Leseprobe
Inhaltverzeichnis
Einleitung
I. Dido als Herrscherin
II. Macht der Minne
III. Heilung um jeden Preis
IV. Folgen: zerbrochene Ordnung
V. Der Weg zum Selbstmord
Schlussbemerkung
Literaturverzeichnis
Einleitung
Heinrich von Veldeke, einer der herausragenden volkssprachigen Dichter der mittelhochdeutschen Literaturzeit, wird in der Forschung als «Begründer des neuen höfischen Romans» genannt. Diese Bezeichnung verdient er dank seinem „Eneasroman“ (um 1190 fertig gestellt), da er der erste Dichter ist, der das antike Epos dem höfischen Publikum in deutscher Sprache präsentiert.
Veldekes „Eneasroman“ ist keine wörtliche Übersetzung von Vergils „Aeneis“, sondern eine bearbeitete Wiedergabe des altfranzösischen „Roman d’Eneas“ (um 1160 entstanden), der seinerseits auf Vergil zurückweist. Obwohl die Fabel und die wesentlichen Etappen der römischen Eposhandlung in die mittelalterliche Romane übernommen worden sind, unterscheiden sie sich vom antiken Werk sowohl in stilistischer, als auch in inhaltlicher Sicht. Die Akzente werden verschoben und die Charaktere umgestaltet. Die Macht der Götter, die das Leben der Protagonisten in Vergils „Aeneis“ lenken, wird abgeschwächt, die Unterweltfahrt des Trojaners wird gekürzt und stark verändert, die Liebesgeschichte zwischen Lavinia und Eneas wird ins Werk eingeführt. Alle drei Autoren folgen dem Geist ihrer Zeit und wollen mit ihren Werken das Publikum sowohl erfreuen, als auch erziehen.
Im Unterschied zu der antiken Vorlage, wird in den mittelalterlichen Adaptionen mehr Akzent auf die Minnehandlungen gelegt. Die Macht der Minne wird am Beispiel der Dido- und Lavinia-Geschichte gezeigt, indem ihre Wirkung auf das Denken, Handeln und insgesamt auf das Leben der Personen explizit betont wird. Liebe ist in den Romanen der Dichter des 12. Jahrhunderts eine treibende Kraft, die das Dasein der Protagonisten bestimmt.
In der vorliegenden Arbeit soll am Beispiel der Darstellung der Dido-Episode bei Veldeke, die von dem antiken Original etwas abweicht, gezeigt werden, dass Minne eine zerstörende, den Verstand raubende Macht ist.
Zuerst soll die Darstellung der Karthagerin Dido als einer mächtigen und klugen Herrscherin vor dem Auftritt der Liebeskrankheit betrachtet werden. Dann werden die Entstehung der Minne und die durch sie verursachten körperlichen und seelischen Schmerzen zum Thema. Im nächsten Kapitel soll die Entscheidung der Königin, sich dem Trojaner hinzugeben und die Tat im Wald analysiert werden. Die Reaktion der Gesellschaft auf die Liebesbeziehung und deren Folgen sollen im Mittelpunkt des folgenden Abschnittes stehen. Im letzen Kapitel sollen die Notwendigkeit von Didos Selbstmords und die zerstörende Macht der Minne untersucht werden. Der Originaltext soll als Ausgangspunkt für die Analyse dienen, passende Textpassagen und Wörter sollen sinngemäß in die Arbeit eingeführt werden.
I. Dido als Herrscherin
daz was Kartâgô,
die diu frouwe Dîdô
bûwete unde stihte;[1]
[…]
Michel was ir wîstûm.
Si hete grôzen rîchtûm:
Des vorhte man si sêre.[2]
Gleich zu Beginn der Dido-Episode im „Enasroman“ wird die Stärke und Macht der Königin betont. Eine Frau, die im fremden Land eine Stadt gegründet und erbaut hat, ist eine außergewöhnliche Erscheinung für das mittelalterliche Publikum. Veldeke berichtet dem Leser ausführlich ihren Aufstieg zur Herrschaft, wo stets ihre wîstûm und rîchtûm akzentuiert werden. Das sind auch die notwendigen Voraussetzungen für eine Landesherrin. Klug handelt sie gleichfalls beim Erwerb des Platzes für ihre Burg, wo ihre Tat als listichlîchen[3] bezeichnet wird. Veldeke legt besonderes Gewicht auf die detaillierte Beschreibung der Landnahme mit der Rinderhaut, die weder in der französischen noch lateinischen Vorlage zu finden ist.[4] Ihr Reichtum - si was vil rîche[5] - ermöglichte ihr nicht nur den Kauf des Landes, sondern auch den Bau einer Burg, welche ihre Macht repräsen-tieren soll. Im Weiteren wird die Klugheit ihrer Handlungen betont, welche es ihr ermöglichen das ganze Land zu unterwerfen.
und warb dô listichlîche,
unz sie sô verre vore quam,
daz ir wart gehôrsam
Libîâ daz lant al
uber berch und uber tal.[6]
Die Einzelheiten, wie es Dido gelungen ist, das ganze Land zu unterwerfen, werden vom Erzähler nicht berichtet. Akzent wird darauf gelegt, dass sie ihr Geld und ihre Klugheit richtig einzusetzen versteht. Die Eroberung und der Ausbau des Landes waren in allen Zeiten ein zentraler Bestandteil der Politik, der Bau einer Burg war seit dem 11. Jahrhundert Instrument und Zeichen der Herrschaft über Land und Leute.[7]
Die Beschreibung der Stadt ist im „Eneasroman“ wesentlich kürzer als im „Roman d’Eneas“[8], Syndikus betont, dass Veldekes Interesse also weniger auf Karthago selbst, als vielmehr auf die dadurch begründete Machtstellung Didos gerichtet ist und „[…] er zeigt auch, wie berechtigt die über Libyen hinausgehenden Ansprüche der Herrscherin sind […].“[9] Durch die Beschaffenheit des Ortes ist Karthago gut gesichert und wird als eine uneinnehmbare Stadt glaubhaft dargestellt.[10] Mittelpunkt und Machtzentrum im Land ist Dido und sowohl ihre Position, als die von ihr gegründete und regierte Stadt scheinen unantastbar zu sein.
Als die von Aeneas geschickten Boten zu ihr kommen, empfängt Dido sie freundlich und zeigt sich dem Trojaner gegenüber, den sie vorher nicht gesehen hat, sehr großzügig:[11]
ich will im bieten ânê nôt
daz ich nie manne erbôt
in der werlde noch nie […].[12]
Die Ursache ihrer Gastfreundlichkeit begründet sie mit der eigenen Erfahrung, da sie selbst Vertreibung, Unglück und große Not erlitten hat. In Didos Rede zu den Boten kommt nicht nur ihre große Macht im Land zum Vorschein, die sie gerne betont, sondern auch Elemente der Sehnsucht nach einem Mann, die sie unbewusst in ihre Angebote einführt. Sie will Eneas lûte unde lant zuteilen, schaz zu seiner Verfügung stellen und ihre Freude ist so groß, dass sie es deme gote danken will, der in dâ her sande.[13] Es ist Höhepunkt ihrer Rede, als sie sagt:
Nien wart von einem wîbe
baz enphangen ein man,
ob ich mach und ob ich kan.[14]
Die Herrscherin von Karthago, die selbst aus ihrer Heimat vom eigenen Bruder vertrieben worden ist, scheint durch die Ähnlichkeit der beiden Schicksale eine deutliche Zuneigung zu dem Trojaner zu spüren und vermutet selbst nicht, dass alle ihre Versprechen so weit erfüllt werden, dass es für sie tragisch enden wird.
II. Macht der Minne
Didos Position als Herrscherin, ihre Macht und Ansehen werden aufs Spiel gesetzt, sobald sie Eneas aufnimmt und eine unermessliche Liebe zu ihm empfindet. Schon am Beginn der Minnehandlung wird darauf hingewiesen, dass die Königin daran zugrunde gehen wird:
Ir minne diu was ze grôz,
wand si drumbe mûste geben
ze aller jungest ir leben
und jâmerlîche ir ende nam.[15]
Sowohl bei Veldeke, als auch in seinen Vorlagen, spielt bei der Entstehung der Minne eine göttliche Kraft eine entscheidende Rolle, die Erweckung der Liebe wird aber verschieden dargestellt. Bei Vergil wird Amor in Gestalt des Ascanius verwandelt und haucht beim Austausch der Küsse mit Dido Liebesfeuer zu Eneas ein. Im „Roman d’Eneas“ findet keine Metamorphose statt, der wahre Askanius infiziert Dido mit dem tödlichen Gift auch beim Küssen. Bei Veldeke, der seiner altfranzösischen Vorlage eher als der antiken Quelle treu ist, wird Dido durch das Liebkosen mit Askanius liebeskrank. In allen drei Werken ist Venus die Urheberin der Liebe, ihre Motivation der Liebeserweckung wird bei Vergil und im „Roman d’Eneas“ durch die Sorge um ihren Sohn erklärt, bei Veldeke fehlt diese Begründung.[16] In allen oben genannten Werken wird Liebe durch Berührungen übertragen, bei Veldeke wird aber der Übertragungsweg der Minne besonders betont. Liebe ist bei ihm von material-stofflicher Qualität - diuz dar abe nam - sie entsteht nicht erst im Inneren, sondern wird von außen, durch die Berührung in Form des Kusses, übermittelt.[17] Die Bedingung dafür, dass Dido sich ausgerechnet in Eneas verliebt, wird im “Eneasroman“ folgenderweise formuliert:
[...]
[1] Heinrich von Veldeke, Eneasroman mittelhochdeutsch/neuhochdeutsch. Nach dem Text von Ludwig Ettmüller ins Neuhochdeutsche übersetzt, mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Dieter Kartschoke, Stuttgart 2007, V. 24, 27–29, S. 21–22.
[2] Ebd. V. 27, 25 – 27, S. 28.
[3] Ebd. V. 25, 13, S. 22.
[4] Vgl.: Syndikus, Anette: Dido zwischen Herrschaft und Minne – Zur Umakzentuierung der Vorla-gen bei Heinrich von Veldeke in: PBB 114 (1992), S. 57–107, S. 64.
[5] Heinrich von Veldeke, 2007, V. 26. 3.
[6] Ebd. V. 26, 4–8, S. 24.
[7] Vgl.: Klein, Dorothea: Mittelalter, Lehrbuch Germanistik mit 17 Abbildungen. Stuttgart – Weimar 2006, S. 208–209.
[8] Le Roman d’Eneas. Übersetzt und eingeleitet von Monika Schöler-Beinhauer. München 1972,
V. 407–548.
[9] Vgl.: Syndikus, Anette, 1992, S. 67.
[10] Heinrich von Veldeke, 2007, V. 27, 1–17, S. 26–28.
[11] Durch die Reduktion der olympischen Götter im „Eneasroman“ wird die Struktur des Geschehens wesentlich verändert: In „Aeneis“ von Vergil erzählt Aeneas’ göttliche Mutter Venus dem Trojaner von Dido. Bei Vergil kommt er in die Stadt im Schutze einer Wolke und sieht im Junotempel die Darstellungen aus dem trojanischen Krieg. Statt der Götter werden im „Eneasroman“ die Figuren selbst zu Handlungsträgern. Deswegen werden viele Stellen aus Vergils „Aeneis“ entweder ganz ausgelassen, gekürzt oder umgeschrieben. Es scheint unangemessen zu sein, die Gründe solcher auffallenden Unterschiede ausführlich zu diskutieren, da es nicht zum Thema dieser Arbeit gehört.
[12] Heinrich von Veldeke, 2007, V. 30, 37–39, S. 34.
[13] Vgl.: Ebd.: V. 31, 4–11, S. 36.
[14] Ebd.: V. 31, 12–13, S. 36.
[15] Ebd. V. 36, 8–11, S. 46.
[16] Ebd. V. 37, 23–37, S. 50.
[17] Vgl.: Quast, Bruno/Schausten, Monika: Amors Pfeil. Liebe zwischen Medialisierung und Mythisierung in Heinrichs von Veldeke Eneasroman, in: Schnyder Mireille (Hg.): Schrift und Liebe in der Kultur des Mittelalters (Trends in medieval Philology 13), Berlin u.a. 2008, S. 63–82, S. 71.