Die Briefe „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“ von Friedrich Schiller waren anfangs Briefe an den Herzog Friedrich Christian von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg aus dem Jahr 1793. Die erste Veröffentlichung unternahm Schiller jedoch in seiner Zeitschrift „Die Horen“ im Jahr 1795 und fügte die Schrift 1801 unter leichten Abänderungen dem dritten Band seiner „Kleineren prosaischen Schriften“ bei.
Herzog von Augustenburg und Graf Ernst Heinrich von Schimmelmann gewährten dem schwer kranken Schiller eine Pension, die ihn befähigte, finanzieller Not zu entkommen und seinen Studien zur Ästhetik nachzugehen.
Die Briefe über die ästhetischen Erziehung bilden die längste theoretische Schrift Schillers und seiner eigenen Meinung nach auch die bedeutendste. Er will hier zeigen, welche Möglichkeiten in der Kunst stecken, um über die Krise, nämlich der Trennung von Geist und Erfahrungswelt in der Gesellschaft, hinweg zu helfen. Auch Zeitgenossen Schillers wie beispielsweise F. Schlegel, Fichte, Hölderlin und Hegel machten sich um diesen Komplex Gedanken, und meist werden der Schönheit in der Kunst die besten Möglichkeiten zur Vermittlung der beiden Extreme eingeräumt.
Eines der hervorstechenden Merkmale der Schillerschen Herangehensweise ist der utopische Gehalt dieser ästhetischen Vermittlung, welcher unter weiteren Aspekten bereits bei der Veröffentlichung für Aufsehen sorgte. Gegenstand dieser Arbeit soll jene Utopie sein, die verschiedene Reaktionen hervorrief und dies bis heute noch tut. Dabei soll erörtert werden, inwieweit das utopische Element Unachtsamkeit, Widerspruch bzw. Schwäche bedeutet, oder aber vielleicht eine unvermeidbare Begleiterscheinung der Sache selbst ausdrückt, oder gar kalkuliert eingesetztes Programm ist und somit eine Funktion erfüllt und möglicherweise auch eine Stärke in der Argumentation darstellt.
Nach einem sehr kurz gehaltenen Überblick über die Schwerpunkte seiner Theorien, sollen die einzelnen utopischen Elemente herausgearbeitet und in ihrem Zusammenhang beleuchtet werden. Vielleicht kann dadurch bereits mehr Klarheit bezüglich der oben genannten Fragestellung erlangt werden, jedoch wird in einem nächsten Schritt dieser wirklichkeitsfremd anmutende Gegenstand auch im allgemeinen Verhältnis zum Thema und der Methodik der Schrift erörtert.
Inhalt
1. Einleitung
2. Hauptteil
2.1. Schillers Schrift
2.1.1. Schillers Ziel
2.1.2. Der Spieltrieb
2.1.3. Die Kunst, der Schein und die Schönheit
2.1.4. Strukturelle Gliederung
2.2. Die utopischen Elemente
2.2.1. Theoretischer Ansatzpunkt
2.2.2. Die göttliche Veranlagung des Menschen
2.2.3. Die zwei Formen der Schönheit
2.2.4. Der ästhetische Schein
2.3. Bewertung und Funktion der Utopie
2.4. Zusammenfassung
3. Schluß
1. Einleitung
Die Briefe „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“[1] von Friedrich Schiller waren anfangs Briefe an den Herzog Friedrich Christian von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg aus dem Jahr 1793. Die erste Veröffentlichung unternahm Schiller jedoch in seiner Zeitschrift „Die Horen“ im Jahr 1795 und fügte die Schrift 1801 unter leichten Abänderungen dem dritten Band seiner „Kleineren prosaischen Schriften“ bei.[2]
Herzog von Augustenburg und Graf Ernst Heinrich von Schimmelmann gewährten dem schwer kranken Schiller eine Pension, die ihn befähigte, finanzieller Not zu entkommen und seinen Studien zur Ästhetik nachzugehen.
Die Briefe über die ästhetischen Erziehung bilden die längste theoretische Schrift Schillers und seiner eigenen Meinung nach auch die bedeutendste. Er will hier zeigen, welche Möglichkeiten in der Kunst stecken, um über die Krise, nämlich der Trennung von Geist und Erfahrungswelt[3] in der Gesellschaft, hinweg zu helfen. Auch Zeitgenossen Schillers wie beispielsweise F. Schlegel, Fichte, Hölderlin und Hegel machten sich um diesen Komplex Gedanken, und meist werden der Schönheit in der Kunst die besten Möglichkeiten zur Vermittlung der beiden Extreme eingeräumt.[4]
Eines der hervorstechenden Merkmale der Schillerschen Herangehensweise ist der utopische Gehalt dieser ästhetischen Vermittlung, welcher unter weiteren Aspekten bereits bei der Veröffentlichung für Aufsehen sorgte. Gegenstand dieser Arbeit soll jene Utopie sein, die verschiedene Reaktionen hervorrief und dies bis heute noch tut. Dabei soll erörtert werden, inwieweit das utopische Element Unachtsamkeit, Widerspruch bzw. Schwäche bedeutet, oder aber vielleicht eine unvermeidbare Begleiterscheinung der Sache selbst ausdrückt, oder gar kalkuliert eingesetztes Programm ist und somit eine Funktion erfüllt und möglicherweise auch eine Stärke in der Argumentation darstellt.
Nach einem sehr kurz gehaltenen Überblick über die Schwerpunkte seiner Theorien, sollen die einzelnen utopischen Elemente herausgearbeitet und in ihrem Zusammenhang beleuchtet werden. Vielleicht kann dadurch bereits mehr Klarheit bezüglich der oben genannten Fragestellung erlangt werden, jedoch wird in einem nächsten Schritt dieser wirklichkeitsfremd anmutende Gegenstand auch im allgemeinen Verhältnis zum Thema und der Methodik der Schrift erörtert.
2. Hauptteil
2.1. Schillers Schrift
2.1.1. Schillers Ziel
Das gesamte gattungsübergreifende Werk Schillers – von seinen Dissertationsschriften über seine Dramen bis zu seinen theoretischen Schriften – ist begleitet von dem Versuch, die zwei Naturen des Menschen zu vereinen, bzw. einen Mittelweg zwischen ‚Tierheit’ und ‚Menschheit’, zwischen ‚Natur’ und ‚Vernunft’ oder dem ‚wilden’ und ‚barbarischen’ Menschen zu finden und aufzuzeigen.[5]
Das oberste Ziel der Schrift „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“ ist die Bildung eines Staates. Dieser soll erbaut werden, indem sich in einem ersten Schritt der Mensch von der Bestimmung durch die Natur losreißt, um sich moralisch in Freiheit zu setzen, des Weiteren sollen sich seine Bürger durch Gemeinsamkeiten verbinden. Dem entgegen beobachtet Schiller eine Entwicklung in der Gesellschaft, in der sich Individuen immer mehr differenzieren und dadurch vermehrt die Unterschiede zwischen ihnen an Bedeutung gewinnen.[6] So sind zwei Staatsformen möglich[7], welche, durch ihre einseitige Bestimmung entweder durch die Natur oder durch die Vernunft, beide dem Streben nach Vereinbarung dieser Seiten nicht gerecht werden können. Nur der ästhetische Staat entspricht auf vereinende Weise dieser Doppelnatur des Menschen. Da aber Staat und Bürger sich gegenseitig bestimmen, muss ein sich außerhalb derer befindliches Werkzeug gefunden werden, durch welches entweder Staat oder Mensch geändert wird. In den Augustenburger Briefen erklärt Schiller, dass er „jeden Versuch einer Staatsverfassung aus Principien ... so lange für unzeitig, und jede darauf gegründete Hofnung für schwärmerisch [hält], bis der Karakter der Menschheit von seinem tiefen Verfalle wieder emporgehoben worden ist – eine Arbeit für mehr als ein Jahrhundert.“[8] Es muss also erst der Mensch erzogen werden, bevor an die Änderung des Staates gedacht werden kann. Aus dem diesem Zitat vorausgehenden Text[9] ist zu entnehmen, dass Schiller die Französische Revolution als einen Beleg für die Unreife des Menschen auslegt.
2.1.2. Der Spieltrieb
Die prinzipielle Fähigkeit, den Staat zu verändern, hat der Mensch, denn dies macht ihn zum Menschen, „daß er bey dem nicht stille steht, was die bloße Natur aus ihm machte, sondern die Fähigkeit besitzt, die Schritte, welche jene mit ihm anticipierte, durch Vernunft wieder rückwärts zu tun, das Werk der Noth in ein Werk seiner freyen Wahl umzuschaffen, und die physische Notwendigkeit zu einer moralischen zu erheben.“[10]
Der Mensch ist also nach Schiller, im Unterschied zu Pflanzen und Tieren, nicht von der Natur fertig bestimmt bzw. „vollständig determiniert“, sondern noch „erziehbar, bildbar, veränderbar“.[11] Das angestrebte Ziel ist ein Zustand, welcher die abstrakten Entgegensetzungen von Sinnlichkeit und Verstand, von Stofftrieb und Formtrieb aufhebt. Denn nur durch „diese mittlere Stimmung, in welcher das Gemüt weder physisch noch moralisch genötigt und doch auf beide Art tätig ist“, wird der ästhetische Zustand erreicht.[12]
Diese Stimmung, diese Vermittlung der Gegensätze, wird durch den Spieltrieb erreicht, welcher wiederum durch den Schein der schönen Kunst[13] erregt wird.
Mit der Kunst ist somit auch das oben erwähnte Werkzeug gefunden, durch welches der Mensch zur ästhetischen Reife – dem Zustand, welcher die Voraussetzung für die Bildung des ästhetischen Staates ist – erzogen werden kann.
2.1.3. Die Kunst, der Schein und die Schönheit
Folglich kommt der Kunst die Aufgabe zu, den Charakter des Menschen zu bilden. Doch wie soll das passieren? Hier kommen Schönheit und Schein zum Tragen. Denn „die Freude am Schein, die Neigung zum Putz und zum Spiele“ ist es, „durch welches sich bey dem Wilden der Eintritt in die Menschheit verkündigt“.[14] Der Schein ist im Gegensatz zur Realität der Dinge das Werk des Menschen und zeugt sowohl von einer äußeren als auch von einer inneren Freiheit. Ersteres, da das Interesse am Schein nicht von einer Not gedrängt wird, die ein Bedürfnis zu befriedigen sucht, und letzteres, weil eine von der Materie unabhängige Kraft sichtbar wird.[15] Dem Menschen soll somit etwas um der Sache selbst Willen gefallen. Er kann nur ästhetisch empfinden, sobald er bereits gewisse Abstände von seinen triebhaften Bedürfnissen gefunden hat.[16] Indem durch den Schein die Schönheit wirkt, wird der Mensch von seiner „doppelten Verwirrung“ – Barbar oder Wilder – zurückgeführt.[17] Schiller meint also, dass „die Gleichgültigkeit gegen Realität und das Interesse am Schein eine wahre Erweiterung der Menschheit und ein entschiedener Schritt zur Kultur“[18] sei.
2.1.4. Strukturelle Gliederung und Methodik
Schillers strukturellen Gedankengang analysierend, lässt sich die Schrift in drei Hauptteile untergliedern. Die Briefe 1-10 bilden dabei den einleitenden Block.
Im ersten Brief bestimmt er das Schöne und die Kunst als den Gegenstand seiner Untersuchungen. Er stellt dar, dass seine Ideen in erster Linie aus dem Umgang mit sich selbst entstanden sind und dass er dabei auf dem System der Grundsätze Kants aufbaut. Seiner Beschäftigung mit der Ästhetik gingen eindringliche Kant-Studien voraus. Ein besonderer Bezug zu der Kritik der Urteilskraft sei erwähnt, mit welcher Schiller sich eingehend auseinandergesetzt hat[19] und welche für die ästhetische Erziehung den hauptsächlichen Bezug darstellt.
Schiller grenzt seine Vorgehensweise jedoch von der Kantischen Methode ab, indem er seine „Sache ... vor einem Herzen [zu] führen“[20] gedenkt. Des Weiteren beklagt er im zweiten Brief, dass „Philosoph und Weltmann [die politische Frage nach dem Geschick der Menschheit nur] vor dem Richterstuhle reiner Vernunft abhängig“[21] machen. Er grenzt sich hiermit von der rein rationalistischen und vernunftlastigen Beweisführung nach der Art Immanuel Kants ab.
Gleichzeitig stellt er den Menschen in seiner Position gegenüber bzw. in dem Staat dar. Indem er aufzeigt, dass es am Menschen liegt, sich seinen Staat selbst zu formen, so wie oben bereits dargelegt, schafft er die Grundvoraussetzung für sein oberstes Anliegen. Dieser Sachverhalt macht es überhaupt erst möglich, den Menschen zur Bildung des ästhetischen Staates zu befähigen. Nachdem er noch weitere anthropologische Grundvoraussetzungen, die für seine weiterführenden Gedanken wichtig sind, definiert hat, untersucht er im 9. Brief das Wesen der Kunst, welche das Werkzeug bildet, mit dem Schiller das angestrebte Ziel zu erreichen denkt.
Im folgenden Teil – in den Briefen 11-15 – stellt Schiller transzendentale Untersuchungen an. Der zehnte Brief bildet dazu den Übergang, in welchem diese Vorgehensweise begründet wird. Dabei gelangt Schiller von den ursprünglichsten Begriffen der Menschheit, Person und Zustand, über die Stellung der Kultur und die Schaffung des Spieltriebes bis zu der idealen Wirkung der Schönheit, nämlich die beiden entgegengesetzten Grundtriebe des Menschen, den sinnlichen und den Formtrieb, gleichzeitig im Spiel erfahren zu können.
[...]
[1] Friedrich Schiller: Sämtliche Werke. Auf Grund der Originaldrucke herausgegeben von Gerhard Fricke und Herbert G. Göpfert in Verbindung mit Herbert Stubenrauch, Bd. 1-5. 3. Auflage. München. 1962. (Im Folgenden: SW)
[2] R.-P. Janz: Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen. In: Schiller-Handbuch. Hrsg.: Helmut Koopmann. Stuttgart. 1998. (Im Folgenden: Kopmann). S. 610ff.
[3] Ebd., S. 611
[4] Ebd. und ff.
[5] Dies sind alles Begriffe aus den Briefen über die ästhetische Erziehung, jedoch können sie prinzipiell auf Schillers Gedanken auch außerhalb dieser übertragen werden.
[6] Klaus Disselbeck: Geschmack und Kunst. Eine systematische Untersuchung zu Schillers Briefen „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“. Opladen. !987. (Im Folgenden: Disselbeck). S. 31ff.
[7] Schiller nennt diese im 27. Brief (SW, Bd. 5, S. 667) den dynamischen und den ethischen Staat.
[8] Schillers Werke, Nationalausgabe. Hrsg.: Norbert Oellers, Sigfried Seidel. Weimar. 1992. (Im Folgenden: NA). Bd. 26. S. 264, Z. 25ff.
[9] NA, Bd. 26, S. 262, Z. 23ff.
[10] SW, Bd. 5, S. 574
[11] Ulrich Floß: Kunst und Mensch in den ästhetischen Schriften Friedrich Schillers. Köln. 1988. (Im Folgenden: Floß). S. 7
[12] SW Bd. 5, S. 633
[13] Mit dem Begriff ‚schöne Kunst’ grenzt Schiller die ‚politische Kunst’ oder die handwerkliche Kunst aus. So ist damit das gemeint, was wir heute unter ‚Kunst’ verstehen. Siehe auch: Wilkinson, E.M.: Zur Sprache und Struktur der ästhetischen Briefe. In: Akzente 6. Hrsg.: Höllerer, W. München. 1959. S. 400
[14] SW Bd. 5, S. 656
[15] Ebd.
[16] Vgl. Disselbeck, S. 82
[17] SW Bd. 5, S. 596
[18] SW Bd. 5, S. 656
[19] Vgl. T.J. Reed: Schillers Leben und Persönlichkeit. Freundschaften. In: Koopmann. S. 13.
[20] SW Bd. 5, S. 570
[21] SW Bd. 5, S. 573
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