Soziale und ethnische Unterschiede in William Shakespeares 'Othello' und Tim Blake Nelsons 'O'


Hausarbeit, 2011

15 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung: Shakespeares Tragödie als Teenagerdrama

2. Die Herkunft des Protagonisten
2.1 Othello: Der edle Wilde
2.2 Odin: Der American Dream

3. Die Eifersucht des Intriganten

3.1 Iago: Der Kampf um den Posten als Leutnant

3.2 Hugo: Vom Vater vernachlässigt

4. Der Mord aus Eifersucht
4.1 Othello: Zivilisiert oder barbarisch?
4.2 Odin: Gewalttätig durch das Ghetto?

5. Schluss und Ausblick: Die Bedeutung von Teen-Shakespeare-Filmen

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung: Shakespeares Tragödie als Teenagerdrama

Mit seinem Film O[1] schuf Regisseur Tim Blake Nelson 2001 eine überraschend originalgetreue Adaption von William Shakespeares 1604 uraufgeführter Tragödie Othello, The Moor of Venice[2]. Der Film versetzt die Handlung in das 20. Jahrhundert an ein amerikanisches Internat und unterzieht sie damit natürlich auch einiger gravierenden Veränderungen; beispielsweise wird der Krieg gegen die Türken durch ein Basketballturnier ersetzt und auch Sprache und Namen der Charaktere werden aktualisiert.

Dieser Prozedur wurde kurz davor bereits Shakespeares Komödie The Taming of the Shrew unterzogen – auch ihre Handlung in wurde in Gil Jungers 10 Things I Hate About You an eine amerikanische Highschool versetzt. Dabei handelt es sich aber, wie Alexander Legatt in seinem Artikel „Teen Shakespeare: 10 Things I Hate About You and O[3] argumentiert, um eine freie Adaption des Originals, die damit in einem lockeren Dialog steht, während das Teenagerdrama O sich mit ausgeprägter Exaktheit an die Originalhandlung hält, die Dialoge zwar in moderner Sprache überträgt sonst aber meist originalgetreu beibehält und zu fast jeder Figur aus Shakespeares Tragödie ein Äquivalent schafft.

Dabei hat sowohl bei Shakespeare als auch in Nelsons Adaption die soziale und ethnische Anderartigkeit des Protagonisten Othello, beziehungsweise Odin „O“ James in der modernen Version, eine tragende Funktion für den Verlauf der Handlung. Sie beschwört Iagos, beziehungsweise Hugo Gouldings Eifersucht herauf, sorgt dafür, dass Othello/Odin überhaupt anfällig für die Intrige seines Gegenspielers ist und könnte sogar für die schließliche Ermordung der Geliebten verantwortlich gemacht werden. Wie sich diese Aspekte in Shakespeares Othello und Nelsons O äußern, soll in der folgenden Hausarbeit untersucht werden. Außerdem soll darauf eingegangen werden, wie die Übertragung der 500 Jahre alten Tragödie auf die Gegenwart vor allem in den genannten Aspekten – Othellos Andersartigkeit, Iagos Eifersucht, Othellos Gutgläubigkeit gegenüber Iago und die Ermordung von Othellos Geliebter – überhaupt funktioniert.

2. Die Herkunft des Protagonisten

Weder bei Shakespeare noch bei Nelson erfahren wir die gesamte Geschichte der Herkunft des Protagonisten. Dennoch wird bei beiden sehr schnell klar, dass er sich nicht nur in seiner Hautfarbe, sondern auch in seiner Herkunft und damit seiner Sozialisation von den anderen Figuren unterscheidet. Othello und Odin sind sich über diese Andersartigkeit bewusst, was dazu führt, dass sie sich vor allem der geliebten Desdemona beziehungsweise Desi gegenüber unsicher verhalten und sich von dem vermeintlichen Freund Iago beziehungsweise Hugo Goulding leicht beeinflussen lassen. Wie sich diese Andersartigkeit in beiden Werken äußert und wie sie jeweils vom Gegenspieler ausgenutzt wird, soll im folgenden Punkt erläutert werden.

2.1 Othello: Der edle Wilde

Schon allein der Titel der Tragödie The Moor of Venice suggeriert die Andersartigkeit des Protagonisten. Es gibt zahlreiche Abhandlungen darüber, welche ethnische Zugehörigkeit der Begriff Moor nun bezeichnet. Philip Butcher führt in seinem Artikel „Othellos Racial Identity“[4] die These an, dass Shakespeares Benennung keine Zuordnung liefere, da man im elisabethanischen Zeitalter meist nicht klar zwischen „Moors“ und „Negroes“ unterschied.[5] Fest steht zumindest durch die Begriffe „Moor“ und „black“, die im Zusammenhang mit ihm so oft fallen, dass Othello sich in seinem Aussehen von den anderen Figuren unterscheidet.

Auch seine Vergangenheit ist anders als die der venezianischen Männer. Er erzählt von einem Leben voller Reisen und Abenteuern mit exotischen Anklang („my travailous history“)[6], wobei er auch damalige Klischees über Schwarze erfüllt, indem er beispielsweise davon erzählt, wie er als Sklave verkauft wurde und Kannibalen begegnet ist. Diese Vergangenheit bildet auch die Grundlage für seine Beziehung zu Desdemona, da diese sich offenbar durch seine Erzählungen in ihn verliebt hat: „She loved me for the dangers I had passed, And I loved her that she did pity them“.[7] Zwar ist Othello inzwischen General der venezianischen Streitkräfte und hat damit eine relativ hohe und angesehene politsche Stellung, dennoch bleibt er in Europa ein Fremder und ist sich auch bewusst darüber: „Haply, for I am black/ And have not those soft parts of conversation that chamberes have“.[8] Darin liegt das Problem, das schließlich zu Othellos Vernichtung führt. Er hat zwar bereits gefährliche Situationen in fernen Ländern durchgestanden, ist aber ungeübt in dem, was er hier als „conversation“ bezeichnet, womit er vermutlich Umgang und Vertrautheit mit den in Europa üblichen zwischenmenschlichen Umgangsformen meint. Othello mag sich als General mit militärischen Strategien auskennen, ist aber ungebildet und wird in den modernen Rezeption oft als „simple open-hearted soldier“[9] bezeichnet. Die daraus resultierende Unsicherheit nutzt Iago schließlich aus, um Othellos Untergang heraufzubeschwören, wie auch Berry Artikel „Othello´s Alienation“[10] feststellt; indem Iago Othello über den Charakter venezianischer Frauen aufklärt,[11] hebt er dessen Andersartigkeit wieder implizit hervor.[12]

So ist Othello zwar zunächst von allen Figuren außer Iago weitgehend akzeptiert und teilweise sogar bewundert und geliebt. Dennoch wird er immer noch als Exot angesehen und ist nicht vollständig in die europäische Gesellschaft integriert. Da aber, wie von Desdemona, genau diese exotische Fremdheit als attraktiv empfunden wird, kann Othello in das Bild des edlen Wilden eingereiht werden.

2.2 Odin: Der American Dream

Tim Blake Nelson rahmt Odins Andersartigkeit vor allem durch die Metapher des Falken; der Prolog sowie der Epilog des Films zeigt einen Schwarm Tauben, die in einer Reihe sitzen und einen Falken, der über sie hinwegfliegt. Da der Falke sich schon durch seine dunklere Farbe von den weißen Tauben unterscheidet, wird bereits am Anfang klar, dass er Odin James, das Film-Äquivalent zu Othello, symbolisiert. Auch das Basketballteam des amerikanischen Internats, dessen Kapitän Odin ist, heißt „Hawkes“ – bezeichnend dafür, dass Basketball sein Element und das Einzige der Schule ist, in dem er kein Außenseiter ist.

Odin ist der einzige afro-amerikanische Schüler der offensichtlich elitären Highschool. Auch unterscheidet er sich von den anderen Schülern in seiner derben Sprache und häufig aggressiven Art, die er auch in Gegenwart von Respektpersonen wie dem Schuldekan Brabble (der auch der Vater des Desdemona-Äquivlanents Desi ist, der Name scheint eine Abwandlung von „Brabantio“ zu sein) beibehält. In der Szene, in der Odin von Brabble zur Rede gestellt wird, da Roger (der Roderigo-Charakter) ihn des sexuellen Missbrauchs von Desi beschuldigt hat, erfährt der Zuschauer bereits Aspekte von Odins Vergangenheit. Brabbles Frage „You mean to tell me you’ve never had any run-ins with the police?“ spielt auf eine kriminelle Vergangenheit an, ebenso wie Odins Antwort: „I’m not on that shit no more... Test my ass! Test me!“ früheren Drogenmissbrauch impliziert. Seine Wortwahl sowie sein aggressives Verhalten weisen auf eine Vergangenheit in einer niedrigen sozialen Schicht hin, wahrscheinlich einem von Afro-Amerikanern dominierten Ghetto. Der Grund dafür, dass er nun trotzdem ein Elite-Internat besucht, sind vermutlich seine sportlichen Fähigkeiten, mit denen er das Basketballteam der Schule zum Sieg führen soll. Das wird in der gleichen Szene klar, als Duke Goulding, Hugos Vater und Coach des Basketballteams, auf Odins Frage, warum die Schule ihn unbedingt haben wollte, antwortet: „Because you were worth it.“ So kann Odin gewissermaßen als Beispiel für den American Dream gesehen hat, da er sich offensichtlich mit seinen Fähigkeiten aus dem Ghetto auf eine Eliteschule „hochgearbeitet“ hat. Doch dass der American Dream nicht so funktioniert, wie das Klischee es besagt, wird schnell klar.

[...]


[1] O. Dir. Tim Blake Nelson. Perf. Mekhi Phifer, Josh Hartnett und Julia Stiles, Lion’s Gate Films, 2001.

[2] William Shakespeare, Othello, the Moor of Venice. Ed. Michael Neill (New York: Oxford World´s Classics) 2006.

[3] Alexander Legatt, „Teen Shakespeare: 10 Things I Hate About You and OActs of Criticism. Performance Matters in Shakespeare and His Contemporaries, ed. Paul Nelsen und June Schlueter. (Madison: Fairleigh Dickinson Univ. Press, 2006) 245-258.

[4] Philip Butcher, „Othello’s Racial Identity“Shakespeare Quarterly 3.3 (1952): 243-247.

[5] Ebd. 234.

[6] Shakespeare, Othello, 1.3.139.

[7] Ebd. 1.3.167-168.

[8] Shakespeare, 3.3.266-286.

[9] Sir Edmund Chambers, Shakespeare: A Survey (London 1935), 219 zit. in Leo Kirschbaum, „The Modern Othello“ELH 11.4 (1944): 283-296, auf 283.

[10] Edward Berry, „Othello´s Alienation“Studies in English Literature 30.2 (1990), 315-333.

[11] Vgl. Shakespeare, 3.3.205-207.

[12] Vgl. Berry, 326-327.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Soziale und ethnische Unterschiede in William Shakespeares 'Othello' und Tim Blake Nelsons 'O'
Hochschule
Universität Augsburg  (Anglistik/ Amerikanistik)
Veranstaltung
Shakespeare’s Melancholic Stage: Hamlet, Twelth Night, and Othello
Note
1,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
15
Katalognummer
V190221
ISBN (eBook)
9783656146377
ISBN (Buch)
9783656146582
Dateigröße
494 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
othello, shakespeare, tim blake nelson, teen shakespeare
Arbeit zitieren
Senta Gekeler (Autor:in), 2011, Soziale und ethnische Unterschiede in William Shakespeares 'Othello' und Tim Blake Nelsons 'O', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/190221

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