Religionskritik bei Feuerbach, Nietzsche und Freud. Ist Religion eine bloße Erfindung des Menschen?


Masterarbeit, 2000

82 Seiten, Note: 1,5

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Siglen und Zitierweise

1.0 Zielsetzung der Arbeit

2.0 Einleitung
2.1 Genetische Argumente
2.2 Der Begriff der Projektion

3.0 Ludwig Feuerbach
3.1 Grundzüge der Religionskritik Feuerbachs
3.2 Feuerbachs Erklärung religiöser Phänomene
3.2.1 Bewußtsein und Gattung bei Feuerbach
3.2.2 Motiv I: Die Wesensprädikate der Gattung
3.2.3 Motiv II: Natur
3.2.4 Motivation der Projektion
3.3 Feuerbachs Kritik der Theologie und des Christentums
3.4 Kritische Betrachtung

4.0 Friedrich Nietzsche
4.1 Grundzüge der Religionskritik Nietzsches
4.2 Nietzsches sprachkritische Erkenntniskritik
4.3 Nietzsches Erklärung religiöser Phänomene
4.3.1 Gott als Projektion „innerer Tatsachen“
4.3.2 Gott als alt é ration de la personalité
4.3.3 Nietzsches sozialpsychologische Erklärung
4.4 Nietzsches Kritik der Religion
4.5 Kritische Betrachtung

5.0 Sigmund Freud
5.1 Grundzüge der Religionskritik Freuds
5.2 Der Begriff der Projektion bei Freud
5.3 Freuds Erklärung religiöser Phänomene
5.3.1 Die massenpsychologische Erklärung in Totem und Tabu
5.3.2 Animismus als Vorstufe der Religion
5.3.3 Freuds psychogenetische Erklärung des Totemismus
5.3.4 Freuds individualpsychologische Erklärung
5.4 Freuds Kritik der Religion
5.4.1 Freud über Nutzen und Schaden der Religion
5.5 Kritische Betrachtung

6.0 Gemeinsamkeiten und Differenzen der Ansätze
6.1 Die Erklärung religiöser Phänomene
6.2 Die Kritik religiöser Glaubenssysteme

7.0 Resümee
7.1 Probleme der Naturalistischen Erklärung religiöser Phänomene
7.2 Probleme der Kritik religiöser Glaubenssysteme

Literaturverzeichnis

Siglen und Zitierweise

Hinweis: Zeichen, Wörter, Satzteile und Sätze, die innerhalb von Zitaten in Kursivdruck oder Fettdruck gesetzt sind, bedeuten Hervorhebungen der jeweiligen Autoren. Unterstreichungen innerhalb der Zitate, die vom Verfasser dieser Untersuchung stammen, sind in den betreffenden Fußnoten durch [H. d. V.] gekennzeichnet.

Ludwig Feuerbach

WC Das Wesen des Christentums (zitiert nach (iii)) WR Das Wesen der Religion (zitiert nach (i))

VR Vorlesungen über das Wesen der Religion (zitiert nach (i))

TH Theogonie nach den Quellen des classischen, hebräischen und

christlichen Alterthums (zitiert nach (i))

Ludwig Feuerbachs Schriften und Werke werden, sofern nicht anders angegeben, nach folgenden Quellen zitiert:

(i) Feuerbach, Ludwig. 1960. Sämtliche Werke [SW]. 2. Auflage. Hrsg. von Wilhelm Bolin, Stuttgart: Fromman Verlag.
(ii) Feuerbach, Ludwig. 1981. Gesammelte Werke [GW]. Hrsg. von Werner Schuffenhauer [u.a.], Berlin.
(iii) Feuerbach, Ludwig. 1969. Das Wesen des Christentums. Stuttgart:

Reclam Verlag.

Friedrich Nietzsche

AC Der Antichrist

EC Ecce Homo

FW Die fröhliche Wissenschaft

GD Götzen-Dämmerung

GM Zur Genealogie der Moral

JG Jenseits von Gut und Böse

LW Über Lüge und Wahrheit im aussermoralischen Sinn MA Menschliches, Allzumenschliches (Band I + II) MO Morgenröthe

NL Nachlaß-Fragment (mit Jahresangabe)

WS Der Wanderer und sein Schatten

ZA Also sprach Zarathustra (Teil I - IV)

Friedrich Nietzsches Schriften und Werke werden durchgängig nach folgender Quelle zitiert:

Nietzsche, Friedrich. 1980. Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Bänden [KSA]. Hrsg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, München; [u.a.]: Walter de Gruyter Verlag.

Sigmund Freud

VT Vorrede zu „Probleme der Religionspsychologie“ von Dr. T. Reik MM Der Mann Moses und die monotheistische Religion

TT Totem und Tabu

UK Das Unbehagen in der Kultur

ZI Die Zukunft einer Illusion

Sigmund Freuds Schriften und Werke werden, sofern nicht anders angegeben, nach folgenden Quellen zitiert:

Freud, Sigmund. 2000. Das Unbehagen in der Kultur und andere kulturtheoretische Schriften. Frankfurt a.M.: Fischer Verlag.

Freud, Sigmund. 1999. Der Mann Moses und die monotheistische Religion. Schriften ü ber die Religion. Frankfurt a.M.: Fischer Verlag.

Freud, Sigmund. 1999. Die Zukunft einer Illusion / Massenpsychologie und Ich Analyse. Frankfurt a.M.: Fischer Verlag.

Freud, Sigmund. 1998. Totem und Tabu. Einige Ü bereinstimmungen im Seelenleben der Wilden und der Neurotiker. Frankfurt a.M.: Fischer Verlag.

Freud, Sigmund. 1940-1952. Gesammelte Werke [GWF]. Hrsg. von Anna Freud [u.a.], London.

Freud, Sigmund. 1965-1974. Studienausgabe [STA]. Hrsg. von Alexander Mitscherlich [u.a.], Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag.

1.0 Zielsetzung der Arbeit

Ist Religion eine bloße „Erfindung“ des Menschen, ein reines Produkt seiner Psyche? Bereits der Vorsokratiker Xenophanes von Kolophon äußerte die Vermutung, daß es eine signifikante Beziehung zwischen den Merkmalen der Götter eines Volkes und dem Volk selbst gibt. Die Beobachtung, daß Götter mitunter anthropomorphe Züge tragen, warf die Frage auf, ob die Religionen der Menschen nicht vielleicht sogar ein rein menschliches Konstrukt sind, und es für die Gesamtheit der religiösen Phänomene eine angemessene nat ü rliche Erklärung gibt. Dies ist der wesentliche Grundgedanke, der in den religionskritischen Entwürfen Feuerbachs, Nietzsches und Freud in je verschiedener Weise argumentativ entfaltet wird. Ihr Urteil ist vernichtend: der Glaube an eine supranaturale Macht läßt sich nicht nur vollständig psychologisch als Produkt von durch Wünsche, Phantasien und Ängste geleiteter Projektionen erklären, sondern ist auch als pathologisch zu bestimmen. Religion, so die einstimmige Meinung, ist eine individuelle wie gesellschaftliche Krankheit, die es zu heilen gilt.

Diese sogenannten psychogenetischen Argumentationen stehen dabei vor dem Problem, daß selbst aus einer zutreffenden psychologischen Erklärung religiösen Glaubens kein Argument für oder gegen die Existenz oder Nicht- Existenz einer supranaturalen Realität oder Macht abgeleitet werden kann. Es ist ein philosophischer Gemeinplatz, daß von der Genesis einer Überzeugung nicht auf die Geltung dieser geschlossen werden kann, und ein wesentlicher Teil der philosophischen Kritik an den Erklärungen religiöser Phänomene von Feuerbach, Nietzsche und Freud unterstellt, daß die drei Denker eben einen solchen Fehlschluß begangen hätten.

Primäres Ziel dieser Arbeit ist, eine Rekonstruktion der wesentlichen Argumente Feuerbachs, Nietzsches und Freuds zu leisten. Ein weiteres Untersuchungsziel ist zum einen festzustellen, ob Feuerbach, Nietzsche und Freud den genetischen Fehlschluß tatsächlich begangen haben, zum anderen, welche prinzipielle Leistungsfähigkeit naturalistische Erklärungen religiöser Phänomene als Argumente gegen den Theismus bzw. gegen die Annahme einer supranaturalen Realität oder Macht besitzen. Eine knapper Vergleich der Positionen und ein Resümee schließen die Arbeit ab.

2.0 Einleitung

Feuerbach, Nietzsche und Freud behaupten, daß Religion durch nicht- religiöse Faktoren bestimmt ist: Religion ist ein rein menschliches Produkt und kann vollständig und ohne die Zuhilfenahme religiöser Annahmen supranaturaler Mächte oder Realitäten erklärt werden. Solche Erklärungen religiöser Phänomene werden in der religionsphilosophischen Diskussion auch als naturalistische Erklärungen bezeichnet. Ein Naturalist glaubt, daß supranaturale Realitäten oder Mächte nicht existieren; er glaubt, daß alles, was ist und geschieht, auf nat ü rliche Weise geschieht. Da Religionen Glaubenssysteme sind, die den Glauben an eine supranaturale Realität oder Macht implizieren, bestreitet ein Naturalist im Unterschied zum Atheisten auch die Wahrheit religiöser Überzeugungen nicht-theistischer Religionen (wie etwa verschiedene Spielarten des Buddhismus).[1]

Insofern Naturalisten behaupten, daß die Hypothese einer supranaturalen Realität nicht für die Erklärung der Welt herangezogen werden muß, behaupten sie auch, daß religiöse Überzeugungen prinzipiell natürlich erklärt werden können. In der Tat glaubten Feuerbach, Nietzsche und Freud, religiöse Überzeugungen - und damit alle religiösen Phänomene - auf rein psychologische Phänomene reduzieren zu können. Wie bereits bemerkt wurde, lassen sich aber aus solchen psychogenetischen Erklärungen religiöser Überzeugungen keine direkten Argumente gegen die Wahrheit dieser Überzeugungen ableiten. Das gilt nicht nur für psychogenetische Argumente, sondern für genetische Argumente generell. Aber sind damit die Möglichkeiten der Religionskritik durch psychogenetische Erklärungen bereits erschöpft? Diese Frage soll im Hinblick auf das Untersuchungsziel dieser Arbeit im folgenden genauer erläutert werden.

2.01 Genetische Argumente

Genetischen Argumenten (i.f. A g) wird meist mit großer Skepsis oder gar offener Ablehnung begegnet. Was sollte auch aus der Erklärung der Entstehung einer These hinsichtlich deren Wahrheit folgen? Als abschreckendes Beispiel solcher Argumente findet sich in Lehrbüchern der Philosophie meist ein Verweis auf den sog. genetischen Fehlschlu ß. Ein genetischer Fehlschluß liegt dann vor, wenn von Genesis einer These auf die Falschheit der These geschlossen wird. Carney und Scheer definieren dies wie folgt:

When someone gives an account of what led someone (or a group) to a view and argues that since this (the account) is true, the view is false, this is called the Genetic Fallacy. Such an argument is incorrect since what led someone to a view is irrelevant to determining wheter the view is true.[2]

Natürlich ist es richtig, daß aus der Genese von T rein gar nichts hinsichtlich der Wahrheit von T folgt - wer so schließt, schließt falsch. Man mag den Glauben an die Unsterblichkeit der Seele zutreffend psychologisch erklären können, aber damit ist eben noch nichts über die Falschheit dieses Glaubens gesagt. Aber A g sind nicht darauf festgelegt, die Wahrheit einer Überzeugung zu beurteilen (- und daran zu scheitern), sondern können auch dazu verwendet werden, die Rechtfertigung einer Überzeugung in Frage zu stellen. Das soll im folgenden genauer gezeigt werden.

Wie im weiteren Verlauf dieser Arbeit noch deutlich werden wird, sind für die Zwecke dieser Darstellung vor allem diejenigen Überzeugungen von besonderem Interesse, die auf Basis von Perzeptionen gebildet werden, weshalb mit einem Beispiel begonnen werden soll, in dem ein A g dazu verwendet wird, die Rechtfertigung einer auf Perzeptionen basierenden Überzeugung zu stützen:

Ein Freund A berichtet aufgeregt von einem Flugzeugabsturz. Auf die Frage, wie er diese Überzeugung rechtfertige, antwortet er: „Ich habe es mit eigenen Augen gesehen!“ Die Rechtfertigung der Überzeugung geschieht im Rekurs auf die Genese dieser Überzeugung. A glaubt, daß sich der Absturz tatsächlich ereignet hat (q), weil er ihn mit eigenen Augen gesehen hat (p), kurz: p ist Grund für A zu glauben, daß q. A scheint also zu glauben, daß seine Überzeugung gerechtfertigt ist, weil er die ihr zugrundeliegende epistemische Praxis, d.h. in diesem Fall die Akzeptanz von Überzeugungen über die physische Umgebung basierend auf Grundlage der Perzeption, als gerechtfertigt akzeptiert.

Im Anschluß an William P. Alston soll im folgenden eine epistemische Praxis des Bildens von Überzeugungen auf der Basis von Perzeptionen, der „[...] Bewahrung dieser Überzeugungen im Gedächtnis, die Bildung von rationalerweise evidenten Überzeugungen und verschiedene Arten des Schlußfolgerns auf der Grundlage all dessen“[3] als perzeptive Praxis (PP) bezeichnet werden. Als erstes Ergebnis läßt sich feststellen, daß das A g im Hinblick auf das hier erörterte Beispiel die Funktion hat, die Überzeugung q durch den Verweis auf PP als gerechtfertigt auszuweisen.

Es gibt allerdings Ausnahmen, bzw. Bedingungen, unter denen die Verläßlichkeit der PP mitunter erheblich sinkt. Alltägliche Beispiele für solche Bedingungen (im Fall visueller Perzeptionen) sind schlechte Sichtverhältnisse, Trunkenheit, aber auch bestimmte Eigenarten von Objekten wie etwa Hologrammen oder anderen optischen Täuschungen. Im Falle des gewählten Beispiels hieße das zum Beispiel, daß wenn A zum Zeitpunkt seiner Beobachtung betrunken und die Sicht durch Nacht und Nebel erschwert war, man gute Gründe hätte anzunehmen, daß PP in diesem Fall nicht zu gerechtfertigten Überzeugungen führt. Daraus läßt sich natürlich nicht schließen, der Flugzeugabsturz hätte nicht stattgefunden - aber man hat nun einen guten Grund anzunehmen, daß der Grund p für die Überzeugung q kein guter Grund mehr ist, bzw.: daß ein Schluß von p auf q wenig sicher ist.[4] Auch in diesem Fall handelt es sich um ein A g, allerdings nicht, um eine Überzeugung durch den Verweis auf PP als gerechtfertigt auszuweisen, sondern um die Überzeugung als nicht gerechtfertigt auszuweisen.

Im Hinblick auf das Thema dieser Arbeit sind diese Überlegungen nun von folgender Relevanz: wie gezeigt worden ist, kann von naturalistischen Erklärungen religiöser Überzeugungen nicht auf die Wahrheit oder Falschheit dieser Überzeugungen geschlossen werden. Naturalistische Erklärungen können jedoch als Argumente gegen all jene Rechtfertigungsversuche religiöser Überzeugungen angeführt werden, die sich auf religi ö se Erfahrung stützen - die also selbst genetisch argumentieren. Solche Rechtfertigungsversuche unterstellen, daß sich religiöse Erfahrung auf einen realen Gegenstand bezieht. Auf diese Weise kann versucht werden, (a) für die Wahrheit bestimmter (oder auch aller) Aussagen eines religiösen Glaubenssystems oder (b) für die Existenz irgendeiner supranaturalen Realität oder Macht zu argumentieren. Sogenannte religiöse Erfahrungen aber - und das wäre der entsprechende naturalistische Einwand - sind psychologisch ohne die Zuhilfenahme religiöser Annahmen verstehbar und bieten daher keine Garantie dafür, daß sie einen übernatürlichen Ursprung haben.[5]

2.02 Der Begriff der Projektion

Die psychogenetischen Erklärungen religiöser Phänomene Feuerbachs, Freuds und - mit Einschränkung - auch Nietzsches werden oft als projektionstheoretische Erklärungen religiöser Phänomene bezeichnet. Gott, so wird behauptet, ist eine Projektion des Menschen. Aber was ist mit „Projektion“ eigentlich gemeint?

Etymologisch betrachtet ist diese Frage relativ einfach zu beantworten: das Wort „Projektion“ läßt sich ableiten aus dem lateinischen proiectio, welches übersetzt werden kann mit „das Hervorwerfen“, „das Hinauswerfen“ oder auch „das Verbannen“. Die konkrete Bedeutung des Begriffs der Projektion ist hingegen stark von dem theoretischen Rahmen abhängig, in dem dieser Begriff verwendet wird. Zumindest zwei Verwendungsweisen lassen sich unterscheiden: Projektion im epistemischen Sinne und Projektion im psychologischen Sinne. Der epistemische Begriff der Projektion hat die Funktion, die Erkennbarkeit der körperlichen Außenwelt durch die subjektiven Empfindungen zu begründen und zu erklären:

Durch die Theorie der Hinausverlegung des Empfundenen in die Richtung, von welcher ein Reiz das Bewußtsein zu einer Reaktion veranlaßt, wird bei TELESIUS, CONDILLAC, HELMHOLTZ, LOTZE und E. VON HARTMANN Erkenntnistheorie in verschiedener Weise durch psychologische und physiologische Hypothesen ergänzt und konkretisiert.[6]

Projektion im epistemischen Sinne scheint hier in einem von der Geometrie abgeleiteten Sinn verwendet zu werden (mit „Projektion“ bezeichnet man in der Geometrie eine Punkt f ü r Punkt - Übereinstimmung zwischen einem räumlichen und einem flächenhaften Gebilde). Davon zu unterscheiden ist der für diese Untersuchung relevante Begriff der psychologischen Projektion, der am ehesten durch die Metapher des Film-Projektors erklärt werden kann (ein Bild wird auf ein Objekt der Außenwelt geworfen). Der Unterschied zwischen Projektion im epistemischen und Projektion im psychologischen Sinn scheint also folgender zu sein: während mit Projektion im ersteren Sinne als eine Art Anordnen oder Organisieren von Sinnesdaten ü ber die Außenwelt zu einer Vorstellung von der Außenwelt zu verstehen ist, bedeutet es im psychologischen Sinne, einer bereits bestehenden Vorstellung von der Außenwelt etwas zu „ adjizieren “.[7] Demgemäß wird auch in der Psychologie mit „Projektion“ die Übertragung von eigenen Gefühlen, Wünschen oder Vorstellungen auf Objekte der Außenwelt bezeichnet.

Eine wichtige Frage, die im Zusammenhang mit projektionstheoretischen Erklärungen gestellt werden muß ist, was genau projiziert wird, d.h. was das Motiv der Projektion ist. Eine davon zu unterscheidende Frage ist die Frage nach der Motivation der Projektion, d.h. aus welchem Grund projiziert wird. Auf dem Hintergrund dieser Überlegungen sollen nun im folgenden die naturalistischen Erklärungen Feuerbachs, Nietzsches und Freuds rekonstruiert werden.

3.0Ludwig Feuerbach

3.01 Grundzüge der Religionskritik Feuerbachs

„Die Religion ist der Traum des wachen Bewußtseins“[8]

Ludwig Feuerbachs Religionskritik läßt sich ganz allgemein als der Versuch charakterisieren, alles Übernatürliche in den Religionen auf seine natürliche Fundamente zurückzuführen. Er verfolgt dabei im wesentlichen zwei Ziele: zum einen will er zeigen, „ [...] daß den übernatürlichen Mysterien der Religion ganz einfache, natürliche Wahrheiten zugrunde liegen [...].“[9] Zum anderen verfolgt Feuerbach mit seiner Schrift einen therapeutischen Zweck: die Theologie wird als „ psychische Pathologie “ behandelt.[10] Er möchte zeigen, wie schädlich die (christliche) Religion ist - und einen dem Menschen angemessenen „Ausweg“ anbieten.

Feuerbachs Kernthese lautet, daß Götter das Resultat einer unbewußten Projektion des Menschen sind. Motiv und Motivation der Projektion werden dabei in den entsprechenden Werken Das Wesen des Christentums (1841), Das Wesen der Religion (1846), Vorlesungen ü ber das Wesen der Religion (1849) und Theogonie nach den Quellen des classischen, hebräischen und christlichen Alterthums (1857) unterschiedlich bestimmt. Kernthese in Das Wesen des Christentums ist, daß das Motiv der Projektion das Gattungswesen des Menschen ist. Der Projektionstheorie liegt dabei eine Bewußtseinstheorie zugrunde, die deutliche Anleihen der Bewußtseinsphilosophie Hegels zeigt. Diese Bestimmung des Motivs erfährt eine wesentliche Änderung in Das Wesen der Religion: Feuerbach behauptet dort, daß Gott die Projektion einer menschlichen Abstraktion der Natur ist.

Feuerbachs Religionskritik ist - ganz im Gegensatz zu der Kritik Nietzsches und Freuds - nicht eine bloße Zurückweisung der Religion. In ihr sieht Feuerbach durchaus auch positive Elemente, die er in der Rückführung der Theologie auf Anthropologie bewahren möchte. Kernpunkt seiner umfangreichen Kritik ist, daß sich der Mensch durch die Anbetung seines eigenen Wesens in Gott selbst entfremdet. Um diese Entfremdung aufzuheben, muß sich der Mensch von der Religion emanzipieren: nur so kann er, so Feuerbach, seine Autonomie zurück erlangen, das Diesseits zurückgewinnen und den politischen Mächten, die ihre Macht auf Gott gründen, ihre Macht entziehen.

3.02 Feuerbachs Erklärung religiöser Phänomene

Gleich zu Beginn der Einleitung zu Das Wesen des Christentums bemerkt Feuerbach, daß Religion auf dem wesentlichen Unterschied zwischen Mensch und Tier basiert. Feuerbach erklärt diesen Unterschied wie folgt: ein Tier ist sich zwar als Individuum bewußt, aber es ist sich nicht als Gattung Gegenstand - weshalb es im strengen Sinne auch kein Bewußtsein besitze: „Bewußtsein im strengen Sinne ist nur da, wo einem Wesen seine Gattung, seine Wesenheit Gegenstand ist“. Ist der Mensch sich seines Wesens als Gattungswesen bewußt, so ist er sich auch seines unendlichen Wesens bewußt:

Bewußtsein im strengen oder eigentlichen Sinne und Bewußtsein des Unendlichen ist untrennbar; beschränktes Bewußtsein ist kein Bewußtsein; das Bewußtsein ist wesentlich allumfassender, unendlicher Natur. Das Bewußtsein des Unendlichen ist nichts andres als das Bewußtsein von der Unendlichkeit des Bewußtseins. Oder: im Bewußtsein des Unendlichen ist dem Bewußtsein die Unendlichkeit des eignen Wesens Gegenstand.[11]

Da nun die Religion das Bewußtsein des Unendlichen ist, so Feuerbach, läßt sie sich als das Bewußtsein des Menschen von seinem eigenen unendlichen Wesen begreifen.[12]

Diese Bestimmung der Religion wirft allerdings mehr Fragen auf, als sie beantwortet. Es ist bezeichnend für Das Wesen des Christentums, daß Feuerbach viele Hypothesen entweder gar nicht, oder aber nur in Teilen erläutert, die sich zudem über die gesamte Schrift ohne ersichtliches System verstreut finden. Um die oben genannte Hypothese besser zu verstehen, bedarf es sowohl Rückgriffe auf Feuerbachs frühere Werke wie auch auf spezifisch hegelsche Konzepte, da sich weite Teile der Philosophie Feuerbachs nur über seine erbitterte Kritik an der Philosophie Hegels verstehen lassen - einige Denkfiguren Feuerbachs lassen sich sogar als eine direkte Umkehrung der hegelschen Philosophie verstehen, wie er selbst bemerkt.[13]

Feuerbachs Kritik richtet sich primär gegen die Abstraktheit der hegelschen Philosophie, deren mangelnder Korrespondenz von theoretischer Reflexion und lebensweltlich-sinnlicher Erfahrung. Hegel, so Feuerbach, überschätzte die Sprache, da er glaubte, durch sie das Sein selbst begreifen zu können. Die Folge war eine folgenschwere Verwechslung von sprachlich-semantischer und sinnlich- faktischer Wahrheit, da Hegel die Erkenntnis des sinnlich Einzelnen von der Wahrheit des nur durch Sprache begreifbaren Allgemeinen abhängig macht:

Der große Irrtum Hegels besteht demnach für Feuerbach darin, daß dieser die sinnliche Wahrnehmung von vorneherein dem logischen Akt der Apperzeption unterwirft und so die Sinnlichkeit unablösbar an Begriff und Sprache kettet. Darin aber, so Feuerbachs Einwand, beginnt die Phänomenologie mit einer unmittelbaren Voraussetzung ihrer selbst. Hegels Phänomenologie hebt nicht mit dem Anderssein des Gedankens, sondern mit dem Gedanken vom Anderssein des Gedankens an. Die Differenz von Wesen und Erscheinung und der damit verknüpfte Wahrheitsbegriff, werden in den [sic!] Hegelschen Analyse der sinnlichen Gewißheit nicht erst entwickelt, sondern dieser bereits vorangestellt. Daß das Wesen, als allgemeiner Begriff fixiert, gleichbedeutend ist mit der Wahrheit, Allgemeinheit, Dauerhaftigkeit, ist das unausgesprochene Fundament Hegelschen Philosophierens.[14]

Feuerbach kritisiert also im wesentlichen die von Hegel unausgesprochenen wie nicht hinterfragten Voraussetzungen seines Philosophierens. Dazu gehört für Feuerbach auch und vor allem der theologische Kern des hegelschen Systems: „ Wer die Hegelsche Philosophie nicht aufgibt, der gibt nicht die Theologie auf.“[15] Wie im weiteren noch gezeigt werden soll, ist es Feuerbachs zentrales Anliegen in Das Wesen des Christentums die Theologie zu eliminieren, genauer gesagt: in Anthropologie aufzulösen. Es gilt ihm daher, die folgenschwere Verwechslung Hegels zu korrigieren - aber, wie das Zitat Feuerbachs (Fußnote 13) nahelegt, nicht durch bloße Modifikation, sondern durch Negation des hegelschen Systems. Nur auf diese Weise, so Feuerbach, kann eine Re-Identifikation des Menschen mit seinem durch den spekulativen Idealismus entfremdeten Wesen erreicht werden.[16] Allerdings bliebe Feuerbach durch die bloße Negation des hegelschen Systems dem kategorialen Rahmen des Negierten verhaftet. Daß sich seine Philosophie aber nicht allein in dieser Negation erschöpft, wird vor allem in Feuerbachs Konzept von Bewußtsein und Gattung deutlich, das im folgenden betrachtet werden soll.

3.02.1 Bewußtsein und Gattung bei Feuerbach

Im Zuge der Auseinandersetzung mit der hegelschen Analyse des Bewußtseins glaubt Feuerbach auf einen fundamentalen Fehler Hegels gestoßen zu sein. Während er mit Hegel darin übereinstimmt, daß die Bedingung der Möglichkeit von dem Bewußtsein seiner selbst das Bewußtsein eines anderen, eines „Du“ ist, liegt Feuerbachs „Korrektur“ der Hypothese Hegels in der Behauptung, daß der Prozeß der Ich-Werdung notwendig auch durch die sinnlich-leibliche Erfahrung eines „Du“ vermittelt ist:

[...] du bist bewußt deiner nur im Unterschied von andern, also nur an, in, mit andern und durch sie; aber eben diese Notwendigkeit, daß zur Existenz der Person, der Unterscheidung andere erfordert werden, daß dein Bewußtsein zugleich, ungeteilt Bewußtsein andrer Personen ist, du nur an ihnen und durch sie dich erkennst, ist nur eine Erscheinung davon, daß das Bewußtsein die absolute, unendliche Einheit aller Personen und Menschen ist.[17]

Zum Bewußtsein gehören daher, wenn man sich vom Sinnlichen, von den Individuen aus sein Wesen will anschaulich machen, alle Menschen [...]; das Wissen aller voneinander als ein Wissen zusammen ist erst das Bewußtsein.[18]

Die originäre Form des Bewußtseins ist also das Gattungsbewußtsein, da es die Existenz des anderen immer schon beinhaltet. Erst ausgehend von diesem Gattungsbewußtsein ist ein Selbstbewußtsein überhaupt erst möglich.[19] Auf Grundlage des Erörterten läßt sich nun besser verstehen was Feuerbach meint, wenn er in Das Wesen des Christentums schreibt: „Nur an dem Andern wird der Mensch sich klar und selbstbewußt; aber erst, wenn ich mir selbst klar, wird mir die Welt klar. [...] Der erste Gegenstand des Menschen ist der Mensch.“[20] Der Mensch kann sich an die Stelle eines anderen Menschen erst dadurch setzen, daß ihm nicht nur seine Individualität, sondern auch seine Gattung Gegenstand ist. In dieser fundamentalen Differenz des Menschen zum Tier liegt zudem, so Feuerbach, der eigentliche Inhalt religiöser Überzeugungen: „[...] sie [die Religion, KP] ist also und kann nichts andres sein, als das Bewußtsein des Menschen von seinem, und zwar nicht endlichen, beschränkten, sondern unendlichen Wesen“.[21]

3.02.2 Motiv I: Die Wesensprädikate der Gattung

Was aber macht die menschliche Gattung genauer aus? Folgt man Feuerbach, dann sind die Wesensprädikate der Menschheit die Vernunft, der Wille und die Liebe - die höchsten Kräfte des Menschen, seine Vollkommenheiten. Sie sind absolute Mächte, da sie das Wesen des Menschen, sein Denken, Tun, und Fühlen konstituieren und bestimmen. Die Gattung repräsentiert die menschlichen Möglichkeiten in ihrer Totalität und Vollkommenheit, da sie die Menschen in ihrer Gesamtheit und damit auch in ihrer Vollendung, ihrer Unendlichkeit und Absolutheit umfaßt. Motiv und Motivation der Religion lassen sich nun wie folgt erklären: indem das Selbst sich seiner Gattung bewußt wird, entdeckt es zugleich, daß es als sterbliches Individuum gegenüber den Vollkommenheiten der Gattung unvollkommen ist; eine Diskrepanz, die als zutiefst schmerzhaft empfunden wird. Um dieser Situation zu entkommen, vergegenständlicht bzw. projiziert der Mensch durch unbewußte, illusionäre Wunscherfüllung seine Gattungsprädikate als vollkommene Entität, d.h. als Gott.

Das Bewußtsein Gottes ist das Selbstbewußtsein des Menschen, die Erkenntnis Gottes die [indirekte, KP] Selbsterkenntnis des Menschen. [22]

Der Mensch - dies ist das Geheimnis der Religion - vergegenständlicht sein Wesen und macht dann wieder sich zum Gegenstand dieses vergegenständlichten, in ein Subjekt, eine Person verwandelten Wesens; er denkt sich, ist sich Gegenstand, aber als Gegenstand eines Gegenstands, eines andern Wesens.[23]

Damit aber entfremdet sich der Mensch von sich selbst, weil er sich seine eigenen Gattungsprädikate selbst entgegensetzt. Die Reduktion des Wesens Gottes auf das Gattungswesen des Menschen, d.h. die Reduktion der Theologie auf Anthropologie, wendet Feuerbach nun als Interpretationsschlüssel für christliche Texte an. Da Gott die Summe der menschlichen Gattungsmerkmale ist, muss in der Dechiffrierung „Gott“ durch diese substituiert werden, um den ursprünglichen Sinn wiederherzustellen. Als Beispiel für diese Dechiffrierung der christlichen Texte soll folgendes Zitat dienen:

Die in der Religion, zumal in der christlichen, vor allen anderen hervortretende Verstandes- oder Vernunftbestimmung Gottes ist die der moralischen Vollkommenheit. Gott als moralisch vollkommnes Wesen ist aber nichts andres, als die realisierte Idee, das personifizierte Gesetz der Moralität, das als absolutes Wesen gesetzte moralische Wesen des Menschen - des Menschen eignes Wesen[24]

Damit ist die zentrale Motiv der Projektion in Das Wesen des Christentums rekonstruiert: Inhalt der Projektion ist das Gattungswesen des Menschen, die er als supranaturale personale Entität wahrzunehmen glaubt.

3.02.3 Motiv II: Natur

In Das Wesen der Religion gibt Feuerbach schließlich das auf seiner Inversion des hegelschen Schemas basierende Projektionsmotiv der Gattungsmerkmale des Menschen auf und vollzieht so den Schritt von einem Anthropologismus zum einem Naturalismus. In der kurzen Schrift, die als Ergänzung zu seinem Hauptwerk Das Wesen des Christentums konzipiert war, wird nun nicht mehr der Mensch als Ausgangspunkt der Religion bestimmt, sondern die Natur.

Der Mensch, so Feuerbach, erfährt sich als von einer übermächtigen Natur wesentlich abhängiges Wesen. Dieser Abhängigkeit begegnet der Mensch auf der Stufe des Polytheismus durch Personifizierung der Natur, in dem er sie als eine Vielzahl im prinzipiell ähnlicher Wesen interpretiert. Er glaubt so, eine Macht über die Kräfte und Mächte der Natur gewonnen zu haben und dadurch seine Abhängigkeit begrenzt zu haben. Im Monotheismus werden die einzelnen Kräfte der Natur zu einem einzigen Gott verdichtet, der so zum „[...] personifizierte[n] Wesen der Natur“ wird.[25] Die jüdisch-christliche Tradition schließlich erhebt Gott zudem noch über die Natur; der Mensch schreibt diesem Wesensmerkmale zu, die Gott über alle Naturnotwendigkeit erheben, und der so fähig ist, alle Wünsche des Menschen erfüllen zu können. Die Macht der Natur ist so das Motiv für die Allmacht Gottes:

„[...] die Christen haben keinen beschränkten, sondern unbeschränkten, über alle Naturnothwendigkeit erhabenen, übermenschlichen, ausserweltlichen, transcendenten Gott, dass heisst: sie haben unbeschränkte transcendente, über die Welt, über die Natur, über das menschliche Wesen hinausgehende, d.i. absolut phantastische Wünsche. [...] ihr Wunsch ist ein Himmel, in dem alle Schranken, alle Nothwendigkeit der Natur aufgehoben, alle Wünsche erfüllt sind [...]“[26]

3.02.4Motivation der Projektion

In das Wesen des Christentums bestimmt Feuerbach zwei ineinandergreifende Momente der Projektion des menschlichen Gattungswesen in einen Gott: zum einen das Gem ü t, d.h. das inner-seelische, zum anderen die Phantasie, d.h. die Einbildungskraft. Feuerbach geht dabei von dem Phänomen des Traumes als Schlüssel zu den Geheimnissen der Religion aus.[27] Der Unterschied zwischen Träumen und Wachen sei, so Feuerbach, daß im Wachen das Ich sich selbst bestimmt, während es im Traum von sich selbst wie von einem anderen Wesen bestimmt wird. Feuerbach behauptet mit anderen Worten, daß im Traum das Wachbewußtsein invertiert wird, innerpsychische Zustände auf die Außenwelt projiziert werden:

Im Traume ist das Handelnde das Leidende, das Leidende das Handelnde; im Traume nehme ich meine Selbstbestimmungen als Bestimmungen von außen, die Gemütsbewegungen als Ereignisse, meine Vorstellungen und Empfindungen als Wesen außer mir wahr, leide ich, was ich außerdem tue.[28]

Das starke Bedürfnis nach Befriedigung der Sehnsucht des Gemüts (ver)führt zu der Überzeugung, daß dieser Sehnsucht etwas in der Realität entspricht, was sie stillen kann - notfalls auch gegen alle Vernunft: „Die Not kennt kein Gesetz außer sich; die Not bricht Eisen. Das Gemüt kennt aber keine andere Notwendigkeit, als die Gemütsnotwendigkeit, die Sehnsucht: es verabscheut die Notwendigkeit der Natur, die Notwendigkeit der Vernunft.“[29]

Funktion der Phantasie ist nach Feuerbach die inhaltliche Bestimmung einer Entsprechung der Sehnsucht, d.h. wie das Verlangen des Gemüts zu stillen ist.

Insofern die Phantasie die positive,„verheißende“ Entsprechung der unbefriedigten und daher Unlust verschaffenden Sehnsucht ist, spricht Feuerbach auch von den „Freuden der Phantasie“ und den „Leiden des Gemüts“:[30]

[...] die Phantasie ist die dem Gemüte entsprechende Tätigkeit, weil sie alle Schranken, alle Gesetze, welche dem Gemüthe wehe tun, beseitigt, und so dem Menschen die unmittelbare, schlechthin unbeschränkte Befriedigung seiner subjektiven Wünsche vergegenständlicht.[31]

Feuerbach behauptet also, daß das den „Sehnsüchten des Gemüts“ von der Phantasie eine inhaltliche Entsprechung bereitgestellt wird. Diese innere Wunsch- Entsprechung wird bei entsprechender Stärke des Wunsches in Form einer imaginären äußeren Entsprechung projiziert. In anderen Worten, religiöse Überzeugungen sind das Resultat von Projektionen, die durch Wunscherf ü llung motiviert sind. Religion, so Feuerbach, ist der Traum des wachen Bewußtseins.

Aber was sind für Feuerbach die „Leiden des Gemüts“? Im wesentlichen resultieren diese „Leiden“ aus der Erfahrung der eigenen Endlichkeit des Menschen: er ist unvollkommen[32], wesentlich abhängig von den Mächten der Natur, er ist sterblich. Die (unbewußte) Reaktion des Menschen darauf ist die Projektion eines vollkommenen Gottes, der ihn in seiner Unvollkommenheit annimmt, ihm Schutz gewährt und ihm ein ewiges Leben verspricht.

In den nachfolgenden Schriften Das Wesen der Religion bzw. Vorlesungen ü ber das Wesen der Religion und der Theogonie glaubt Feuerbach hinter den Sehnsüchten und Wünschen des Menschen den Gl ü ckseligkeitstrieb erkannt zu haben: Gott ist der in der Phantasie befriedigte Glückseligkeitstrieb des Menschen.[33] Aber auch den Glückseligkeitstrieb glaubt Feuerbach noch auf ein allgemeineres zurückführen zu können: den Egoismus. Es ist für die Selbstliebe des Menschen unerträglich, so Feuerbach, daß die Natur mit unabänderlicher Notwendigkeit wirkt. So projiziert der Mensch aus purer Selbstliebe einen menschenliebenden Gott, der die Natur beherrscht und ihn beschützt.

[...]


[1] Vgl. dazu Kai Nielsen: Naturalism without Foundations. (New York: Prometheus Books, 1996), S. 25ff. Anmerkung: daraus folgt, daß ein Naturalist immer auch ein Atheist ist, aber ein Atheist nicht notwendig auch ein Naturalist ist.

[2] James D. Carney/Richard K. Scheer: Fundamentals of Logic. (New York: Macmillan, 1964), S. 32

[3] William P. Alston: Religi ö se Erfahrung und religi ö se Ü berzeugungen, in: Christoph Jäger (Hg.): Analytische Religionsphilosophie. (Paderborn [u.a.]: Schöningh Verlag, 1998), S. 308.

[4] Ein solcher Grund wird auch als undercutting defeater (UD) bezeichnet. Formal läßt sich ein solcher UD wie folgt definieren: Wenn p Grund für eine Person A ist zu glauben, daß q der Fall ist, dann ist x ein UD für diesen Grund dann und nur dann, wenn x ein Grund ist für A daran zu zweifeln oder zu bestreiten, daß p nur dann wahr ist, wenn auch q wahr ist. (Vgl. dazu John L. Pollock: Contemporary theories of knowledge, 2. Auflage, (Lanham, Md. [u.a.] : Rowman & Littlefield, 1999) S. 196-197).

[5] John Leslie Mackie: Das Wunder des Theismus. Argumente f ü r und gegen die Existenz Gottes. (Stuttgart: Reclam, 1985), S. 287

[6] Ritter, J. / Gründer, K. (Hg.): Historisches W ö rterbuch der Philosophie. (Darmstadt: Schwabe & Co, 1971ff); Band 7, S. 1458.

[7] Mit „adijizieren“ soll hier hinzufügen bzw. nachbedingen, mit „Adjektion“ entsprechend Hinzufügung bzw. Nachbedingung gemeint sein.

[8] WC, S. 224

[9] WC, S. 8.

[10] Feuerbach schreibt: „[...] in dieser Schrift [...] wird [...] die Theologie [...] als psychische Pathologie behandelt.“ WC, S.8; vgl. auch S. 11.

[11] WC, S. 38f.

[12] WC, S. 38f.

[13] „Die Methode der reformatorischen Kritik der spekulativen Philosophie überhaupt unterscheidet sich nicht von der bereits in der Religionsphilosophie angewandten. Wir dürfen [...] also die spekulative Philosophie nur umkehren, so haben wir die unverhüllte, die pure, blanke Wahrheit.“ GW 9, S. 244; vgl. auch: Wolfgang Wahl , Feuerbach und Nietzsche: die Rehabilitierung der Sinnlichkeit und des Leibes in der deutschen Philosophie des 19. Jahrhunderts. (Würzburg: Ergon Verlag). Für die vorliegende Arbeit ergibt sich methodisch vor allem die Schwierigkeit, daß eine Analyse der Hegelkritik Feuerbachs zum einen eine Auseinandersetzung sowohl mit der Struktur und Intention der Philosophie Hegels als auch mit dem Hegelbilds Feuerbachs erfordern würde. Nicht zuletzt aufgrund des enormen Spektrums von Interpretationen der hegelschen Philosophie würde eine solche Analyse jedoch den Rahmen dieser Arbeit bei weitem überstrapazieren.

[14] Wolfgang Wahl: Feuerbach und Nietzsche: die Rehabilitierung der Sinnlichkeit und des Leibes in der deutschen Philosophie des 19. Jahrhunderts. (Würzburg: Ergon Verlag, 1997), S. 118.

[15] GW 9, S. 258.

[16] Vgl. GW 9, S. 247.

[17] GW 1, S. 330.

[18] GW 1, S. 330.

[19] Vgl. GW 1, 319; vgl. Wahl 1997 , S. 72 ff

[20] WC, S.146.

[21] WC, S. 38f.

[22] WC, S. 52f.

[23] WC, S. 76.

[24] WC, S. 97

[25] VR, 3. Vorlesung

[26] WR, Bd. 7, S. 504f.

[27] Vgl. WC, S. 224.

[28] WC, S. 224.

[29] WC, S. 231.

[30] Vgl. WC, S. 234.

[31] WC, S. 212.

[32] In Das Wesen des Christentums speist sich dieses Gefühl der Unvollkommenheit noch aus der Differenz des Menschen zu seinem eigenen Gattungswesen; nachdem Feuerbach allerdings das Konzept des Gattungsbewußtseins aufgibt, ist das Gefühl der Unvollkommenheit primär Resultat der Erfahrung der Abhängigkeit von einer übermächtigen Natur.

[33] Vgl. VR, 21. Vorlesung.

Ende der Leseprobe aus 82 Seiten

Details

Titel
Religionskritik bei Feuerbach, Nietzsche und Freud. Ist Religion eine bloße Erfindung des Menschen?
Hochschule
Universität Leipzig  (Institut für Philosophie)
Note
1,5
Jahr
2000
Seiten
82
Katalognummer
V190242
ISBN (eBook)
9783668110779
ISBN (Buch)
9783668110786
Dateigröße
832 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
religionskritik, feuerbach, nietzsche, freud, religion, naturalismus, genetische argumente, rechtfertigung von überzeugungen, Projektion
Arbeit zitieren
Anonym, 2000, Religionskritik bei Feuerbach, Nietzsche und Freud. Ist Religion eine bloße Erfindung des Menschen?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/190242

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