Nachhaltigkeitsmanagement - Zwischen Kennzahlen und Organisationskultur


Masterarbeit, 2010

81 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Zielsetzung und Methodik

2 Von der Idee zum Business Case der Nachhaltigkeit
2.1 Begriffliche Einordnung
2.2 Nachhaltigkeitsmanagement als integrativer Ansatz
2.3 Beispiele für den Business Case
2.4 Dynamik der Nachhaltigkeitsthemen
2.5 Zwischenfazit

3 Von den Stakeholdern zur Nachhaltigkeitsstrategie
3.1 Entstehung des Stakeholder-Ansatzes
3.2 Identifikation und Klassifizierung
3.3 Strategische Implikationen
3.4 Kulturelle Rahmenfaktoren
3.5 Zwischenfazit

4 Von der Nachhaltigkeitsstrategie zu den Kennzahlen
4.1 Messbarkeit und Steuerbarkeit als praktische Voraussetzung
4.2 Die klassische Balanced Scorecard
4.3 Die Sustainability Balanced Scorecard
4.4 Die Ebene der Kennzahlen
4.5 Zwischenfazit

5 Von der Theorie zur empirischen Fundierung
5.1 Grundzüge qualitativer Forschung
5.2 Datenbasis und Auswahlstrategie
5.3 Datenerhebung und Leitfadenentwicklung
5.4 Datenauswertung
5.5 Diskussion der Ergebnisse

6 Fazit
6.1 Ergebniszusammenfassung
6.2 Forschungsbeitrag und Ausblick

Literaturverzeichnis

Anhang

Eidesstattliche Erklärung

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Zielgrafik

Abb. 2: Gründe für die Nichteinführung eines Nachhaltigkeitsmanagements

Abb. 3: Systematische begriffliche Einordnung

Abb. 4: Integration der Nachhaltigkeitsherausforderungen

Abb. 5: Entwicklung der Nachhaltigkeitsberichterstattung

Abb. 6: Nachhaltigkeitsmanagement aus zwei Perspektiven

Abb. 7: Dynamischer Verlauf des Business Case

Abb. 8: Ablauf der Stakeholder- und Themenidentifikation

Abb. 9: Materialitätsmatrix eines Energieunternehmens

Abb. 10: Relevanz von Stakeholder-Attributen

Abb. 11: Stakeholder-Interaktionsstrategien

Abb. 12: Kognitives Wirkungsschema

Abb. 13: Perspektiven einer Balanced Scorecard

Abb. 14: Um Nicht-Markt-Perspektive erweiterte Balanced Scorecard

Abb. 15: Entwicklungsstufen einer Sustainability Balanced Scorecard

Abb. 16: Entwicklung nachhaltiger Geldanlagen

Abb. 17: Ablauf der zusammenfassenden Inhaltsanalyse

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabellenverzeichnis

Tab. 1: Interviewergebnisse der Energieunternehmen

Tab. 2: Perspektive und Interaktionsansätze institutioneller Investoren

Tab. 3: Erwartungshaltung der Investoren gegenüber den Unternehmen

1 Einleitung

1.1 Problemstellung

Ein Schiff segelt von Grönland durch den Nordatlantik zurück nach Europa. Am fernen Horizont erscheint plötzlich schemenhaft die Spitze eines Eisbergs; vielleicht noch zu weit entfernt, um als Bedrohung richtig wahrgenommen zu werden. Offenbar scheint noch genug Zeit, Maßnahmen gegen einen möglichen Zusammenstoß mit den sichtbaren und nicht sichtbaren Untiefen des Eisgebirges zu ergreifen. Doch während das Segelschiff sich dem Eisberg nähert, türmen sich die Eismassen immer massiver auf und die Zeit für adäquate Gegenmaßnahmen schmilzt dahin. Mannschaft und Passagiere geraten immer mehr in Besorgnis und es muss dringend gehandelt werden, um ein Unglück zu vermeiden.

Das Segelboot symbolisiert unsere Welt und der Zusammenstoß mit dem Eisberg ihre Vergänglichkeit. Zur Vergänglichkeit gibt es nur eine Alternative: Nachhaltigkeit. So gesehen sind Nachhaltigkeit und Vergänglichkeit zwei Ergebniszustände ohne gemeinsame Schnittmenge: entweder das Boot umschifft den Eisberg sicher oder es zerschellt. Das involviert jedoch eine zeitliche Dimension (vgl. Bossel, 1999, S. 1): beide Effekte sind Resultat vorgelagerter Aktivitäten. Eine planvolle Problemzuwendung heute, eine kleine Kursanpassung morgen beeinflussen, ob der Überfahrt des Schiffes in sichere Gewässer gelingt. Konsequenterweise setzt Nachhaltigkeit in einer sich fortwährend entwickelnden Welt über die Zeit gesehen nachhaltige Entwicklung voraus. Diese ist dann ein kontinuierlicher Prozess (vgl. Voss, 1997, S. 25), der sich auf das Ziel der Nachhaltigkeit ausrichtet (vgl. Omann 2004, S. 35; Dubielzig, 2009, S. 12). Subsumieren sich die Elemente dieses Prozesses nicht zu einer nachhaltigen Entwicklung, resultiert Vergänglichkeit.

Für die Erde geht diese Gefahr von zahlreichen globalen Mega-Trends wie Klimawandel und Bevölkerungsexplosion aus. Die Folgen daraus spiegeln sich nicht nur in den Medien wider, sondern werden zunehmend in der Realität spürbar. Bereits seit Beginn der Industrialisierung fand eine Erwärmung der Erdoberfläche um 0,3 bis 0,6 % und damit verbunden ein Anstieg des Meeresspiegels um 10 bis 25 Zentimeter statt. Sollte sich die bisherige Entwicklung des Emissionsausstoßes fortsetzen, erwarten Experten einen möglichen Anstieg von bis zu 88 Zentimeter bis zum Jahr 2100. Erste Vorläufer dieser Auswirkungen machen sich bereits heute in der Überflutung küstennaher Gebiete, der Verschiebung von Vegetationszonen, extremen Wetterphänomenen und der daraus resultierenden Nahrungsmittel- und Trinkwasserknappheit bemerkbar (vgl. Krisp, 2007, S. 86). Klar ist: Setzt sich die Entwicklung in dieser Form fort, wird es nicht bei marginalen Veränderungen bleiben. Angesichts dieser immer deutlicher werdenden Bedrohung der natürlichen Lebensgrundlagen gewinnt die Frage nach Ansatzpunkten für eine nachhaltige Entwicklung an Bedeutung. Wenngleich jegliches menschliches Handeln einen gewissen Einfluss auf die Umwelt ausübt, gilt dies insbesondere für unternehmerische Aktivitäten. Gelingt es daher nicht, Unternehmen zu nachhaltigerem Wirtschaften, zu bewegen, lässt sich womöglich das Ziel der Nachhaltigkeit als Ganzes nicht erreichen.

Unternehmen indes werden in der Regel nicht nachhaltigkeits- sondern gewinnorientiert gegründet. Aus dieser Perspektive reicht es nicht aus, zu argumentieren, dass langfristig alle davon profitieren würden, wenn sich Unternehmen nachhaltig verhielten, sondern es muss klar werden, welcher Anreiz für das einzelne Unternehmen besteht, in Nachhaltigkeit zu investieren. Eine wichtige Rolle als vermittelndes Element spielen dabei Stakeholder (SH)[1]. Oftmals bilden Medien, Regierungsorganisationen und nicht staatliche Organisation, sog. Non-Governmental Organizations (NGOs), eine Art Wertelobby, die auch Anliegen weniger einflussreicher oder stummer SH wie der Umwelt repräsentieren und vertreten (vgl. Solomon, 1994, S. 305). Das führt dazu, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt auch andere wichtige SH wie Kunden, Mitarbeiter oder Kapitalgeber für die jeweiligen Nachhaltigkeitsbelange sensibilisiert werden. Für Unternehmen resultieren daraus Risiken und Chancen, oder anders ausgedrückt Push- und Pull-Faktoren. Letztere entstehen dann, wenn öffentliche Aufmerksamkeit dazu führt, dass nachhaltige Unternehmensführung in geschäftsrelevanter Weise honoriert wird. Push-Faktoren hingegen sind neue staatliche Auflagen, Anordnungen, Gesetze und Haftungsrisiken, die durch öffentlichen und politischen Druck entstehen. Beide Faktoren führen dazu, dass das Thema Nachhaltigkeit früher oder später für Unternehmen relevant wird. Unternehmen, die sich diesen Herausforderungen rechtzeitig bewusst sind, können die relevanten Themen bereits frühzeitig aufgreifen und in ihre strategischen Überlegungen einbeziehen, andernfalls kommen nur noch Ad-Hoc-Maßnahmen auf Minimalniveau infrage. Hier sind Unternehmen aufgerufen, vorausschauend zu agieren und sich professionell mit dem Thema Nachhaltigkeit zu befassen. Dazu gehört, ökologische und soziale Perspektiven rechtzeitig und angemessen in Form einer nachhaltigen Unternehmensführung zu berücksichtigen. Damit tragen sie erstens zu einer nachhaltigen Entwicklung des Unternehmens selbst und zweitens zum Erhalt der Tragfähigkeit natürlicher und sozialer Systeme bei.

Auf strategischer Ebene impliziert dies die Überführung von Nachhaltigkeitszielen in das bestehende Strategiesystem. Wie für jede Strategie gilt es, Erfolgsparameter zur Steuerung und Messung abzuleiten. Erst wenn klar bestimmt werden kann, wie das Unternehmen im Detail in Punkto Nachhaltigkeit aufgestellt ist, kann es Verbesserungspotential identifizieren und nutzen. Zwar besteht im Vergleich zu den gut ausgereiften finanziellen Kennzahlensystemen im extrafinanziellen[2] Bereich noch großer Entwicklungsbedarf, doch unterbleibt ein Herunterbrechen der Parameter auf eine überprüfbare Ebene, erweist sich oft die ganze Strategie lediglich als gut gemeinter Vorsatz. Umgekehrt können wohldefinierte Kennzahlen aus bereits vorhandenen Umweltmanagementsystemen dazu verleiten, ein solches System kurzerhand bottom-up als Nachhaltigkeitsmanagement[3] zu deklarieren. Das mag zwar kurzfristig einen positiven Schein aufrechterhalten, birgt aber langfristig das Risiko, dass weder die relevanten Handlungsfelder abgedeckt, noch die eigenen Mitarbeiter überzeugt werden. Müssen diese ein Nachhaltigkeitsimage nach außen vertreten, das in der Organisation nicht gelebt wird, kann die Organisation insgesamt als nicht-authentisch wahrgenommen werden. Professionelles Nachhaltigkeitsmanagement setzt deshalb, neben der Entwicklung geeigneter Kennzahlen und der strategischen Verankerung aller drei Nachhaltigkeitsperspektiven, auch die Berücksichtigung der Organisationskultur als Rahmenfaktor voraus. Diesem Problem widmet sich die vorliegende Arbeit.

1.2 Zielsetzung und Methodik

Unternehmen, die die Notwendigkeit der strategischen Verankerung der Nachhaltigkeitsperspektiven erkannt haben, sehen sich mit der Schwierigkeit der Umsetzung konfrontiert. Ziel dieser Masterarbeit ist deshalb die Klärung der Frage, wie sich die Nachhaltigkeitsperspektiven konzeptionell und instrumentell in das strategische Management eines Unternehmens integrieren lassen.

Die nachfolgenden Überlegungen stellen den Versuch dar, Kernelemente für ein strategisches Nachhaltigkeitsmanagement theoretisch und empirisch zu fundieren, welches sich an der zentralen Herausforderung orientiert, wie Unternehmen die erfolgreiche Einführung auf strategischer Ebene – zwischen Kennzahlen und Organisationskultur – meistern können (vgl. Abb. 1). Diese Herausforderung drückt sich in folgender Leitfrage aus: Wie gelingt die Implementierung eines Nachhaltigkeitsmanagements, sowohl auf strategischer als auch auf operativer Ebene? Übertragen auf die beiden Ebenen lassen sich zwei untergeordnete Fragestellungen ableiten.

Wenn nachhaltige Unternehmensführung die gleichwertige Berücksichtigung sozialer und ökologischer Anliegen bedeutet, liegt es nahe, SH als hauptsächliche Vertreter dieser Anliegen bereits in den Entwicklungsprozess der Nachhaltigkeitsstrategie einzubinden. Deshalb lautet die Frage für den strategischen Teil: Welche Rolle spielen SH bei der Entwicklung einer Nachhaltigkeitsstrategie? Wurde eine Nachhaltigkeitsstrategie mit entsprechenden Zielsetzungen unter Einbezug der SH festgelegt, geht es auf operativer Ebene um die Frage: Wie mache ich diese mess- und steuerbar?

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthaltenAbb. 1: Zielgrafik

Quelle: eigene Darstellung.

Letztere umfasst die Aufgabe, für die strategischen Perspektiven Top-Kennzahlen zu entwickeln und diese dann mit entsprechenden Nachhaltigkeitsindikatoren, sog. Sustainable Development Key Performance Indicators (SD-KPIs) auf untergeordneter Ebene zu verknüpfen. Im Idealfall ergibt sich eine enge Verbindung zwischen den strategischen Nachhaltigkeitszielen und den operativen Leistungstreibern, die für die Ergebnisse verantwortlich sind.

Die Methodik orientiert sich an der Systematik: Business Case, theoretische Grundlagen, empirische Fundierung, Diskussion.

Zunächst wird deshalb begründet, warum Nachhaltigkeitsmanagement von strategischer Relevanz für das Kerngeschäft eines größeren Unternehmens ist. Da die meisten Unternehmen gewinnorientiert geführt und in ihrer Existenz – abgesehen von staatlichen Subventionen – auch von Gewinnen abhängig sind, stellt die Schaffung des sog. Business Case der Nachhaltigkeit die Vorstufe der Implementierung dar. Empirisch bestätigt wird dies durch eine Studie, die das Nichterkennen des Business Case als Hauptgrund für die Nichteinführung eines Nachhaltigkeitsmanagements identifiziert hat (vgl. Abb. 2).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Gründe für die Nichteinführung eines Nachhaltigkeitsmanagements

Quelle: PwC, 2002, S. 8 (grafisch angepasst).

Zentrales Anliegen dieses zweiten Kapitels muss es also sein darzulegen, wie Nachhaltigkeitsmanagement kosteneffizient, rentabilitäts- und unternehmenswertsteigernd realisiert werden kann.

Im dritten Kapitel wird anschließend der SH-Ansatz als Grundlage für die Strategie- und Zielentwicklung vorgeschlagen. Berücksichtigt ein Unternehmen die Interessen seiner SH – inklusive der Umwelt als stummem SH – sichert es die Lebensgrundlage zukünftiger Generationen und erfüllt damit im Wesentlichen die Definition von nachhaltiger Entwicklung des Brundtland-Berichts von 1987 (vgl. WCED, 1992). Auf der anderen Seite existiert durch die gesellschaftliche Einbettung auch ein umgekehrtes Abhängigkeitsverhältnis: Unternehmen sind in vielerlei Hinsicht auf die Akzeptanz und die Unterstützung durch SH angewiesen (bspw. Rechtssicherheit, Mitarbeitermotivation, gesellschaftliche Legitimation) (vgl. Grewe, 2008, S. 30ff). Der SH-Ansatz bietet aus strategischer Perspektive ein Instrumentarium zur Analyse dieser wechselseitigen Beziehungen.

Das vierte Kapitel adressiert Fragen der Kennzahlenentwicklung: Wie können Unternehmen die ökologische und soziale Perspektive in das konventionelle Steuerungssystem integrieren? Welches derzeit in der Theorie und Unternehmenspraxis relevante Konzept kann die Umsetzung begleiten? Nachdem mit dem SH-Ansatz ein Modell gewählt wurde, der aus ganzheitlicher Sicht eine Integration verschiedener Interessen in die Langfrist-Strategie des Unternehmens anstrebt, wird mit der Balanced Scorecard (BSC) ein Konzept gewählt, das ebenfalls verschiedene – extrafinanzielle – Perspektiven in der Steuerung berücksichtigt. Intention der BSC ist einerseits die Berücksichtigung nicht nur der vergangenheitsbezogenen Finanzperspektive, sondern auch von drei Zukunftsperspektiven. Durch die holistische Herangehensweise und den Bezug zur Unternehmensstrategie scheinen beide Ansätze zur Kombination geeignet.

Im empirischen Teil werden anschließend die Erwartungshaltungen zweier SH-Gruppen an Kennzahlensysteme und an das Nachhaltigkeitsmanagement untersucht. Neben der klassischen Auswertung der Fachliteratur werden Experteninterviews als weitere Untersuchungsgrundlage herangezogen. Ausgewählt wurden dazu Nachhaltigkeitsexperten großer Energiekonzerne und institutionelle Anleger aus dem Bereich der Nachhaltigkeitsinvestments.

In der abschließenden Diskussion wird untersucht, an welchen Stellen Interviews zu ähnlichen oder unterschiedlichen Ergebnissen geführt haben, wie diese Ergebnisse im Hinblick auf die Entwicklung eines Nachhaltigkeitsmanagements zu interpretieren sind, und, wo sich weitere interessante Forschungsbereiche ergeben könnten.

2 Von der Idee zum Business Case der Nachhaltigkeit

2.1 Begriffliche Einordnung

Nachhaltige Unternehmensführung wird in der aktuellen Literatur unter zahlreichen Begriffen, wie z. B. „Corporate Social Responsibility“ (CSR) oder „Corporate Citizenship“ (CC), diskutiert. Wie so oft liegt leider kein einheitliches Begriffsverständnis vor. So wird CC im angelsächsischen Raum häufig als Oberbegriff gebraucht; im kontinentalen Europa findet CC hingegen eher als Label für wohltätige Maßnahmen (Corporate Spending) Verwendung. Den Ausgangspunkt für diese Untersuchung bildet deshalb eine systematische und begriffliche Abgrenzung des Untersuchungsgegenstands. Dazu soll unter Bezugnahme auf einen Übersichtsplan ein einheitliches Begriffsverständnis entwickelt und der Untersuchungsgegenstand abgegrenzt werden (vgl. Abb. 3). Zur Gewährleistung der Übersichtlichkeit wird dabei bewusst auf eine Erläuterung der einzelnen Konzepte im Detail verzichtet.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3: Systematische begriffliche Einordnung

Quelle: eigene Darstellung.

In der vorliegenden Arbeit wird der Begriff der nachhaltigen Unternehmensführung als Oberbegriff eingeführt; darunter fallen CC, Nachhaltigkeitsmanagement und Corporate Governance (CG).

CG bezeichnet einen Bereich innerhalb der Unternehmensführung, der aus Gesamtunternehmenssicht das geschlossene und verantwortliche Auftreten eines Unternehmens behandelt (Integrität)[4]. Dabei wird in der Regel ein konsistentes Steuerungssystem angestrebt, das einen fairen Interessenausgleich verschiedener SH gewährleisten soll. Durch die Förderung von nachhaltigem und verantwortlichem Handeln trägt die CG zudem zum ökonomischen Gesamtziel des Unternehmens bei: Unstimmigkeiten zwischen ethischen Werten und Organisationskultur können systematisch beseitigt werden; Gesetzes- und Regelverletzungen können vermieden werden (Compliance). Somit lässt sich ein wertbasiertes und tief fundiertes Unternehmensbild intern und extern aufbauen. Insgesamt konzentriert sich CG damit eher auf legale und quasi-legale Anforderungen, wohingegen sich Nachhaltigkeitsmanagement mit Fragen der Legitimität beschäftigt.

Auf der anderen Seite bildet CC den Rahmen für Nachhaltigkeitsmanagement. Bereits die Wortbedeutung von CC lässt einen Bezug zu Bürgerpflichten und gesellschaftlichem Engagement erkennen. So fallen darunter vorwiegend philanthropische Strategien, die primär das Ziel einer allgemeinen Wohlfahrtssteigerung, ohne Berücksichtigung von Rückvergütungsaspekten verfolgen (Corporate Spending). In der Praxis firmieren sie oft unter folgenden Bezeichnungen: Corporate Volunteering (ehrenamtliche Tätigkeit der Mitarbeiter), Corporate Foundation (Gründung von Stiftungen), Corporate Giving (Spenden und Sponsoring) und Cause Related Marketing (ein Teil der Umsatzerlöse fließt bspw. der Aufforstung von Regenwäldern zu) (vgl. Münstermann, 2007, S. 13).

Flankiert durch CG und CC konzentriert sich Nachhaltigkeitsmanagement mit seinen Strategien und Maßnahmen auf das Kerngeschäft (Corporate Earning). Im Gegensatz zu den philanthropisch ausgerichteten Strategien des CC fokussiert ein Unternehmen mit einer nachhaltigkeitsorientierten Strategie aktiv Zukunftsthemen, die mit seinem Kerngeschäft in Verbindung stehen. Dadurch kann es sein spezifisches Wissen und seine Kompetenzen gezielt dazu verwenden in diesen zusätzlichen Feldern neue Märkte für sich zu erschließen, Kosten einzusparen oder Risiken zu vermindern. Durch den Bezug zum Kerngeschäft empfiehlt sich eine enge Anbindung an die CG. Akute SH-Anliegen – wie bspw. Nachhaltigkeit in der Lieferkette – können dann im Nachhaltigkeitsmanagement aufgegriffen werden. Dadurch, dass im Nachhaltigkeitsmanagement schon bestimmte soziale und ökologische Bereiche als relevant identifiziert wurden, profitiert auch das CC. Denn Corporate Spending nach dem Gießkannenprinzip wirkt nicht nur ineffektiv, sondern kann darüber hinaus von der Öffentlichkeit als Marketinggag (Green-Washing) missverstanden werden (vgl. zur strategischen Bedeutung von CC bzw. Philanthropie auch Porter/Kramer, 2002, S. 58ff.).

2.2 Nachhaltigkeitsmanagement als integrativer Ansatz

Ausgangslage für das Unternehmen beim Ausbalancieren der drei Zielkomponenten ist, dass zukünftige SH-Interessen – seien es nun Gewinnausschüttung, soziales und kulturelles Engagement in der Kommune, oder Maßnahmen zur Mitarbeiterförderung – nur stattfinden können, wenn das Unternehmen auf einem ökonomisch tragfähigen Konzept basiert. Anders als der Staat oder NGOs, wie z. B. das rote Kreuz oder Naturschutzverbände, werden Unternehmen wie erwähnt regelmäßig gewinnorientiert gegründet und betrieben. Ökonomische Effektivität in Form eines möglichst positiven Betriebsergebnisses stellt also eine Grundvoraussetzung jeglicher unternehmerischer Tätigkeit dar.

Zu den anderen beiden Effektivitätsdimensionen lassen sich zwei Fragen stellen. Erstens, zur ökologischen Herausforderung: Wie kann ein Unternehmen seinen absoluten Beitrag zu ökologischem Schaden wirksam mindern (Öko-Effektivität)? Zweitens, zur sozialen Herausforderung: Wie lassen sich negative soziale Effekte, die von einem Unternehmen ausgehen, wirksam reduzieren (Sozio-Effektivität)? Die Auseinandersetzung mit diesen Fragen erlaubt Unternehmen – bei wachsendem öffentlichen Interesse – überzeugend darzustellen, wie sie nicht nur durch ihre Produkte einen Beitrag zur Gesellschaft leisten, sondern insgesamt zu einem lebenswerteren Umfeld beitragen (vgl. Schalteger et al., 2007, 3ff.).

Die ökologische Herausforderung nimmt dabei Bezug auf die Umweltbelastungen durch ökonomische Aktivitäten. Die bereits erwähnten allgemeinen Systemgrenzen (vgl. Kapitel 1) gelten auch für Ökosysteme: Wird eine bestimmte Belastungsgrenze überschritten, kann es zu unwiderruflichen Folgen kommen. Bspw. können künstliche Eingriffe in die Natur zu einer Reduzierung der Artenvielfalt oder zum Abbau der Ozonschicht führen. Ziel ist es, dieser Art von Konsequenzen vorzubeugen und die Umwelt langfristig zu schützen. Konkret besteht die ökologische Herausforderung für ein Unternehmen darin, den absoluten Beitrag zu Umweltbelastungen zu mindern und damit die Öko-Effektivität zu erhöhen (vgl. Schaltegger, 2007, S. 11ff.).

Die soziale Herausforderung betrifft die sozialen Aktivitäten eines Unternehmens. Unternehmen – als gesellschaftlich eingebettete Institutionen – können positive und negative Effekte durch ihre Tätigkeit auf Individuen und Gesellschaft hervorrufen. Bspw. können Unternehmen mit Trainings, die Fähigkeiten und den Bildungsstand ihrer Mitarbeiter fördern sowie durch gemeinsame Aktivitäten Loyalität und Gruppengefühl fördern. Eine fehlende Berücksichtigung sozialer Aspekte kann hingegen Stress und Arbeitsunzufriedenheit hervorrufen. Ziel ist es, soziale Anforderungen angemessen zu berücksichtigen, um damit unerwünschte Negativeffekte zu reduzieren oder in positive umzukehren und insgesamt die Sozio-Effektivität zu steigern. Als sozial effektiv kann ein Unternehmen bezeichnet werden, das den absoluten Output negativer sozialer Effekte minimiert und den Output positiver sozialer Effekte maximiert (vgl. Schaltegger et al., 2007, S. 11ff.).

Öko- und Sozio-Effektivität verkörpern Ziele des Nachhaltigkeitsmanagements, die es für Unternehmen möglichst effizient zu erreichen gilt. Generell bedeutet der Begriff „Effizienz“ Wirtschaftlichkeit und bezieht sich auf das Verhältnis zwischen Mitteleinsatz und Zielerreichung (vgl. Stahlmann/Clausen, 2000, S. 132). Öko-Effizienz lässt sich demzufolge als das Verhältnis von Wertschöpfung zu ökologischer Schadschöpfung definieren. Bekannte Beispiele für diese Art der Effizienzmessung sind Wertschöpfung pro Energie- oder Emissionseinheit. Analog dazu definiert sich Sozio-Effizienz als Verhältnis zwischen Wertschöpfung und sozialem Schaden. Der soziale Schaden entspricht dabei der Summe aller negativen Wirkungen, die von einer Aktivität oder einem Produkt herrühren, bspw. Wertschöpfung zu Krankenstand (vgl. Schaltegger et al., 2007, S. 12; Wilkens, 2008, S. 9).

Den zuvor geäußerten Effektivitätsbestrebungen kann durch öko- und sozio-effizientes Verhalten entsprochen werden. Doch reicht die Berücksichtigung von Effizienzgesichtspunkten in einem vorbelasteten System allein nicht aus. Von einem Standpunkt der Umwelt aus betrachtet, scheint es weniger darauf anzukommen, wie effizient Unternehmen ihren Schadstoffausstoß gestalten, als welchen absoluten Schaden sie der Umwelt zufügen (vgl. Dyllick/Hockerts, 2002, S. 136). Deshalb müssen sich letztendlich alle vier Dimensionen im Zielsystem wiederfinden (vgl. Abb. 4).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 4: Integration der Nachhaltigkeitsherausforderungen

Quelle: Schaltegger et al., 2007, S. 14 (verändert).

Es sei darauf hingewiesen, dass die Zielverfolgung simultan erfolgen muss, da sonst unerwünschte Rebound-Effekte folgen können. Bspw. kann die ökologisch motivierte Maßnahme, Mitarbeitern nur noch Bahntickets zu erstatten, auf sozialer Ebene zu großer Unzufriedenheit führen, wenn Mitarbeiter, die viel transportieren müssen, keinen Fahrtkostenausgleich mehr erhalten. Solche und andere unerwünschten Effekte begünstigen sich, wenn ökonomische, ökologische und soziale Faktoren mittels Parallelsystemen gemanagt werden. Konflikte und Gemeinsamkeiten können nur dann wirksam erkannt und angegangen werden, wenn dafür eine methodische und organisatorische Basis geschaffen wird. Damit begründen sich zwei Anforderungen an ein integratives Nachhaltigkeitsmanagement. Erstens: Die inhaltliche Integrationsherausforderung betrifft die Zusammenfassung und simultane Erfüllung ökologischer, sozialer und ökonomischer Effektivität sowie Effizienz. Zweitens: Die instrumentelle Integrationsherausforderung bezieht sich auf die Gesamteinbettung des Umwelt- und Sozialmanagements in das klassische, ökonomisch ausgerichtete Management unter Beachtung der verschiedenen Perspektiven (vgl. Schaltegger et al., 2007, S. 16f.).

2.3 Beispiele für den Business Case

Gewinn ist nicht alles, aber ohne Gewinn ist alles nichts – so könnte die Ausgangslage eines Unternehmens in Bezug auf die drei Säulen der Nachhaltigkeit beschrieben werden. Unternehmen stehen bei der Herausforderung, alle drei Säulen simultan zu optimieren unter der Restriktion, dass die ökonomische Säule nicht negativ werden darf. Auch wenn mittlerweile viele Unternehmen sehr bemüht sind, sich dieser Herausforderung zu stellen, bleibt dahingestellt, welche Geschäftsrelevanz das Thema Nachhaltigkeit im konkreten Fall mit sich bringt. Einige Bereiche sollen im Folgenden exemplarisch dargestellt werden.

In der Vergangenheit wurde von Unternehmen hauptsächlich erwartet, brauchbare Waren und Dienstleistungen zu erzeugen. Dabei konnten sie sich in doppelter Hinsicht auf das geltende Recht verlassen. Zum einen konnten sie bei Konflikten darauf zurückgreifen, zum anderen erfüllten sie mit der Beachtung ihre gesellschaftliche Pflicht. Heute verlangen Gesellschaft, Politik und NGOs wesentlich mehr – insbesondere hinsichtlich des Umgangs mit kritischen Themen und Transparenz – für eine Legitimation. Diese Weiterentwicklung ist für Unternehmen deshalb interessant, weil sie in ihrem Erhalt und Weiterbestand von der gesellschaftlichen Akzeptanz abhängen (vgl. Suchanek/Lin-Hi, 2006, S. 3).

Eine wichtige Funktion bei der Bewahrung dieser Legitimation übernimmt die Nachhaltigkeitsberichterstattung. Laut einer Studie von KPMG veröffentlichen zwischenzeitlich fast 80% der 250 weltgrößten Unternehmen eigenständige Nachhaltigkeitsberichte (vgl. Abb. 5).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 5: Entwicklung der Nachhaltigkeitsberichterstattung

Quelle: KPMG, 2008, S. 14 (grafisch angepasst).

Darüber hinaus sind Unternehmen nach Inkrafttreten des Bilanzrechtsreformgesetzes verpflichtet, im prüfpflichtigen Lagebericht Auskunft zu extrafinanziellen Leistungs- und Risikoindikatoren zu geben. Hintergrund der Gesetzesänderung waren Überlegungen darüber, dass eine möglichst realistische Vermittlung des Geschäftsverlaufes und der Lage des Konzerns sowie der künftigen Entwicklungsmöglichkeiten nur dann möglich ist, wenn extrafinanzielle Faktoren einbezogen werden (vgl. Baetge/Hippel, 2009, S. 549). Dabei bietet eine fundierte Nachhaltigkeitsberichterstattung mit einem transparenten und inhaltlich fundierten Kennzahlensystem explizite Chancen für einen Zugewinn an Glaubwürdigkeit.

Ein weiteres Beispiel bieten die Effekte auf Mitarbeiter. "[T]he best people stay when they feel valued, are empowered, have career opportunities, and feel the company respects work/life balance issues. They also stay when they feel they are doing something worthwhile." (Willard, 2002, S.35). Ein Arbeitsvertrag macht nur einen kleinen Teil dessen aus, was Arbeitnehmer an ein Unternehmen bindet. Neben der vertraglich vereinbarten Entlohnung, die angemessen erfolgen sollte, berühren unternehmerische Entscheidungen nachhaltige Belange vor allem bei den Konditionen im weiteren Sinne, unter denen die Arbeit stattfindet. Aufzählen lassen sich bspw. Arbeitsplatzsicherheit, Vereinbarkeit von Beruf und Familie, gesunde Organisationskultur und gutes Betriebsklima (vgl. Krieger, 2009, S. 102). Da die angeschnittenen Themen und potentiellen Zusammenhänge schon seit längerem Gegenstand der Personalpsychologie und empirischen Sozialforschung sind, geht es für ein Nachhaltigkeitsmanagement, das auf einem ausgewogenen SH-Management beruhen soll, in erster Linie darum, die sozialen Belange der Mitarbeiter zu den Belangen anderer SH in Beziehung zu setzen und strategisch zu analysieren.

2.4 Dynamik der Nachhaltigkeitsthemen

Grundsätzlich zeigen die Beispiele, dass Win-Win-Situationen zwischen ökologischen, sozialen und ökomischen Faktoren nicht per se gegeben sind, sondern, dass ihre Aufdeckung und Realisierung in der täglichen Praxis eine originäre Managementaufgabe darstellt (vgl. Hansen/Schrader, 2005, S. 385) . Wie bei anderen Managementaufgaben auch, kann eine fehlerhafte und mangelhafte Realisierung hohe Kosten verursachen. Eine zweite Herausforderung besteht darin, bei einer grundsätzlich beschränkten Ressourcensituation das richtige Ausmaß an Nachhaltigkeitsmanagement zu bestimmen. Mit anderen Worten: Wie viel Nachhaltigkeitsmanagement macht Sinn? Auf diese Frage lassen sich zwei grundlegend verschiedene Antworten geben (vgl. Abb. 6).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 6: Nachhaltigkeitsmanagement aus zwei Perspektiven

Quelle: Schaltegger/Hasenmüller, 2005, S. 6. (verändert).

Einerseits existiert die Vorstellung, dass jede Form der Einschränkung von Produktionsfaktoren – ob durch staatliche Regulierung oder eigene Nachhaltigkeitsrichtlinien – die Kosten in die Höhe treibt (vgl. z. B. Friedman 1970, S. 249ff.). Kommen noch die Investitionen in Nachhaltigkeitsmaßnahmen hinzu – angeführt werden typischerweise End-of-pipe-Maßnahmen wie Lärmwälle, Deponien, Filter oder Kläranlagen –, sinken Wettbewerbsfähigkeit und ökonomischer Erfolg (Verlauf der gepunkteten Linie nach rechts). Im Gegensatz dazu steht die Auffassung, dass Maßnahmen im Nachhaltigkeitsmanagement die ökonomische Performance verbessern können (durchgezogene Linie). Da Maßnahmen den Erfolg nicht beliebig weit erhöhen können, wird das maximale Erfolgspotential in Punkt A erreicht. Ab diesem Punkt mindern Nachhaltigkeitsmaßnahmen den Unternehmenserfolg. Punkt B markiert den Punkt, ab dem die Kosten-Nutzen-Bilanz für das Nachhaltigkeitsmanagement insgesamt negativ wird (vgl. Schaltegger/Hasenmüller, 2005, S. 3ff). Verdeutlichen lässt sich das anhand der energetischen Gebäudesanierung einer Unternehmenszentrale. Die erstmalige Dämmung kann die Energiekosten erheblich senken (Punkt A). Weitere potentielle Maßnahmen wie z. B. Dreifachverglasung, wirken nur noch peripher und wiegen früher oder später sogar die vorausgegangenen Einsparungsgewinne auf (Punkt B und darunter). Die Reichweite des Nachhaltigkeitsmanagements in Hinblick auf Kostenreduktion beschränkt sich demnach auf einige tief hängende Früchte (vgl. Wally/Whitehead, 1994, S. 48) und die positiven geschäftsrelevanten Auswirkungen des Nachhaltigkeitsmanagements (z. B. Ressourceneinsparungen oder Reputationsgewinne) mögen auch limitiert sein (vgl. Lankoski, 2006, S. 34).

Zusammenfassend gesagt: Beim Business Case der Nachhaltigkeit kommt es nicht auf die Masse der Aktivitäten an (Rechtsbewegung), sondern darauf, gezielt die tief hängenden Früchte zu ernten (erreichen von Punkt A). Die Hauptaufgabe des Nachhaltigkeitsmanagements besteht nun darin, diejenigen ökologischen und sozialen Maßnahmen zu identifizieren, die langfristig den größten Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten und diese so zu steuern, dass die damit verbundenen Kosten möglichst gering bleiben (vgl. Schaltegger/Wagner, 2006, S. 7). Das bedeutet in einer sich dynamisch entwickelnden Umwelt nicht, dass sich Nachhaltigkeitsmanagement nur auf dasjenige beschränkt, was billig zu erreichen ist, sondern, dass es ökonomisch sinnvoll ist, dort anzufangen. Fortschritte ergeben sich automatisch, wenn Unternehmen gezwungen sind, auf Umweltveränderungen, Megatrends (bspw. Klimawandel und Bevölkerungsexplosion) oder Veränderungen in der öffentlichen Wahrnehmung von legitimem Geschäftsgebaren zu reagieren. Wie rasch Geschäftspraktiken ihre Akzeptanz verlieren können, lässt sich am Beispiel der Korruption nachvollziehen. Bis vor einigen Jahrzehnten war es üblich, dass Unternehmen Geschenke und Geldspenden einsetzten, um bei der Auftragsvergabe den Zuschlag zu erhalten. Die Ausgaben dafür konnten als Werbungskosten steuerlich geltend gemacht werden. Die nötige Expertise konnte man sich in Seminaren mit Titeln wie „Legal Schmieren“ besorgen. Würde ein Manager solches Seminar nach zahlreichen verhängnisvollen Korruptionsaffären heute noch öffentlich besuchen? Abgesehen davon, dass die rechtliche Situation mittlerweile eine andere ist, bleibt das Prinzip der Dynamik bestehen: Veränderte Rahmenbedingungen sorgen für eine Anpassung der gesellschaftlichen Erwartungshaltung, woraus neue Forderungen gegenüber den Unternehmen resultieren (vgl. Abb. 7).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 7: Dynamischer Verlauf des Business Case

Quelle: Macharzina, 2003, S. 964 (verändert).

Die Vorteile eines proaktiven Nachhaltigkeitsmanagements ergeben sich aus der Zeitspanne, die zwischen der Veränderung der gesellschaftlichen Erwartungshaltung und der Manifestierung dieser Ansprüche in gesetzlichen oder quasigesetzlichen Regelungen besteht. Wer hier zuvorkommend handelt, kann etwaigen zukünftigen Restriktionen gegensteuern und sich notwendigen Handlungsraum sichern (vgl. Münstermann, 2007, S. 35f).

2.5 Zwischenfazit

Zusammenfassend zeigt dieses Kapitel zahlreiche Beispiele für eine Verbindung zwischen Nachhaltigkeitsmanagement und ökonomischem Erfolg. Ausschlaggebend dafür ist eine gezielte Hinwendung zu Zukunftsthemen, die in Zusammenhang mit den Kernkompetenzen des Unternehmens stehen. Für Unternehmen kommt es dabei nicht auf die Masse der Nachhaltigkeitsaktivitäten an, sondern darauf, gezielt mit den wirtschaftlichsten Maßnahmen anzufangen. Die Vorteile einzelner Maßnahmen hängen jedoch stark vom Kontext des Unternehmens ab. Branche, Betriebsgröße, Organisationskultur oder auch die strategische Ausrichtung stecken den Raum ab, in dem sich unternehmerische Nachhaltigkeit ökonomisch-wirksam entfalten kann. Reputation spielt für Energiekonzerne, die sich im Zentrum öffentlichen Interesses befinden, eine andere Rolle, als für kleine No-Name-Hersteller. Subsumiert: Der Business Case kann für jedes Unternehmen individuell ausfallen (vgl. imug, 2006, S. 3f). Dazu kommt, dass der Business Case dynamisch ist. Megatrends verändern die Rahmenbedingungen für Unternehmen. Bereits heute ist in vielen Bereichen absehbar, dass sich hochgesteckte politische Zielvorstellungen (z. B. Klimaschutzvereinbarungen) nur Hand in Hand mit den Unternehmen realisieren lassen. Hier können Unternehmen reagieren, indem sie die dynamischen Tendenzen aufgreifen und ihren spezifischen Business Case ausfindig machen (vgl. imug, 2006, S. 4). Unabhängig davon, wie sich dieser im konkreten Einzelfall gestaltet, steht das Management den Herausforderungen gegenüber, Nachhaltigkeit inhaltlich und instrumentell in die Unternehmensführung zu integrieren. Zur Integration der relevanten Inhalte können SH beitragen.

3 Von den Stakeholdern zur Nachhaltigkeitsstrategie

3.1 Entstehung des Stakeholder-Ansatzes

Ursprünglich wurde der SH-Ansatz – dessen Anfänge sich bis in die 50er Jahre zurückverfolgen lassen (vgl. Hummels, 1998, S. 1406) – als Gegenkonzept zur strikten Shareholder-Value-Maximierung vorgeschlagen. Aus strategischer Sicht wurde argumentiert, dass ein Unternehmen sich nicht nur im wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis mit einer Anspruchsgruppe, nämlich den Shareholdern, befände, sondern, dass es zahlreiche weitere SH gäbe, deren Ansprüche es zu beachten und unter gegenseitiger Interessenswahrung abzuwägen gelte. Denn SH verfügten über ein beträchtliches Unterstützungs- und Sanktionspotential gegenüber dem Unternehmen. Aus diesem instrumentell geprägten SH-Verständnis[5] ergeben sich für Unternehmen vornehmlich zwei Handlungsgründe, eine erweiterte SH-Perspektive[6] einzunehmen: Erstens kann die Berücksichtigung der legalen und legitimen SH-Ansprüche zu einer „Vorwegnahme bestandsgefährdender Einsprachen von außen“ (Waxenberger, 2001, S. 420) führen und zweitens können strategisch wichtige Ressourcen auf kooperative Weise erschlossen und gesichert werden (vgl. Palazzo, 2007, S. 1f.).

Die SH-Betrachtung ist heute auch zu einem zentralen Element in der Debatte zur nachhaltigen Entwicklung geworden. Bezogen darauf trägt der SH-Ansatz mit seiner Anspruchsgruppenorientierung dazu bei, auch nicht-marktliche Aspekte in die Unternehmensstrategie zu integrieren und das Unternehmen insgesamt stärker gegenüber der Gesellschaft zu öffnen (vgl. Beschorner, 2004, S. 257). Um verstehen zu können, welche ökonomischen, sozialen und ökologischen Auswirkungen von der Unternehmenstätigkeit auf die SH – und umgekehrt – ausgehen, stellt die notwendige Voraussetzung für die geforderte inhaltliche Integration des Nachhaltigkeitsmanagements dar (s. Kapitel 2.2). Für welche Bereiche ein Unternehmen schlussendlich die Verantwortung übernehmen sollte und welche Maßnahmen es zur Umsetzung auswählen kann, erschließt sich dem Unternehmen wiederum nur aus der Unternehmensumwelt bzw. der Kommunikation mit seinen SH (vgl. Dubielzig, 2009, S. 154). Wie ein mögliches Vorgehen diesbezüglich aussehen könnte, ist Gegenstand dieses Kapitels.

3.2 Identifikation und Klassifizierung

Im Gegensatz zum Shareholder-Value-Ansatz ermöglicht es der SH-Ansatz, eine breitgefächerte Perspektive auf die Unternehmensumwelt einzunehmen (vgl. Gärtner, 2009, S. 25). In extremer Ausprägung schließt eine umfassende SH-Perspektive sämtliche Personen und Institutionen als potentielle Anspruchsgruppen ein (vgl. Münstermann, 2007, S. 83). Unter der Prämisse beschränkter Ressourcen und der Annahme unterschiedlich wohlbegründeter Ansprüche muss es, eine Grenze bei der Berücksichtigung der SH-Ansprüche geben (vgl. Balik/Frühwald, 2006, S. 64). Für ein Unternehmen wirft das die Frage auf, wo diese Grenze gezogen werden sollte.

In der Literatur wird diesbezüglich zwischen einer engen und einer weiten Definition unterschieden. Unternehmen, die die enge Definition zugrunde legen, konzentrieren sich in der Regel auf eine sehr kleine Gruppe von SH, deren Beitrag zum Unternehmenserfolg sie als sehr hoch einschätzen (vgl. Palazzo, 2007, S. 2f.). Das ist ein Vorgehen, bei dem legitime Ansprüche nur respektiert werden, wenn ein Beitrag zum Unternehmenserfolg erkannt wird. Dies birgt das Risiko, dass Unternehmen Verschiebungen in den Machtverhältnissen unvorbereitet gegenüber stehen, bspw. wenn Umweltaktivisten über die Medien doch Einfluss auf den Unternehmenserfolg erlangen. Langfristig kann es sich deshalb für Unternehmen durchaus als vorteilhaft erweisen, den Kreis möglicher SH weiter zu ziehen (vgl. dazu Freeman, 1984, S. 46; Freeman et al., 2004, S. 365f.). Folgende Definition liegt dem weiteren Verständnis zugrunde: "The stakeholders in a corporation are the individuals and constituencies that contribute, either voluntarily or involuntarily, to its wealth-creating capacity and activities, and that are therefore its potential beneficiaries and/or risk bearers" (Post et al., 2002, S. 19). Somit schließt die Auswahl der SH nicht nur die Shareholder, sondern ebenso zahlreiche andere SH wie bspw. Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten, Anlieger, staatliche Institutionen und NGOs ein (vgl. Münstermann, 2007, S. 83).

Im Anschluss an die Entscheidung über den grundsätzlichen Aktionsrahmen stellt sich – insbesondere in der unternehmerischen Praxis – die Frage, wer die spezifischen Anspruchsgruppen des Unternehmens sind und welche Themen diese bewegen. Zur Beantwortung dieser Frage sind zwei Herangehensweisen denkbar. Beide Verfahren schließen sich nicht unbedingt aus, sondern können ergänzend Anwendung finden. Die erste Herangehensweise besteht darin, dass ein Unternehmen diejenigen SH in seinem Umfeld ausfindig macht, mit denen ein regelmäßiger Kontakt besteht. Daraufhin kann untersucht werden, welche Anliegen und Interessen die SH besitzen und welchen nachhaltigen Themenfeldern sich diese zuordnen lassen. Beim zweiten Ansatz bilden die Themen den Ausgangspunkt. Dabei wird analysiert, mit welchen relevanten Nachhaltigkeitsthemen das Unternehmen durch seine Geschäftstätigkeit maßgeblich in Berührung kommt (z. B. Emissionsproblem). Alsdann kann überlegt werden, welche SH in diese Themen involviert sind, welche Interessen sie dabei vertreten und welche weiteren Themen sie unter Umständen aufwerfen. Daran lässt sich bereits erkennen, dass sich dieser Prozess der abwechselnden SH- und Themenidentifikation im Prinzip beliebig fortsetzen ließe (vgl. Abb. 8).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthaltenAbb. 8: Ablauf der Stakeholder- und Themenidentifikation

Quelle: Dubielzig., 2009, S. 146 (grafisch angepasst).

Legt man die in Kapitel 2 beschriebene, durch neue Megatrends und gesellschaftlichen Wandel ausgelöste Dynamik zugrunde, bietet das beschriebene Vorgehen den großen Vorteil, Veränderungen in der Unternehmensumwelt schnell erfassen zu können und insgesamt wenig Gefahr zu laufen, relevante Themen oder SH zu übersehen (vgl. Dubielzig, 2009, S. 145f.). Es erhält zudem eine Übersicht über seine SH und die jeweils relevanten Themen. Nimmt man in einer zweiten Perspektive die Interessen und Kompetenzen des Unternehmens hinzu, können die Themen in Materialitäts-Matrizen eingeordnet werden (vgl. Abb. 9).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 9: Materialitätsmatrix eines Energieunternehmens

Quelle: E.ON, 2009, S. 19 (gekürzt).

[...]


[1] Unter SH werden Anspruchsgruppen verstanden, die Einfluss auf die Ziele des Unternehmens ausüben können (strategisch-instrumentelle Perspektive), oder die von Unternehmensaktivitäten betroffen sind (ethisch-normative Perspektive).

[2] Im Englischen wird der Begriff „extra-financial“ synonym zum Begriff „non-financial“ verwendet. Dabei wird außer Acht gelassen, dass auch von sozialen und ökologischen Faktoren gravierende Auswirkungen auf die finanzielle Performance des Unternehmens ausgehen können; man denke nur an die finanziellen Schäden durch Rückrufaktionen, Verbraucherboykotte, oder schlechtes Entsorgungsmanagement (vgl. Riedel, 2009, S. 133). Deshalb findet in dieser Arbeit der Begriff der "extrafinanziellen“ Faktoren Verwendung.

[3] Der Begriff des Nachhaltigkeitsmanagements wird in dieser Arbeit auch stellvertretend für Nachhaltigkeitsmanagementsysteme verwendet. An Stellen, an denen sich die jeweilige Bedeutung nicht aus dem Sinnzusammenhang erschließen lässt, wird auf andere Termini zur Unterstützung zurückgegriffen.

[4] Integrität bedeutet „im Wirtschaftsleben sein Vorteils- oder Erfolgsstreben nicht vom Selbstverständnis und der Selbstachtung als vernünftige und verantwortungsbewusste Person abzuspalten“ (Thielemann et al., 2009, S. 30).

[5] Neben dem instrumentellen SH-Ansatz, bei dem es primär um die Frage geht, welche SH die Macht und die Ressourcen besitzen, ihre Ansprüche durchzusetzen, finden in der klassischen Literatur noch der deskriptive (wie verhalten sich Unternehmen gegenüber SH in der Realität) und normative Ansatz (wer erhebt legitime Ansprüche gegenüber dem Unternehmen) Erwähnung (vgl. Donaldson et al., 1995, S. 20; Margolis/Walsh, 2003, S. 279).

[6] An dieser Stelle der kurze Hinweis, dass Shareholder ebenfalls zu den SH gehören und der SH-Ansatz die Shareholder-Perspektive genau genommen erweitert: „Dividing the world into ‚shareholder concerns‘ and ‚stakeholder concerns‘ is roughly the logical equivalent of contrasting ‚apples‘ with ‚fruit‘" (Freeman et al., 2004, S. 365).

Ende der Leseprobe aus 81 Seiten

Details

Titel
Nachhaltigkeitsmanagement - Zwischen Kennzahlen und Organisationskultur
Hochschule
FernUniversität Hagen  (Studienbereich Organisation und Führung)
Veranstaltung
Master of Management
Note
1,3
Autor
Jahr
2010
Seiten
81
Katalognummer
V190196
ISBN (eBook)
9783656146421
ISBN (Buch)
9783656146353
Dateigröße
2886 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Masterarbeit wurde erstellt mit der freundlichen Unterstützung von KPMG Sustainability Services und kann nun nach Ablauf der zweijährigen Sperrfrist veröffentlicht werden.
Schlagworte
Nachhaltigkeit, Nachhaltigkeitsmanagement, Organisationskultur, Führung, CSR, Corporate Responsibility, Sustainability
Arbeit zitieren
M.A. Nikolaus Mikulaschek (Autor:in), 2010, Nachhaltigkeitsmanagement - Zwischen Kennzahlen und Organisationskultur, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/190196

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