Die Semantik des `Lebens´ in Stefan Zweigs „Die Frau und die Landschaft”


Seminararbeit, 2009

16 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Die Semantik des `Lebens´ in der Literatur der Frühen Moderne
1. Begriffsdefinition von ´Leben` und Lebensraum
2. Die Krise
3. Normbruch und Erotik als Pfad zu emphatischem Leben

III. „Die Frau und die Landschaft“
1. Die Funktion der Landschaft und ihre Einordnung in die Lebenssemantik
2. Die Beziehung der Figuren zueinander und deren ´lebensideologische´ Konzeption
3. Bedeutung von Erotik und Normbruch

IV. Die Geschichte einer metaphorischen Wiedergeburt?

V. Literaturverzeichnis

I. Einleitung

„[…] inneren Einstellung (an), die unweigerlich nie die Partei der sogenannten `Helden´ nimmt, sondern Tragik immer nur im Besiegten sieht. In meinen Novellen ist es immer der dem Schicksal Unterliegende, der mich anzieht, in den Biographien die Gestalt eines, der nicht im realen Raume des Erfolgs, sondern einzig im moralischen Sinne recht behält, […]“1

Dieses Zitat Stefan Zweigs beschreibt äußerst zutreffend sein hauptsächlich aus Novellen bestehendes Werk, das fast ausschließlich den tragischen Ausgang kennt. Auch in der auf die Semantik des `Lebens´ zu untersuchenden Novelle „Die Frau und die Landschaft“2 soll auf die Frage - ob am Ende eine metaphorische Wiedergeburt steht oder auch hier nur ein weiteres trauriges Schicksal - eine Antwort gefunden werden.

Das Ziel dieser Arbeit ist es, den vorliegenden Text aus dem Zeitverständnis der zwanziger Jahre der Frühen Moderne heraus auf seine Bedeutung hin zu interpretieren. Hierbei ist es zunächst sinnvoll die „Lebensideologie“3 der klassischen Moderne zu untersuchen und daraus Rückschlüsse auf die Novelle zu ziehen; zumal der Forschungsstand bezüglich dieses Werkes Zweigs faktisch bei Null steht. Dabei soll der Schlüsselbegriff der Epoche `Leben´ besondere Beachtung finden und definiert werden, nicht nur weil er das Zentrum des intellektuellen Denkens der damaligen Zeit darstellt, sondern auch aufgrund seiner strukturellen Komplexität. Das maßgebende Werk Martin Lindners4 bezieht sich hierbei allerdings hauptsächlich auf die Neue Sachlichkeit, der Stefan Zweig sprachlich nur latent aufgrund seines glatten, klaren Stils und inhaltlich gar nicht zuzuordnen ist. Ganz besonders der für ihn schon konstituierende Psychologismus seiner Darstellungen passt keinesfalls zu dieser Strömung.5 Eine wirkliche literaturgeschichtliche Einordnung dieses Autors ist wohl nicht möglich; in seinen frühen Werken offensichtlich beeinflusst vom Wiener Impressionismus und dem französischen Symbolismus6, hebt er sich letztlich vor allem als Exilliterat7 hervor.

Im vorliegenden Text soll vor allem der Gesichtspunkt der ekstatischen Erneuerung des Lebens kritisch untersucht und beurteilt werden. Dabei sollen die Leitfragen ob es diese Wiedergeburt am Ende tatsächlich gibt, wie sich die Krise auszeichnet, welche Rolle die Erotik für den Weg zu jenem neuen Leben spielt und welchen Stellenwert das Mädchen für den Erzähler einnimmt beantwortet werden.

II. Die Semantik des `Lebens´ in der Literatur der Frühen Moderne

1. Begriffsdefinition von `Leben´ und Lebensraum

`Leben´ in der Frühen Moderne ist wohl der zentrale Begriff der Epoche schlechthin. Die semantische Einheit umfasst hierbei das Modell von `Leben´, `Krise´ und `Wiedergeburt´, das die damalige intellektuelle Mentalität- im folgenden Lebensideologie genannt- prägte und in den zwanziger Jahren bereits voll durchgesetzt war.

Dieser Begriff ist demnach differenziert zu betrachten, da er eine Vielzahl von korrelierenden Bedeutungen mit sich bringt. So wird menschliches Leben zunächst durch eine grundsätzliche Polarität bestimmt: die starre `Form´ und die dynamische `Ganzheit´. Dabei ist dies im lebensideologischen Raum in sich in semantischen Achsen darstellbar. Die äußere Oberfläche beinhaltet die Assoziation mit der Form und der Verhärtung, die innere Tiefe hingegen den strömenden Inhalt. Leben ist demnach durch Bewegung, der metaphorische - ebenso wie der tatsächliche- Tod durch Starre gekennzeichnet.8

Die wichtigste Grundvoraussetzung jeglichen Lebens ist der Raum, in dem es stattfindet. „Die Landschaft in der ein Mensch lebt, […] geht in ihn hinein und wird ihm Wesen“9. Demnach wird das Seelenleben durch die Umwelt unweigerlich beeinflusst; wenn nicht gar determiniert.

Die Lebensräume der dargestellten Figuren in der Literatur zeigen meist zwei Grundtypen landschaftlicher Prägung auf, die wiederum deren Seelenlandschaft widerspiegeln. Zum einen sind dies die kleinräumigen, fruchtbaren, topographisch gegliederten und klimatisch gemäßigten Regionen, zum anderen die großräumigen, kargen, topographisch und klimatisch `extremeren´ Gebiete, wie beispielsweise Wälder, Meer und Gebirge. Wichtig festzuhalten ist, dass es im Lebensraum kein Stillstehen geben kann, da das Leben selbst durch Bewegung definiert ist.10

2. Die Krise

Das Zentrum des lebensideologischen Denkens bildet zweifellos die `Krise´.

Diese entsteht genau dann, wenn das betroffene Individuum die Unvereinbarkeit seines kulturellen Lebens in der Gesellschaft mit seinem tatsächlichen Lebensinhalt erkennt. Das heißt, die Krise findet genau an der Bruchstelle von Form und Inhalt, bzw. von Starre und Bewegung statt. Mit den Worten der LavaMetaphorik ausgedrückt bedeutet dies ein Aufbrechen der verkrusteten, abgestorbenen Oberfläche durch den nachdrängenden Strom des inhaltlichen Lebens. Dies stellt den entscheidenden Augenblick zwischen `Leben´ und `Tod´ dar, in dem die Figur ein gesteigertes Leben erfährt.11

Die psychische Krise wird in der Literatur meist als emphatischer `Tod´ dargestellt, auf den meist die `Wiedergeburt´ zu `neuem Leben´ folgt. Die tatsächliche innere Struktur dieser Krise aber ist sehr komplex; sie kann beispielsweise in mehrere Sub-Krisen zerfallen aber auch als Ganzes wiederholt werden. Ihre Bewältigung bedeutet für das Individuum die Selbstfindung, wobei diese stets reversibel ist.

Meist stellt sich die Krise in einer Folge von bestimmten Phasen dar. Sie beginnt mit der Latenzphase, die der eigentlichen Krise vorausgeht. Sie ist eben jene Phase der Spannung zwischen dem `Lebensstrom´ und den starren `Formen´ , die sich beständig erhöht und dem Subjekt vorerst nicht bewusst ist. Darauf folgt der emphatische `Tod´, der den Höhepunkt der Krise bildet, d. h., dass das Subjekt sein Leben nun als `Nicht-Leben´ im emphatischen Sinn erkennt. Daraufhin kommt es zu einer unvermeidbaren Kettenreaktion, die entweder mit dem biologischen Tod oder aber mit der emphatischen, metaphorischen `Wiedergeburt´ endet. In der Literatur geht mit diesem psychischen Phänomen der Krise beinahe schon obligatorisch eine physische Krise einher. Dies ist im wörtlichen Sinne der Höhepunkt einer Krankheit, die sich meist durch fiebrige Symptome äußert und von psychosomatischen Merkmalen begleitet wird. Der nächste Schritt beinhaltet die Erfahrung des überindividuellen `Lebens´ durch Transzendenz. Oftmals ist damit der Austritt aus Raum und/oder Zeit verknüpft, was sich durch Traum, Bewusstlosigkeit oder ähnlichem darstellt. Anschließend geht die Überwindung der Krise meist mit einem gravierenden Normverstoß oder einer Schulderkennung einher, woraufhin die Wiedergeburt folgt. Nach der Überwindung der Krise beginnt das Individuum ein völlig neues Leben und geht ganz und gar in ihm auf.12

[...]


1 Zweig, Stefan: Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers. Berlin, Frankfurt a. M. Suhrkamp 1949. S. 193. Setzung der runden Klammer durch mich.

2 Zweig, Stefan: Amok. Novellen einer Leidenschaft. Leipzig. Insel 1922.

3 Lindner, Martin: Leben in der Krise. Zeitromane der neuen Sachlichkeit und die intellektuelle Mentalität der klassischen Moderne. Stuttgart, Weimar. Metztler 1994.

4 Ebd.

5 Becker, Sabina: Die literarische Moderne der zwanziger Jahre. Theorie und Ästhetik der Neuen Sachlichkeit. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur. 27 (2002) 1. S. 73-95.

6 F.A. Brockhaus, Lexikonredaktion (Hrsg.): Der Brockhaus. Literatur. Schriftsteller, Werke, Epochen, Sachbegriffe. Mannheim, Leipzig. Brockhaus 2004. S. 950/951.

7 Beutin, Wolfgang u. a. (Hrsg.): Deutsche Literaturgeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Stuttgart, Weimar. Metzler 2001. S. 451.

8 Lindner, Martin: Leben in der Krise. S. 1-7.

9 Zitiert nach: Ebd. S. 74.

10 Ebd. S. 73-76.

11 Ebd. S. 7-11.

12 Ebd. S. 25-39.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Die Semantik des `Lebens´ in Stefan Zweigs „Die Frau und die Landschaft”
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Deutsche Philologie)
Veranstaltung
Proseminar
Note
1,7
Autor
Jahr
2009
Seiten
16
Katalognummer
V190846
ISBN (eBook)
9783656154518
ISBN (Buch)
9783656154631
Dateigröße
462 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Stefan Zweig, Die Frau und die Landschaft, Klassische Moderne, Frühe Moderne, Krise, Normbruch, emphatisches Leben
Arbeit zitieren
Katharina Weiß (Autor:in), 2009, Die Semantik des `Lebens´ in Stefan Zweigs „Die Frau und die Landschaft”, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/190846

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