Is ja irre: Postmoderne Elemente in den Texten deutscher Punkbands


Hausarbeit (Hauptseminar), 2003

28 Seiten, Note: 1-2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Ausgangspunkt und Zielsetzung dieser Arbeit
1.1 Zu den Schwierigkeiten einer Definition von ‚Punk‘
1.2 Definition: ‚Postmoderne Elemente‘

2. Untersuchung der ausgewählten Texte
2.1 Die Ärzte: Hurra
2.2 Die Ärzte: Is ja irre
2.3 Die Toten Hosen: Entenhausen bleibt stabil
2.4 Abwärts: Der Westen ist einsam

3. Evaluation der Ergebnisse und Ausblick

4. Anhang: Die Texte der angesprochenen Songs
4.1 Die Ärzte: Hurra
4.2 Die Ärzte: Is ja irre
4.3 Die Toten Hosen: Entenhausen bleibt stabil
4.4 Abwärts: Der Westen ist einsam

5. Quellen- und Literaturverzeichnis

1. Ausgangspunkt und Zielsetzung dieser Arbeit

Mit dieser Hausarbeit, die ich im Sommersemester 2003 im Rahmen des Hauptseminars „Literatur und Film in der Postmoderne“ unter der Leitung von Prof. Dr. Sabine Kyora an der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg verfaßt habe, möchte ich versuchen, einige ausgewählte Texte von deutschsprachigen Punkbands auf mögliche postmoderne Elemente hin zu untersuchen. Dies mag sich als fruchtbar erweisen, da bereits im Vorhinein einige Affinitäten zwischen Punk und Postmoderne auffallen.

Grundlegend sind hier zunächst einmal der Charakter von Punkmusik als Alltagskunst[1] und der dahinterstehende „Do it yourself“-Gedanke im Hinblick auf den Versuch der Postmoderne, Kultur in erster Linie als Alltagskultur zu verstehen und die Unterscheidung zwischen hoher Kunst und Pop aufzuheben.

Auch wenn man Punk unter den Stichworten „Pluralität“ – von Wolfgang Welsch als „das Herzwort der Postmoderne“[2] bezeichnet – oder auch „Fragmentarisierung“[3] und „Hybridisierung“[4] betrachtet, finden sich Ähnlichkeiten. Deutlich werden sie beispielsweise anhand folgender Charakterisierung des Punks der späten siebziger Jahre:

„Der Northern Soul [...] gab eine Prise seiner Untergrundtradition dazu [...]. Der heimische Rhythm Blues verstärkte noch den aggressiven Speed des Northern Soul und steuerte urwüchsigen Rock-Sound und eine ausgefeilte Ketzer- und Schmähsprache bei [...]. Dieser unwahrscheinliche – im Punk mysteriös fabrizierte – Zusammenschluß verschiedenster, oberflächlich unvereinbarer Musiktraditionen fand seine Bestätigung und Bestärkung noch in einem ähnlich zusammengewürfelten Kleidungsstil, der die gleiche Anhäufung von Mißklängen auf der visuellen Ebene reproduzierte. Das ganze bunte Durcheinander – mit Sicherheitsnadeln buchstäblich zusammengehalten – wurde zu einem [...] als Punk bekannten Phänomen, das im gesamten darauffolgenden Jahr (1977) die [...] Presse mit einem willkommenen Katalog wundervoll gebrochener Kodes versorgte.“[5]

Außerdem führen einige ihrer Theoretiker, so zum Beispiel Leslie Fiedler oder Ihab Hassan, das Subversive als Merkmal postmoderner Kunst an. Das Subversive zeige sich in der „Auflösung des kulturellen Kanons“ und in dem Infragestellen der „konventionellen Autoritäten“, es könne beispielsweise aber auch als „Verspotten der Autoritäten“[6] zu Tage treten. Fiedler postuliert, daß „der wirklich neue Neue Roman anti-künstlerisch und anti-seriös sein“[7] müsse. Augenscheinlich findet sich eine anti-autoritäre und anti-künstlerische Haltung aber auch im Dilletantismus und in der Anti-Ästhetik[8] der frühen Punk-Subkultur sowie in gewissen anarchistischen Tendenzen des heutigen Punk-Stils.

In dieser Arbeit werde ich zunächst versuchen, den Begriff Punk etwas näher zu umreißen (siehe Punkt 1.1, Seite 3) und dann eine Reihe von Merkmalen postmoderner Kunst vorlegen (siehe 1.2, Seite 5), die ich als Basis für die Untersuchung der Texte (siehe Punkt 2., Seite 9) verwenden möchte. Die in der vorliegenden Hausarbeit verwendeten Methoden sollen versuchen, der Forderung nach einer neuen Literaturwissenschaft nachzukommen, die Leslie Fiedler bereits in den sechziger Jahren gestellt hat:

„Fast alle heutigen Leser und Schriftsteller sind sich der Tatsache bewußt, daß wir den Todeskampf der literarischen Moderne und die Geburtswehen der Post-Moderne durchleben. [...] Warum dann also keine neue Neue Kritik erfinden, eine post-moderne Kritik, angemessen post-moderner Prosa und Poesie? [...] Eine neue Literaturkritik wird selbstverständlich nicht in erster Linie befaßt sein mit Fragen der Struktur, Diktion oder Syntax; diese setzen ja voraus, daß das Kunstwerk ‚wirklich‘ existiert auf der Seite Papier und nicht in der Aneignung und dem Verständnis des Lesers.“[9]

So werde ich beispielsweise darauf verzichten, Metrum und Reimschemata der vorliegenden Songs zu analysieren und zu interpretieren, dies würde vermutlich ohnehin nicht zu brauchbaren Ergebnissen führen. Da zu erwarten ist, das die zu behandelnden Texte – typisch Punk – ihre Botschaft ohnehin sehr plakativ vermitteln, wird auch die Gretchenfrage der Literaturwissenschaft „Was will uns der Autor damit sagen?“ eher stiefmütterlich behandelt werden. Vielmehr möchte ich untersuchen, inwiefern die Merkmale postmoderner Literatur, die unter Punkt 1.2 (Seite 5) definiert werden, sich auch in den zur Rede stehenden Texten wiederfinden lassen.[10]

Was nicht mit dieser Hausarbeit angestrebt wird, ist, eine endgültige Definition für ‚Punk‘ oder ‚Postmoderne‘ zu liefern. Ebenso erhebt sie auch keineswegs den Anspruch auf Allgemeingültigkeit: Das würde weder einem postmodernen literaturwissenschaftlichen Ansatz gerecht, noch würde es dem begrenzten Rahmen einer Hausarbeit entsprechen. Überdies sind auch die meisten der – eher willkürlich – ausgewählten Texte keineswegs als exemplarisch für das Werk der jeweiligen Band oder gar die gesamte Punkbewegung zu lesen.

1.1 Zu den Schwierigkeiten einer Definition von ‚Punk‘

Als musikalischer Ausdruck der Verweigerung und der Rebellion großer Teile der Jugend entstand in der Mitte der siebziger Jahre in England die Punkbewegung. Der Musikinsindustrie [sic] gelang es jedoch schnell, die Hauptströmung des Punk zu vereinnahmen und kommerziell zu verwerten."[11]

Anhand dieser zusammenfassenden Charakterisierung zeigen sich bereits die Schwierigkeiten, die der Versuch einer Definition von Punk mit sich bringt. Möchte man sich nun ausschließlich mit nicht-kommerzialisiertem ‚True-Punk‘ beschäftigen? Oder doch lieber mit dem, was von der Musikindustrie als Punk verkauft wird? Was versteht der Durchschnittsbürger unter Punk? Die kommerzialisierte Spielart des Punk oder doch eher die etwas asoziale „Haste mal `ne Mark?“-Variante?

Daran schließt sich auch die Frage an, ob die noch junge Punkmusik der späten siebziger und frühen achtziger Jahre untersucht werden soll oder der Punk von heute als Maßstab angelegt wird. Will man Punk immer noch als den Gegenentwurf zum Pop verstehen, als der er einst angetreten ist? Oder sieht man ihn als einen möglichen Stil unter vielen an?

Daß sich nicht nur der Punkrock, sondern auch die gesamte dazugehörige Subkultur während der letzten 35 Jahre stark verändert hat, wird bereits offensichtlich, wenn man sich nur vor Augen hält, daß Punk in seinen Anfängen ein viel größeres Provokationspotenzial und einen weitergehenden musikrevolutionären Anspruch hatte, während er heute lediglich ein gesellschaftlich akzeptiertes Label ist, das beispielsweise von großen Kaufhausketten als einer der „wichtigsten Trends im Herbst 2001“[12] propagiert wird und der Öffentlichkeit über verschiedene Musiksender vor allem als US-amerikanischer Skater- oder Spaßpunk bekannt ist.

In dieser Hausarbeit sollen schwerpunktmäßig zunächst einmal drei neuere Texte der heute populären, kommerziellen Punkbands „Die Ärzte“ (Is ja irre, Punkt 2.2, Seite 12 und Hurra, siehe 2.1, Seite 9) und „Die Toten Hosen“ (Entenhausen bleibt stabil, Punkt 2.3, Seite 14) behandelt werden, weil sie meiner Meinung nach einen guten Kompromiß zwischen der ursprünglichen Idee von Punk und dem heutigen vor allem als Punk bekannten Powerpop im Stile von „The Offspring“ oder „Blink 182“ bilden. Außerdem soll als Beispiel für einen frühen Punksong Der Westen ist einsam von der Hamburger Band „Abwärts“ aus dem Jahre 1982 thematisiert werden (Punkt 2.4, Seite 16).

1.2 Definition: ‚Postmoderne Elemente‘

Da es mittlerweile recht viele, mitunter divergierende Auffassungen und Definitionen von Postmoderne gibt, stellt sich die Frage, auf welcher von ihnen diese Hausarbeit basieren soll. Aus Gründen der Praktikabilität habe ich mich bei dieser Untersuchung hauptsächlich für eine „Merkmalreihe für die Postmoderne“[13] entschieden, die der amerikanische Literaturwissenschaftler Ihab Hassan 1985 in seinem Aufsatz „Postmoderne heute“[14] als „parataktische Liste, die ein kulturelles Feld umschreiben soll“[15], zusammengestellt hat. Hassan führt folgende Merkmale als Indizien für ein postmodernes Kunstwerk an:

- Unbestimmtheiten
- Fragmentarisierung
- Die Auflösung des Kanons
- Der Verlust von ‚Ich‘, von ‚Tiefe‘
- Das Nicht-Zeigbare, Nicht-Darstellbare
- Ironie
- Hybridisierung
- Karnevalisierung
- Performanz, Teilnahme
- Konstruktcharakter
- Immanenz

Unter Unbestimmtheiten versteht Hassan „alle Arten von Ambiguitäten, Brüchen, Verschiebungen innerhalb unseres Wissens und unserer Gesellschaft“[16]. Im Gegensatz zur Moderne sind die Unbestimmtheiten postmoderner Kunst unaufhebbar, sie fügen sich nicht zu einem Ganzen und verschiedene Deutungsmöglichkeiten stehen gleichwertig nebeneinander.[17]

[...]


[1] Dies zeigt sich zum Beispiel im Slogan der Band S.Y.P.H.: „Zurück zum Beton“, der im Jahr 2002 als Titel für eine Ausstellung zur Kunst des frühen Punk in der Düsseldorfer Kunsthalle adaptiert wurde und in strikter Abgrenzung zur Hippie-Subkultur die Abkehr von einer romantisierenden „Zurück zur Natur“-Haltung in die Lebenswirklichkeit der Großstädte propagiert.

[2] Welsch, Wolfgang (Hrsg.): Wege aus der Moderne: Schlüsseltexte der Postmoderne-Diskussion. Weinheim: VCH, Acta Humaniora 1988. S. 13.

[3] Vgl. Hassan, Ihab: Postmoderne heute. In: Wege aus der Moderne: Schlüsseltexte der Postmoderne-Diskussion. Hg. v. Wolfgang Welsch. Weinheim: VCH, Acta Humaniora 1988. S. 49.

[4] Vgl. Hassan, Ihab: Postmoderne heute. a.a.O. S. 52.

[5] Hebdige, Dick: Subculture. Die Bedeutung von Stil. In: Diederichsen, Diedrich / Hebdige, Dick / Marx, Olaph-Dante: Schocker. Stile und Moden der Subkultur. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1983 (= rororo Sachbuch 7731). S. 27. Zitiert nach: May, Michael: Provokation Punk: Versuch einer Neufassung des Stilbegriffs in der Jugendforschung. Frankfurt am Main: Brandes und Apsel 1986. (= Veröffentlichungen des Instituts für Jugendforschung und Jugendkultur e.V., Bd. 6). S. 4.

[6] Hassan, Ihab: Postmoderne heute. a.a.O. S. 50.

[7] Fiedler, Leslie: Überquert die Grenze, schließt den Graben! Über die Postmoderne. In: Wege aus der Moderne: Schlüsseltexte der Postmoderne-Diskussion. Hg. v. Wolfgang Welsch. Weinheim: VCH, Acta Humaniora 1988. S. 61.

[8] Die Punkbewegung wurde in Deutschland beispielsweise stark von Joseph Beuys beeinflußt. In England, wo sie ca. 1976 ihren Anfang nahm, spielten die Kreationen von Vivienne Westwood eine bedeutende Rolle.

[9] Fiedler, Leslie: Überquert die Grenze, schließt den Graben! a.a.O. S. 57/58.

Da der Text im englischen Original leider nicht zu Verfügung stand, wird hier aus der deutschen Überetzung zitiert. Es ist allerdings stark anzunehmen, daß das, was hier mit „Literaturkritik“ übersetzt wurde, im Original auch die Bedeutung „Literaturwissenschaft“ (engl. „critic of literature“) trägt.

[10] Als zentrales Merkmal der Postmoderne führt Fiedler jegliche Formen von Grenzüberschreitung an. Dieses auf eine postmoderne Literaturwissenschaft anwendend versucht diese Hausarbeit nun über die traditionellen Grenzen der Literaturwissenschaft hinauszutreten und Werke ins Blickfeld zu rücken, die sonst eher vernachlässigt werden, wie zum Beispiel Popsongs. Im Gegensatz zur unüberschaubaren Vielzahl an Sekundärtexten zu Werken der prototypischen Vertreter ‚hoher Kultur‘ (man denke zum Beispiel an Thomas Mann) gibt es kaum brauchbare Sekundärliteratur zu den Texten von Popsongs. Eine Ausnahme bildet hier vielleicht Peter Urbans „Rollende Worte – die Poesie des Rock“. Allerdings scheint auch er noch modernen Denkweisen verhaftet, wenn er den Punk überhaupt nur im Nachwort beiläufig erwähnt und ihn reduziert auf eine Rückkehr zu „primitiven, ungestümen Spielweisen der frühen Beatmusik“ (Urban, Peter: Rollende Worte – die Poesie des Rock. Von der Straßenballade zum Pop-Song. Eine wissenschaftliche Analyse der Pop-Song-Texte. Frankfurt am Main: Fischer 1979. S. 297).

[11] Sterneck, Wolfgang: Der Kampf um die Träume – Musik und Gesellschaft: Von der Widerstandskultur zum Punk, von der Geräuschmusik bis zu Techno. 2., erweiterte Auflage. Hanau: KomistA 1998. S. 207.

[12] http://www.schlecker.com/lifestyle/lifestyle9.html [Stand: August 2003]

[13] Hassan, Ihab: Postmoderne heute. a.a.O. S. 48.

[14] Hassan, Ihab: Postmoderne heute. a.a.O. S. 47-56.

[15] Hassan, Ihab: Postmoderne heute. a.a.O. S. 48.

[16] Hassan, Ihab: Postmoderne heute. a.a.O. S. 49.

[17] Der Begriff der Unbestimmtheitsstellen in der modernen Literatur geht zurück auf den polnischen Philologen Roman Ingarden, vgl. dazu seine Monographie „Das literarische Kunstwerk“.

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
Is ja irre: Postmoderne Elemente in den Texten deutscher Punkbands
Hochschule
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg  (Institut für Germanistik)
Veranstaltung
Literatur und Film in der Postmoderne
Note
1-2
Autor
Jahr
2003
Seiten
28
Katalognummer
V19072
ISBN (eBook)
9783638232869
Dateigröße
409 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Postmoderne, Elemente, Texten, Punkbands, Literatur, Film, Postmoderne
Arbeit zitieren
M.A. Martin Renz (Autor:in), 2003, Is ja irre: Postmoderne Elemente in den Texten deutscher Punkbands, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/19072

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