Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Entwicklung der Fragestellung
2. Einleitung
3. Die Philosophie Bacons, Bacon als Empiriker
4. Bacon im Chandos-Brief, der Plan des Lord Chandos
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
1. Entwicklung der Fragestellung
In der vorliegenden Hausarbeit wird die Rolle Francis Bacons auf die Ent- stehung und Beeinflussung des „Chandosbriefes“ beleuchtet. Der Chandosbrief ist ein weit bekannter Text, der zu der Lyrik der Sprach- krise gezählt wird. In dieser Hausarbeit wird gezeigt, dass hinter dem Chandosbrief jedoch noch mehr steckt, als „nur“ ein Produkt der Sprach- krise um 1900.
Es kommt die Form des Briefes zur Sprache und wieso nicht als histori- scher Brief gewertet werden darf. Die Fragestellung, wieso Bacon der Ad- ressat des Briefes ist wird geklärt und welche Rolle er dabei spielt. Francis Bacons philosophische Ansichten und Theorien im Bezug auf die Natur und der Wissenschaft kommen zur Sprache und es wird gezeigt, wieso er als einer der Wegbereiter des Empirismus zählt. Diese Eigenschaften Bacons spielen eine große Rolle im Entstehungspro- zess des Chandosbriefes, wie im Folgenden gezeigt wird. Es wird gezeigt, dass der Lord Chandos ein fiktiver Schüler Bacons ist, der seine Ideologien vertritt und Schriften von Bacon gespiegelt und als seine eigene Erinnerung in den Brief eingebaut hat.
Die Einzelheiten der Schriften Bacons werden unter dem Gesichtspunkt des „großen Ganzen“ untersucht, und wie sich die Enzyklopädie, die Chandos plant, dem Regelwerk Bacons gleicht, dass er im Zuge seiner philosophischen Überlegungen fordert.
Als Textgrundlage ist der Haupttext „Ein Brief“ von Hugo von Hofmannsthal zu nennen, der hier in den gesammelten Werken des Fischer Verlages 1979 erschienen ist zu nennen. Des Weiteren dienen als interpretatorische Vorlage das Werk von Jost Bomers und ein Aufsatz von Wolfgang Krohn, die im Literaturverzeichnis explizit aufgeführt werden.
2. Einleitung:
Der Brief des Lord Chandos ist einer der am häufigsten genannten Texte, wenn es um die „Sprachkrise im 1900 Jhdt.“ geht.
Der Brief des Lord Chandos wurde im Jahr 1902 von Hugo von Hof- mannsthal veröffentlicht. Die literarische Gattung scheint schon im Titel festgelegt zu sein. „Ein Brief“ lässt darauf schließen, dass es sich um ei- nen historischen Brief handelt. Als Empfänger ist Francis Bacon angege- ben. Als Absender bezeichnet sich ein gewisser Phillip Lord Chandos. Sprachlich und formal ist der „Brief“ einem historischen Brief in nichts nachgestellt. Die Historizität ist jedoch nicht gegeben, da der Brief eindeu- tig fiktional ist.
Es wird eine Diskrepanz deutlich, die den Brief nun nicht mehr als Brief erscheinen lässt. Verfasser ist hier nicht der fiktive Lord Chandos, sondern Hugo von Hofmannsthal. Auch die Zeit in die er der Brief sich versetzt ist nicht die Zeit, in der Hofmannsthal gelebt hat. Francis Bacon lebte im 16./17. Jahrhundert.
In dem Brief ist eine Zeitdiskrepanz zu erkennen. Der Brief wurde von Hofmannsthal im Jahr 1902 geschrieben. Er versetzt sich aber in die Zeit von 1603. Um dieses Jahr herum wurden Mikroskope und Teleskope at- traktiv. Man betrachtete die Strukturen und Muster von bekannten Dingen in einem neuen Blickwinkel. Man erkannte kleinere Strukturen mithilfe des Mikroskops und die größeren mit dem Teleskop. Der Makro- und Mikro- kosmos wird so neu erkundet. Es ist der Versuch, den Menschen aus der Welt herauszuziehen und eine eigene und neue Sichtweise zu entwickeln. Bacon ist ein Wegbereiter dieses neuen Forschungsansatzes, was im Folgenden weiter ausgeführt wird.
Auch die Möglichkeit, den Brief in die Form zu tradieren, dass der Emp- fänger, wir, die Rezipienten und Hugo von Hofmannsthal der Absender ist, ist nicht gegeben. Denn im Gegensatz zu einem tatsächlichen Brief, in dem der Absender und Empfänger eine Art Konversation führen, ist die Kommunikationsebene in diesem literarischen Werkes nicht gleichzusetzen.1 Es handelt sich folglich eindeutig um ein literarisches Werk und nicht um einen historischen Brief.
Für eine Interpretation muss man sich nun vom biographischen Hinter- grund es Autors lösen und sich unter anderem stärker mit der Thematik des Epochenumbruchs und der Rolle Francis Bacons beschäftigen. Da Bacon als Empfänger gegeben ist, hat man einen „wissenschaftlichen Fixpunkt“,2 an dem man sich orientieren kann. Für Bacon hatte das Kunstwerk einen untergeordneten Stellenwert und sollte dem Sinn dienen, etwas Größeres verstehen zu können. Dieser Legitimationsverlust des Kunstwerkes kann im Sinne der Aufklärung bestätigt werden. Der analyti- sche Zugriff, den Texte erfuhren, konnte auf vielfältige Weise interpretiert werden. Da alles in Frage gestellt wurde, könnte die Aufklärung eine Ur- sache der Sinnkrise in der modernen Gesellschaft sein.3 Diese Sinnkrise ist unter anderem Thema im „Chandosbrief“. In dieser Hausarbeit sollen jedoch Francis Bacon und Hugo von Hofmannsthal im Vordergrund stehen, und welche Gemeinsamkeiten sie auszeichnet und Spuren im „Chandosbrief“ hinterlassen hat.
3. Die Philosophie Bacons, Bacon als Empiriker:
Francis Bacon wurde 1561 in London geboren und starb 1626. Seine Leb- zeit liegt in einer historischen Phase zwischen zwei Epochen. Zum einen hat er die Renaissance erlebt, in der die Schriften der Antike enorm an Wert gewonnen haben und wiedererstarkten. Zum andern lebte er in den Beginn der Aufklärung hinein, die mit den Schriften von Descartes be- gann. Dieser zeitgeschichtliche Umbruch ist auch in den Schriften Bacons zu finden. Es herrschte die spekulative Metaphysik vor, von der Bacon sich abwand und für eine Starke Empirie eingetreten ist. Man solle sich von falschen Vorstellungen und Vorurteilen abwenden und sich, im Sinne der Aufklärung, zur Erkenntnis durch Beobachtung hinwenden. Bacon knüpft an die Antike, im Sinne der Renaissance, an, fordert aber gleichzei- tig, dass man sich von dem Alten lossagen müsse um in die Neuzeit zu gelangen.
Bacon gilt als der Begründer des englischen Empirismus und damit als einer der ersten Vertreter der modernen Naturwissenschaft, oder Wissenschaft im Allgemeinen. Bacons Methodenlehre, die ein empirisches und kein metaphysisches Arbeiten fordert, führt zu einer hermeneutischen Konsequenz, die richtungsweisend für die Moderne ist.
Bacon hat die antike Differenz von Theorie und Praxis infrage gestellt. Anders als Philosophen der Antike war er der Ansicht, dass sich Wissen im Können zeige. Auf die Problematik der Erkenntnis von der Natur bezogen, bedeutet dies in seinen Augen, dass man die Natur nur besiegen könne, indem man ihr gehorcht.4 Das Besiegen der Natur beinhaltet bei Bacon vor allem das Versteh der Natur und der Naturgesetze.
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1 Bromers, Jost: Der Chandosbrief - Die Nova Poetica Hofmannsthals, M und P, Verl. Für Wissenschaft und Forschung, 1991, S. 9.
2 Ebd.
3 Ebd.
4 Wolfgang Krohn, Das Labyrinth der Natur. Bacons Philosophie der Forschung betrachtet in ihren Metaphern, in: Hans Jörg Sandkühler (Hrsg.), Interaktionen zwischen Philosophie und empiri- schen Wissenschaften, Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt a.M., 1995, S. 45.