenfassung und Darstellung

Im weiteren Verlauf dieser Arbeit richtet sich der Fokus vor allem auf die harten Faktoren wie etwa Lohnniveau oder Arbeitslosigkeit, da sie bereits statistisch erfasst vor- liegen und somit eine einfachere Operationalisierung ermöglichen. Dennoch sollen die weichen Faktoren, welche im Allgemeinen schwieriger zu erfassen sind, nicht vollkommen vernachlässigt werden, so dass auch sie ihre Beachtung innerhalb dieser Arbeit finden werden.

3 Methodische Konzeptspezifikation

Nach Beendigung des Theorieteils erfolgt den theoretischen Ausarbeitungen entsprechend in diesem Kapitel eine thematische Präzisierung der Arbeit. Dies ist erforderlich, um Methoden zu verdeutlichen, Begriffe zu definieren, Auswahlprozesse zu begründen und Vorgehensweisen zu legitimieren (Vgl. Schnell et al. 2005: 11). Im ersten Abschnitt erfährt die Methode des Vergleichs eine ausführlichere Betrachtung (3.1), da sie die zentrale Methode dieser Arbeit darstellt. Anschließend wird die Auswahl der Länder begründet (3.2) bevor im letzten Abschnitt des Kapitels die einzelnen Vergleichskriterien erläutert werden (3.3).

Dabei gehe ich von einer an die ökonomische Theorie angelehnten Hypothese aus: Je größer die Differenzen in Bezug auf Lohnhöhe, Arbeitslosenquote und Arbeitskräftebedarf zwischen den in dieser Arbeit zu untersuchenden Ländern sind, desto höher ist das Migra- tionsvolumen.

An dieser Stelle möchte ich hervorheben, dass es sich bei der vorliegenden Arbeit um eine quantitative Analyse der polnischen Arbeitsmigration handelt. Die polnische Arbeitsmigration wird als ein Phänomen im Ganzen wahrgenommen, welches auf dieser ganzheitlichen Ebene untersucht werden soll.

Dadurch, dass die polnische Arbeitsmigration als Ganzes betrachtet wird, konzentriert sich die Arbeit konsequenterweise auf die Analyse bereits erhobener Daten. Die Daten werden sowohl von nationalen als auch von europäischen Statistikbehörden sowie Wirtschafts- und Wissenschaftsinstituten ermittelt. Speziell mit Blick auf den im 6. Kapitel geplanten Ländervergleich erweisen sich die Daten und Statistiken von Eurostat als besonders hilfreich, da sie nach einheitlichen Kriterien für alle EU-Mitgliedstaaten erhoben werden, wodurch die Werte gut miteinander vergleichbar sind.

3.1 Methode des Vergleichs

Bereits Emile Durkheim erklärt 1895, dass der Vergleich eine der wichtigsten Methoden der Soziologie ist. Dabei erscheint ihm „die vergleichende Methode als die einzige, welche der Soziologie entspricht“ (Durkheim 1991: 205). Sowohl in der Zeit vor dieser Aussage von Durkheim als auch danach wird innerhalb der Wissenschaft über die vergleichende Methode zum Teil vehement gestritten. Manche halten den Vergleich als nicht wissenschaftstauglich, andere wiederum sehen in ihm die beste Methode zur Erkenntnisgewinnung. Fakt ist in jedem Fall, dass der Vergleich kein Privileg einzelner Disziplinen ist, sondern er sich im gesamten Wissenschaftsspektrum von den Geistes- über die Sozial- und Wirtschafts- bis hin zu den Naturwissenschaften wiederfinden lässt (Vgl. Schriewer 2003: 9).

Hilfreich ist die Methode des Vergleichs in vielerlei Hinsicht. Sie ist wertvoll beim Erkennen von Regelmäßigkeiten und Zusammenhängen. Auch lassen sich mit dem Vergleich aufgestellte Theorien und Hypothesen gut überprüfen und zu alledem ist der Vergleich übersichtlich und für jeden nachvollziehbar.

In der Philosophie versteht man unter Vergleich einen

Terminus zur Bezeichnung eines Erkenntnisverfahrens, bei welchem Entitäten (z. B. Dinge, Begriffe, Beziehungen) auf der Basis von Qualität, Quantität oder Relation auf- einander bezogen oder vergleichend an die Seite gestellt werden, um Ähnlichkeiten, Gleichheiten, Identitäten oder Proportionen zu entdecken, festzustellen bzw. herzustellen (Schenk 1990: 698).

Um Entitäten auf einander beziehen zu können, bedarf es jedoch einer entscheidenden Grundvoraussetzung, das Vergleichende muss miteinander vergleichbar sein. Die Entitäten müssen dabei gemeinsame Kriterien aufweisen. Großbritannien, Irland und Schweden weisen in zweierlei Hinsicht Gemeinsamkeiten auf. Zum einen haben die drei Länder die Arbeitnehmerfreizügigkeit umgesetzt und zum anderen haben sie gemeinsam die Immigration polnischer Arbeitskräfte nach der EU-Osterweiterung erfahren. Jedoch dürfen die Vergleichsobjekte der Theorie nach nicht identisch sein, da es in diesem Fall keine Unterschiede mehr geben würde. Ein Vergleich bedarf immer neben den Gemeinsamkeiten auch Unterschiede. Vergleichsobjekte müssen stets einen gewissen Grad an Varianz aufweisen. Die Größe der Varianz bestimmt den Grad der Verschiedenheit (Vgl. Jahn 2006: 164). Im Bezug auf den Ländervergleich lassen sich Varianzen der Vergleichs- kriterien beispielsweise im Bereich des Immigrationsvolumens, des Lohnniveaus oder des Arbeitskräftebedarfs finden. Wichtig ist zudem, dass man bei einem Vergleich von Ländern die länderspezifischen Eigenheiten mit berücksichtigt.

Detlef Jahn zufolge besteht der „wesentliche Aspekt des Vergleichs […] in der Identifikation der Kovarianz“ (Ebd.: 166). Für ihn bedeutet Kovarianz, dass „ein Effekt (abhängige Variable) mit einer Ursache oder mehreren ursächlichen Bedingungen systematisch variiert“ (Ebd.: 166). Um diese Erklärung erneut auf das Beispiel dieser Arbeit zu übertragen, lässt sich sagen, dass es sich bei der polnischen Arbeitsmigration um den Effekt und etwa beim Lohnniveau bzw. dem Arbeitskräftebedarf um die ursächlichen Bedingungen handelt, die dann zur Migration führen. Die Variationen im Migrations- volumen zwischen den einzelnen Ländern begründen sich auf den unterschiedlichen Ausprägungen der Ursachen, die wiederum als Push- und Pull-Faktoren zu verstehen sind.

Um eine Variation bei ähnlichen Bedingungen feststellen zu können, wendet man die Methode der Differenzanalyse an. Die Differenzanalyse ermöglicht es, die Verschiedenheit zwischen zwei oder mehreren Vergleichsobjekten herauszuarbeiten, indem speziell die Ursachen für die Verschiedenheit untersucht werden (Vgl. Patzelt 2005: 39). Bei einem Vergleich zwischen Großbritannien, Irland und Schweden ist zwar von ähnlichen Bedingungen auszugehen, dennoch bestehen zwischen den Ländern zum Teil erhebliche Differenzen.

Die Form eines jeden Vergleichs hängt in aller Regel vom Erkenntnisziel ab. Das Erkenntnisziel sollte bereits im Vorfeld des Vergleichs festgelegt sein. Dabei bestimmt das Ziel die Wahl der Vergleichskriterien (Vgl. Abromeit/Stoiber 2006: 26). Das Ziel dieser Arbeit liegt im Analysieren der Ursachen der polnischen Arbeitsmigration und in deren unterschiedlicher Ausprägung in den drei zu vergleichenden Ländern.

Die Auswahl der zu vergleichenden Grundgesamtheit ist für einen Vergleich stets von entscheidender Bedeutung, da sie die Reichweite der Aussagen bestimmt. Das die Grundgesamtheit in dieser Arbeit die zu vergleichenden Länder Großbritannien, Irland und Schweden umfasst, ist mittlerweile deutlich geworden, so dass sich die Reichweite der zu treffenden Aussagen auf diese drei Länder und Polen beschränkt. Im Folgenden Abschnitt wird die Auswahl der Untersuchungsländer begründet.

3.2 Auswahl der Untersuchungsländer

Die Auswahl der zu untersuchenden Länder lässt sich relativ einfach erklären. Polen wird ausgewählt, da es mit zwei Millionen Arbeitsmigranten von den neuen EU- Mitgliedstaaten im absoluten Verhältnis die mit Abstand höchsten Emigrationszahlen aufweist (Vgl. Garapich 2010: 67). Die Ausmaße des zu erwartenden Immigrations- potenzials werden vor der EU-Osterweiterung speziell für Großbritannien und Irland in allen vorab erstellten Migrationsprognosen weit unterschätzt. Aus diesem Grund sind die beiden Länder auf die massenhaft einsetzende Immigration völlig unvorbereitet. Diese Tat- sache macht die polnische Arbeitsmigration sowohl für die soziologische als auch wirt- schaftswissenschaftliche Migrationsforschung zu einem interessanten Forschungsgebiet.

Das im absoluten Verhältnis sehr hohe Emigrationsvolumen ist dem Grund geschuldet, dass es sich bei Polen mit 38,2 Millionen Einwohnern um das mit Abstand bevölkerungsreichste Land aller neuen Mitgliedstaaten handelt. Aber auch im relativen Verhältnis sind die Zahlen noch außergewöhnlich hoch. Bei zwei Millionen Arbeits- migranten, die das Land verlassen, entspricht das einer Quote von 5,2% der polnischen Gesamtbevölkerung. Es ist anzumerken, dass Ungarn oder die Tschechische Republik im Vergleich zu Polen wesentlich geringere Emigrationszahlen aufweisen. Slowenien erfährt seit der EU-Osterweiterung sogar einen Wanderungsgewinn (Vgl. Statisti ni Urad Republike Slovenije [Statistikamt der Republik Slowenien] 2010). Dennoch bildet Polen keine Ausnahme. In Lettland und Litauen sind die Emigrationswerte prozentual gesehen noch höher. Jedoch sind diese beiden Länder in Bezug auf Bevölkerung und Fläche wesentlich kleiner als Polen, womit das absolute Migrationsvolumen viel niedriger ausfällt (Vgl. World Bank 2006: 22). Ein weiterer Punkt, der Polen für diese Untersuchung interessant macht, ist die Tatsache, dass Polen von allen neuen Mitgliedstaaten das politisch und wirtschaftlich bedeutendste Land ist. Zudem stellt es aus deutscher Perspektive das mit Abstand wichtigste östliche Nachbarland dar.

Die Auswahl Großbritanniens, Irlands und Schwedens4 ist hinsichtlich der rechtlichen Rahmenbedingungen nur konsequent. Alle drei Länder haben gemeinsam am 1. Mai 2004 für die zehn neuen Mitgliedstaaten, Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechische Republik, Ungarn und Zypern5

[...]


1 Auch wenn der Begriff Großbritannien im Sinne der Arbeit nicht richtig ist, soll er dennoch verwendet werden. Großbritannien bezeichnet im eigentlichen Sinne nur die britische Hauptinsel mit den Nationen England, Schottland und Wales. Der Begriff Vereinigtes Königreich umfasst neben England, Schottland und Wales zusätzlich noch Nordirland. Jedoch wird im deutschen Sprachgebrauch in aller Regel Großbritannien synonym zum Vereinigten Königreich verwendet. Dies gilt somit auch für die vorliegende Arbeit. Immer wenn von Großbritannien gesprochen wird, beziehe ich mich der Bedeutung nach auf das Vereinigte Königreich.

2 An dieser Stelle ist anzumerken, dass die globale Weltwirtschaftskrise mit ihrem Höhepunkt in der zweiten Hälfte des Jahres 2008 in vielen Bereichen eine Art „Zäsur“ (Giersch 2009) darstellt. Der Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise wird allgemein in der Insolvenz der amerikanischen Investment Bank Lehmann Brothers am 15. September 2008 gesehen. Aus diesem Grund weist die Arbeit in gewisser Hinsicht eine zeitliche Zweiteilung auf. Der erste Zeitraum erstreckt sich auf den Zeitraum von der EU-Osterweiterung am 1. Mai 2004 bis zum Ende des Jahres 2008. Diese Zeit wird als wirtschaftliche Hochkonjunkturphase betrachtet. Der zweite Zeitraum beginnt im Jahr 2009 und soll aufgrund des Abgabetermins dieser Arbeit, welcher auf den 22. September 2010 datiert ist, mit dem 2. Quartal 2010 enden. Innerhalb dieser Periode ist ein wirtschaftlicher Abschwung in allen vier Untersuchungsländern festzustellen. Dabei ist das Jahr 2008 ein äußerst schwierig zu klassifizierendes Jahr. Sowohl in Polen als auch in Großbritannien, Irland und Schweden sinken die wirtschaftlichen Kennzahlen innerhalb des Jahres zum Teil dramatisch nach unten, weshalb im eigentlichen Sinne nicht mehr von einer wirtschaftlichen Hochkonjunkturphase gesprochen werden kann. Allerdings zeigen sich die jeweiligen Arbeitsmärkte im Verlauf des Jahres noch weitgehend unberührt von der Krise. Dieses Phänomen hängt damit zusammen, dass der Arbeitsmarkt der wirtschaft- lichen Entwicklung in der Regel 6 Monate hinterher hinkt. Und da die jeweiligen Arbeitsmärkte in Bezug zur Arbeitsmigration die entscheidenden Referenzgrößen darstellen, habe ich mich dafür entschieden, das Jahr 2008 mit zur Hochkonjunkturphase zu zählen.

3 Im Jahr 2007 haben in Tadschikistan die finanziellen Rücküberweisungen einen Anteil von 45,5% am BIP, was weltweit den höchsten Wert darstellt. In Moldawien beträgt der Anteil der Rücküberweisungen 38,3% am BIP. Dies ist der höchste Wert in Europa und der zweithöchste weltweit (Vgl. Ratha et al. 2008: 3).

4 Der größte Unterschied zwischen Großbritannien, Irland und Schweden liegt in der jeweiligen Einwohnerzahl. Zählt Großbritannien als größtes Land rund 61,6 Millionen Einwohner, so sind es in Schweden als zweitgrößtes Land 9,3 Millionen Einwohner und in Irland als kleinstes Land lediglich 4,4 Millionen Einwohner [Stand 2009] (Vgl. Eurostat 2010e). Damit ist Großbritannien hinsichtlich der Bevölkerungszahl in etwa vierzehnmal größer als Irland und fast siebenmal so groß wie Schweden. Dies spiegelt sich natürlich in den gesamtwirtschaftlichen Indikatoren wie etwa in der Größe des Arbeitsmarktes wider. Dadurch wirken die reinen Zahlen oft verzehrt, so dass sie im anschließenden Vergleich auch immer in prozentualer Verteilung angegeben werden sollen. Das dient der besseren Vergleichbarkeit. Dennoch befinden sich alle drei Länder in etwa auf demselben wirtschaftlichen Entwicklungsstand.

5 Diese zehn Länder sind am 1. Mai 2004 im Zuge der ersten Runde der EU-Osterweiterung der EU beigetreten. Malta und Zypern genießen dabei in wirtschaftlicher, geographischer und geschichtlicher Hinsicht einen Sonderstatus. Für beide Länder werden aufgrund ihrer geringen Größe, Malta hat knapp 400.000 und Zypern 730.000 Einwohner [Stand 2004 im Jahr des EU-Beitritts], sowie ihrer relativ gut entwickelten Wirtschaft keinerlei Beschränkungen von Seiten der alten EU-Mitgliedstaaten eingeführt, weshalb die Bürger Maltas und Zyperns alle Grundfreiheiten in allen EU-Mitgliedstaaten genießen (Vgl. Ebd.). Aus diesem Grund beziehe ich mich mit der Begriffsbezeichnung neue EU-Mitgliedstaaten in der Regel auf die acht Länder Mittel- und Osteuropas (MOEL). Diese acht am 1. Mai 2004 der EU beigetretenen Staaten sollen im weiteren Verlauf der Arbeit zusätzlich als EU-8 bezeichnet werden. Am 1. Januar 2007 wird die EU-Osterweiterung mit dem Beitritt Rumäniens und Bulgariens komplettiert. Für den Fall, dass diese beiden Länder in die Betrachtung mit einbezogen werden, soll im Folgenden für die begriffliche Differenzierung die Abkürzung EU-10 verwendet werden.

Ende der Leseprobe aus 135 Seiten

Details

Titel
Drain oder Gain? - Die polnische Arbeitsmigration nach Großbritannien, Irland und Schweden seit der EU-Osterweiterung
Untertitel
Ein Vergleich
Hochschule
Universität Leipzig  (Global and European Studies Institute)
Note
1,5
Autor
Jahr
2010
Seiten
135
Katalognummer
V190052
ISBN (eBook)
9783656144946
ISBN (Buch)
9783656145103
Dateigröße
24596 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
In meiner Masterarbeit untersuche ich die polnische Arbeismigration im Zuge der EU-Osterweierung. Dabei vergleiche ich Großbritannien, Irland und Schweden als bevorzugte Zielländer miteinander. Die Leitfrage ist dabei, ob es sich aus polnischer Sicht um einen Brain Drain und damit um einen permanenten Verlust von Humankapital oder langfristig sogar um einen Brain Gain und damit um einen Gewinn an Humankapital durch die Rückkehr der Arbeitsmigranten handelt (Stichwort: zirkuläre Migration). Neben den bestehenden Lohndifferenzialen spielen weitere Push- und Pull-Faktoren eine zentrale Rolle.
Schlagworte
Brain Drain, Brain Gain, Zirkuläre Migration, Humankapital, Arbeitsmigration, Polen, Großbritannien, Irland, Schweden, EU-Osterweiterung, Heckscher-Ohlin-Modell, Push- und Pull-Faktoren, Ländervergleich, Brain Circulation, EU-Mitgliedstaaten, Arbeitnehmerfreizügigkeit, Migrationsgeschichte
Arbeit zitieren
Tobias Klein (Autor:in), 2010, Drain oder Gain? - Die polnische Arbeitsmigration nach Großbritannien, Irland und Schweden seit der EU-Osterweiterung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/190052

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