Im Jahr 1945 erschien Sir Karl Poppers Buch „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde I – Der Zauber Platons“ in der ersten Auflage unter dem Originaltitel „The Open Society and Its Enemies, I. The Spell of Plato“. Bis heute gilt es als eines seiner bekanntesten Werke. In diesem Band konzentriert er sich auf Platon und dabei vor allem auf dessen Gerechtigkeitsbegriff. Im zweiten Band folgen Abhandlungen zu den Staatstheorien bei Hegel und Marx. Allen drei Philosophen wirft Popper dabei vor, geschlossene und totalitäre Staatssysteme zu entwerfen und für deren Entstehung folglich mitverantwortlich zu sein. Diesen stellt er seinen Entwurf einer offenen Gesellschaft entgegen, welcher vor allem dadurch gekennzeichnet ist, dass er in seiner Struktur anpassungsfähig bleibt und somit dem Volk im Rahmen von Kommunikation und Konsens die Ausgestaltung der Staatsstruktur dauerhaft ermöglicht. Die Suche nach einer festen und perfekten Struktur gibt er dabei zugunsten der demokratischen Organisation auf.
Häufig gestellte Fragen zu Sir Karl Poppers "Die offene Gesellschaft und ihre Feinde I - Der Zauber Platons"
Was ist das Hauptthema von Poppers "Die offene Gesellschaft und ihre Feinde I"?
Das Buch konzentriert sich auf Platons Gerechtigkeitsbegriff und dessen potenziellen Beitrag zur Entstehung totalitärer Staatssysteme. Popper kritisiert Platon, Hegel und Marx, ihnen eine Verantwortung für die Entwicklung geschlossener und totalitärer Systeme zuzuschreiben. Im Gegenzug entwirft er das Konzept einer offenen Gesellschaft, die durch Anpassungsfähigkeit und demokratische Organisation gekennzeichnet ist.
Welche konkreten Kritikpunkte an Platon äußert Popper?
Popper kritisiert Platons Gerechtigkeitsbegriff als Grundlage für eine totalitäre Klassenherrschaft. Er sieht in Platons Ideenlehre und der Vorstellung einer von einer Elite geführten Gesellschaft, deren Handlungen der Mehrheit unverständlich bleiben, wesentliche Elemente totalitärer Herrschaft. Die Trennung von Kindern von ihren Familien und die eugenischen Praktiken, die in Platons Schriften angedeutet werden, werden ebenfalls als problematisch angesehen, insbesondere im Hinblick auf den Nationalsozialismus.
Wie beschreibt Platon Gerechtigkeit im Staat?
Platon beschreibt Gerechtigkeit im Staat analog zur Harmonie der Seelenteile. Der Staat besteht aus drei Bevölkerungsgruppen: Erwerbsstand, Wächterstand und Philosophenherrscher. Gerechtigkeit besteht darin, dass jeder Einzelne gemäß seiner Natur den ihm zugewiesenen Platz und Beruf im Staat einnimmt. Diese Sicht impliziert eine Ungleichheit der Menschen und die natürliche Führungsrolle einer Elite, die allein über die Weisheit verfügt, die Ideen hinter den Welterscheinungen zu erkennen.
Welche Rolle spielt die Ideenlehre Platons in Poppers Argumentation?
Poppers Kritik an Platon verbindet sich eng mit dessen Ideenlehre. Die Dualität von Abbildern und Urbildern und die Notwendigkeit von Vernunft und Verstand zur Erkenntnis der Urbilder ermöglichen es nur einer Elite, den wahren Sinn von Handlungen und Entscheidungen zu verstehen. Die Mehrheit wird somit von einer kleinen Gruppe gelenkt, deren Handlungen für sie unverständlich bleiben, ein wichtiges Element der Kritik Poppers an totalitären Systemen.
Wann und unter welchen Umständen entstand das Buch?
Das Buch entstand zwischen 1938 und 1943 in Christchurch (Neuseeland) vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Diktatur und des Zweiten Weltkriegs. Es ist als Versuch zu verstehen, die Ursachen totalitärer Systeme zu analysieren und Wege aus diesen zu finden.
Welche Bedeutung hat Immanuel Kant für Poppers Werk?
Die deutsche Ausgabe von 1957 ist dem 150. Todestag Immanuel Kants gewidmet. Kants aufgeklärtes Menschenbild und die Idee der Mündigkeit finden sich in Poppers Gedanken wieder und bilden einen Kontrast zu den totalitären Systemen, die er kritisiert.
Gibt es eine Verbindung zwischen Platons Ideen und späterer Eugenik?
Popper sieht eine Verbindung zwischen Platons Vorstellungen von der Behandlung behinderter und ungewollter Kinder und der eugenischen Praxis der Nazidiktatur. Die systematische und berechnende Absonderung und Tötung von Kindern in Platons Schriften, wird als eine Vorstufe der menschenverachtenden Eugenik dargestellt.
Im Jahr 1945 erschien Sir Karl Poppers Buch „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde I - Der Zauber Platons“ in der ersten Auflage unter dem Originaltitel „The Open Society and Its Enemies, I. The Spell of Plato“. Bis heute gilt es als eines seiner bekanntesten Werke. In diesem Band konzentriert er sich auf Platon und dabei vor allem auf dessen Gerechtigkeitsbegriff. Im zweiten Band folgen Abhandlungen zu den Staatstheorien bei Hegel und Marx. Allen drei Philosophen wirft Popper dabei vor geschlossene und totalitäre Staatssysteme zu entwerfen und für deren Entstehung folglich mitverantwortlich zu sein. Diesen stellt er seinen Entwurf einer offenen Gesellschaft entgegen, welcher vor allem dadurch gekennzeichnet ist, dass er in seiner Struktur anpassungsfähig bleibt und somit dem Volk im Rahmen von Kommunikation und Konsens die Ausgestaltung der Staatsstruktur dauerhaft ermöglicht. Die Suche nach einer festen und perfekten Struktur gibt er dabei zugunsten der demokratischen Organisation auf.
Die hier vorliegende deutsche Ausgabe von 1957 (mit einem Vorwort von 1955) widmet er dem 150sten Todestag Immanuel Kants. Dessen aufgeklärtes Menschenbild und seine daraus abgeleitete Idee der Mündigkeit finden sich in Poppers Gedanken wieder.
Im Laufe seines Lebens (1902 - 1994) war Popper Zeuge einiger der schrecklichsten Gräuel der Menschheitsgeschichte geworden. Das Buch entstand in den Jahren 1938 - 1943 in Christchurch (Neuseeland). In dieser Zeit erlebte die Welt eine totalitäre Diktatur in Deutschland und den Weltkrieg, den diese entfachte. Entsprechend ist das Buch durchaus als Versuch zu sehen vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland die Gründe für das Entstehen solcher Systeme zu begreifen, die Wurzeln dieses Denkens zu untersuchen und Wege hinaus aufzuzeigen. Eine der Wurzeln für einen totalitären Staat wie diesen sieht Popper in Platons Gerechtigkeitsbegriff. Hinter diesem stehe „im Grunde sein Verlangen nach einer totalitären Klassenherrschaft und sein Entschluss, diese herbeizuführen.“(S. 194)
Platons Gerechtigkeitsbegriff in der Politeia greift auf individueller und gemeinschaftlicher Ebene. Sie ist Ausdruck einer inneren Unaufgeregtheit der Seele, die sich einstellt, wenn Mut, Verstand und Begehren als die Teile einer Seele in sich und zueinander in Balance sind. Diese Idee wird später von Epikur zum Begriff der Ataraxie weiterentwickelt.
Platon erkennt im Staat analog zu den Seelenteilen drei Bevölkerungsteile wieder. Die Basis ist dabei der mit Besonnenheit assoziierte Erwerbsstand der Bauern und Handwerker. Der darüberstehende Wächterstand verkörpert die Tapferkeit und den Philosophenherrschern weist er die Weisheit zu. Die Gerechtigkeit ist es, die den Staat ordnet und dem Individuum seinen Platz im Staat gibt, für den er am besten geeignet ist und mit dem Erfüllen seiner zugewiesenen Aufgabe den perfekten Staat ermöglicht. Denn sie gebietet, dass "jeder einzelne nur einen öffentlichen Beruf in der Stadt ausüben soll, nämlich den, zu welchem seine Natur am besten geeignet ist" (Pol. IV 432e).
Entsprechend findet sich in der Politeia die Definition der Gerechtigkeit, dass jeder das Eigene und Seinige hat und tut (Pol. IV 434).
In dieser Sicht auf die Gerechtigkeit finden sich eine Ungleichheit des Menschen in seinen Fähigkeiten und ein naturgemäßer Platz für jeden innerhalb der Gesellschaft. Diese Ungleichheit gipfelt im Stand der Philosophenherrscher, die allein über die Weisheit verfügen die Ideen hinter den Welterscheinungen zu erkennen. Wie im Höhlengleichnis wäre der noch immer Angebundene nicht fähig die Erklärungen desjenigen zu verstehen, der außerhalb der Höhle in die Sonne geblickt hat zu verstehen und würde ihn vermutlich gewaltsam zum Schweigen bringen. Weisheit ist eine elitäre Tugend für Platon. Entsprechend ist es gerecht und natürlich, dass der Staat von einer kleinen Elite geführt wird, deren Handlungen nach den Ideen vom beherrschten Volk nicht nachvollzogen werden kann. Ebenso ist begründbar, dass ein elitäres Volk oder eine Rasse über die anderen gebietet. Die Gründe für die Herrschaft sind dabei nur von den Herrschenden einsehbar und es liegt in der Natur der Beherrschten dies nicht zu verstehen. Die Kopplung der Ideenlehre mit der angeborenen Tugendhaftigkeit des Menschen ermöglicht eine kritische Auslegung Platons bezüglich Diktaturen. Die Dualität von Abbildern und Urbildern kann durch Anamnese (Erinnerung an einen vorkörperlichen Zustand im Reich der Ideen) der ewigen und unveränderlichen Urbilder und ihre Verknüpfung mit der Sinneswahrnehmung der gegenständlichen und vergänglichen Abbilder nur durch Vernunft und Verstand, also Weisheit, vollständig erkannt werden. Über diese Fähigkeit verfügt jedoch, wie bereits erwähnt, nur ein Teil der Menschheit. Da das Wissen nun aber auch nur ihnen zusteht und niemandem sonst, muss der Plan hinter einer Tat oder einem Krieg nicht allen kommuniziert werden. Die unwissende Mehrheit im Gegenteil durch die Gerechtigkeit sogar dazu aufgerufen besonnen und tapfer den Plan umzusetzen von dem sie nichts wissen (können). In diesem Sinne ist das Zitat Poppers zum Zusammenhang totalitärer Herrschaft und Gerechtigkeit bei Platon wohl zu verstehen. An einer Stelle in Platons Text, die Popper auch dem ersten Kapitel der vierten Auflage von 1975 voranstellt, ist es vor allem das Führerprinzip und das Ziel die Individuen der Gesellschaft von der Eigenständigkeit wegzubringen, die Poppers These sehr deutlich unterstützt. Auch die Forderung die Kinder von den leiblichen Verwandten zu trennen und im Sinne ihrer Position im Staat uniform zu erziehen unterstützt die Kritik Poppers. Der Umgang mit behinderten Säuglingen und ungewollten, bzw. überzähligen Kindern wird bei Platon wie zu dieser Zeit durchaus üblich mit Absonderung umschrieben. Diese Praxis der Kindstötung findet sich auch in späteren Epochen, nur ist es hier das systemische und berechnende Element, welches als Basis für die menschenverachtende Eugenik während der Nazidiktatur gelten kann.
- Arbeit zitieren
- Martin Lobitz (Autor:in), 2011, Betrachtung der Kritik Poppers an Platons Gerechtigkeitsbegriff, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/190836