Das Ich und das Es - Anmerkung zu dem alten Problem des Unbewussten

Von uralten Bildern der Menschheit, die uns in die Zukunft führen


Essay, 1987

24 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Kapitel 1: Die Funktion des Es bei Georg Büchner

Kapitel 2: Psychomentale Funktionen und die Einfache Form bei Kurt Ranke

Kapitel 3: Pyramide und Kreis, zwei Formen des Es, Bilder für Tod und Leben

Kapitel 4: Die Schlangen-Menschen (Historischer Versuch).

Kapitel 5: Schon Platon wurde nicht geglaubt

Kapitel 6: Cherubim – Seraphim

Kapitel 7: Der Adler und die Schlange. Bilder aus der Ilias

Kapitel 8: Die Schlange und das Zeichen des Kreuzes

Kapitel 9: Der blau-grüne Drache und der weisse Tiger

Weiterführende Literatur:

Einleitung.

Im Jahre 1923 schrieb Siegmund Freud den Aufsatz „Das Ich und das Es.“

Ich hoffe seine Ideen um einige Aspekte bereichern zu können.

Siegmund Freud bezog sich bei der Definition des Es auf den Arzt Georg Groddeck, „der immer wieder betont, dass das, was wir unser Ich heissen, sich im Leben wesentlich passiv verhält, dass wir nach seinem Ausdruck „gelebt“ werden von unbekannten, unbeherrschbaren Mächten.“[1]

Siegmund Freud übernahm diesen Gedankengang:

„Ein Individuum ist nun für uns ein psychisches Es, unerkannt und unbewusst, diesem sitzt oberflächlich das Ich auf (...) etwa so, wie die Keimscheibe dem Ei aufsitzt.“[2]

Siegmund Freud ordnet dem Es erstaunliche Eigenschaften zu.

Es ist der Erinnerungsspeicher für die Erlebnisse vieler Generationen.

Das Es beherbergt „in sich die Reste ungezählt vieler Ich-Existenzen.“[3]

Es ist also die Umschreibung der menschlichen Art.

Ein anderer alter jüdischer Begriff dafür ist Adam, Mensch.

Jeder einzelne Mensch birgt in sich das Es, das unbegreifliche Etwas, das den Menschen ausmacht.

Das Individuum ist der bewusste Teil des Es.

Ziel meiner Arbeit soll sein, die Grenzen des bewussten Teils zu erweitern.

Kapitel 1: Die Funktion des Es bei Georg Büchner.

Meine These ist, dass der Arzt Georg Büchner in seinen Werken den Begriff es in der von Groddeck und Freund umschriebenen Art gebraucht hat.

Woyzeck scheint Es als unbekannte, unbeherrschbare Macht, durch die er gelebt wird, am stärksten zu empfinden:

„Es geht was! (...)

Es geht hinter mir, unter mir.“[4]

Es war wieder was, (...)

Es ist hinter mir hergegangen (...)

Etwas, was wir nicht fassen, begreifen, was uns von Sinnen bringt!“[5]

Bei Woyzeck ist Es etwas bedrohliches, Es fordert den Tod,

Woyzeck soll seine Freundin erstechen:

„Es redt immer: stich! stich!“[6]

„Hör ich’s immer, immer zu: stich tot, tot!“[7]

Bei Lenz hingegen ist Es etwas freundliches,

Es bringt den Frieden der zerquälten, zerrissenen Seele:

„Es war, als ginge ihm was nach

und als müsse ihn was Entsetzliches erreichen,

etwas,

das Menschen nicht ertragen können.“[8]

„Es wurde ihm, als hätte ihn was an der Stirn berührt,

das Wesen sprach ihn an.“[9]

„Auch habe es ihn angefasst,

und er habe damit gerungen wie Jakob.“[10]

Die Gleichsetzung des Es mit dem Göttlichen wird noch klarer,

für Lenz verschwimmt es mit Christus:

„da kommt ein Unbekannter zu ihnen,

sie sprechen, er bricht das Brot;

da erkennen sie ihn,

in einfach-menschlicher Art,

und die göttlich-leidenden Züge reden ihnen deutlich,

und sie erschrecken,

denn es ist finster geworden,

und es tritt sie etwas Unbegreifliches an;“[11]

Auch in Dantons Tod ist die Rede vom Es,

es ist das Unbegreifliche, das Leben:

„Es war etwas darin, was ich nicht begriff.“[12]

„Es ging überall etwas um mich vor“[13]

In Dantons Tod ist auch die Rede von Christus.

Christus ist der Mensch, der seiner Natur gemäss handelt,

„das heisst, er tut, was ihm wohltut.“[14]

Die Natur des Menschen wird von G. Büchner nach dem Bilde Christi beschrieben, dem Lamm Gottes: Die individuellen Unterschiede der Persönlichkeiten beschreibt er als Masken, als „Variationen aus verschiedenen Tonarten über das nämliche Thema.“[15]

Es, das Unbegreifliche im Menschen, umfasst für G. Büchner also zwei Aspekte:

Das Entsetzliche, das zum Töten auffordert, und das Göttliche, das den Frieden bringt:

„Was ist das, was in uns lügt, hurt, stiehlt und mordet?

Puppen sind wir, von unbekannten Gewalten am Draht gezogen.“[16]

Doch fassbar ist es nicht, wie Leonce und Lena zeigen:

„Ein Ding – ein Ding – ein Ding, - das nichts ist.“[17]

„Wer seid Ihr?

Weiss ich’s?

Ein ich das? Oder das? Oder das?

Wahrhaftig, ich bekomme Angst,

ich könnte mich so ganz auseinanderschälen und –blättern.

Aber – aber etwas müsst Ihr denn doch sein?“[18]

Dies Etwas bleibt,

das Unfassbare,

das Unbegreifliche,

das Es,

das Unbewusste,

wie Siegmund Freud es später nannte.

Kapitel 2: Psychomentale Funktionen und die Einfache Form bei Kurt Ranke.

Der Göttinger Märchenforscher Kurt Ranke hielt die Form eines Märchens für sekundär.

“Primär ist die Énergeia, die schöpferische, seelische und geistige Grundkraft des Menschen, die sich in der ihr jeweils zukommenden und entsprechenden Form manifestiert.“[19]

Er postuliert als „momentum generativum“ „das unbewusst Produktive, die seelischen Impulse als wichtigstes.“[20]

Er spricht von einer „psychomentalen Haltung“[21],

einer „psychomentalen Struktur“,

von „psychomental anders strukturierten Nachbarn“[22],

von „psychomental anders strukturierten Völkern“[23].

Manche Märchen sind weltweit verbreitet,

viele bleiben „an den Grenzen“[24] stecken,

sie sind nur bei bestimmten Völkern zu finden.

Es scheint also scharfe Grenzen in den unbewussten Strukturen der Völker zu geben, die die Entwicklung und Übernahme von Märchen beeinflussen.

Der Einzelne birgt demnach in sich allgemeine und spezifische Strukturen des Unbewussten.

Das Es umfasst allgemeinmenschliche, gruppenspezifische und persönlich-individuelle Inhalte.

Zwei Grundinhalte des Es, zwei Aspekte postulierte Siegmund Freud:

„Eros und Todestrieb kämpfen in ihm“[25].

Diese beiden Aspekte sind im Einzelnen zu finden, G. Büchner hat das anschaulich gemacht.

Meine These nun ist:

Diese beiden Aspekte gibt es auch bei Menschengruppen bis zu Gesamtheit, der Menschheit.

Thomas Mann könnte mein Zeuge sein, Paul Celan ist es:

Er versuchte den Konflikt in unserem 20. Jahrhundert zu fassen:

„Er spielt mit den Schlangen und träumet

[...]


[1] S. Freud: Das Ich und das Es. S. 180 Fischer Taschenbücher, Frankfurt am Main, 1984

[2] S. Freud: a. a. O., S. 180

[3] S. Freud: a. a. O., S. 191-192

[4] G. Büchner: Werke und Briefe. S. 115 dtv, München, 1969

[5] G. Büchner: a. a. O., S. 116

[6] G. Büchner: a. a. O., S. 126

[7] G. Büchner: a. a. O., S. 125

[8] G. Büchner: a. a. O., S. 66

[9] G. Büchner: a. a. O., S. 69

[10] G. Büchner: a. a. O., S. 75

[11] G. Büchner: a. a. O., S. 73

[12] G. Büchner: a. a. O., S. 16

[13] G. Büchner: a. a. O., S. 16

[14] G. Büchner: a. a. O., S. 21

[15] G. Büchner: a. a. O., S. 59

[16] G. Büchner: a. a. O., S. 33

[17] G. Büchner: a. a. O., S. 107

[18] G. Büchner: a. a. O., S. 107

[19] K. Ranke: Die Welt der Einfachen Formen. S. 23 W. de Gruyter, Berlin – New York, 1978

[20] K. Ranke: a. a. O., S. 25

[21] K. Ranke: a. a. O., S. 46

[22] K. Ranke: a. a. O., S. 96

[23] K. Ranke: a. a. O., S. 97

[24] K. Ranke: a. a. O., S. 93

[25] S. Freud: a. a. O., S. 208

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Das Ich und das Es - Anmerkung zu dem alten Problem des Unbewussten
Untertitel
Von uralten Bildern der Menschheit, die uns in die Zukunft führen
Autor
Jahr
1987
Seiten
24
Katalognummer
V190663
ISBN (eBook)
9783656153153
ISBN (Buch)
9783656153023
Dateigröße
473 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Vor 25 Jahren bewegte sich die Welt. Ein Jahr nach der Katastrophe von Tschernobyl kam es zu einem Gipfeltreffen von Reagan und Gorbatschow. Die Zeitschrift "Der Spiegel" kommentierte den Waffenstillstand mit dem Titelbild: Adler-Kralle und Bären-Tatze. In dieser aufgewühlten Zeit hatte ich versucht, die alten Bilder von Krieg und Frieden, die schon Tolstoi bewegt hatten, anschaulich zu machen. Und plötzlich erschienen sie auf den Titelblättern. Und plötzlichen brachen Mauern und Weltreiche zusammen.
Schlagworte
anmerkung, problem, unbewussten, bildern, menschheit, zukunft
Arbeit zitieren
Dr. med. Friedrich Flachsbart (Autor:in), 1987, Das Ich und das Es - Anmerkung zu dem alten Problem des Unbewussten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/190663

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