Leseprobe
Inhaltverzeichnis
1. Was ist ein Sakrament?
a. Die Wortbedeutung von Sakrament
b. Die Sachbedeutung von Sakrament
2. Sinn der Sakramente. Warum brauchen wir sie?
a. Die anthropologische Basis der Sakramente
b. Die christologische Basis der Sakramente
c. Die ekklesiologische Basis der Sakramente
3. Struktur der Sakramente
a. Signum
b. Materia und forma
4. Wirkungen der Sakramente
a. Heiligung des Menschen und Christusförmigkeit
b. Spezielle sakramentale Gnade
c. Der sakramentale Charakter und character indelebilis
d. Die objektive Wirksamkeit der Sakramente (ex opere operato)
5. Ursprung, Zahl und Ordnung der Sakramente
a. Ursprung der Sakramente. Einsetzung durch Christus
b. Zahl der Sakramente. Begründung der Siebenzahl der Sakramente
c. Ordnung der Sakramente
6. Spender und Empfänger der Sakramente
a. Spender der Sakramente
b. Empfänger der Sakramente
7. Sakramentalien
8. Protestantische Sicht der Sakramente
a. Fundamente der protestantischen Sakramentenlehre:
i. Anthropologie
ii. Rechtfertigungslehre
iii. Sola fides, sola gratia und sola Scriptura
b. Sakramentenlehre Luthers
c. Sakramentenlehre Calvins und Zwinglis
i. Ansichten Calvins
ii. Ansichten Zwinglis
1. Was ist ein Sakrament?
a. Die Wortbedeutung des Sakraments
- Obwohl die Heilige Schrift an mehreren Stellen von Heilsriten, die wir heute als Sakramente kennen, spricht, benutzt sie das Wort „Sakrament“ nicht.
- Im Kontext der Ehe (Eph 5,32) wird der Terminus mysth¢rion verwendet, welches als „Glaubensgeheimnis“ zwischen Christus und Kirche gedeutet wird. Bei Paulus meint dieses Wort die verborgene Ökonomie Gottes, die vor allem im Heilswerk Christi offenbar geworden ist.
- In diesem Sinne wird mysterium von den Apostolischen Vätern (Ignatius von Antiochien †ca. 110) verwendet, doch schon seit dem 3 Jhd. bezeichnet mysth¢rion in der Ostkirche (Klemens von Alexandrien †215, Origenes †253) die heiligen Lehren und Dienste, heilige Sachen und Riten der Kirche und damit auch Sakramente (Kyrill von Jerusalem †387 , Ps.-Dionysius Areopagita VI. Jhd).
- Das griechische mysth¢rion wird in den ältesten lateinischen Übersetzungen (Itala) mit sacramentum wiedergegeben, welches für Initialriten und Mysterienfeier der Götter, Opfer und Zeichen im Kult, sowie für Glaube und Glaubenslehre stand.
- Tertullian (†230), welcher maßgeblich die lateinische Kirchensprache mitgeprägt hatte, verwendet das Wort sacramentum für die „Eidesformel“ (Fahneneid in der militärischen Sprache) und für eine beim Vertrag hinterlegte Geldsumme „Bürgschaft“. Dieses Verständnis von sacramentum hat Tertullians Tauftheologie geprägt, in welcher er die Taufe als das Taufgelöbnis interpretiert.[1]
b. Die Sachbedeutung von Sakrament
Sakrament ist ein
(1) sinnlich wahrnehmbares Geschehen,
(2) das von Christus (2a) direkt oder (2b) indirekt eingesetzt wurde,
(3) um die von ihm verdienten Heilsgnaden zu bezeichnen und zu enthalten
(4) und sie den Menschen durch Menschen im Pilgerstand
(5) im Vollzug des Sakramentes durch (5a) Spender und (5b) Empfänger zu vermitteln.[2]
Kurzbezeichnung des Sakraments: ein wirksames Zeichen der Gnade.
2. Sinn der Sakramente. Warum brauchen wir sie?
1. Weil der Mensch eine „sakramentale“, von der Erbsünde geschwächte Grundkonstitution besitzt – die Anthropologische Basis der Sakramente.
2. Weil Christus das „Ursakrament“ ist – die Christologische Struktur der Sakramente.
3. Weil die Kirche ein „Sakrament“ ist – die Ekklesiologische Struktur der Sakramente.
Ad (1). Die Anthropologische Basis der Sakramente
1) Da der Mensch aus Leib und Seele besteht, kann er seine inneren Zustände, psychischer intellektueller oder geistiger Art, nur mit Hilfe von etwas „Leibhaftigem“, d.h. Materiellem kommunizieren (Sprache, Briefe, Blumen, Kuss, Händedruck etc.). Der Leib des Menschen ist somit selbst ein „Realsymbol“.[3]
a) Der Mensch besitzt demnach eine „symbolische Grundstruktur“:
i) Unter „Symbol“ wird hier das Griechische sy¢mbolon verstanden,[4] welches ein Erkennungszeichen bezeichnet, welches eine innere Verpflichtung, einen Vertrag, eine bestimmte Weise der Begegnung und Gemeinschaft enthält, darstellt und aktualisiert.[5]
„Unter Freunden, Gastfreunden, Geschäftsteilhabern oder Kaufleuten war es Sitte, bevor man sich trennte, irgendeinen Gegenstand, eine Spielmarke, ein Siegel, ein Täfelchen, ein Knöchelchen, ein Geldstück, in zwei Hälften zu teilen, von denen jeder Partner eine ans sich nahm, als Zeichen, an dem man sich wiedererkennen sollte, oder um einen Boten auszuweisen, oder eventuell die aus einer früheren Begegnung stammenden Rechte geltend zu machen.“[6]
ii) Jedes Symbol besitzt demnach den Verweis und Bezug auf eine andere innerweltliche oder, im Falle der Religion, eine geistige Wirklichkeit. Dieser Bezug wird, in der Liturgie, beispielsweise in der ersten Weihnachtspräfation erwähnt:
„In der sichtbaren Gestalt des Erlösers lässt du uns den unsichtbaren Gott erkennen, um in uns die Liebe zu entflammen zu dem, was kein Auge geschaut hat.“[7]
b) Im Leben des Menschen gibt es auch „Natursakramente”, d.h. Ritualisierungen, religiöse oder weltliche Deutungen der vier „Knotenpunkte des Lebens“, das sind: der Geburt, des Todes, der geschlechtlichen Gemeinschaft und der Mahlzeit.[8]
i) Daher können wir durchaus auch im vorchristlichen und außerchristlichen Kontext von Sakramentanalogien sprechen.[9] Dazu zählen:
(1) AT:
(a) Beschneidung,
(b) Essen des Osterlammes (Ex 12,26),
(c) Verschiedene Reinigungs- und Sühneriten (Lv 12 f., Num 19 f.)
(d) Weiheriten für Priester (Ex 29, Lv 8)
(2) Judaismus:
(a) Beschneidung,
(b) Baar Mizwa.
(3) Heidnischen Mysterien:
(a) Eleusis,
(b) Isis und Osiris,
(c) Mithras.
(4) DDR:
(a) Jugendweihe.
2) Wir brauchen die Sakramente als göttliche Hilfe, weil jeder Mensch, der auf die Welt kommt, der Erbsünde unterliegt, welche eine ständige Neigung darstellt sich von Gott abzuwenden, dem Bösen zu verfallen und somit das Gute entweder gar nicht oder nur mit Mühe zu vollbringen.
a) Aus der Erbsünde resultiert die sündige Natur des Menschen, welche sich in aktuellen (d.h. den aktuell begangenen, z.B. jemanden zu schlagen) und habituellen (d.h. den im Menschen „einwohnenden“, z.B. gegen jemanden Groll zu hegen) Sünden manifestiert.
b) Der Mensch ist daher nicht fähig, aus sich selbst heraus wirklich gut zu sein und am göttlichen Leben teilzunehmen. Er ist somit auf die göttliche Gnade angewiesen, die eine unverdiente, von Gott ausgehende Gabe darstellt, welche den Menschen zum Guten und zum göttlichen Leben befähigt.
c) Die Gnade wird sicher und zuverlässig durch die Sakramente vermittelt, falls der Empfänger der Sakramente alle Voraussetzungen zu deren Empfang erfüllt. Daher sprechen wir von den „Sakramenten der Gnade“ und der „sakramentalen Gnade“.
Ad (2). Die Christologische Struktur der Sakramente
1) Durch die Menschwerdung Christi hatte sich Gott endgültig und unwiderruflich mit seiner Kreatur verbunden. Obwohl die Erschaffung der Welt durch den Logos, den Sohn Gottes vor der Menschwerdung („durch Ihn, mit Ihm und in Ihm“) stattgefunden hatte, welcher auch in seiner Schöpfung durch die creatio continua anwesend ist, so ist Gott erst durch die Inkarnation Gott tatsächlich „einer von uns“ geworden.
Joh 1,3 „Alles ist durch das Wort [Logos=Christus] geworden, und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist.“
Kol 1,16 „Denn in ihm [Logos=Christus] wurde alles erschaffen im Himmel und auf Erden, das Sichtbare und das Unsichtbare, Throne und Herrschaften, Mächte und Gewalten; alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen.“
Röm 11,36 „Denn aus ihm und durch ihn und auf ihn hin ist die ganze Schöpfung.“
2) Weil Christus ein „Zeichen”, eine Veranschaulichung der Gegenwart Gottes war und es immer noch ist, so kann er als das „Sakrament Gottes“ bezeichnet werden.[10]
J 14,9 „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen.“
J 12,45 „[...] wer mich sieht, sieht den, der mich gesandt hat.“
i. Diese Bezeichnung Jesu Christi geht auf die neutestamentliche Theologie des mysth¢rion zurück. Christus ist das mysth¢rion Gottes und daher nennen ihn viele Kirchenväter das mysterium Dei.
ii. Daher kann man Jesus Christus auch als das sacramentum Dei bezeichnen, was Thomas von Aquin auch ausdrücklich tut, indem er schreibt:
„Jesus Christus ist das fundamentale Sakrament, insofern seine menschliche Natur als Instrument der Gottheit das Heil wirkt“.[11]
Ad (3). Die Ekklesiologische Struktur der Sakramente
1) Jesus Christus hat die Fülle seiner heilswirkenden Gnade seiner Kirche hinterlassen, welche sein mystischer Leib ist (1 Kor 12, 12-31) und von seinem Heiligen Geist beseelt wird.
2) Da Gott in Jesus Christus Fleisch geworden ist, können wir sagen, dass die Gnade Christi in der Kirche inkarniert ist, welche die fleischgewordene Gnaden- und Heilsgemeinschaft darstellt.
3) Daher kann sich die Kirche Christi selbst das Sakrament nennen, was sie in der Kirchenkonstitution Lumen gentium auch tut:
„Die Kirche ist ja in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“. (Lumen gentium 1)
4) Wenn wir von den Sakramenten der Kirche sprechen, so meinen wir damit, dass diese von der Kirche ausgehen, in ihr verwirklicht werden und auf die Kirche hinordnen. Da Sakramente der Heiligung der einzelnen Kirchenmitglieder dienen, so können wir sagen, dass die Heiligkeit der Kirche von der Heiligung ihrer Glieder abhängt, welche umso heiliger werden, je mehr sie sich der sakramentalen Gnade öffnen.
[...]
[1] Nach Auer Johann, Das Mysterium der Eucharistie in: Kleine katholische Dogmatik (KkD), Bd. VI, Regensburg 1980, S. 24-25; vgl. Courth Franz, Die Sakramente. Ein Lehrbuch für Studium und Praxis der Theologie, Herder 1995, S. 25-28; Schneider Theodor, Zeichen der Nähe Gottes. Grundriss der Sakramententheologie, Mainz 19844, S. 34-35.
[2] Auer, S. 27.
[3] Schneider, S. 24-26.
[4] Pape Wilhelm, Handwörterbuch der Griechischen Sprache, Bd. 2, S. 979.
[5] Schneider, S. 22-23.
[6] Lubac De Henri, Credo, Einsiedeln: Johannes 1975, S. 276.
[7] Schott-Messbuch online: http://www.thehomepagefactory.de/kantill/weihnachtpI03.htm
[8] Schneider, S. 26-27; vgl. Ratzinger Joseph, Die sakramentale Begründung christlicher Existenz, Meitingen 19703, S. 9.
[9] Auer, Bd. VI, S. 32-37.
[10] Schneider, S. 36-41; Vorgrimler Herbert, Sakramententheologie, Düsseldorf 19923, S. 44-47; vgl. Wagner Harald, Dogmatik, Stuttgart 2003, S. 285-287; Courth, S. 11-16.
[11] Thomas von Aquin, Summa contra Gentiles IV a.41.