Musils Erstlingswerk „Die Verwirrungen des Zöglings Törleß“ erzählt von den Erfahrungen aus der Internatszeit eines jungen Knaben um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Es wäre jedoch zu kurz gegriffen, wenn man es bei einer solchen Umschreibung beließe. Vielmehr wird das Wesen der Erfahrung selbst, entlang konkreter Schilderungen dergleichen, beständig in Frage gestellt. Um 1900 war eine Skepsis an den Erkenntnismöglichkeiten des Menschen und seinen sprachlichen Fixierungen allgegenwärtig. Im Schatten wie im Lichte dieser Unsicherheiten entstand der Roman. Neben dem psychologischen und innenperspektivischen Stil ist der pubertierende Protagonist der ideale Schauplatz einer authentischen und ungefestigten Denkweise, die in ihrer Naivität und unsicheren Reflexion das Sezieren der Erfahrung notwendig durchläuft, dessen Gehalt über pubertäre Wirrnis hinausreicht, und zugleich die konkrete Erschütterung der Zeit abzeichnet. Eine Zeit, die geprägt war von überkommenen Moralvorstellungen und kaum mehr haltbaren, traditionellen, patriarchalen Strukturen der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, die aber vor allem bei progressiven Intellektuellen schon im Umbruch begriffen war.
Das Interesse dieser Arbeit ist es, die Verwirrungen von Törleß aufzugreifen und entlang des Widerspiels von Verstand und Gefühl, von Rationalem und Irrationalem darzulegen. Das nach einer Einheit suchende Kontraspiel dieser sich aufdrängenden Dualität, das mir zugleich als eine existenzielle Erfahrung wie auch als tieferliegendes Substrat von Törleß‘ Verwirrungen erscheint, ist die Perspektive und das Vorzeichen der folgenden Ausführungen.
Der Titel ‚Empfindung der Empfindungslosigkeit‘ soll metaphorisch die Qualität dieser Suche beschreiben, die sich bei Törleß aus dem Gefühl einer Leere heraus ergibt. Er ist gezwungen, sich in Abgrenzung zu begreifen. Alles was ist, bekommt bei ihm gerade dadurch Gestalt, weil er versucht ist, zu ergründen, was es nicht ist. Sein gedankliches Bemühen steht in untrennbarer Wechselwirkung zu seiner emotionalen Situation. Und man kann trotz der behutsamen, empathischen Verwendung der auktorialen Erzählperspektive davon ausgehen, dass Törleß sogar noch weit mehr im Dunklen tappt als vermittelt wird.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Räumliche Strukturen und Zusammenhänge
- Im Allgemeinen
- Wahrnehmung räumlicher Prägungen
- Emotionale Resonanz und Ohnmacht des sprachlichen Intellekts
- Raum und Raumlosigkeit
- Mathematik und Wirklichkeit
- Das Imaginäre
- Auseinandersetzung mit Kant
- Das Unendliche
- Die Entwirrung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Seminararbeit analysiert Robert Musils Erstlingswerk „Die Verwirrungen des Zöglings Törleß“ im Kontext der Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Der Fokus liegt dabei auf der Darstellung der Empfindung der Empfindungslosigkeit bei dem Protagonisten Törleß, insbesondere im Spannungsfeld von rationalen und irrationalen Denkweisen. Die Arbeit zeichnet die Verwirrungen des Zöglings anhand des Widerstreits von Verstand und Gefühl nach und untersucht, wie diese Dualität in Törleß' Selbstsuche zum Ausdruck kommt.
- Die Rolle von Raum und Raumlosigkeit in der Gestaltung von Törleß' emotionaler und geistiger Entwicklung
- Die Auseinandersetzung mit mathematischen Konzepten als Ausdruck des Strebens nach Ordnung und Klarheit in einer chaotischen Welt
- Die Grenzen der sprachlichen Beschreibung und die Bedeutung der Intuition in der Erfahrung von Törleß
- Die Auswirkungen der gesellschaftlichen und moralischen Strukturen auf die Identitätsfindung des jungen Protagonisten
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung
Die Einleitung führt in die Thematik der Seminararbeit ein und stellt das Werk "Die Verwirrungen des Zöglings Törleß" als eine Analyse der menschlichen Erfahrung in der Zeit um 1900 vor. Die Einleitung beleuchtet die Unsicherheiten des Menschen gegenüber den Erkenntnis- und Sprachmöglichkeiten seiner Zeit, sowie die Bedeutung des pubertierenden Protagonisten Törleß für die Erkundung der unfestigten Denkweise. Der Text beschreibt die gesellschaftlichen und moralischen Strukturen der damaligen Zeit und die Bedeutung des Romans als Spiegel seiner Zeit.
Räumliche Strukturen und Zusammenhänge
Dieses Kapitel analysiert die Bedeutung von Räumen im Roman und ihre Verbindung mit der Innenwelt von Törleß. Der Text geht davon aus, dass die überschaubare Anzahl von Räumen in "Die Verwirrungen des Zöglings Törleß" untrennbar mit der sprachlich-emotionalen Darstellung der Innenwelt des Protagonisten verwoben ist. Die Kapitel behandelt die Projektion und Rückkopplung zwischen dem Bewusstsein und dem Räumlichen.
Schlüsselwörter
Die wichtigsten Schlüsselwörter dieser Arbeit sind: Robert Musil, "Die Verwirrungen des Zöglings Törleß", Jahrhundertwende, Empfindung der Empfindungslosigkeit, Rationalität, Irrationalität, Verstand, Gefühl, Raum, Raumlosigkeit, Identität, Selbstfindung, gesellschaftliche Strukturen, Moral, Erziehungsroman, Psychologische Analyse, Innenwelt.
- Arbeit zitieren
- Eric Jänicke (Autor:in), 2011, Die Empfindung der Empfindungslosigkeit. Verwirrungen entlang der Dualität von Rationalem und Irrationalem in Musils ‚Die Verwirrungen des Zöglings Törleß‘, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/190409