Adele Sandrock - Die komische Alte des deutschen Kinos


Fachbuch, 2012

57 Seiten


Leseprobe


Ernst Probst

Adele Sandrock

Die komische Alte des deutschen Kinos

Eine der bedeutendsten Schauspielerinnen ihrer Zeit war Adele Sandrock (1864–1937). Anfangs spielte sie auf der Theaterbühne klassische Rollen und dämonische Frauengestalten in Gesellschaftsstücken, später feierte sie auf der Kinoleinwand als „komische Alte“ große Erfolge. Kritiker bezeichneten sie als „die letzte Heroine des deutschen Theaters“.

Adele Sandrock kam am 19. August 1864 in der niederländischen Hafenstadt Rotterdam zur Welt. Ihre Mutter Nans ten Hagen (1833–1917) war eine niederländische Schauspielerin, die zum Ensemble des Theaters von Rotterdam gehörte. Ihr Vater Eduard Othelio Sandrock (1832–1897) diente früher als preußischer Offizier, zog wegen der Ehe mit der Niederländerin seinen

Soldatenrock aus und wurde Kaufmann. Adele war eines von insgesamt sieben Kindern ihrer Eltern und die jüngste Tochter. Ihr jüngerer Bruder Chistian Sandrock (1865–1924) machte sich später als Historien- und Porträtmaler sowie als Schriftsteller einen Namen.

Anfangs wuchs Adele in Rotterdam auf, später in Berlin. Es heißt, sie habe sich als junges Mädchen kaum für die Schule interessiert. In Berlin besuchte sie von 1875 bis 1877 eine Höhere Töchterschule und lernte die deutsche Sprache. Wegen unentschuldigten Fehlens soll sie aus der Schule entlassen worden sein. Zunächst sehnte sich Adele nach der Manege, erst der Zirkusdirektor Renz konnte ihr dies später ausreden.

Wie ihre Schwester Wilhelmine (1862–1948) erhielt auch Adele Sandrock von ihrer Mutter Schauspielunterricht. Ihre Bühnenlaufbahn begann 1879 mit 15 Jahren am Vorstadttheater „Urania“ in Berlin. Dort feierte sie als Selma im Lustspiel „Mutter und Sohn“ von Charlotte Birch-Pfeiffer (1800–1868) ihr Debüt.

In einem Berliner Theater lernte Adele Sandrock einige Schauspieler des „Hoftheaters Meiningen“ aus Thüringen kennen und war von deren Spielweise begeistert. Mit geliehenem Geld fuhr sie nach Meiningen und sprach dort die Rolle der „Luise“ in „Kabale und Liebe“ von Friedrich von Schiller (1759–1805). Man war von der 16-Jährigen begeistert und gab ihr einen Dreijahresvertrag.

Am „Hoftheater Meiningen“ in Thüringen erhielt Adele Sandrock kleine Aufgaben. Als sie dort um eine größere Rolle bat, lehnte der Leiter der Meininger Truppe, Josef Kainz (1858–1910), dies mit den Worten ab: „Mit der spiel’ ich nicht“.

1881 packte Adele Sandrock in Meiningen ihre Koffer. Nach Tourneen war sie 1885/1886 in Wiener Neustadt (Niederösterreich) und ab 1887 am „Deutschen Theater“ in der ungarischen Hauptstadt Budapest engagiert. Sie trat als sentimentale Liebhaberin, Vamp und in heiteren Rollen auf.

1889 schaffte Adele Sandrock mit der Hauptrolle als Isabella in „Der Fall Clemenceau“ von Alexandre Dumas der Jüngere (1824–1895) und Armand d’Artois (1845–1912) am „Theater an der Wien“ den künstlerischen Durchbruch. Moderne Rollen gehörten zur ihren Stärken.

Von 1890 bis 1895 arbeitete Adele Sandrock am „Deutschen Volkstheater“ in Wien. Bald galt sie als eine der führenden Tragödinnen. Zu ihrer großen Zeit war die Bühne noch beherrscht vom hohen Affekt, ausladender Gebärdensprache, wildem Augenrollen und übersteigertem Pathos.

Im Herbst 1893 verliebte sich die 29-jährige Adele Sandrock in den österreichischen Dichter Arthur Schnitzler (1862–1931), der sie zärtlich „Dilly“ nannte. Während der 15 Monate langen stürmischen Romanze bis zum Frühjahr 1895 schrieb sie ihm insgesamt 257 Briefe und Telegramme, er brachte es „nur“ auf deren 133. In dieser Beziehung spielte Adele offenbar die Rolle der theatralisch Liebenden. Schnitzler verwendete später in seinen Werken „Der Reigen“, „Halbzwei“ und „Haus Delorme“ seine Erinnerungen an Adele.

Arthur Schnitzler benahm sich im Gegensatz zu Adele Sandrock wie ein abgeklärter Bonvivant, der nicht wirklich mit dem Herzen bei der Sache ist. In seinen Tagebuchnotizen wirkt er als gelangweilter Liebhaber, der sich mit Adele nur über seine wirklich große Liebe hinwegtröstet, sich mit ihr die Nacht versüßt und selbst nicht weiß, warum und wozu. Letztlich scheiterte die Liebe der launenhaften und temperamentvollen Diva sowie des zweifelnden Dichters kläglich.

In Wien glänzte Adele Sandrock als Bühnenstar. Dort sorgte sie durch ihre turbulentes Privatleben und ihre Vertragsbrüche für Skandale.

Zarte Beziehungen wurden Adele Sandrock auch zu den österreichischen Schriftstellern Roda Roda (1872–1945) und Felix Salten (1869–1947) nachgesagt. Roda war vorübergehend ihr Verlobter. Auch ihm diente sie später als Vorbild für einige seiner Bühnengestalten. Salten hatte mit seiner Tiergeschichte „Bambi“ (1923) großen Erfolg.

Von 1895 bis 1898 trat Adele Sandrock am Wiener „Hof-Burgtheater“ auf, wo von 1884 bis 1898 auch ihre Schwester Wilhelmine wirkte und das ab 1918 „Burgtheater“ hieß. Vor der Jahrhundertwende gehörten die Schauspielerinnen Charlotte Wolter (1834–1897) und Sarah Bernhardt (1844–1923), die Tänzerin Eleonora Duse (1858–1924), der Schauspieler Josef Mitterwurzer (1844–1897) und der Sänger Enrico Caruso (1873–1921) zu ihrem Freundeskreis.

Nachdem Adele Sandrock 1898 mit einem Eklat dem Wiener „Hof-Burgtheater“ den Rücken kehrte und sich auf Tournee durch Europa begab, verließ sie der große Erfolg auf der Bühne. Von 1902 bis 1905 trat sie erneut am „Deutschen Volkstheater“ in Wien und anderen Bühnen auf.

1905 zog Adele Sandrock nach Berlin-Charlottenburg. Dort wohnte sie fortan im Haus mit der Nummer 60 in der Leibnizstraße. Zwischen 1905 und 1910 spielte sie am „Deutschen Theater“ von Max Reinhardt (1873–1943) in Berlin. Danach gastierte sie an anderen Berliner Bühnen.

Ab 1911 bekam Adele Sandrock erste Rollen in Stummfilmen. Ihr Debüt auf der Kinoleinwand feierte sie neben der aus Magdeburg stammenden Henny Porten (1890–1960) in dem Film „Marianne, ein Weib aus dem Volke“.

Als Adele Sandrock vor dem Ersten Weltkrieg bei Max Reinhardt in Berlin spielte, erwies sich ihr Darstellungsstil schon hoffnungslos antiquiert. Das Publikum wollte sich bei ihren Auftritten vor Lachen ausschütten. Im Ersten Weltkrieg (1914–1918) konnte die 40 Jahre alte Adele ihre Miete in Berlin nicht mehr bezahlen, musste aber die alte Mutter miternähren und hatte keine „Beziehungen“. Bei einem ihrer Auftritte als Vortragskünstlerin in einem Restaurant am Kurfürstendamm brach sie wegen ihres starken Hungers ohnmächtig zusammen.

Doch Adele Sandrock boxte sich durch. 1920 feierte die 57-Jährige auf der Theaterbühne wieder größere Erfolge. Angeblich wurde sie erst 1920 durch ihre Darstellung der Lady Bracknell in „Bunburry“ von Oscar Wilde (1854–1900) für das Fach der „komischen Alten“ entdeckt und begann damit eine zweite Karriere. Fortan spielte sie oft in Komödien mit starkem Pathos die starrköpfige Schwiegermutter bzw. Großmutter oder tyrannische alte Dame.

Auch im Film verwandelte sich die ehemalige Tragödin und Heroine Adele Sandrock zu Beginn der 1920-er Jahre zur „komischen Alten“. Dank des Tonfilms konnte sie ab 1930 ihr großes komisches Talent voll zur Geltung bringen. Mit ihren unvergesslichen Auftritten auf der Kinoleinwand wurde sie für die Nachwelt berühmter als durch ihre Theaterrollen. Wegen ihrer markanten blechern tiefen Stimme nannte man sie scherzhaft „der General“.

Die das Zwerchfell erschütternde Komikerin Adele Sandrock erheiterte zwischen den beiden Weltkriegen Millionen von Kinobesuchern/innen. Ihre Markenzeichen auf der Kinoleinwand waren strafende, durchdringende Blicke, ihr zerknittertes Gesicht, ihre basstief schnarrende Stimme, ihr Kommando-Ton und ihre urgroßmütterlich-musealen Roben.

Manchmal konnte Adele Sandrock gegenüber ihren Mitmenschen sehr sarkastisch sein. Diese Erfahrung musste auch eine junge, noch unerfahrene Kollegin machen, die fragte: „Bitte, verehrte Frau Sandrock, wie schminkt man sich alt?“ Darauf antwortete Adele knurrend: „Abschminken, meine Liebe, abschminken!“

Man sah Adele Sandrock unter anderem in den Filmen „Torgus – Verlogene Moral“ (1921), „Kinder der Finsternis“ (1921), „Lucrezia Borgia“ (1922), „Die drei Niemandskinder“ (1927), „Der Kongreß tanzt“ (1931), „Alles hört auf mein Kommando“ (1934), „Die englische Heirat“ (1934), „Amphitryon – Aus den Wolken kommt das Glück“ (1935), „Der Kampf mit dem Drachen“ (1935), „Die große und die kleine Welt“ (1936), „Flitterwochen“ (1936) und „Der Favorit der Kaiserin“ (1936).

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Details

Titel
Adele Sandrock - Die komische Alte des deutschen Kinos
Autor
Jahr
2012
Seiten
57
Katalognummer
V192276
ISBN (eBook)
9783656173519
ISBN (Buch)
9783656172949
Dateigröße
3853 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
Adele Sandrock, Film, Filmschauspielerinnen, Schauspielerinnen, Frauenbiografien, Ernst Probst, Biografien
Arbeit zitieren
Ernst Probst (Autor:in), 2012, Adele Sandrock - Die komische Alte des deutschen Kinos, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/192276

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