Das beharrlich fortwährende Endzeitgefühl und die Ahnung, der Zivilisationsprozess könnte gescheitert sein, veranlasst den modernen Menschen noch bis heute zur Flucht vor der falschen Realität. Ein derart ausgerichteter und doch unbestimmter tiefer Weltschmerz und Menschenekel, dieser intelligente Pessimismus und exzessive Untergangswille hat eine ganze Epoche europäischer Dekadenzliteratur hervorgebracht – eine literarische Schaffung künstlicher Paradiese. Dieser Typus tragischen Geistes birgt wahrscheinlich immer eine hoffnungsgeladene utopische Vorstellung einer besseren, einer anderen Welt. Gepaart mit dem Ernst einer möglichen Umsetzung, einer Zukunft, einer neuen Realität und damit einer Auflösung der Utopie in das Reale, entwirft ein solcher Geist eine ganze Vorstellungswelt, die ihre Verwirklichung ersehnt.
Im Falle Gottfried Benns, der auf den sprachlichen Pfaden des 20. Jahrhunderts wandelt, insbesondere auf denen Nietzsches, gab sich der anbahnende Nationalsozialismus als eine historische Revolution zum neuen Menschen aus. Der zynische und naturwissenschaftliche Geist Benn weiß um die Macht und Kraft des Mythischen, des Bildes und beschwört sich aus der als dekadent interpretierten Entwicklung der Historie eine neue Zukunft, eine andere Realität mit all ihren Konsequenzen herbei. Und wer wenn nicht der Mensch muss und kann der Übergang, der Katalysator, das Dynamit hin zu einer neu ausgerichteten Historie sein?
Unter diesem Aspekt, der Dialektik von Dekadenz und Dynamit, ganz im nietzscheschen Sinne, sollen Ausschnitte des Werkes Benns untersucht werden.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Von der Utopie zur begeisterten Blindheit
- Dekadenz versus Dynamit
- Abschließende Worte
- Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Der Essay untersucht das dialektische Verhältnis von Dekadenz und Dynamit im Werk von Gottfried Benn. Der Fokus liegt auf der Analyse, wie Benn aus den literarischen und philosophischen Strömungen der Dekadenz ein neues, dynamisch-revolutionäres Weltbild entwickelte.
- Die Dekadenzliteratur als Ausdruck von Weltschmerz und Untergangswille
- Die Rolle des Mythischen und des Bildes in Benns Werk
- Die Suche nach einem neuen Menschen und einer neuen Realität
- Die Faszination am Primitiven und am Dynamit als Mittel der Befreiung
- Die Verbindung von Dekadenz und Dynamit als Schlüssel zur Entwicklung einer neuen Historie
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung: Die Einleitung führt in das Thema des Essays ein und stellt die These auf, dass Gottfried Benn die Dekadenz als Ausgangspunkt für eine neue, dynamische Vision nutzte. Benn sah die Dekadenz als ein Symptom des Verfalls der Zivilisation, aber gleichzeitig als Chance für eine revolutionäre Transformation.
Von der Utopie zur begeisterten Blindheit: Dieses Kapitel analysiert die Dekadenzliteratur des frühen 20. Jahrhunderts und zeigt auf, wie sie sich in Benns Werk niederschlug. Dabei werden zentrale Themen wie nihilistische Grundstimmung, Ästhetisierung des Hässlichen und die Suche nach neuen Reizen in einer industrialisierten und anonymisierten Welt behandelt. Es wird auch Benns frühe Lyrik exemplarisch analysiert, um seine zynische Perspektive und seinen expressionistischen Stil zu verdeutlichen.
Dekadenz versus Dynamit: Dieses Kapitel beschäftigt sich mit der Frage, wie Benn die Dekadenz überwinden wollte. Es wird argumentiert, dass Benn das Mythische und das Primitiven als Quelle von Kraft und Befreiung sah. In diesem Zusammenhang wird das Konzept des Dynamits als Metapher für eine revolutionäre Veränderung, die die Dekadenz überwinden soll, vorgestellt.
Schlüsselwörter
Dekadenz, Dynamit, Gottfried Benn, Expressionismus, nihilistische Grundstimmung, Mythisches, Bild, revolutionäre Transformation, neue Realität, Weltbild, Zivilisation, Primitiv, Nietzsche, Schopenhauer.
- Quote paper
- Eric Jänicke (Author), 2011, Dekadenz und Dynamit - Ein dialektisches Verhältnis bei Gottfried Benn, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/190406