Die Popkultur und der arabische Frühling

Eine untrennbare Symbiose? Eine Analyse anhand Ägyptens und Palästinas


Seminararbeit, 2012

30 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Gliederung:

1. Einleitung

2. Ein einheitliches Afrika?
2.1 Unterschiede Afrikas in Glauben und Kultur
2.1.1 der islamische Norden und die Frauenrechte
2.1.2 der christliche Süden – Vor Gott sind alle gleich?
2.1.3 Relativierung der Kritik Afrikas
2.2 Beschreibung des Terminus der arabischen Welt

3. Ägypten als Teil des arabischen Frühlings
3.1 Gründe für den Umsturz und Überschneidungen zur Popkultur
3.2 Gegenteilige, reaktionäre Nutzung der Popkultur
3.3 Aktuelle Bestandsaufnahme

4. Jugendgegenkultur in Palästina

5. Warum gerade Facebook?

6. Eine Revolution ohne Beat?

7. Fazit

1. Einleitung:

Das Jahr 2011 wird wohl als ein Jahr der Umstürze, viele internationale Journalisten meinten gar als Jahr der Demokratisierung der arabischen Welt1, in die Geschichte eingehen. Der sogenannte arabische Frühling kostete vielen Machthabern ihre Herrschaft, aber auch vielen, meist jungen, Demonstranten das Leben. Das Militär entpuppte sich dabei als die unsichere Variable. Während in Syrien bis Februar 2012² immer noch keine Lösung in Sicht schien und das Militär schon über 6000 Menschen bei Niederschlagungen der Proteste tötete (Focus 2011, GMX 2012), in Ägypten das Militär dagegen zum Teil friedlich die Proteste beobachtete und schließlich scheinbar auf Seiten des Volkes den Rücktritt Mubaraks forcierte3, teilte sich in Libyen das Militär in regime-treue und revolutionäre Truppen auf und es kam zum Bürgerkrieg. Insgesamt forderten die Proteste in Jemen, Tunesien, Ägypten und Syrien4 mindestens zwischen 6800 und 7300 Tote5, stürzten Mubarak und Ben Ali und töteten Al-Gaddafi.

Eines hatten diese anfangs friedlichen, bis auf Tunesien jedoch ziemlich schnell blutigen, Aufstände in den genannten arabischen Ländern gemein. Sie wurden, so die einhellige Meinung, durch die populären Medien wie Pop-Musik, westlichen Lifestyle, Mode, vor allem aber durch social Networks wie Facebook und twitter unterstützt, wenn nicht gar erst durch sie möglich.

Die Gründe für den Aufstand sind im ganzen arabischen Raum dieselben: Arbeitslosigkeit, gesellschaftliche Entmündigung, gesellschaftliche Stagnation. In diesem Zusammenhang tauchte bei allen Protesten immer wieder ein Wort auf: Würde.“ (Nordhausen 2011: 13)

Auf den folgenden 21 Seiten werde ich aufzeigen, inwiefern die Aufstände wirklich durch das Internet und andere populäre Medien getragen wurden, ob diese Medien auch im Nachhinein noch nachwirken und ob sie überhaupt automatisch pro-westlich und demokratisch ausgerichtet sind, wie von westlichen Journalisten gern behauptet. Um dies zu überprüfen, beschäftigte ich mich mit den Büchern Heavy Metal Islam, Krieg oder Frieden und die arabische Revolution, arbeitete mit Dokumentationen der ARD und der BBC und berücksichtige Berichte von Menschenrechtsverletzungen in Afrika auf der einen, aber auch kulturellen Widerstand auf der anderen Seite aus dem Amnesty-Journal.

Um die ganze Thematik besser verstehen und bewerten zu können, werde ich im Verlaufe der Hausarbeit aufzeigen, dass es weder ein einheitliches Afrika gibt, noch der islamische oder der christliche Teil dieses Kontinents durch Stereotypen stigmatisiert werden kann.

Abschließend werde ich noch einen kurzen Abstecher nach Palästina machen, einem Staat, der eigentlich keiner ist, momentan aber auf dem Weg dorthin6, geographisch zu Asien gehörend, ideologisch zusammen mit Staaten wie Ägypten, Libyen, Syrien, Jemen, Saudi Arabien und vielen anderen in der arabische Welt zu verorten.
Dort werden sich viele Parallelen der Popkulturnutzung in Bezug auf Ägypten zeigen, was zwei Schlüsse zuließe. Entweder ist die aufgezeigte Nutzung der Popkultur vor allem typisch für die islamisch-arabische Welt und damit ersichtlich, dass Nordafrika weniger zu Afrika als einfach nur zur arabischen Welt gezählt werden kann bzw. muss oder aber, wenn man sich die Verortung der Phänomene auf zwei verschiedenen Kontinenten als Ausgangspunkt sucht, dass Popkultur doch oft ein Teil, vielleicht sogar der Motor der Gegenkultur darstellt - weltweit.

2. Ein einheitliches Afrika?

Oftmals wir in den Medien von Afrika als ein einheitliches Ganzes gesprochen. Da heißt es dann Afrika, und ein Großteil der Bevölkerung denkt automatisch an Schwarzafrika, an Wüsten, an Dürre, an Armut. Jedoch ist dieses Bild ein völlig falsches. Während man vielleicht von den einen USA sprechen kann, obwohl diese aus verschiedensten Staaten bestehen, jedoch einen Präsident wählen, zum Großteil eine gemeinsame Geschichte und eine gemeinsame (Nicht-) Tradition/Kultur aufweisen, ist diese Zuschreibung bei Afrika völlig unzutreffend. Genauso wenig wie es trotz EU und Euro kein einheitliches Europa gibt, die Gepflogenheiten in Italien oder Spanien mit den in Deutschland oder gar Schweden überhaupt nicht vergleichbar sind, unterscheiden sich die afrikanischen Staaten in vielerlei Hinsicht.

2.1 Unterschiede Afrikas in Glauben und Kultur

Es gibt weder eine gemeinsame Sprache des Kontinents, dominierend sind Französisch und Englisch oder eben regionale Dialekte und afrikanische Sprachen, noch eine generell afrikanische Kultur. Es gibt relativ reiche und weit entwickelte Länder, zu denen über Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte, auch Libyen zählte, die durchaus mit relativ gutem Lebensstandard, medizinischer Versorgung, Industrie und erschlossenem Territorium aufwarten können, es gibt aber auch Staaten, die sich seit Jahrzehnten im Bürgerkrieg befinden, die zum Teil nur eine Hand voll Krankenhäuser im gesamten Land vorzuweisen haben, sich durch eine hohe Kindersterblichkeit, Analphabeten- und HIV-Rate auszeichnen und unter Hungersnöten leiden. (Vgl. die Amnesty-Journals, Afrika immer ein Thema)

Nicht zuletzt gibt es viele kulturelle und religiöse Unterschiede. So kann der Kontinent grob erst einmal in den islamischen Norden und den christlichen Süden unterteilt werden, allerdings ist auch dies nicht mehr als ein Modell. In Ägypten beispielsweise werden Christen, die ägyptischen Kopten, von Muslimen mehr oder minder unterdrückt, obwohl sie keineswegs eine marginale Minderheit stellen und es kommt immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Anhängern beider Religionsgemeinschaften. In Somalia dagegen kämpfen muslimische Terroristen gegen die eher christliche Armee Äthiopiens, die jahrelang von den radikalchristlichen US-Amerikanern unter George W. Bush, unterstützt wurden und das Land besetzen. (ai 2011c: 27)

2.1.1 der islamische Norden und die Frauenrechte

Wie schon in Punkt 2.1 beschrieben, ist der Norden Afrikas eher islamisch geprägt, weshalb diese Region auch zur arabischen Welt gezählt wird. Egal ob nun Libyen, Syrien, Ägypten oder Tunesien, sie alle sind islamisch. Dies hat zur Folge, dass gewisse Rollenverteilungen, die dem Islam zugeschrieben werden, auch dort vorherrschen. Zwar gibt es keineswegs DEN EINEN Islam, genauso wenig wie es DAS EINE Afrika gibt, dennoch hatten es die Frauen in diesen Ländern eher schwer. Oftmals wurden sie in konservativste Frauenbilder gezwungen, gingen kaum zur Schule, erlernten keinen Beruf und hatten sich um den Haushalt zu kümmern. Doch die jüngere Generation Frauen wollte dieses Bild nicht mehr geschlossen bedienen, lebte immer moderner, selbstbewusster und westlicher. Auch sie wollten an der Gesellschaft partizipieren, am Staat teilhaben. (ai 2011c: 72)

Diese Unzufriedenheit unter Teilen der jungen Generation von Frauen vor allem in Ägypten, aber auch anderswo, begünstigte ganz klar den arabischen Frühling, denn auch die Frauen trugen den Wut auf die Straßen hinaus. Sie waren ein nahezu gleichberechtigter Teil der Proteste (Nordhausen: 48 und ai 2011c: 72 ), stärkten den Männern den Rücken, verbreiterten die Massen, trugen die Revolution aber auch aktiv nach vorn und vor allem weckten sie in einigen Männern, deren Ehrgeiz angekratzt wurde, da die Frauen auf einmal protestieren und Politik machten, den Kampfgeist.

Ob sich das neuerkämpfte Ansehen in der Bevölkerung, die kurzzeitige Gleichberechtigung der Frauen während der Proteste und das temporär entstandene Frauenbild auf Dauer halten können (ai 2011a: 19), muss die Zukunft zeigen. Allerdings zeigten sich schon kurz nach der Revolution reaktionäre Erscheinungen in der Demokratiebewegung und die wahrscheinliche Machtübernahme der gemäßigten Muslimbrüder, die oftmals fälschlich als Islamisten bezeichnet werden, lässt nichts Gutes für die Frauenbewegung erahnen, obwohl in dieser Organisation auf Frauen tätig sind. (Vgl. BBC 2011a)

2.1.2 der christliche Süden – Vor Gott sind alle gleich?

Unter Punkt 2.1.1 konnte der Eindruck entstehen, dass ich evtl. Vorbehalte gegenüber dem islamischen Glauben bezüglich der Rolle der Frau hätte. Dem ist mit Nichten so, im Laufe meines noch jungen Lebens bin ich durchaus Islam-Auslegungen begegnet, mit welchen ich sehr sympathisiere. Doch Missstände müssen nun einmal aufgezeigt werden. Allerdings gilt das nicht nur für den arabischen Teil Afrikas, denn auch im eher christlichen Süden bzw. Zentrum sind bei weitem nicht alle Menschen als gleichwertig angesehen. Davon sind Länder wie Uganda noch weit entfernt.

Diesmal trifft es keine religiöse Minorität sondern eine sexuelle. Während Politiker diskutieren, ob ein Gesetz eingeführt werden sollte, welches die Homosexualität unter Todesstrafe stellte, hetzen Zeitungen wie die ugandische Rolling Stone offen gegen Schwule und feiern die Ermordung David Katos als einen Sieg gegen die Homosexualität. Das Problem in diesen Regionen ist die mangelnde aufklärerische Bildung. So sind die führende Hetzer der homophoben Gemeinschaft davon überzeugt, dass kein Mensch homosexuell geboren sei, sondern andere Schwule und Lesben sie dazu „rekrutierten“ (ai: 51). Was die damit einhergehende Kriminalisierung von gleichgeschlechtlicher Liebe für die Betroffenen bedeutet, kann nur erahnt werden. Ein paar Beispiele werden dabei im Amnesty International Journal 01/2012 genannt. Diese reichen von verweigerter Bestattung über Jobverlust bis hin zum Mord nach journalistischer Hetze. Dass dieser dann von Kommentaren wie

Die Geschichte wird mit uns in Gericht gehen, wenn wir nicht alles tun um die Homosexualität zu bekämpfen“ (ai 2011c: 50)

oder

Zwischen unserer Kampagne und dem Tod David Katos besteht kein Zusammenhang. Wir haben schließlich dazu aufgerufen, dass die Homos gehängt werden, doch Kato wurde mit einem Hammer erschlagen“ (ai 2011c: 50)

begleitet wird, zeigt, wie weit Uganda noch von der Einhaltung der Menschenrechte entfernt scheint.

Das schlimmste daran ist, dass diese diskriminierenden Strömungen von der christlichen Kirche Kampalas, unterstützt durch die US-amerikanische evangelikale Kirche, mitgetragen werden. So verlor zum Beispiel der Bischof Christopher Senyonjo seine Prediger- und Lehrerlaubnis und allen Anspruch auf Pensionsbezüge, da er sich für Homosexuelle engagiert, ohne selbst einer zu sein (ai 2011c).

„Weil er Partei für Schwule und Lesben ergreift, wurde Senyenjo schon oft verdächtigt, selbst schwul zu sein. Der alte Mann nimmt es mit Humor. >>Ich habe zehn Kinder<<, lacht er.“ (ai 2011c: 55)

Dass es sich bei Uganda keinesfalls um einen Einzelfall handelt, soll das Beispiel Kamerun zeigen. Auch dort ist Homosexualität eine strafbare Handlung (wie übrigens in England oder Deutschland bis in die 1960er7 Jahre auch) und allein der Verdacht auf homosexuelle Handlungen oder die Absicht solche zu begehen, ohne sie jemals begangen zu haben, können zu Gefängnisstrafen führen. (ai 2011c: 63) Doch schon allein die Nutzung des Terminus ‚ begehen ‘ im Kontext mit gleichgeschlechtlicher Liebe zeigt die Kriminalisierung Selbiger auf.

Dass hierbei das Menschenrecht auf sexuelle Selbstbestimmung mit Füßen getreten wird, stört ein Großteil der Öffentlichkeit allerdings nicht, im Gegenteil, es wird begrüßt.

2.1.3 Relativierung der Kritik Afrikas

Wie in den Punkten 2.1.1 und 2.1.2 gezeigt, gibt es durchaus noch einiges in Sachen Menschenrechte auf dem sogenannten ‚schwarzen Kontinent‘ aufzuarbeiten. Ich möchte allerdings festhalten, dass diese Kritik keineswegs aus einem westlich-postkolonialistischen Standpunkt heraus vorgetragen wird. Zwar sieht es in Afrika in Sachen Menschenrechte derzeit nicht gut bestellt aus, allerdings gibt es auch in europäischen Ländern Menschenrechtsverletzungen und die USA sind mit Guantanamo und der Anwendung der lebenslangen Freiheitsstrafe auf Minderjährige8 (ai 2012, Süddeutsche.de 2012) auch nicht so human, wie sie es gern hätten. Außerdem liegen die letzten innereuropäischen Kriege noch gar nicht allzu lang zurück.9 Des Weiteren waren die wohl schlimmsten Kriege der neueren Menschheitsgeschichte alle europäischer Natur. Der 30-jährige Krieg von 1618-1648, der rund ein Drittel der damaligen Bevölkerung Europas auslöschte, der erste Weltkrieg, welcher bis zum Kriegseintritt der USA am 6.April 1917 ein europäischer war und der zweite Weltkrieg, welcher durch Nazideutschland begonnen wurde, zeugen von der über lange Zeit vorherrschenden Kriegsbegeisterung der Europäer. Generell gilt es auf der ganzen Welt noch einiges in Sachen Menschenrechte zu tun, nur sind es auf dem afrikanischen Kontinent eher noch grundlegendere als spezielle Schritte, die getan werden müssen.

2.2 Beschreibung des Terminus der arabischen Welt

Nun haben wir erst einmal Afrika ganz grob und sicherlich nicht vollständig korrekt in zwei Teile gegliedert und gesehen, dass beide Teile alles andere als perfekt zu sein scheinen. Allerdings wurden die Umstürze im Norden Afrikas nun nicht afrikanische Revolution sondern arabischer Frühling, in Anlehnung an den Prager Frühling, genannt. Dies liegt einerseits darin begründet, dass sich die Proteste nicht nur auf Nordafrika beschränkten sondern auch auf Teile der arabischen Halbinsel überschwappten, zum anderen aber auch, dass in Afrika wirklich nur der islamische und zum Teil höher verwestlichte Norden von den Unruhen betroffen war.

Dies macht es unumgänglich sich kurz mit dem Terminus der arabischen Welt auseinander zu setzen, bevor wir uns dem arabischen Frühling an sich anhand des Beispiels Ägypten widmen und einige Querverweise nach Palästina ziehen, welches zum Teil unter ähnlichen, zum Teil aber auch unter ganz anderen Problemen leidet, dennoch die populären Kulturen eine ähnliche Wichtigkeit aufweisen.

Was ist nun also die arabische Welt? Dazu möchte ich eine Definition von El-Arabia anbringen:

Die arabische Welt bezeichnet eine Region bzw. eine Gruppe, die von der Westküste in Nordafrika bis zum Nahen Osten reicht. Der Begriff arabische Welt wird vielfach benutzt, obwohl es keine genaue Definition für diesen gibt. Allerdings beinhaltet diese Region die Staaten der arabischen Kultur und deren Gemeinsamkeiten. Mehrere Kriterien lassen sich anwenden, um die Zugehörigkeit und vor allem die arabische Welt eindeutig zu definieren. Das wichtigste in dieser Region ist die arabische Sprache. Das sprachliche Kriterium zählt unter anderem zu dem Glauben des Islam und schließt die Mitglieder der arabischen Liga zusammen.
[…]Zusätzlich kann die arabische Welt in zwei Flächen eingeteilt werden. Die palästina Fläche, die mehr als 6,300 km² zeigt und die Westsahara, die rund 266,000 km² aufweist. Beide Gebiete sind sehr stark besiedelt und zählen zu der arabischen Welt.
“ (El-Arabia 2011)

3. Ägypten als Teil des arabischen Frühlings

Der Arabische Frühling nahm seinen Anfang in Tunesien, knapp drei Monate nach WikiLeaks-Veröffentlichungen, die den ausschweifenden Lebensstil Ben Alis dokumentierten (Abdel-Samad: 2011: 75), als ein junger Gemüsehändler sich aus Protest gegen die Lebensumstände und wahrscheinlich aus ver-letztem Stolz vor der Polizeistation selbst anzündete und Wochen später im Krankenhaus den schweren Verbrennungen erlag (Welt Online 2011 und Nordhausen 2011)10. Ägypten hingegen war anfangs noch nicht betroffen. Dennoch ist Ägypten neben Libyen und Syrien wohl das Land, welches im Nachhinein am meisten mit dieser Zeit des Umsturzes verbunden sein wird11. Die Belagerung des Tahrir-Platzes, welche zum Vorbild der weltweiten Occupy-Bewegung wurde, die wochenlangen Protesten gegen Mubarak, die spätere Unterstützung des Militärs und die Auftritte Mubaraks in Fernsehansprachen, welche der Realität weit enteilt schienen, waren sehr prägend. Und dennoch nahm die ägyptische Revolution ihren Anfang schon früher. Vorläufer jenes bewegenden Umbruches waren die interreligiösen Protesten nach einem Anschlag auf die christlichen Kopten am 01.01.2011. Jene Proteste wurden von Christen und von Muslimen angeführt, geistliche beider Religionen sowie tausende Anhänger demonstrierten für mehr Sicherheit der Kopten durch das Regime. (Nordhausen: 52 und 55) Erste Barrieren schienen überwunden, der Weg zur Revolution jedoch noch lang. Ein nächster wichtiger Wegbereiter war der Tod Khalid Saids. Der junge Blogger wurde von der Polizei in Alexandria aus einem Café gezerrt und auf offener Straße zu Tode geprügelt, da er die behördlichen Korruptionen öffentlich machte (BBC 2011a: 27:00). Die jungen Menschen Ägyptens fragten sich, ob es garantiert sei, dass ihnen nicht das gleich passierte (BBC 2011:a 28:00), was nicht der Fall war und so sollte die Facebook-Seite „Wir alle sind Khalif Said“ eine der treibenden Kräfte des Protestes in Ägypten darstellen. (Abdel-Samad: 75 und 78)

Eines hatten jedoch die Umsturzversuche in all den arabischen Ländern gemeinsam – sie wurden von einer meist jungen und gut gebildeten Elite getragen, welche pro-westlich ausgerichtet war. Frank Nordhausen und Thomas Schmidt äußern sich dazu in der zweiten Auflage ihres Buches Die arabische Revolution wie folgt:

Der freie Westen hat sich mit diesen Regimes prächtig arrangiert, versprachen sie doch Sicherheit und Stabilität. Sie kooperierten bei der Flüchtlingsabwehr und hielten die islamistische Gefahr im Zaum. Dass in diesen Ländern eine frustrierte Jugend heranwuchs, gut ausgebildet, aber ohne berufliche Perspektive, ohne Aussicht, eine Wohnung mieten, ein Haus bauen und eine Familien gründen zu können, wurde kaum wahrgenommen.
Die arabischen Gesellschaften stagnierten. Doch dann trat überraschend eine Jugend an die Öffentlichkeit, die Freiheit und Demokratie, ein Ende der Willkürherrschaft und der Korruption einforderte – und ein Ende der Kungelei des Westens mit den arabischen Despoten. Das Streichholz mit dem sich am 17. Dezember 2010 in Tunesien Mohamed Bouazizi selbst anzündete, setzte das ganze Land […] in Flammen, und der Flächenbrand erfasste innerhalb von Wochen die gesamte arabische Welt bis zum persischen Golf. Der Protest der arabischen Jugend hallte sogar im Iran, in Westafrika und im fernen China wider. Der arabische Frühling, die arabische Revolution ist eine historische Zäsur, durchaus vergleichbar mit dem annus mirabilis, als in Osteuropa der Kommunismus implodierte und die Berliner Mauer fiel.
“ (Nordhausen 2011: 12)

Damit aus den Protesten gegen die Regierung eine regelrechte Revolution wird, bedarf es im Normalfall aber mehr als nur die Sehnsucht nach Freiheit. In Ägypten wurde das revolutionäre Potential neben der guten Vernetzung durch die modernen Medien durch ganz grundlegende ökonomische Zwänge vervielfacht.

Ein Großteil der Bevölkerung lebt am oder unter dem Existenzminimum, rund 45 Prozent von weniger als zwei Dollar am Tag. Während die offizielle Arbeitslosenquote mit 9,8 Prozent angegeben wird, beträgt die Jugendarbeitslosigkeit gewaltige 28 Prozent, und die jungen Männer leiden besonders darunter, dass bezahlbarer Wohnraum Mangelware ist – denn ohne eigene Wohnung finden sie keine Braut.“ (Nordhausen: 47)

Diese weit verbreitete Interpretation zu den Gründen des arabischen Frühlings teilt der Ägypter Hamed Abdel-Samad allerdings nur bedingt, er kritisiert sie sogar:

„Aus meiner Sicht sind die Hauptursachen der Revolution dieselben, die zur Massenauswanderung und zum islamistischen Terrorismus geführt haben: das Erwachsenwerden einer neuen Generation, die Demütigung, Ungerechtigkeiten und Frustration erleidet und die anders leben will als die Generationen ihrer großen Brüder und Väter. Die klassischen politischen und wirtschaftlichen Zutaten einer Revolte sind aber seit geraumer Zeit in allen arabischen Staaten zu beobachten.

[...]

Ende der Leseprobe aus 30 Seiten

Details

Titel
Die Popkultur und der arabische Frühling
Untertitel
Eine untrennbare Symbiose? Eine Analyse anhand Ägyptens und Palästinas
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft)
Veranstaltung
Umstrittene Moderne - Afrikanische Musik
Note
1,0
Autor
Jahr
2012
Seiten
30
Katalognummer
V190841
ISBN (eBook)
9783656154808
ISBN (Buch)
9783656154655
Dateigröße
1474 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Hosni, Husni, Mubarak, Ägypten, Facebook, Revolution, Medien, digital, arabischer Frühling, Frühling, arabisch, Demokratie, Demonstration, twitter, Syrien, Palästina, Tunesien, 2012, 2011, Khalif, Said, Bouazizi, Kairo, Militär
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Marcel Weigel (Autor:in), 2012, Die Popkultur und der arabische Frühling, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/190841

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