In der vorliegenden Arbeit wird der Versuch unternommen, die Reinheitsdiskurse in Goethes 'Iphigenie auf Tauris', Schillers 'Die Jungfrau von Orleans' und Grillparzers 'Das goldene Vließ' begrifflich zu fassen und hinsichtlich ihrer textimmanenten Funktion und ihres ideengeschichtlichen Ortes zu analysieren. Dabei wird versucht, die Ergebnisse aus Mary Douglas' ethnologischem Standardwerk Reinheit und Gefährdung für die Analyse fruchtbar zu machen.
Im Rückgriff auf Douglas' Anmerkungen zur Wirkungsmacht von Ritualen wird anhand der Iphigenie und des goldenen Vließes nachgewiesen, dass (Reinheits-)Rituale auch in der Literatur die Funktion der Konstitution von Wirklichkeit, der Stabilisierung von Ordnungen und der Selbstvergewisserung einer Kultur erfüllen.
Den Ausgangspunkt der tragischen Handlung der drei Dramentexte bildet jeweils eine Krisensituation, eine Bedrohung der bestehenden Ordnung. Diese Bedrohung wird hier verstanden als Gefährdung durch vermeintliche Verunreinigung durch das Andere, durch das Fremde.
Die drei hier behandelten Dramentexte wurden deshalb verstanden als Ausdruck der aufklärerischen Totaltransformation: Sie sind Teil einer kollektiv-kulturellen, ideengeschichtlichen Auseinandersetzung über die Ablösung einer Ordnung durch eine andere.
Insofern die Reinheitsdiskurse auf ontologisch-ethische Ideale der Aufklärungsphilosophie rekurrieren, sind die Dramentexte als literarische Auseinandersetzung und Verarbeitung der Verwerfungen und Transformationen des Entstehungszeitraumes zu verstehen.
Die Reinheitsdiskurse sind Ausdruck dessen: Sie sind Medium der Auseinandersetzung über Werte und Normen, die soziale und kulturelle Ordnungen konstituieren, stabilisieren oder desavouieren. Desgleichen werden über Reinheitsdiskurse Verlustgeschichten in den Blick genommen, die auf die durch die Aufklärung geborene Moderne referieren. In diesem Sinne können die hier verhandelten Texte als Kulturkritik verstanden werden: Als Reflexionen über die Möglichkeiten, aber auch die Zumutungen der Moderne. Die Einbettung der Stoffe in Diskurse über Reinheit und Verunreinigung ermöglicht das symbolische Sprechen über kultur- und zeitenübergreifende Wertungs- und Ordnungsschemata.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- I. Iphigenie auf Tauris
- I.1 Ritual und Ordnung
- I.2 Iphigenies zweifache Reinheit
- I.2.1 Iphigenies Jungfräulichkeit
- I.2.2 Iphigenies sittliche Reinheit
- 1.2.2.1 Orests Heilung
- 1.2.2.2 Iphigenies Schuld
- I.3 Dreischritt der Kritik
- I.4 Schein der Versöhnung
- II. Die Jungfrau von Orleans
- II.1 Säuberung und Versöhnung
- II.2 Johannas Reinheit
- II.2.1 Johanna d'Arc - anthropologische Reinheit
- II.2.2 Die Heilige Jungfrau – metaphysische Reinheit
- II.3 Demaskierung
- II.4 Figurierte Theorie
- III. Das goldene Vlieẞ
- III.1 Entfremdung
- III.2 Assimilation
- III.3 Rache
- III.4 Hoffnung
- IV. Ergebnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Magisterarbeit befasst sich mit den Reinheitsdiskursen in Goethes Iphigenie auf Tauris, Schillers Die Jungfrau von Orleans und Grillparzers Das goldene Vließ. Ziel ist es, die kulturvergleichende Perspektive aus Mary Douglas' Werk "Reinheit und Gefährdung" auf die Analyse der genannten Texte anzuwenden.
- Analyse der Reinheitsdiskurse im Kontext der europäischen Aufklärung
- Bedeutung von Reinheit als Symbol für gesellschaftliche, politische und kulturelle Ordnung
- Verbindung von Reinheitsdiskursen mit Erfahrungen von Fremdheit und Abgrenzung
- Die Rolle von Mythos und Tradition in der Gestaltung von Reinheitskonzepten
- Der Einfluss von Reinheitsvorstellungen auf die Figuren und Handlung der Dramen
Zusammenfassung der Kapitel
Die Arbeit untersucht die Bedeutung von Reinheitsdiskursen in drei bedeutenden Dramen der deutschen Literatur: Goethes Iphigenie auf Tauris, Schillers Die Jungfrau von Orleans und Grillparzers Das goldene Vließ. Die Analyse zeigt, wie die Konzepte von Reinheit und Verunreinigung als zentrale Elemente der jeweiligen Dramen dienen, um soziale, politische und kulturelle Ordnung zu gestalten und zu hinterfragen.
- I. Iphigenie auf Tauris: Dieses Kapitel analysiert die verschiedenen Dimensionen von Reinheit in Goethes Iphigenie auf Tauris, von Iphigenies Jungfräulichkeit bis hin zu ihrer sittlichen Reinheit. Die Arbeit zeigt, wie Iphigenies Reinheit als Instrument der Versöhnung und der Wiederherstellung der Ordnung dient, aber auch mit Fragen der Schuld und des Opfertodes verbunden ist.
- II. Die Jungfrau von Orleans: In diesem Kapitel wird Johannas Reinheit in Schillers Die Jungfrau von Orleans in ihren verschiedenen Aspekten beleuchtet. Die Arbeit geht auf die anthropologische und metaphysische Reinheit der Figur ein und zeigt, wie Johannas Reinheit sowohl zur Heldenverehrung als auch zur Demaskierung des französischen Adels dient.
- III. Das goldene Vlieẞ: Dieses Kapitel beschäftigt sich mit der Rolle von Reinheit und Verunreinigung in Grillparzers Das goldene Vließ. Die Arbeit analysiert die komplexe Beziehung zwischen Jason und Medea und zeigt, wie Reinheit sowohl als Mittel der Hoffnung als auch der Rache dient.
Schlüsselwörter
Die zentralen Schlüsselwörter und Themenbereiche der Arbeit sind: Reinheitsdiskurse, europäische Aufklärung, Mythos, Tradition, Ordnung, Fremdheit, Abgrenzung, gesellschaftliche Transformation, Kulturvergleich, Moral, Tugendhaftigkeit, Iphigenie auf Tauris, Die Jungfrau von Orleans, Das goldene Vließ, Mary Douglas.
- Arbeit zitieren
- Bernd Jäger (Autor:in), 2011, Reinheitsdiskurse in Goethes "Iphigenie auf Tauris", Schillers "Die Jungfrau von Orleans" und Grillparzers "Das goldene Vließ". Ideal und Utopie?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/192262