Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Die historische Entwicklung
III. Die Systematik der arbeitsrechtlichen Artikel
IV. Koalitions- und Vereinsfreiheit
V. Negative Koalitionsfreiheit
VI. Kampfmittelschutz durch Koalitionsfreiheit?
VII. Fazit
Literaturverzeichnis
I. Einleitung
Das deutsche Arbeitsrecht ist bis auf den heutigen Tag nicht einheitlich kodifiziert. Die Gründe hierfür sind mannigfacher Natur, nicht zuletzt spielte die wechselvolle deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert hierfür eine wesentliche Rolle.
Trotzdem ist die Forderung nach einem einheitlichen Arbeitsgesetzbuch keine Idee dieser Tage, sondern im Gegenteil reichen die Wurzeln dieser Programmatik bis zum Übergang vom kaiserlichen Deutschland zur ersten deutschen Republik zurück. In den Tagen, in denen „die Macht im Staate (…) buchstäblich auf der Straße lag“[1] wurden entscheidende Fortschritte in der Entwicklung des deutschen Arbeitsrechts erzielt, allem voran die verfassungsrechtliche Kodifizierung der Koalitionsfreiheit im Art. 159 WRV, dessen Bedeutung entsprechend sich diese Arbeit, nach einem Überblick über die historische Entwicklung des Arbeitsrechts bis zur Entstehung der Weimarer Reichsverfassung und deren wichtigsten arbeitsrechtlichen Regelungen, weitestgehend widmen wird.
Wie fortschrittlich die Verfassungsväter der Weimarer Nationalversammlung die Frage der Koalitionsfreiheit gelöst haben, ist leicht daran erkennbar, dass der Art. 159 WRV mit wenigen Änderungen bis heute als Art. 9 III GG überdauert hat.
II. Die historische Entwicklung
Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges erfolgte die Ausgestaltung des Arbeitsrechts auf zwei Ebenen: Zum einen im Wege der Gesetzgebung und zum anderen durch die gewerkschaftliche Selbsthilfe der Arbeiter.
Die gesetzgeberische Ausbildung des Arbeitsrechts fand zunächst durch die preußischen Gesetze von 1839, 1849 und 1853 auf dem Gebiet des Jugendschutzes und der Barzahlungspflicht für Fabrikarbeiter (Truckverbot) statt und setzte sich später mit der Bismarckschen Sozialgesetzgebung fort. Bedingt durch den Bergarbeiterstreik von 1889 und der Demission Bismarcks verlagerte die Gesetzgebung den Schwerpunkt von der Ausgestaltung der Arbeiterversicherung auf das Gebiet des Arbeitsschutzes zurück. Diese Verlagerung verdeutlicht sich in den Novellen der Gewerbeordnung von 1891 und 1900 und dem Kinderschutzgesetz von 1903.
Während die gesetzgeberische Entwicklung des Arbeitsrechts sich weitestgehend linear darstellte[2], erlangte die in Gewerkschaften organisierte Selbsthilfe erst mit dem Auslaufen des Sozialistengesetzes 1890 und durch den ersten freien Gewerkschaftskongress 1899, auf welchem der Abschluss von Tarifverträgen als gewerkschaftliches Ziel formuliert wurde[3], arbeitsrechtliche Bedeutung. Die gewerkschaftliche Selbsthilfe nahm nach diesen Wendepunkten einen „ungeahnten Aufschwung“[4], so dass bereits 1913 die amtliche Statistik 12.369 Tarifverträge, die für über 1,8 Mio. Arbeiter in 193.760 Betrieben galten, aufführte[5].
Unmittelbar nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurden die bisher erreichten arbeitsschutzrechtlichen Fortschritte mit Gesetz vom 4. August 1914 aufgehoben, damit alle verfügbaren Arbeitskräfte militärischen Zwecken zugeordnet werden konnten[6]. Erst im Dezember 1916, auch unter dem Eindruck der Massendemonstrationen für Brot und Frieden, erlebte das Arbeitsrecht im kaiserlichen Deutschland seine Wiedergeburt. Mit dem Hilfsdienstegesetz vom 5. Dezember 1916, das eine umfassende Arbeitspflicht im Interesse der Kriegswirtschaft festsetzte, wurden obligatorische Arbeiter- und Angestelltenausschüsse, vergleichbar mit den heutigen Betriebsräten, ab einer Betriebsgröße von 50 Arbeitern oder Angestellten geschaffen. Entscheidender für die Entwicklung des kollektiven Arbeitsrechts war jedoch nicht dieser Akt für eine stärkere Mitbestimmung, sondern die staatliche Anerkennung der Gewerkschaften als Vertreter der Arbeitnehmer. Diese Neuorientierung des Verhältnisses des Staates zu den Gewerkschaften – von der Duldung zur Anerkennung – spiegelt sich ebenfalls in der Aufhebung des § 153 GewO, der die Aufforderung an Koalitionen oder Streiks teilzunehmen unter Strafe stellte, wenn sie mit einer Drohung oder Beleidigung („Streikbrecher“) verbunden war[7], im Mai 1918 wider.
Unmittelbar nach dem Zusammenbruch der deutschen Westfront und dem Regierungswechsel zugunsten der SPD setzte eine Flut an arbeitsrechtlichen Verordnungen ein, deren wichtigsten am 13. und 23. November 1918 die Gesindeordnung und die Ausnahmebestimmungen für Landarbeiter aufhob und den Achtstundentag und die Erwerbslosenfürsorge schuf[8]. Hervorzuheben in diesem Zusammenhang ist das „Abkommen über die Zentralarbeitsgemeinschaft“ (ZAG) vom 15. November 1918, in dem die Gewerkschaften als „berufene Vertreter der Arbeiterschaft“[9] von den großen Wirtschaftsverbänden anerkannt wurden.
Nachdem die wichtigsten und grundlegendsten Vorstellungen der SPD im Verordnungswege umgesetzt waren, trat die eigentliche Gesetzgebung, vor allem die Schaffung der neuen Reichsverfassung, wieder in den Vordergrund[10]. Auf der Basis eines Entwurfes des Staatsrechtlers Hugo Preuss entwickelte die Nationalversammlung in Weimar die Reichsverfassung, die am 31. Juli 1919 verabschiedet wurde und am 14. August 1919 in Kraft trat.
III. Die Systematik der arbeitsrechtlichen Artikel
Die Weimarer Reichsverfassung enthält eine Vielzahl von Artikeln mit arbeitsrechtlichen Bezügen. Die wichtigsten dieser Artikel lassen sich in vier Gruppen zusammenfassen:
1. Zuständigkeit:
- Art. 7 Nr. 9 WRV: Das Arbeitsrecht unterliegt der konkurrierenden Gesetzgebung
- Art. 165 VI WRV: Regelungen bezüglich der Aufgaben und des Aufbaus der Arbeiter- und Wirtschaftsräte sind ausschließliche Reichsgesetzgebung.
2. Gesetzgebung:
- Art. 165 IV WRV: Einführung eines Reichswirtschaftsrates, der paritätisch durch Reichsarbeiterräte und Unternehmer besetzt werden sollte, als gesetzgebender Faktor mit Recht der Gesetzesinitiative und der Begutachtung grundlegender sozial- und wirtschaftspolitischer Gesetzesentwürfe der Regierung.
3. Inhaltliche Regelungen:
- Art. 151 WRV: Die Ordnung des Wirtschaftslebens muss den Grundsätzen der Gerechtigkeit entsprechen und ein menschenwürdiges Dasein ermöglichen.
- Art. 157 I WRV: Die Arbeitskraft steht unter dem besonderen Schutz des Reichs.
- Art. 157 II WRV: Schaffung eines einheitlichen Arbeitsrecht.
- Art. 164 WRV: Förderung des Mittelstands und Schutz vor Überlastung und „Aufsaugung“
[...]
[1] Wahsner, S. 22
[2] Hueck-Nipperdey-I, S. 11
[3] Hueck-Nipperdey-II, S. 32f. Fußnote 2
[4] Kaskel, S. 7
[5] zitiert nach: Hueck-Nipperdey-I, S. 12
[6] vgl. Kaskel, S. 8
[7] a.a.O., S. 8
[8] Hueck-Nipperdey-I, S.19
[9] Ziffer 1 ZAG
[10] Hueck-Nipperdey-I, S. 20