Als der Film The Matrix 1999 weltweit in den Kinos anlief, konnte der
überragende Erfolg noch nicht abgesehen werden.(.) Was war der Grund für diesen unerwarteten Sprung in die Kinogeschichte?(.) Auch die zu Beginn eher geteilte Meinung der verschiedenen Kritiker macht aus Matrix keine klassische Erfolgs-Story. Die Wachowski Brüder, die The Matrix kreiert und Regie geführt haben, schufen durch viel Lack, Leder, dunkle Sonnenbrillen, kalte Umwelten, viel Technik untermalt von harten, minimalistischen Techno-Klängen, gepaart mit nie da gewesenen Martial-Art-Szenen eine völlig neue Anmutung im Science-Fiction-Genre, der Filme wie Van Helsing, Underworld, Blade und weitere folgen sollten. Doch auch diese optische Ansprache des Publikums, in Verbindung mit der Geschichte des einsamen Helden, der die Welt in einer wieder neuen Variante retten soll, war nicht der Grund. Das Erfolgsrezept war die Mischung all dessen – gemeinsam mit der Faszination, dass das gesamte Geschehen Wirklichkeit sein könnte und sich jeder Kinobesucher in seinem Sessel zumindest für einen kurzen Augenblick gefragt hat: Bin ich Teil der Matrix? Die grundlegenden Fragen des Lebens wurden in einen mitreißenden Action-Movie verpackt: Wer bin ich? Woher komme ich? Was ist real? (.) The Matrix wurde in die Diskurse verschiedenster Disziplinen eingebracht und lässt auf ein höheres wissenschaftliches Potential schließen als es die breite Masse an Science-Fiction-Filmen bereit hält. (.) Matrix spiegelt die Sehnsucht nach Antworten auf philosophische Fragen, die lange in der breiten Öffentlichkeit nicht mehr gestellt wurden und die Suche nach der eigenen Identität wieder. (.) In der vorliegenden Arbeit interessiert die philosophische Fragestellung der Matrix-Trilogie, denn auch hier sind die Experten geteilter Meinung. Für die einen werden die philosophischen Theorien dem Film übergestülpt, sind haltlose Interpretation des Betrachters. Für andere hingegen hat The Matrix es verstanden, viele philosophische Ansätze in sich zu vereinen und auf eine völlig neue Art und Weise einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Man muss nur dem weißen Kaninchen weit genug in seinen Bau folgen, um sie zu finden. Und genau das ist unser Ziel – die kulturphilosophischen Ansätze ausfindig zu machen und an Szenen des Films zu belegen.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. What is The Matrix?
II. I. Die Filme der Matrix-Trilogie
II. II. Die Hauptpersonen in Matrix
II. III. Rezeption und Kritik
III. Philosophische Ansätze - Realität und wie wir sie erfahren
III. I. Platon - das Höhlengleichnis als Spiegel der Gesellschaft
III. II. Berkeley - Empirismus und Immaterialismus
III. III. Descartes - ist die Menschheit Opfer eines bösen Dämons?
IV. Philosophische Ansätze - Simulation als Realitätsersatz
IV. I. Baudrillard - Simulation und Hyperrealität
IV. II. Putnam - sind wir alle Gehirne in Tanks?
IV. III. Nozick - Erlebnisproduktion mit der Erfahrungsmaschine
IV. IV. Bostrom - wir leben bereits in einer Matrix
IV. V. Kurzweil - Möglichkeiten der Computer Technologie
V. Fazit
VI. Quellenverzeichnis
VI. I. Literaturverzeichnis
VI. II. Internetquellen
VII. Erklärung
VIII. Anhang
VIII. I. The Matrix
VIII. II. The Matrix II - Reloaded
VIII. II. The Matrix II - Reloaded
I. Einleitung
Als der Film The Matrix 1999 weltweit in den Kinos anlief, konnte der überragende Erfolg noch nicht abgesehen werden. Sehr schnell entwickelte sich der Film zum Blockbuster, mit Einnahmen von mehr als 171 Millionen US Dollar, allein in den USA im Zeitraum von Mai bis September 1999. Dies bei einem für Hollywood Verhältnisse relativ geringen Budget von 63 Millionen US Dollar. Was war der Grund für diesen unerwarteten Sprung in die Kinogeschichte? Natürlich einerseits die vollkommen neue Technik für die so genannten Bullett-Time-Aufnahmen, bei denen der Blick des Betrachters innerhalb einer Szene um ein stillstehendes Objekt oder auch mehrere herumkreist. Diese wurde schnell von anderen Regisseuren adaptiert und ist mittlerweile in Action-Sequenzen ein häufig anzutreffendes Stilmittel. Doch ein solches, eher für Cineasten interessantes Detail, kann nicht der Hauptgrund für mehrere Millionen Kinobesucher gewesen sein. Auch die zu Beginn eher geteilte Meinung der verschiedenen Kritiker macht aus Matrix keine klassische Erfolgs-Story. Die Wachowski Brüder, die The Matrix1 kreiert und Regie geführt haben, schufen durch viel Lack, Leder, dunkle Sonnenbrillen, kalte Umwelten, viel Technik untermalt von harten, minimalistischen Techno-Klängen, gepaart mit nie da gewesenen Martial-Art-Szenen eine völlig neue Anmutung im Science-Fiction-Genre, der Filme wie Van Helsing, Underworld, Blade und weitere folgen sollten. Doch auch diese optische Ansprache des Publikums, in Verbindung mit der Geschichte des einsamen Helden, der die Welt in einer wieder neuen Variante retten soll, war nicht der Grund.
Das Erfolgsrezept war die Mischung all dessen - gemeinsam mit der Faszination, dass das gesamte Geschehen Wirklichkeit sein könnte und sich jeder Kinobesucher in seinem Sessel zumindest für einen kurzen Augenblick gefragt hat: Bin ich Teil der Matrix? Die grundlegenden Fragen des Lebens wurden in einen mitreißenden Action-Movie verpackt: Wer bin ich? Woher komme ich? Was ist real? Doch am Ende wurde der Zuschauer ohne Antwort, aber mit einem Zweifel an der Realität seiner Existenz, zurück gelassen.
Schließlich erfüllten die Regisseure auch die zu beachtenden Klischees - jeder konnte sich hervorragend in den Hacker Neo hineinversetzen, den das Abenteuer an seiner Haustür abholt, der die große Liebe findet, die selbst den Tod überwindet, und schließlich zum Retter der Menschheit wird. Allerdings erst nachdem ihm in kürzester Zeit alle erdenklichen Kampfsportarten in den Kopf geladen wurden und er in Selbstzweifeln versunken war. Der Traum eines jeden Pubertierenden: man wird aus seiner unscheinbaren Existenz an der eigenen Haustür abgeholt, mutiert ohne großen persönlichen Einsatz zum Superhelden und bekommt am Schluss noch dazu die begehrteste Frau in Reichweite. Ein perfektes Identifikationspotential für jeden männlichen Kinobesucher zwischen zwölf und 25 Jahren, das umgekehrt auch auf die Frauen passt, denn Trinity findet in Neo die lang versprochene und ersehnte Liebe ihres Lebens. Ein Punkt der in der weiblichen Gedankenwelt eine große Rolle spielen dürfte.2
Ein interessantes Phänomen, das zur Entstehung dieser Arbeit beigetragen hat, ist das ungewöhnlich breite Interesse der Wissenschaften an einem amerikanischen Blockbuster. The Matrix wurde in die Diskurse verschiedenster Disziplinen eingebracht und lässt auf ein höheres wissenschaftliches Potential schließen als es die breite Masse an Science-Fiction-Filmen bereit hält.
Wie Raimar Zons feststellt,
„visualisieren Science-Fiction-Filme (…) wissenschaftliche Entwicklungen, technische Szenarien, Raum- und Gesellschaftsstrukturen nicht nur im Hinblick auf eine gänzlich unbekannte Zukunft, sondern im Hinblick auf unsere Gegenwart.“3
Sie spiegeln also den Zeitgeist wieder und können auch Ausdruck eines aktuell vorhandenen, unterschwelligen Gesellschaftsgefühls sein. Matrix spiegelt die Sehnsucht nach Antworten auf philosophische Fragen, die lange in der breiten Öffentlichkeit nicht mehr gestellt wurden und die Suche nach der eigenen Identität wieder. Themen, die sich teilweise bedingen und denen sich jeder Jugendliche spätestens mit Beginn der Pubertät stellen muss.
The Matrix hat es geschafft für Religionswissenschaftler, Soziologen, Medienwissenschaftler, Physiker und Philosophen gleichermaßen interessant zu sein, als Studienobjekt zu fungieren und in einer beachtenswerten Anzahl an Publikationen zu diesem Thema zu enden. In der vorliegenden Arbeit interessiert die philosophische Fragestellung der Matrix-Trilogie, denn auch hier sind die Experten geteilter Meinung. Für die einen werden die philosophischen Theorien dem Film übergestülpt, sind haltlose Interpretation des Betrachters. Für andere hingegen hat The Matrix es verstanden, viele philosophische Ansätze in sich zu vereinen und auf eine völlig neue Art und Weise einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Man muss nur dem weißen Kaninchen weit genug in seinen Bau folgen, um sie zu finden.
Und genau das ist unser Ziel - die kulturphilosophischen Ansätze ausfindig zu machen und an Szenen des Films zu belegen. Aufgrund der Vielschichtigkeit und Fülle der vorhandenen Theorien, wie die Frage nach dem freien Willen, dem religiösen Hintergrund, der Mensch-Maschine-Verbindung, etc. musste eine thematische Eingrenzung erfolgen.
Es werden hier die Fragen nach der Realität der Welt, die wir erfassen können und ihrer Wahrnehmbarkeit durch die Sinne, mit den Theorien Platons, George Berkeleys, unter Bezugnahme auf den Empirismus seiner Zeit, und René Descartes behandelt. Des Weiteren wird auf die computersimulierte Realität mit den Modellen und Ansätzen von Hilary Putnam, Paul Nozick und Nick Bostrom eingegangen, bei denen sich zumindest die Möglichkeit ergibt, dass wir sie gerade jetzt erfahren. Die Simulation unabhängig von Computerprogrammen proklamiert Jean Baudrillard, laut dem die postmoderne Gesellschaft ihre Realität permanent selbst simuliert. Zum Schluss soll ein Ausblick mit den Annahmen von Ray Kurzweil gegeben werden, wie lange es noch dauert, bis die computersimulierte Realität der Matrix technisch möglich wird und welche limitierenden Faktoren und Hindernisse uns von dieser Zukunft trennen. Durch die Untersuchung der genannten Theorien und Ansätze in Bezug auf The Matrix soll der philosophische Gehalt der Filme aufgezeigt und die wissenschaftlichen Bezüge darlegten werden.
II. What is The Matrix?
II. I. Die Filme der Matrix-Trilogie
Im Folgenden werden die Inhalte der drei Matrix Filme The Matrix I, Matrix II - Reloaded und Matrix III - Revolutions kurz zusammengefasst. Eine detaillierte Inhaltsangabe von The Matrix I sowie Szenenprotokolle der beiden Sequels befinden sich im Anhang. Nach dem riesigen Erfolg von The Matrix im Jahr 1999, der seine Zuschauer mit einem offenen Ende und einem Kopf voller Fragen zurück ließ, erschienen die beiden folgenden Teile im Mai und Oktober 2005. Leider konnten die Folgeteile, wie bei vielen anderen in Hollywood gedrehten Filmen, die Qualität des ersten Films nicht beibehalten. Die Charaktere wurden nicht in dem Maße weiterentwickelt wie es nach der Einführung im ersten Teil zu erwarten bzw. möglich gewesen wäre. Die Handlungsstränge wurden flacher, dafür wurde die Zahl der Action-Szenen immens erhöht. Auch die für Blockbuster anscheinend obligatorische Bett- Szene blieb dem Publikum nicht erspart, obwohl sie keinen für den Handlungsablauf relevanten Mehrwert hatte. Matrix - Revolutions erinnert teilweise an den Ablauf eines Computer-Spiels und es ist kein Zufall, dass kurz nach Erscheinen des Films das passende Spiel den bis dahin besten Verkaufsstart aller Zeiten hatte.
The Matrix I
Der Computerspezialist Michael Anderson führt als Hacker Neo ein Doppelleben. Die ihn treibende Frage: „Was ist die Matrix?“ führt ihn in einen Nachtclub, wo er Trinity trifft, die ihm von Morpheus berichtet. Dieser hilft Neo am nächsten Tag per Mobil-Telefon vor Agenten zu flüchten, die ihn letztendlich fangen und verhören können. Danach beginnt Neo zu begreifen, dass die seltsamen Dinge, die er erlebt hat keine schlechten Träume waren.
Morpheus erklärt ihm, dass seine gesamte bisherige Welt die Matrix ist und er selbst ein Sklave, der in ein Gefängnis geboren wurde, das er weder riechen, schmecken noch fühlen kann. Ein Gefängnis für den Geist, aus dem Morpheus ihn befreit, wenn er die richtige Wahl trifft. Nachdem Neo die rote, ihm angebotene Pille geschluckt hat beginnt der Abnabelungsprozess von der Matrix.
Morpheus fragt ihn, ob er jemals einen Traum gehabt hätte, der sich nach dem Aufwachen so real angefühlt hat, dass er nicht wusste, ob er wach war oder noch träumte? Was wäre, wenn er niemals aus diesem Traum erwacht wäre? Nachdem Neo in seiner Aufzuchtwabe erwacht ist, wird er von der Nebuchadnezzar aufgefischt und an Bord von Morpheus mit den Worten begrüßt: „Willkommen in der realen Welt“, bevor er bewusstlos wird.
Um Neo nach seiner Genesung den Zusammenhang zwischen der realen Welt und der Matrix zu zeigen, loggt Morpheus sie beide in die Matrix ein. In einem Computerprogramm begreift Neo, dass die Realität, die er kannte nur als neurale interaktive Simulation existiert. Die Menschen werden von den Maschinen wie Batterien benutzt, die sie in riesigen Kraftwerken züchten. Morpheus bezeichnet seine bisherige Realität als Traumwelt und zeigt ihm die apokalyptischen Bilder der wahren Realität - von zerstörten, unbewohnten Städten unter einem von schwarzen Wolken verdunkelten Himmel. Neo kann das alles nicht glauben, er wurde befreit, weil Morpheus glaubt, er sei die Wiedergeburt „des Einen“, des ersten Menschen, der sich von der Matrix abkoppeln konnte und begann die anderen zu befreien. Nachdem Neo übermenschliche Fähigkeiten in der Matrix in seinen Geist geladen wurden, muss er erkennen, dass eine Verletzung innerhalb der Matrix in einer realen Verletzung seines Körpers außerhalb der Matrix resultiert. Die Agenten sind also nicht nur Feinde in der Matrix, denn ein Tod in der Simulation hat den realen Tod des Körpers zur Folge.
Das Crew-Mitglied Cypher plant Morpheus den Agenten in der Matrix auszuliefern, um selbst wieder an die Simulation angekoppelt zu werden. Als Neo dem Orakel vorgestellt wird, erfährt er von ihr, dass er nicht „der Eine“ ist, weil er auf etwas wartet. Nach der Audienz treffen sich alle in dem Haus wieder, indem sie die Matrix betreten haben. Dort haben die Agenten ihnen eine Falle gestellt und alle Ausgänge verschlossen. Durch Cyphers Hilfe werden sie entdeckt und Morpheus opfert sich, um Neo zu retten. Er wird von den Agenten gefangen genommen, während die anderen fliehen können.
Cypher kann als erstes aus der Matrix zurückkommen und beginnt damit ein Crewmitglied nach dem anderen zu töten, bis er selbst von einer Kugel getroffen wird.
In der Zwischenzeit wird Morpheus von den Agenten gefoltert, um die Zugangscodes zum Mainframe-Computer von Zion, der letzten Stadt der Menschen, zu bekommen. Neo und Trinity beschließen in die Matrix zurückzugehen, um Morpheus zu retten. Mit Unmengen von Waffen schießen sie sich ihren Weg frei und können Morpheus schließlich mit einem Helikopter befreien. Der nächste Ausgang aus der Matrix ist eine Telefonzelle in einer U- Bahnstation, aus der Morpheus und Trinity in die reale Welt zurückkehren können. Bevor Neo sich ausloggen kann, taucht Agent Smith auf und zerstört die Telefonzelle. Anstatt zu fliehen, stellt er sich dem Kampf. Er gewinnt und fliegt in der Schlussszene in den Himmel der Matrix.
The Matrix II - Reloaded
Die Vorbereitungen zum großen Kampf um Zion sowie dessen späterer Ablauf bestimmen den Hauptteil von Reloaded. Wir lernen die menschliche Seite vieler Crewmitglieder kennen, Neo und Trinity als Liebende, Link als vermissten Ehemann und Morpheus als schmachtenden Ex-Partner von Kapitän Niobe.
Dieser Einblick wird dazu benutzt, die emotionale Bindung der Zuschauer an die Charaktere zu vergrößern, um eine höchstmögliche Sympathie und Aufmerksamkeit bei der letzten Schlacht auf Leben und Tod zu erreichen. Agent Smith beginnt damit sich in der Matrix zu klonen und schafft es auch außerhalb der Matrix in den Körper von Bane, einem Crewmitglied der Hammer, einzudringen und versucht erfolglos in Zion Neo zu töten.
The Matrix III - Revolutions
In Revolutions wird das Ende des Angriffs der Maschinen und die letzte Schlacht um Zion dargestellt. Einerseits kämpfen die Bewohner Zions heroisch um ihr Leben, andererseits macht sich Neo zusammen mit Trinity auf den Weg in die Maschinen-Stadt, um dort den Krieg zu beenden. Agent Smith gerät immer weiter außer Kontrolle und versucht Neo in der Maschinen-Welt im Körper von Bane umzubringen. Das gelingt ihm nicht, jedoch blendet er Neo, der daraufhin die Fähigkeit entwickelt seine Umgebung aus Licht geformt zu sehen. Zur selben Zeit eilt die Hammer, Niobes Schiff, Zion zu Hilfe und erkämpft sich den Weg bis ins Dock. Dort angekommen, zünden sie ihr EMP und stoppen so kurzzeitig die Kampfhandlungen. In der Maschinen-Stadt angekommen, stirbt Trinity durch einen angreifenden Sentinel. Neo bietet dem Maschinen-Gott an, Agent Smith zum Preis des Friedens zwischen den Menschen und den Maschinen zu töten. Dies gelingt ihm mit Hilfe der Energie der Maschinen in der Matrix, wobei er selbst stirbt. Daraufhin ziehen die Maschinen von Zion ab und das Orakel erwirkt beim Architekten die Befreiung aller Menschen, welche die Matrix verlassen wollen.
II. II. Die Hauptpersonen in Matrix
Die Wachowski Brüder haben den Protagonisten im Film ungewöhnliche Namen gegeben, die sich jedoch durch ihre Hackeridentitäten in der Matrix, bevor sie ausgeloggt wurden, erklären lassen. Sie bedienten sich bei der Namenswahl in den verschiedensten Sagenwelten und Mythen, von den Griechen über das Christentum bis hin zum Hinduismus. Zumindest bei Neo ist uns sein bürgerlicher Name Thomas Anderson bekannt. Bei allen anderen Figuren wird nur das Pseudonym benutzt, da wir sie nicht vor ihrer Rettung aus der Matrix kennen gelernt haben. Im Kontrast zu den Teils vieldeutigen oder wegweisenden Alias-Namen, die komplett ohne Nachnamen auskommen, stellen sich die Agenten nur mit einem im Englischen Sprachraum sehr gewöhnlichen und weit verbreiteten Nachnamen Smith und Brown vor4. Auch die Bewohner von Zion haben im Gegensatz dazu nur Vornamen, die allerdings weniger geheimnisvoll sind, als die der Hauptfiguren. Dies weist auf die Einbindung in die normale Gesellschaft realer Menschen außerhalb der Matrix hin, in der keine Hacker-Namen nötig sind, um seine wahre Identität zu verbergen. Die Praxis des ausschließlichen Gebrauchs der Vornamen in der realen Welt, ist aber auch ein klarer Unterschied zum Leben Anfang der 90er Jahre in der Matrix, in der jeder Bewohner Vor- und Nachnamen hat. Die Familienzugehörigkeit wird durch den Nachnamen klar angezeigt und eine förmliche Anrede wird möglich. In Zion und an Bord der Schiffe sind alle eine große Familie, die sich nicht durch unterschiedliche Nachnamen voneinander abtrennt. Jeder Mensch wird als Individuum betrachtet und nicht mit einer Sippe und ihren Taten in Beziehung gebracht. Den Namen wurde also bei ihrer Erschaffung eine gewisse Bedeutung beigemessen, denn wie Paul Condon schreibt:
„For any movie to be successfully ‚cool , one of the first elements to get right is the choice of suitably enigmatic, sophisticated or just plain outrageous names for the main characters. Getting names wrong could make even the most exciting action scenes laughable - for instance, imagine how ludicrous it would have sounded to have had Barry Gigginson rescuing Princess Doris from the clutches of the evil Lord of the Sith, Darth Eric.“5
Zum besseren Verständnis der Hauptfiguren werden sie hier kurz zusammen mit den intertextuellen Verbindungen ihrer Namen vorgestellt.
Neo (Schauspieler: Keanu Reeves) - der Auserwählte oder auch der Eine, im englischen Original „The One“ genannt. Er ist die Hauptfigur des Films und entwickelt sich von einem Büroangestellten und Computer-Hacker in der Matrix zum Retter der Menschheit in der Maschinen-Welt. Neo ist nicht nur ein Annagramm von One, sondern auch das griechische Wort für „neu“. Seine Aufgabe ist es, die Welt neu zu erschaffen. Neo ist eine Jesusfigur. Nachdem er seine Fähigkeiten als Auserwählter bezweifelt, muss er sterben und wieder auferstehen, um seine übernatürlichen Kräfte zu entdecken. Als er von den Toten zurückgekehrt ist, zieht er aus sein „Volk“ zu retten, das ihn verehrt und ihm huldigt, um der Menschheit Frieden zu bringen. Für dieses Ziel opfert er schlussendlich sein Leben.6
Trinity (Carrie-Anne Moss) - spielt auf die Dreifaltigkeit des christlichen Glaubens, Vater, Sohn und Heiliger Geist an. Sie ist die sprichwörtliche starke Frau, die hinter Neo steht und ihn bei seinen Taten unterstützt. Außerdem erweckt sie ihn im ersten Teil durch ihren Kuss von den Toten, ähnlich wie Gott Adam den Lebensatem eingehaucht hat. Im zweiten Teil wird sie wiederum von Neo ins Leben zurückgeholt.
Morpheus (Schauspieler: Laurence Fishburne) - ist in der griechischen Mythologie der Gott des Traumes. Dieser kann anderen Menschen in Träumen erscheinen und jedes Aussehen oder jede Form annehmen.7 Er ist derjenige, der Neo aus der Traumwelt der Matrix befreit, ihm aber danach auch zeigt, wie diese funktioniert und wie er ihre Welt beeinflussen und die herrschenden Gesetzmäßigkeiten überwinden kann.
II. III Rezeption und Kritik
„The Matrix hit the film-going public by surprise, much like Star Wars a generation earlier, and for many of the same reasons. It had a breathless pace, astonishing eye-candy, a sense of mythic adventure, and an acid-tinged sensibility. Like Star Wars, it opened up a new continent of imagination; in this case, a domain of cyber-existence that no movie had explored before.“8
Nach dieser Einleitung bringt Herausgeber David Gerrold in dem Buch „Taking the Red Pill“ Autoren aus den Bereichen Wissenschaft, Film, Science-Fiction, Wirtschaft und Philosophie zusammen, um sie über The Matrix urteilen zu lassen. In ihren Essays wird schnell klar, dass man den Film keiner Kategorie exklusiv zuordnen kann. Es kommt auf die Perspektive der Interpretation an, ob man ihn für ein außergewöhnliches Stück Filmgeschichte, einen weiteren unnützen Science-Fiction-Blockbuster oder die gelungene Übertragung von Philosophie auf die Leinwand hält. Für manche Autoren ist Matrix die in Celluloid gebannte Bestätigung, dass die Welt wie wir sie kennen „keinesfalls die wahre Realität sein muß.“9 Doch auch Literaturwissenschaftler und bekannte Autoren des Science-Fiction Genres haben sich mit den Filmen auseinandergesetzt.
Denn es finden sich nicht nur die sehr offensichtlichen intertextuellen Bezüge, wie der auf „Alice im Wunderland“ durch das weiße Kaninchen, sondern auch subtilere wie der Name Nebuchadnezzar, dessen Herkunft nur den bibelfesten jugendlichen Zuschauern aufgefallen sein dürfte oder auch die diversen Zitate von Philipp K. Dicks Ideen, der außerhalb der Science-Fiction Welt wenig bekannt ist. Obwohl seine Romane in der jüngeren Filmgeschichte häufig Grundlage für erfolgreiche Kinofilme waren.10 So erklärt der Science-Fiction und Fantasy Autor Paul di Filippo seine möglichen Herangehensweisen:
„Entweder man geht den Film chronologisch nach literarischen Anspielungen durch und benennt die jeweiligen Fundstellen; oder man arbeitet sich chronologisch durch die Geschichte der SF, zitiert relevante Werke in der Reihenfolge ihrer Veröffentlichung und zeigt auf, wie sie im Film in Erscheinung treten.“11
Der sehr interessante und wichtige Aspekt der Intertextualität von The Matrix in Bezug auf die Literatur im Allgemeinen und dem Science-Fiction-Genre im Besonderen kann hier nur angedeutet werden.12 Es ist festzuhalten, dass seit dem ersten Spieltag im Jahr 1999 über The Matrix jedoch für einen Hollywood Film ungewöhnlich viele philosophische und sonstige wissenschaftliche Bücher, Abhandlungen und sogar Dissertationen verfasst und veröffentlicht wurden. Die auf der ARTE Website zu findende Kritik von Karin Wehn zeigt, dass die Filmkritiker über die Aussage des Films sowie die Qualität des Publikums nicht immer hoher Meinung waren:
„Ist die Welt, die uns umgibt, real? Oder ist alles, was wir für real halten, nur ein Traum? Mit solchen philosophischen Grundfragen vereinigte 1999 der Kinofilm „The Matrix“ inkompatible Teilöffentlichkeiten wie Multiplex-Proleten, HobbyPhilosophen und Cybergurus.
Das Erfolgsrezept der bis dahin kaum bekannten Brüder Andy und Larry Wachowski war eine postmoderne Bricolage aus Kung Fu-Action und einer intelligenten Messias-Fabel, unterfüttert mit technikfeindlichen Angstphantasien, Verschwörungstheorien und asiatischer Spiritualität.“13
Den Erfolg des Films kann jedoch auch Frau Wehn nicht wegdiskutieren. Die Intention der Wachowski Brüder bleibt bei alledem im Dunkeln, denn sie legen großen Wert darauf keine klaren Aussagen darüber zu machen, ob sie ein philosophisches Werk bei den Dreharbeiten im Sinn hatten oder einfach eine völlig neue Art der Comicverfilmung inszenieren wollten14. Letzteres würde ihrem Lebenslauf bis zu ihrem Regie-Debüt in The Matrix entsprechen, denn sie arbeiteten als Autoren in der Comic-Branche für Marvel Comics.15 Wie auch der Film auf verschiedenen Ebenen der Realität und Nicht-Realität spielt, so kann er auch vielschichtig interpretiert werden.
„As cultural critic Slavoj Zizek suggests, The Matrix is a philosopher s Rorschach inkblot test. Philosophers see their favored philosophy in it: existentialism, Marxism, feminism, Buddhism, nihilism, postmodernism. Name your phliosophical ism and you can find it in The Matrix.“16
Zizeks negativ behaftete Sicht wird von einigen Kritikern in der Kultur- und Kinowelt geteilt. Von dieser Kritik zeigen sich die Wachowski Brüder jedoch unbeeindruckt. Sie wären die einzigen, die allen Spekulationen ein Ende setzen könnten.
Doch weder aus dem Film selbst, noch aus den der Autorin zur Verfügung stehenden Zitaten und Berichten, lässt sich eine eindeutige und begründete Aussagen für die Intention der Regisseure, zu dieser oder jener Annahme, treffen.
Welche Gründe könnte der Erfolg von The Matrix haben und warum lässt der Film auch einige Jahre nach seinem Erscheinen die Menschen nicht mehr los?
„Almost everyone who sees THE MATRIX considers, at least for a second or two, the uncomfortable possibility that they might in fact be in The Matrix.“17
Diese Unsicherheit ist es, die den Zuschauer fasziniert und zu den Fragen führt, die sich die Philosophie seit ihren Anfängen im alten Griechenland stellt. Woher kommen wir? Was ist Realität? Was ist Freiheit? Ist unser Leben wirklich selbst bestimmt?
„The first Matrix movie clearly and provocativley raised questions that kept college kids up late.“18
The Matrix bringt den Kinobesucher über den Umweg des Unbehagens, der Verwirrung und Zweifel zum Nachdenken über sich selbst, die Welt, den Glauben und in letzter Konsequenz die Realität an sich oder das was wir dafür halten.
"The Matrix" nutzt diese Technologie [Filmtechnik der 90er Jahre], mit der sich jede beliebige Wirklichkeit auf die Leinwand zaubern läßt, um jeder gesicherten Vorstellung von Wirklichkeit den Garaus zu machen.“19
Da die Definition des Realen und von Realität grundlegend oder zumindest wichtig für die weiterführenden Gedankengänge und Fragestellungen ist, beschränkt sich diese Arbeit auf die philosophischen Theorien, die sich mit den nahe liegenden Realitätskonzepten und im weiteren auch mit der Simulation von Realität mit Hilfe von Computern beschäftigen.
Eine umfassende Untersuchung aller in The Matrix auffindbaren philosophischen Strömungen und Fragestellungen würde den Rahmen sprengen.20
III. Kulturphilosophische Ansätze - Realität und wie wir sie erfahren
Im folgenden Kapitel wurden die philosophischen Ansätze ausgewählt, die sich in Matrix mit der Realität und der Erfahrbarkeit derselben beschäftigen. Der Realitätsbegriff kann als essentiell konstituierender Faktor unseres Lebens und somit auch der Kultur angesehen werden. Eine Person, die ihre Umwelt zum Beispiel bewusst als Simulation wahrnimmt, begegnet ihr mit anderem Verhalten als sie es in einer Realität mit allen Konsequenzen tun würde. Diese Möglichkeit der Verhaltensänderung aus dem Wissen heraus, dass die Umwelt nicht real ist, verwehren die Regisseure ihren Figuren, indem sie den realen Tod als Konsequenz des Sterbens in der Matrix einführen. Da die Frage nach der Realität oder Simulation und unser Wissen um sie, bereits als eine der Hauptgründe für die Anziehungskraft der Filme auf das Massenpublikum identifiziert werden konnten, werden die entsprechenden Theorien in chronologischer Reihenfolge behandelt. Hierbei wurde so vorgegangen, dass zuerst die philosophische Anschauung dargelegt und dann an passenden Film- Szenen aufgezeigt wird.
III. I. Platon
- das Höhlengleichnis als Spiegel der modernen Gesellschaft
Aus dem Hauptwerk „Politeia“ des antiken Philosophen Platon, welches er ca. 470 vor Christus verfasste, ist das Höhlengleichnis zu einem der erkenntnistheoretischen Standardeinführungstexte geworden.21 Platon ist im Gespräch mit seinem Schüler Glaukon, um diesem anhand des Höhlengleichnisses die Entwicklung vom unwissenden Menschen zum Philosophen22 aufzuzeigen.
In einer Höhle sind Menschen seit ihrer Kindheit so gefesselt, dass sie ihren Blick nur nach vorne auf eine Wand richten können. An dieser Wand sehen sie Schatten von Gegenständen, die Menschen hinter ihnen an einem Licht vorbeitragen. Der Schall in der Höhle wird von der gegenüberliegenden Wand zurückgeworfen, so dass sie die Schatten an der Wand für die realen Objekte halten. Zu Beginn des Gesprächs steht Glaukon der Idee Platons noch skeptisch gegenüber:
„«Merkwürdig sind Gleichnis und Gefesselte, von denen du sprichst.» «Sie gleichen uns! Denn sie sehen zunächst von sich und den anderen nur Schatten, die von dem Feuer auf die gegenüberliegende Mauer geworfen werden, verstehst du?»“23
Für Platon sind alle Menschen, bevor sie zu Philosophen also Fragenden werden, in einer Welt der Schatten gefangen. Sie haben nicht die Fähigkeit ihre eigene Wahrheit oder die ihrer Außenwelt zu erkennen.
Die wahren Ideen bleiben verborgen und die Menschen leben in einer Scheinwelt, die sie jedoch für wirklich halten. „«Alles in allem: Die Leute würden nichts anderes für wahr halten als die Schatten der Geräte.»“24 Platon diskutiert mit Glaukon wie der Verlauf der Erkenntnis der Realität wäre, wenn man einen der Gefesselten befreien, an dem Licht und den Objekten in der Höhle vorbei führen und in die reale Welt an der Oberfläche entlassen würde. Er bräuchte Zeit, um sich an das neue Aussehen der Objekte zu gewöhnen, wäre zuerst ungläubig und würde die Schatten für realer halten, als die Objekte selbst. Wenn er aber beginnt, zu erkennen in welcher Situation er vorher war, wird er seine alte Realität für unwahr halten und die neue Realität für die wirkliche.
Mit diesem Bild der Simulation von Realität spielt auch die Matrix-Trilogie in hohem Maße. Bei Platon sind die Menschen in der Höhle seit ihrer Kindheit gefesselt. Im Film sind die Körper in der Maschinen-Welt ebenfalls durch die Anschlüsse an die Versorgungssysteme und die Nervenverbindungen zur Matrix gefesselt. Die Menschen können - genauso wie die Personen im Höhlengleichnis - aus eigener Kraft nicht ausbrechen. Das Sehen und Erkennen der wirklichen Welt ist nur durch ein Lösen der Fesseln und das Verlassen der Wabe/Höhle möglich.
Die Mauer mit dem dahinter scheinenden Licht ist das Pendant zur Matrix als Computersystem. Die an dem Licht vorbei getragenen Objekte werden durch den Programmcode repräsentiert. Die von den Gefangenen wahrgenommenen Schatten, welche sie für reale Objekte halten, sind gleichzusetzen mit der innerhalb der Matrix erlebten Realität. Also den durch den Programmcode codierten Erscheinungen wie Gegenstände, Menschen und die gesamte Umwelt.
Wie Platon im Dialog hypothetisch konstruiert, wird Neo in The Matrix, nachdem er sich entschieden hat die Wirklichkeit sehen zu wollen, von Morpheus gezwungen „sofort aufzustehen“.
In der gesamten Befreiungsszene wird auf die Dringlichkeit des Aufwachens sowohl durch den Schnitt und die Kameraführung als auch in den Dialogen hingewiesen. Nach dem Erwachen wird Neo in das helle Licht25 der Nebuchadnezzar gehoben. Dort erwacht er und wird vom grellen Neonlicht geblendet: „Why do my eyes hurt?“ fragt Neo, woraufhin Morpheus antwortet: „You ve never used them before“.26 Dieser Dialog spiegelt die von Platon beschriebenen Schmerzen beim ersten Schauen der realen Gegenstände im Licht wieder, im Gegensatz zu den Schatten, welche die Augen bis dahin ausschließlich gesehen haben.27
„«Und wenn man ihn zwänge, ins Licht selbst zu blicken, dann würden seine Augen schmerzen, und fluchtartig würde er sich dem zuwenden, was er anzublicken vermag; (...)wenn er ans Sonnenlicht käme, da könnte er wohl - die Augen voll des Glanzes - nicht ein einziges Ding erkennen, die man ihm nunmehr als wahr hinstellte.»“28
Platon beschreibt den schwierigen und langwierigen Weg der Anpassung des Geistes des ehemaligen Gefangenen an die reale Welt. Er würde nach der Befreiung die gesamte Realität nicht sofort begreifen können, sondern müsste sie sich, ausgehend von den ihm bekannten Trugbildern, nach und nach erschließen. Der Blick in die Sonne als dem hellsten Punkt der Realität und somit Sinnbild für die reine Erfahrung der Welt außerhalb der Höhle ist das Ziel, welches es am Ende der Gewöhnung zu erreichen gilt.
Die Besatzung der Nebuchadnezzar vollzieht die rein körperliche Gewöhnung Neos an die reale Welt als erstes, bevor sie sich seinem Geist zuwenden. Er wird mit medizinischer Hilfe in einen guten körperlichen Zustand gebracht und alle Fragen, die er in seinen kurzen Wachphasen hat, bleiben offen.
So liegt er - obwohl befreit - weiterhin in einem paralysierten Zustand ohne Informationen und somit auch ohne Bezug zur realen Welt. Die von Platon beschriebene Leugnung der Realität ist auch Neos erste Reaktion, nachdem ihm das volle Ausmaß seiner Situation bewusst gemacht wird. Er reagiert mit geistiger Abwehr, will die Wahrheit nicht akzeptieren, die seine bisherigen Begriffe von Realität so komplett außer Kraft setzt, bis er sich im Übergeben eine Fluchtmöglichkeit auf körperlicher Ebene schafft und dann zusammen bricht.
„«Er brauchte Gewöhnung, denke ich, wenn er die Oberwelt betrachten solle; zuerst würde er am leichtesten die Schatten erkennen, dann die Spiegelbilder der Menschen und der anderen Dinge im Wasser, später sich selbst; (...).»“29
Diese schrittweise und langsame Herangehensweise an die Realität mit ihren Eigenarten und Verwicklungen benutzt Morpheus auf die im Film dargestellte Computerrealität übertragen in Szene 39. Hier zeigt er Neo, nachdem dieser sich wieder erholt hat, zuerst das Prinzip der Matrix als Computersystem, welches das Gerüst bildet, in dem die noch nicht befreiten Menschen leben. Er lässt die Simulation der Welt im Jahr 1999 entstehen, verwirft ihren Realitätsanspruch jedoch umgehend wieder, indem er Neo die reale Maschinen-Welt zeigt und seine bisherige Realität als Traumwelt bezeichnet.
Der in Bezug auf Platon interessante Aspekt dieser Szene ist, dass Morpheus Neo die reale Welt mit Hilfe der Matrix zeigt. Er fliegt nicht mit seinem Schiff an die Oberfläche oder lässt ihn einen Spaziergang durch die unterirdischen Rohrleitungssysteme machen, sondern vermittelt das Reale mit Hilfe des Irrealen als Medium, welches Neo gewohnt ist. Dieser begreift die Realität, vermittelt durch die Matrix, wie der ehemalige Gefangene in Platons Höhlengleichnis die realen Gegenstände zuerst nur in ihren Schatten erkennen kann.30
Auf die Frage nach einer Rückkehr in den Zustand der alten Nicht-Realität stellt Glaukon fest: „Lieber wird er alles über sich ergehen lassen als dort zu leben!“31 Im Film ist die gezeigte reale Welt so schrecklich, dass Neo zuerst mit Unglaube, Angst und Ekel reagiert. Im Laufe der Zeit lernt er, die Welt zu akzeptieren. Zum ersten Mal zurück in der Matrix sieht er seine alte Lebenswelt mit Staunen, erkennt seine Erinnerungen und alten Gewohnheiten als Trugbilder aus einer Scheinwelt und entwickelt Mitleid für die noch in der Matrix Verbliebenen.32 Diese Szene ist eine Hommage an die von Platon aufgestellte Vermutung, wie der Befreite des Höhlengleichnisses in einer ähnlichen Situation reagieren würde:
„«Wenn man ihn dann an seine erste Wohnung, an sein damaliges Wissen und die Mitgefangenen dort erinnerte, würde er sich dann nicht glücklich preisen wegen seines Ortswechsels und die anderen bedauern?»“33
Eine Rückkehr wird ausgeschlossen, auch wenn das ein Leben in einer vollkommen unluxuriösen Umgebung, unschmackhafte Nahrung, permanente Verfolgung durch die Maschinen in der realen Welt und die tödliche Bedrohung durch die Agenten innerhalb der Matrix zur Folge hat. Die Rebellen erheben den Kampf gegen die Maschinen für die Freiheit der Menschheit zu ihrem Lebensinhalt.
Platon benutzt das Höhlengleichnis, um Glaukon zu zeigen, dass „die Idee des Guten die höchste und nur mit Mühe erkennbar“34 ist. Die Wachowski Brüder setzen einerseits an diese Stelle eher ritterliche Tugenden wie Schutz der Schwachen und Kampf gegen Ungerechtigkeit, denn die Besatzung der Nebuchadnezzar ist zum Schutz der befreiten Menschen und ihrer Stadt Zion abgestellt.
Andererseits erinnert die Mission an die Gralssuche, denn sie sind auf der Suche nach dem Einen, der durchaus mit dem christlichen Messias gleichgesetzt werden kann. Beides zielt aber ebenfalls auf den Sieg des Guten hin, das nach einem schweren Weg mit vielen Opfern, für die befreite Menschheit erreicht werden kann.
Die Bezüge zum Höhlengleichnis und dessen Umsetzung der Wachowskis finden sich also hauptsächlich im ersten Teil der Trilogie. Mit Hilfe der im Gleichnis zu findenden Überlegungen wird uns Neos Erwachen und seine Entwicklung gezeigt, die mit dem Moment der Erkenntnis seiner Fähigkeiten und der daraus erwachsenden Möglichkeiten vorerst endet.
III. II. George Berkeley
- Empirismus und Immaterialismus
In seinem 1710 veröffentlichten Hauptwerk „Über die Prinzipien der menschlichen Erkenntnis“ stellt der irische Philosoph George Berkeley seine Theorie des Immaterialismus vor. Es erschien im Anschluss an eine neue Theorie des Sehens, die er entwickelt und veröffentlicht hat, um die gängigen Methoden des wissenschaftlichen Arbeitens anzuzweifeln. Hierbei war er jedoch darauf bedacht die Grundsätze der Kirche nicht anzugreifen.
Der Text muss in Gesamtsicht mit seinem Wirken als gläubiger Christ und späterer Bischof von Cloyne betrachtet werden.35 Er geht dabei von den Annahmen der Philosophen seiner Zeit aus, dass jedes Objekt und jede Person auf der Welt primäre Qualitäten wie Ausdehnung, Gestalt und Bewegung und sekundäre Qualitäten wie Farbe, Geruch und Ton hat.
„Durch den Gesichtssinn erhalte ich Licht- und Farben-Ideen (...), durch den Tastsinn perzipiere ich z.B. Härte und Weichheit, (...). Der Geruchssinn verschafft mir Gerüche, der Geschmackssinn Geschmacksempfindungen, der Sinn des Gehörs führt dem Geist Schallempfindungen zu (...). Da nun beobachtet wird, daß einige von diesen Empfindungen einander begleiten, so geschieht es, daß sie mit einem Namen bezeichnet und infolge hiervon als ein Ding betrachtet werden.“36
Jeder Gegenstand entsteht also durch zusammengesetzte Wahrnehmungen der einzelnen Sinne und kann nur durch Sie erfahren werden. Berkeley benutzt bereits zu Beginn der Prinzipien den Begriff der Idee, hier Licht- und Farben- Ideen, der sich nicht im platonischen Sinn auf eine dem realen Objekt zu Grunde liegende Idealvorstellung bezieht. Vielmehr versteht er darunter sowohl unsere im Geist gebildete Vorstellung des Gesamtobjekts, als auch die einzelnen Eindrücke und Empfindungen, aus denen das Ganze durch den Verstand gebildet wird.37 Das perzipierte Ding wird im Geist durch eine Idee repräsentiert, so dass der Geist auch ohne die Anwesenheit des Objektes darüber nachdenken und es sich vergegenwärtigen kann. Berkeley stellt daraufhin fest, dass jedem klar ist, dass Gefühle und Gedanken nur innerhalb des Geistes existieren. Er geht einen Schritt weiter und behauptet, dass alle Objekte, weil sie durch Sinnesempfindungen vermittelt sind, auch nur im Geist existieren können, da es der Geist ist, der sie mittels der Sinne perzipiert.
Also „jedes Wahrgenommene stets auf etwas Wahrnehmendes bezogen ist“38. Esse est percipi (wahrgenommen werden) oder percipere (wahrnehmen) oder velle, i.e. agere (wollen, d.h. handeln).“39 Aus dieser Erkenntnis heraus entwickelt Berkeley seine Immaterialismus Theorie, die jegliches Substrat oder jegliche nicht denkende Materie außerhalb und unabhängig vom Geist ablehnt, da ihre Existenz nicht bewiesen werden kann. Um dies zu beweisen formuliert er selbst bereits die in The Matrix gezeigte Realität.
„Macht die Voraussetzung, deren Möglichkeit niemand leugnen kann, eine Intelligenz habe ohne Mitwirkung äußerer Körper dieselbe Reihe von Sinneswahrnehmungen oder Ideen, die ihr habt, und zwar sei sie in derselben Ordnung und mit gleicher Lebhaftigkeit dem Geiste eingeprägt. Ich frage, ob diese Intelligenz nicht ganz eben den Grund hat, die Existenz körperlicher Substanzen, die durch ihre Ideen repräsentiert würden und sie in ihr anregten, anzunehmen, den ihr möglicherweise haben könnt, dergleichen anzunehmen? Dies kann gar nicht zweifelhaft sein (...).“40
Wenn man diese Behauptung zu Grunde legt, ist die Welt, in der wir leben, ähnlich der Welt der Menschen, die an die Matrix angeschlossen sind. Denn das von Berkeley gezeichnete Bild einer Welt ohne Materie, die nur aus Sinneswahrnehmungen besteht, ist exakt das in der Utopie der Wachowski Brüder gezeigte. Jede Empfindung und jedes Objekt, das dort wahrgenommen wird, existiert ausschließlich im Geist, da dieser vom Computerprogramm der Matrix gespeist wird. Die Existenz der Körper außerhalb der Matrix ist in diesem Fall irrelevant, da das Bewusstsein willentlich und ohne Hilfsmittel nicht bis dahin gelangen kann.
„Wir meinen nach Berkeley, daß wenn bestimmte Bedingungen erfüllt wären, wir so und so geartete Sinnesempfindungen haben, das und das wahrnehmen würden.“41
Diese Beobachtung wird sowohl von der Realität innerhalb der Matrix, so lange sie nicht von den Agenten beeinflusst wird, als auch außerhalb der Matrix erfüllt. Mit beiden Realitäten wird, von den sich in ihnen bewegenden Subjekten, aufgrund von aus Erfahrung entstandenen Erwartungen umgegangen. Für den Menschen in der Matrix, der also seine Umwelt, seinen Körper und seinen Geist wahrnimmt, trifft die Berkleysche Substanzlosigkeit im materiellen Sinne nicht nur subjektiv zu, sondern durch das Konzept der Matrix auch objektiv.
[...]
1 The Matrix wird in der Arbeit als zusammenfassender Begriff für alle drei Teile The Matrix I, Matrix II - Reloaded und Matrix III - Revolutions gebraucht. The Matrix meint im Folgenden die gesamte Trilogie. An den Stellen, an denen auf die Teile separat eingegangen wurde, sind die genauen Titelbezeichnungen zu finden. Um von vorne herein eine klare Unterscheidung zu treffen, bezeichnet der Begriff Matrix (ohne die Verwendung des englischen Titels) die Virtuelle Realität der Matrix, in der große Teile der Matrix-Trilogie spielen.
2 Die weiblichen Zuschauer haben allerdings das Problem, dass uns bei Trinity nicht gezeigt wird, wie sie aus ihrem „normalen“ Leben zur gut aussehenden, eiskalten Killermaschine mit Herz geworden ist. Noch dazu hat Carrie Ann Moss vor ihrer Schauspiel-Karriere hauptberuflich als Model gearbeitet, was zur kompletten Identifikation eine gehörige Portion Selbstbewusstsein erfordert.
3 Zons, Raimar (2006) American Paranoia, in: Mamczak, Sascha & Jeschke, Wolfgang: Das Science Fiction Jahr 2006, S. 282
4 Agent Smith, Agent Brown
5 Condon, Paul (2003): The Matrix: Unlocked, S. 59
6 Vgl. Condon, Paul (2003) The Matrix: Unlocked, S. 65
7 http://de.wikipedia.org/wiki/Morpheus
8 Gerrold, David (2003): Taking the Red Pill, S. 6
9 Morpheus (2005): Matrix Code, S. 11
10 Z. b. stammt die Idee der Precocs in dem Kassenschlager „Minority Report“ mit Tom Cruise aus einem Dick Roman
11 Di Filippo, Paul (2003) Der Bau eines besseren Simulakrums: Literarische Einflüsse auf Matrix, in: Haber, Karen (2003) Herausgeberin: Das Geheimnis der Matrix, S. 62
12 Der Vollständigkeit halber sollte dieses Thema jedoch kurz Erwähnung finden.
13 http://www.arte.tv/de/403808,templateId=noncache.html?node=311408
14 Dieser Gedanke wird von den Ausführungen des Haupt-Storyboard-Zeichners Steve Skroce in „The Art of The Matrix“ nahe gelegt, was jedoch wahrscheinlich auf seinen Arbeitsbereich in der Entstehung des Films zurückgeführt werden kann.
15 Skroce, Steve (2000) Principal Storyboard Art in Lamm, Spencer: The Art of The Matrix, S. 11
16 Irwin, William (2001): The Matrix and Philosophy: Welcome to the desert of the real, S. 1
17 Gerrold, David (2003): Taking the Red Pill, S. 276
18 Irwin, William (2005): More Matrix and Philosophy: Revolutions and Reloaded Decoded, S. Xi
19 Ludewig, Peter (1999): http://www.heise.de/tp/r4/artikel/2/2941/1.html
20 Dies zeigt sich an der Fülle der im Literaturverzeichnis aufgeführten Bücher, die sich ausschließlich diesen Themen in ihrer Vielzahl widmen.
21 Da der Text dem geneigten Leser aufs Genaueste bekannt sein müsste, wird das Szenario im Folgenden nur kurz umrissen und in Bezug auf The Matrix I im Detail verglichen.
22 Der Philosoph kann hier im Sinne von Matrix als Wissender oder die Realität Erkennender interpretiert werden. Natürlich dient das Höhlengleichnis - gedeutet nicht in unserem spezifischen Zusammenhang, sondern in Bezug auf Platons Philosophie - als ein Sinnbild des Aufstiegs der Seele von der Erkenntnis der realen Welt, die laut Platons Ideenlehre nur Abbilder (Schatten) der Welt der Ideen sind, hin zur Erkenntnis der Ideen an sich und der Idee des Guten als höchstem Ziel.
23 Platon (1982) Der Staat, Siebentes Buch [515a], S. 327
24 Platon (1982) Der Staat, Siebentes Buch [515c], S. 328
25 Hier kann das helle Licht natürlich symbolisch gedeutet werden als Weg aus dem Dunkel der Existenz innerhalb der Matrix, quasi das Licht am Ende des Tunnels des alten Lebens, ein Symbol für Wiedergeburt und Neuanfang. Neo tritt durch das reinigende, gleißende Licht in die neue Wirklichkeit ein.
26 Art of the Matrix, Szene 35, S. 307
27 Vgl. Platon (1982) Der Staat, Siebentes Buch [515c-d], S. 328
28 Ebd. [515e], S. 328-329
29 Platon (1982) Der Staat, Siebentes Buch [516a], S. 329
30 Vgl. Ebd. [515e ff.], S. 328-330
31 Platon (1982) Der Staat, Siebentes Buch [516e], S. 330
32 Szene 74, The Shooting Script, S. 62-63
33 Platon (1982) Der Staat, Siebentes Buch [516c], S. 329
34 Ebd. [517b], S. 331
35 Vgl. Kulenkampff, Arend (1987) George Berkeley, S. 9-46
36 Berkeley, George (2004) Prinzipien der menschlichen Erkenntnis, § 1. S. 25
37 Auf den erweiterten Ideenbegriff Berkeleys wird weiter unten noch eingegangen.
38 Breidert, Wolfgang: George Berkeley: Wahrnehmung und Wirklichkeit, in Speck, Josef (1986) Grundprobleme der großen Philosophen, S. 217
39 Berkeley, George (1979) Philosophisches Tagebuch, S. 54-55
40 Berkeley, George (2004) Prinzipien der menschlichen Erkenntnis, § 20, S. 35
41 Kulenkampff, Arend (1982) George Berkeley, in: Hoerster, Norbert: Klassiker des Philosophischen Denkens Band 1, S. 332
- Arbeit zitieren
- Sina Schieweck (Autor:in), 2008, Kulturphilosophische Ansätze in der Film-Trilogie „Matrix“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/191365
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