Die Darstellung von Geschlechterkonstruktionen in William Shakespeares "As You Like It" und Virginia Woolfs "Orlando"


Hausarbeit, 2007

22 Seiten, Note: 1,0

Riccarda J. Schneider (Autor:in)


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Körper-Inszenierung/ Geschlecht(s)-Inszenierung
2.1 Verkleidung als „äußerlicher“ Wechsel des Geschlechts
2.2 Körpersprache – die Codierung des Geschlechts?

3. Der Wandel der Sprache mit dem Geschlechtswechsel

4. Die Veränderung zwischenmenschlicher Beziehungen mit der Transformation des Geschlechts

5. Schlussbetrachtung

6. Primärtexte und Literaturverzeichnisse
6.1 Primärtexte
6.2 Literaturverzeichnis zu William Shakespeare
6.3 Literaturverzeichnis zu Virginia Woolf
6.4 Literaturverzeichnis zum Forschungsgegenstand „gender

1. Einleitung

Gender!

Welches sind die ersten Assoziationen, die Hörer/innen damit verbinden? Soziologische, philosophische, psychologische oder medizinische Abhandlungen?

Ich möchte mich in dieser Hausarbeit der Thematik „Geschlecht“ (gender) auf literarischer Ebene nähern. Hierfür werde ich die Werke As You Like It von William Shakespeare und Orlando von Virginia Woolf nach der Darstellung des Geschlechts analysieren und fragen:

Kann gender sichtbar gemacht oder gar in irgendeiner Weise codiert werden? Gibt es Äußerlichkeiten, an denen das soziale Geschlecht manifestiert werden kann? Was geschieht mit dem Subjekt bei einem Geschlechtswechsel? Verändern sich dann die Sprache des jeweiligen Individuums oder sein/ ihr Umgang mit anderen menschlichen Wesen?

Als Ausgangspunkt dient mir das Betrachten des sozialen Geschlechts (gender) als kulturell bedingte Konstruktion, welches ich insbesondere anhand der Figuren Rosalind aus As You Like It (1600) und Orlando aus dem gleichnamigen Roman Orlando (1928) von Virginia Woolf veranschaulichen will.

Dafür habe ich meine Arbeit thematisch gegliedert. Dabei untersuche ich die Figuren von „außen nach innen“. Das heißt, ich werde zuerst den Körper als Objekt beleuchten und mich mit der Wirkung von Kleidung als Verkleidung auseinandersetzen. Daneben beschreibt dieses Kapitel, wie sich die Körpersprache mit der Maskerade und einem Geschlechtswechsel verändern kann. Das darauf folgende Kapitel schildert die „inneren“, sprachlichen Veränderungen, die eine Transformation des Geschlechts bedingen kann. Das letzte Kapitel beschäftigt sich mit dem Verhältnis der Figuren zu Anderen vor und nach dem Wechsel des Geschlechts, um Gemeinsamkeiten oder etwaige Unterschiede feststellen zu können.

Zu den Primärtexten sollte angemerkt werden, dass ich mich ausschließlich auf die englischsprachigen Ausgaben von As You Like It und Orlando beziehe.

Beim Forschungsstand wird auffällig, dass es zwar unzählige wissenschaftliche Arbeiten gibt, die die Personen und das Œuvre William Shakespeares und Virginia Woolfs untersuchen; aber keine adäquaten, zeitgenössischen Arbeiten aus dem 21. Jahrhundert. Deshalb sind die meisten Beiträge, die mir als Grundlage zu dieser Hausarbeit dienten, aus den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts.

2. Körper-Inszenierung/ Geschlecht(s)-Inszenierung

In Gesellschaften, in denen die (binäre) Geschlechterpolarisation die vorherrschende Grundkonstante[1] darstellt, werden anhand bestimmter Merkmale die Menschen in „Frauen“[2] und „Männer“ eingeteilt.

Diese Charakteristika werden sowohl mittels anatomischer Beschaffenheit des jeweiligen Menschen wie Geschlechtsorgane, als auch an „Eigenschaften“ wie emotionalen oder rationalen Denken und Handeln „gemessen“. Mit dem Bewusstwerden und Hinterfragen dieser Einteilung der menschlichen Spezies, formierte sich in der wissenschaftlichen Forschung ein Diskurs, in dessen Mitte der Begriff „gender“ stand.

Gender ist die Bezeichnung für das soziale Geschlecht, das jedes menschliche Individuum (aus)lebt. Das heißt, dass mit dem „Frausein“ oder „Mannsein“ bestimmte Erwartungen der Gesellschaft gekoppelt sind, die das jeweilige Subjekt erfüllen soll. Findet keine Verwirklichung dieser – teilweise tabuisierten[3] – erwarteten Vorstellungen statt, wird der betreffende Mensch, als nicht „ganz“ „weiblich“ oder „männlich“ stigmatisiert.

Somit wird ersichtlich, dass der „Begriff Gender, der sich auf Geschlecht als soziale Konstruktion bezieht, […] schwerpunktmäßig auf die kulturellen Codierungen und Normierungen von Männlichkeit und Weiblichkeit [abzielt].“[4]

Neben dem Begriff „gender“ bezeichnet der Terminus „sex“ das anatomische Geschlecht, welches allein physisch determiniert ist.

In einer zweigeschlechtlich ausgerichteten Gesellschaft sollen sex und gender identisch werden/ sein.[5] Das bedeutet, dass in dieser Gesellschaft ein/e „Mann“/ „Frau“ nur dann ein „Mann“/ „Frau“ ist, wenn er/ sie eine/n Penis/ Vagina besitzt und die dem Geschlecht entsprechenden, verinnerlichten Verhaltensweisen ausübt.

Dennoch kann gender auch als eine Art oppositioneller Pol zu sex fungieren. Oder anders ausgedrückt: „Aber obwohl Geschlecht und Sex miteinander verknüpft sind, sind sie nicht identisch und bilden die Basis zweier separater Schauplätze sozialer Praxis.“[6]

Demzufolge kann ein Individuum dessen anatomisches Geschlecht „weiblich“ ist, durchaus das soziale Geschlecht „männlich“ zugeschrieben werden. Ein Paradebeispiel stellt Rosalind, eine der Figuren aus William Shakespeares As You Like It, dar.

Rosalind verkleidet sich im Laufe des Stückes als Jüngling Ganymede, womit sie rein äußerlich einen Geschlechterwechsel begeht. Die Transformation wird hauptsächlich durch das Tragen einer „männlich“ konnotativen Kleidung erreicht.

Folglich „entlarvt“ Rosalind das Geschlecht (gender) als eine Konstruktion, die variabel und insofern alles andere als konstant ist. Die Figur inszeniert ihren Körper bewusst „männlich“, um als „Mann“ wahrgenommen zu werden. Diese Tautologie[7] wird mit Hilfe der Körper-Inszenierung zelebriert, die mittels der Veränderung der stereotypen Merkmale der Geschlechterzuschreibung, die Leser/innen und Zuschauer/innen irritiert und gegebenenfalls auch „täuschen“ kann.[8]

Allerdings dürfte letzteres den Leser/innen oder Betrachter/innen nicht passieren, da sie im Gegensatz zu Figuren wie Orlando de Boys, in den sich Rosalind verliebt und Phebe, eine Schäferin, die sich in Ganymede verliebt, wissen, dass Ganymede die verkleidete Rosalind ist.

Ähnlich ist es um Orlando, der Figur aus dem gleichnamigen Roman Orlando. A Biography von Virginia Woolf, bestellt. Orlando, der am Anfang der fiktiven Biographie ein Mann ist und sich dann in eine Frau verwandelt.

Anders als Rosalind verändert sich bei Orlando die Anatomie gleich mit und vollzieht sogleich eine Umgestaltung des sex. Auf diese Weise könnte angenommen werden, dass fortan Orlando gezwungen wäre, ihren Körper „anders“ zu inszenieren. Aber ganz im Gegenteil der „Geschlechtstausch“ bietet ihr die Möglichkeit, das Geschlecht zu changieren. Die Körper-Inszenierung wirkt umso realistischer für die Menschen in ihrer Umgebung, weil sie als „Mann“ gelebt hat und nun eine „Frau“ ist, und deshalb weiß, wie sich inszenieren muss, um als solche/r wahrgenommen zu werden.

Dadurch beweist Orlando – wie Rosalind –, dass gender keine unverrückbare Determinante ist, sondern eine Konstruktion, die vom Individuum geschaffen, aufrechterhalten und nach Belieben wieder zerstört werden kann. Demzufolge wird die praktizierte Körper-Inszenierung beider Figuren zu einer beabsichtigten Geschlecht(s)-Inszenierung.

2.1 Verkleidungen als „äußerlicher“ Wechsel des Geschlechts

In As You Like It und Orlando wird die Geschlecht(s)-Inszenierung vermittels äußerer Attribute markiert. Bei diesen Beifügungen avanciert vor allem die Kleidung zum wesentlichen Unterscheidungskriterium für den „Wechsel des Geschlechts“.

Die Kleidung wird zu einer Verkleidung, die das anatomische Geschlecht verhüllt. Diese Maskerade erlaubt es den Figuren neue Identitäten anzunehmen.

Ein Beispiel par excellence stellt Rosalind dar, die von ihrem Onkel und Usurpator Duke Frederick aufgefordert wird, den Hof und das Schloss in der Zeit von zehn Tagen zu verlassen, oder Gefahr läuft, getötet zu werden.[9] Aus diesem Grund flieht sie in den Forest of Arden und „verwandelt“ sich dort zu Ganymede.[10]

Zwecks dessen verändert sie ihren Namen und ihre Bekleidung. Trugen sie und ihre Cousine Celia im Schloss noch Kleider mit “petticoats” (Act 1, Scene 3, line 15), so beschließt Rosalind als „Mann“:

“A gallant curtle-axe upon my thigh,

A boar-spear in my hand […]”[11]

zu tragen. Obwohl sie diese Entscheidung auf ihre Körpergröße[12] zurückführt, hätte Rosalind auch “poor and mean attire” (Act 1, Scene 3, line 109) – wie ihre Cousine – anziehen können.

[...]


[1] Ich beziehe mich in der Arbeit auf diese Art Gesellschaft, weil sie zum einen in der heutigen Zeit noch fest verankert ist und weil die Geschlechterpolarisation auch die Gesellschaften in As You Like It und Orlando am Besten beschreiben.

[2] Da „Frauen“ und „Männer“ in den Gender Studies als sozial geschaffene Konstrukte angesehen werden, werde ich diese und ähnliche Begriffe, die ich in einem polemischen Sinne verwende, in der Hausarbeit stets in Anführungszeichen setzen.

[3] Zum Beispiel die Impotenz des Mannes oder die Gebärunfähigkeit der Frau gelten auch heute noch als Abnormität, über die aber nicht öffentlich gesprochen wird; wodurch sie einer Tabuisierung gleichkommt. Weitere „Exempel“, die sich insbesondere auf die „Sexualität“ beziehen, finden sich bei: Kraß, Andreas (Hrsg.), Queer denken. Gegen die Ordnung der Sexualität (Queer Studies), Frankfurt am Main 2003, S. 43f.

[4] Becker-Schmidt, Regina/ Knapp, Gudrun-Axeli (Hrsg.), Das Geschlechterverhältnis als Gegenstand der Sozialwissenschaften, Frankfurt am Main 1995, S.17.

[5] “Sex is for us the bottom line, the ultimate truth of gender.” (Orgel, Stephen, Impersonations. The performance of gender in Shakespeare’s England, Cambridge 1996, S.19.)

[6] Andreas (Hrsg.), Queer denken. Gegen die Ordnung der Sexualität (Queer Studies), Frankfurt am Main 2003, S. 75.

[7] Der Vorsatz sich „männlich“ zugeben und zu kleiden, um ein „Mann“ zu sein, hat einen tautologischen Charakter.

[8] „Es handelt sich darum, daß Geschlechtlichkeit in der Erscheinung, Geschlechtlichkeit als Phänomen, als etwas, das sich zeigt, von der Art ist, daß das Sich-Zeigen wortwörtlich zu nehmen ist. Das Sich hat dabei Bedeutung. Es handelt sich um ein aktives sich zeigen.“ (Fischer-Lichte, Erika/ Fleig, Anne, Körper-Inszenierungen und kultureller Wandel, Tübingen 2000, S.124.)

[9] Alle folgenden Bezüge und Zitate, die As You Like It betreffen, sind der Reclam-Ausgabe Shakespeare, William, As You Like It. Wie es euch gefällt, Geisen, Herbert/ Wessels, Dieter (Übersetzt und herausgegeben), Stuttgart 2006 entnommen.

Siehe ebenda, Act 1, Scene 3, line 40-43.

[10] Obgleich Rosalind den Entschluss zur „Verwandlung“ schon im Schloss (Act 1, Scene 3) trifft, kleidet sie sich erst im Forest of Arden als „Mann“ (Act 2, Scene 4).

Ebenfalls kann es wohl kaum als Zufall betrachtet werden, dass Rosalind sich nach dem Jüngling Ganymede benennt, der in der griechischen Mythologie ein Mundschenk und Liebhaber des Zeus war.

[11] Siehe ebenda, Act 1, Scene 3, line 115-116.

[12] “Because that I am more than common tall […].” (Siehe ebenda, Act 1, Scene 3, line 113.)

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Die Darstellung von Geschlechterkonstruktionen in William Shakespeares "As You Like It" und Virginia Woolfs "Orlando"
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Peter Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft)
Veranstaltung
Proseminar: Shakespeare – Alle Dramen (I)
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
22
Katalognummer
V190127
ISBN (eBook)
9783656145639
ISBN (Buch)
9783656146230
Dateigröße
489 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Ihnen vorliegende Hausarbeit entstand zum Abschluss des ersten Teils des Proseminars „Shakespeare – Alle Dramen“ am Peter Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Freien Universität Berlin im Sommersemester 2007. Im Laufe des zweisemestrig angelegten Seminars behandelten wir sämtliche Dramentexte von William Shakespeare. Bitte berücksichtigen Sie beim Lesen, dass ich diese Hausarbeit während meines AVL-Grundstudiums schrieb, sodass sie sich in erster Linie – inhaltlich und sprachlich – an Studienanfänger/innen richtet.
Schlagworte
William Shakespeare „As You Like It“, Virginia Woolf „Orlando“, Geschlecht/ gender & sex, Körper-Inszenierung, Geschlechtswechsel, Komparatistik
Arbeit zitieren
Riccarda J. Schneider (Autor:in), 2007, Die Darstellung von Geschlechterkonstruktionen in William Shakespeares "As You Like It" und Virginia Woolfs "Orlando", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/190127

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