Die Problematik der Staatsverschuldung: Eine Untersuchung zu Ausfallrisiken und Ursachen für Staatspleiten


Diplomarbeit, 2011

91 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Grundlagen
2.1 DefinitionvonBegriffen
2.2 Explizite und implizite Staatsverschuldung
2.3 Insolvenz und Illiquidität
2.4 Staatsausfallrisiko und Länderrisiko

3 Ökonomische Theorien zur Staatsverschuldung
3.1 Klassische Schule der Nationalökonomie
3.2 Keynesianische Theorie
3.3 Neoklassische Theorie
3.4 Ricardinische Theorie

4 Wirkungen der Staatsverschuldung

5 Struktur von staatlicher Verschuldung
5.1 Inländische und ausländische Verschuldung
5.2 Instrumente öffentlicher Verschuldung
5.3 Gläubigerstruktur
5.4 Struktur von staatlicher Verschuldung anhand von Beispielen
5.4.1 Deutschland
5.4.2 Österreich

6 Ursachen für einen Staatshankrott
6.1 Zahlungsfähigkeit von Staaten
6.1.1 Zahlungsfähigkeit aus gesamtwirtschaftlicher Sicht
6.1.2 Zahlungsfähigkeit aus außenwirtschaftlicher Sicht
6.1.3 Tragfähigkeitvon Staatsschulden
6.2 Zahlungswilligkeit von Staaten
6.3 Überschuldung
6.4 ExterneSchocks
6.5 Bankenkrisen
6.6 Politische und Militärische Ereignisse

7 Staatsausfallsrisiko
7.1 Scoring-undFaktormodelle
7.2 Regressionsmodelle
7.3 Berechnung anhand von Marktdaten

8 Historische Staatsbankrotte

9 Zusammenfassung undAusblick

10 Literaturverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Zusammensetzung der Staatsverschuldung Deutschlands nach Gläubigern, 2009

Tabelle 2: Zahlungsfähigkeitsindexvon Staaten und ihrer Region mit höchstem b in Prozent

Tabelle 3: kurz- und mittelfristige Tragfähigkeitsindikatoren nach Blanchard in Prozent des BIP ausgewählter OECD Staaten

Tabelle 4: langfristige Tragfähigkeitsindikatoren nach Blanchard in Prozent des BIP ausgewählter OECD Staaten

Tabelle 5: Ausgewählte Ereignisse und ihre Auswirkungen auf US-Anleihenpreise

Tabelle 6: Ratingklassen der Ratingagenturen Standard & Poor's, Moody's und Fitch Ratings56

Tabelle 7: Ausfallwahrscheinlichkeitvon Staatsanleihen nach Standard & Poor's

Tabelle 8: Verteilung der Ratingänderungen von 1985 bis 1996

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Verschuldung Deutschlands nach Gläubigerstellung, 2003 -

Abbildung 2: Verschuldung Deutschlands 2009 nach Schuldarten in € Mio

Abbildung 3: Staatsschuldenquote Österreich 1980-2009

Abbildung 4: Gesamtverschuldung, Wachstum und Inflation: Industrieländer 1946-2009

Abbildung 5: Auslandsverschuldung, Wachstum und Inflation: Schwellenländer 1970-2009

Abbildung 6: Anzahl dervon Moody's und Standard&Poor's bewerteten Staaten zwischen 1990 und 2000

Abbildung 7: Anzahl der beobachteten Zahlungsausfälle zwischen 1970 und 2007

Abbildung 8: Anzahl der beobachteten neu definierten Zahlungsausfälle zwischen 1970 und 2007

Abbildung 9: Risikokategorien, Ausfallwahrscheinlichkeit und Anzahl von Ausfällen und Nicht­Ausfällen in einzelnen Kategorien, 1970-2007

Abbildung 10: Einflussfaktoren auf das Ausfallrisiko in einzelnen Kategorien, 1970-2007

Abbildung 11: Einflussfaktoren auf das Ausfallrisiko in einzelnen Kategorien, 2009

Abbildung 12: Ausfallwahrscheinlichkeit Russland, 1994-1999

Abbildung 13: Anteil der Staaten, welche zwischen 1800 und 2008 in Zahlungsverzug gerieten bzw. deren Auslandsschulden restrukturiert werden mussten

1 Einleitung

Die explodierende Staatsverschuldung in vielen europäischen Ländern und deren Eindämmung durch Sparpakete ist zu einem ständig präsenten Thema der politischen Tagesordnung geworden. Im Zuge der weltweiten Finanzkrise, welche im Jahr 2008 ihren Ursprung in den USA mit der Pleite des renommierten Bankhauses Lehman Brothers nahm, sahen sich viele Staaten gezwungen ihre Bankenwirtschaft mit Milliarden Euro an Steuergeld vor der Zahlungsunfähigkeit zu bewahren. Genannte Maßnahmen waren notwendig geworden, weil ein weiteres Zusammenbrechen des weltweiten Finanzsystems auf jeden Fall vermieden werden musste. Dieser Dominoeffekt der Bankenpleiten hätte nach Meinung vieler politischen Entscheidungsträger durch die stark globalisierte und vernetzte Finanzwirtschaft stattgefunden, wären die einzelnen Staaten nicht eingeschritten.

Durch die Bankenrettungspakete sind die Schulden einiger europäischer Staaten sehr stark gestiegen und die Refinanzierung der Budgets einzelner Staaten auf den weltweiten Finanzmärken hat sich erheblich verteuert. Bedingt durch diesen Druck sehen sich viele Staaten gezwungen Steuern zu erhöhen und öffentliche Ausgaben zu kürzen, was wiederum große gesellschaftliche Sprengkraft besitzt. Griechenland und Irland haben sukzessive an Bonität und Vertrauen auf den Finanzmärkten verloren und stehen am Rande der Staatsinsolvenz. Die Thematik der Staatsbankrotte ist zwar eine aktuelle, jedoch keine neue. In den 80er Jahren waren viele Staaten Südamerikas von einem Bankrott akut betroffen bzw. standen kurz davor. Auch die Zeit der beiden Weltkriege ist eine von Zahlungsschwierigkeiten vieler Staaten gekennzeichnete.

Ziel dieser Arbeit ist es die Ursachen, welche zu drohenden Staatsbankrotten führen können anhand von theoretischen Modellen und praktischen Beispielen aus der Vergangenheit zu analysieren. Darüber hinaus wird auf Modelle eingegangen, welche das Ausfallrisiko von Staaten messen. Dabei wird ein Überblick über die aktuelle wissenschaftliche Literatur gegeben.

Ich habe dieses Thema aus dem Grund gewählt, da die Aktualität im Hinblick auf die weltweiten wirtschaftlichen Entwicklungen der letzten drei Jahre mehr denn je gegeben ist und drohende Staatsbankrotte, vor allem diejenigen einiger europäischer Staaten große Bedeutung für ihre weitere wirtschaftliche Entwicklung haben.

Nach dieser Einleitung liefert das zweite Kapitel Grundlagen zu staatlicher Verschuldung und definiert die wichtigsten Begriffe in diesem Zusammenhang. Die Unterscheidung zwischen expliziter und impliziter Staatsverschuldung, sowie zwischen Insolvenz und Illiquidität stellt einen wesentlichen Beitrag zum weiteren Verständnis dar.

Im dritten Kapitel werden sodann die Sichtweisen von drei wichtigen ökonomischen Denkschulen vorgestellt. Die Meinungen zu diesem Thema gehen weit auseinander und reichen von totaler Ablehnung bis hin zur positiven Betrachtung staatlicher Verschuldung.

Das vierte Kapitel behandelt die Frage nach den Wirkungen von staatlicher Verschuldung. Öffentliche Haushalte bezwecken verschiedene Ziele, welche sowohl durch Steuer- als auch durch ihre Verschuldungspolitikverfolgtwerden.

Das fünfte Kapitel widmet sich der Fragestellung nach der Struktur von Staatsverschuldung. Eine Regierung eines Staates kann sich demnach im Inland, wie auch im Ausland verschulden. Sie kann Anleihen oder andere Schuldverschreibungen ausgeben, die beispielsweise von Banken, internationalen Institutionen, anderen Staaten oder privaten Investoren gehalten werden können. Die Struktur der Staatsverschuldung stellt somit einen wichtigen Anhaltspunkt für das Auftreten von Zahlungsschwierigkeiten von Staaten dar.

Das sechste und siebente Kapitel befassen sich mit der Suche nach den Ursachen für einen Staatsbankrott und untersuchen hier hauptsächlich zwei wichtige Effekte. Eine Regierung kann entweder die Kreditrückzahlungen einstellen, weil sie nicht länger gewillt ist für die Altschulden einzustehen oder sie sieht sich mit dem Problem der Zahlungsunfähigkeit konfrontiert. Darüber hinaus kann eine Volkswirtschaft durch Überschuldung, externe Schocks, Bankenkrisen und Kriegshandlungen in Zahlungsnöte kommen. Schließlich werden verschiedene Modelle zur Berechnung des Ausfallrisikos vorgestellt und nach ihren Berechnungsmethoden klassifiziert.

Im achten und vorletzten Kapitel werden einige Beispiele von Staaten gezeigt, welche mit Zahlungsschwierigkeiten konfrontiert waren. Ebenso wird auf die Ursachen der Krisen und ihre Auswirkungen auf die jeweiligen Volkswirtschaften eingegangen.

Den Abschluss bilden die Schlussbetrachtung und ein Ausblick auf die aktuellen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen in ausgewählten Staaten.

2 Grundlagen

2.1 Definition von Begriffen

Die Einnahmequellen eines Staates setzen sich hauptsächlich aus Steuern und Krediten zusammen, wobei wir Steuern als ordentliche und die öffentliche Kreditaufnahme als außerordentliche Einnahmen bezeichnen, da es bei einem Kredit in Zukunft zu Zins- und Tilgungszahlungen kommt. Ein weiterer Unterschied liegt insofern vor, dass Steuern einem staatlichen Zwang unterliegen und bei der öffentlichen Kreditaufnahme der Staat sich als privatwirtschaftlicher Akteur am Markt beteiligt und den Regeln des freien Marktes unterliegt. Weiters implizieren öffentliche Schulden eine spätere Ausgabenbelastung, welche durch Steuereinnahmen in späteren Perioden refinanziert werden müssen.

Öffentliche Kredite dienen dem Staat zur Einnahmenerzielung um einen Überschuss der Ausgaben über die ordentlichen Einnahmen zu finanzieren. Somit wirken sie stabilisierend im Fall von Wirtschaftsrückgängen und nehmen auf diese Art eine wichtige Stellung für das Funktionieren des staatlichen Budgets ein. In diesem Fall spricht man von kurzfristigen Kassenkrediten, welche die Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben eines Staates decken sollen. Diese treten aufgrund ihrer Definition am Ende einer Budgetperiode auf. Demgegenüber stehen öffentliche Kredite, welche im Vorhinein für eine Budgetperiode geplant werden. Auf diese richtet sich unsere weitere Betrachtung und die Kritik und Fürsprache in Literatur, Medien und Wirtschaftsleben.[1]

Nun können wir den Begriff Staatsverschuldung als die Summe aller Verbindlichkeiten von Bund, Ländern und Kommunen eines Staates gegenüber seinen Gläubigern definieren. Im Regelfall wird dieser Begriff brutto angegeben, d.h. dass die Verbindlichkeiten nicht um die Forderungen vermindert werden. Zusätzliche Begriffe, welche für das Verständnis der Zusammenhänge von Staatsverschuldung und Staatsbankrotten wichtig erscheinen, sind Schuldenstand und Schuldenstandsquote, Zins-Ausgabenquote, Primär- und Nettodefizit.[2]

- Der Schuldenstand bezeichnet die gesamten Schulden von allen Gebietskörperschaften eines Staates und wird als absolute Größe angegeben. Die Zahl des Schuldenstandes ist nicht preisbereinigt, d.h. nicht um die Inflation vermindert und liefert somit eine verzerrte Darstellung der Staatsverschuldung.[3]
- Die Staatsschuldenquote stellt die Höhe der Gesamtschulden in Bezug zum Bruttoinlandsprodukt (BIP). Diese Kennzahl ist insbesondere für die Einhaltung der Maastricht Kriterien der Europäischen Union von Bedeutung und liefert auch eine bessere Beurteilung der Staatsverschuldung, da die Wirtschaftsleistung von Staaten unterschiedlich ist und eine absolute Zahl hier weniger Aussagekraft hat. Die Schuldenstandsquote gibt an auf wie viel Prozent des BIP eine Gesellschaft verzichten müsste, wenn sie sich ihrer Staatsverschuldung von heute auf morgen entledigen wollte.[4]
- Die Zins-Ausgabenquote gibt an wie viel Prozent der jährlichen Staatsausgaben für das Aufkommen an Zinszahlungen für aufgenommene Kredite anfallen. Diese Kennzahl ist insbesondere für den Handlungsspielraum eines Staates wichtig, weil die für die Zinszahlungen verwendeten Einnahmen nicht mehr für andere staatliche Aufgaben zur Verfügung stehen.[5]
- Das Primärdefizit ist definiert als die Differenz der Staatsausgaben und der Steuereinnahmen. Im Falle von höheren Steuereinnahmen als Staatsausgaben wird ein Primärüberschuss erwirtschaftet.[6]
- Das Nettodefizit gibt die Summe aus dem Primärdefizit und der Zinszahlungen für bestehende öffentliche Kredite wieder. Dieses stellt die öffentliche Neuverschuldung in einer bestimmten Periode dar.[7]

Es stellt sich die legitime Frage nach dem Grund der Staatsverschuldung. Warum nehmen Staaten überhaupt Kredite auf, wenn sie sich auch ausschließlich über Steuereinnahmen finanzieren könnten? Hier liefert die Wissenschaft folgende Gründe[8]:
- Staaten können ihren Konsum und ihre Ausgaben im Fall von kurzfristigen Einkommenseinbußen beibehalten. Das somit erwirtschaftete Budgetdefizit trägt zur allgemeinen wirtschaftlichen Stabilisierung bei. Im Fall eines Wirtschaftsabschwungs nehmen Steueraufkommen ab und Transferzahlungen des Staates zu. Mit Hilfe von staatlicher Kreditaufnahme kann der Staat hier stabilisierend wirken.
- Mit Fremdkapital können Investitionen finanziert und Sachkapital aufgebaut werden. Solange die Grenzkosten der Auslandsverschuldung die Grenzproduktivität der inländischen Kapitalausstattung nicht übersteigen, ist eine Kreditaufnahme im Ausland sinnvoll.
- Hohe Steuern verursachen gesellschaftliche Kosten, indem sie die ökonomische Leistungsbereitschaft verringern. Aus dieser Sicht würde es keinen Sinn ergeben in Zeiten schlechter Wirtschaftslage die Steuern zu erhöhen und in Zeiten sich bessernder Wirtschaftslage die Steuern wieder zu senken. Sie sollten eher auf konstantem Niveau gehalten und die entstandenen Finanzierungslücken durch öffentliche Kreditaufnahme gedeckt werden.
- Die Verfügbarkeit von Geldmitteln ist bei Steuern und Krediten unterschiedlich. Kurzfristige Liquiditätsengpässe können dazu führen, dass eine Kreditaufnahme zu schnellerer Verfügbarkeit vom Mitteln führt.
- Schließlich können Kredite aufgenommen werden um Reserven an Devisen aufzubauen. Dies kann sinnvoll sein, wenn in Zukunft schlechtere Konditionen für Auslandskredite erwartet werden.

2.2 Explizite und implizite Staatsverschuldung

Staatsverschuldung lässt sich weiters in einen expliziten und impliziten Teil aufteilen. Im Allgemeinen wird in der Finanzwissenschaft von expliziter, d.h. ausgewiesener bzw. offener Staatsverschuldung gesprochen. Zusätzlich dazu wird auch die implizite, d.h. versteckte Staatsverschuldung herangezogen, welche die zukünftigen nicht verbrieften Zahlungsverpflichtungen des Staates beinhaltet. Darunter fallen vor allem Ansprüche aus umlagefinanzierten Sozialversicherungs- und Pensionssystemen. Umlagefinanziert bedeutet in diesem Zusammenhang die Finanzierung der jetzigen Generation durch Einzahlungen der vorangegangenen und ebenso die Finanzierung zukünftiger Generationen durch Einzahlungen der jetzigen Generation. Angesichts einer immer älter werdenden Bevölkerung und fallenden Geburtenzahlen in Industrieländern gewinnt die Bedeutung der impliziten Staatsverschuldung größere Bedeutung.[9]

Eine wichtige Unterscheidung von expliziter und impliziter Staatsverschuldung findet man in der Gläubigerstellung. Während bei expliziter Verschuldung ein Gläubiger freiwillig in seine Position eintritt, wird bei impliziter Verschuldung der Gläubiger vom Staat per Gesetz dazu gezwungen Einzahlungen zu leisten. Der Gläubiger hat auch kein Wissen über Rendite und Rückzahlungshöhe seiner Zahlung, da diese von mehreren Faktoren, wie beispielsweise Wirtschaftswachstum, Bevölkerungsentwicklung, Pensionseintrittalter etc. abhängen.[10]

2.3 Insolvenz und Illiquidität

Um herauszufinden, welche Umstände dazu führen, dass ein Staat bankrott geht, muss zuerst definiert werden was Ausfall oder Bankrott in diesem Zusammenhang bedeutet. In der Fachliteratur finden sich verschiedene Definitionen von einem Zahlungsausfall eines Staates, welche den Begriff in unterschiedlicher Tiefe behandeln.

Von einem Zahlungsausfall spricht man im Allgemeinen wenn eine Person, ein Unternehmen oder eine Gebietskörperschaft nicht mehr willens oder im Stande ist seinen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Ein Staat ist dann illiquide, wenn er für den Schuldendienst zwar ausreichend hohes Einkommen erzielt, dieses aber erst in einer späteren Periode generiert wird. Eaton & Gersovitz (1986) sprechen von einem Zahlungsausfall wenn der Schuldner weniger zahlt als vertraglich mit dem Gläubiger vereinbart wurde.[11]

Ein Staat geht nicht einfach bankrott, es ist vielmehr ein Zusammenspiel von komplexen, sozialen und politischen Überlegungen der Entscheidungsträger eines Staates, als dass dem Staat einfach das Geld ausgeht. Meistens würde der Schuldnerstaat genügend Mittel aufbringen können um seinen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen, wenn er genügend Anstrengungen unternimmt. So kam es beispielsweise bei der Russischen Staatskrise 1917 dazu, dass die an die Macht gekommenen Kommunisten die Schulden des ehemaligen Zaristischen Reiches nicht übernehmen wollten. Ebenso zirka 70 Jahre später während der Russischen Schuldenkrise 1998, als niemand daran denken konnte, dass sich Russland von seinem Staatssilber trennt um die Gläubiger zu befriedigen.[12]

Wir sehen somit, dass ein Staatsbankrott etwas ganz anderes ist als eine Unternehmenspleite oder ein Privatkonkurs, nämlich die Tatsache, dass die Kreditgeber nicht nur von der Rückzahlungsfähigkeit sondern auch von der Rückzahlungsbereitschaft des Schuldnerstaates abhängen. Ein weiteres sehr wichtiges Unterscheidungsmerkmal ist die Durchsetzungskraft von Forderungen eines Gläubigers gegenüber seinem Schuldnerstaat. Durch das Fehlen eines weltweiten Insolvenzrechts für Staaten ist die Durchsetzung in der Praxis kaum möglich. Kreditverträge zwischen Banken und Schuldnerstaaten erhalten zwar einige insolvenzrechtliche Vereinbarungen, wie z.B. Immunitätsverzichtsklauseln, Gerichtsstandklauseln, Rechtswahlklauseln und Gleichstellung der Gläubiger, allerdings gibt es immer noch erhebliche Defizite wie ein geregelter Lösungsautomatismus, eine verbindliche Definition des Begriffes „Insolvenz" und mehr Anreize zukünftige Schuldenprobleme zu verhindern. Die Schaffung einer internationalen Insolvenzbehörde könnte hier - unter der Voraussetzung der Überwachung der Zahlungsfähigkeit von Staaten - einen grundlegenden Beitrag leisten.[13] Die Schaffung einer internationalen und unabhängigen Insolvenzbehörde für die Abwicklung von Zahlungsausfällen hätte nach Paulus (2010) mehrere Vorteile. Die Entscheidungsfindung auf konsensualer Ebene würde Struktur in momentan ungeregelte Fragen und vor allem Sicherheit für eine professionelle Abwicklung sowohl für Schuldner als auch für Gläubiger bringen. Eine solche Aufgabe könnten weder der IWF noch die Weltbank bewältigen, sondern einzig die UNO oder ein von ihr geschaffenes Tribunal, welches weltweites Ansehen und Expertise genießt.[14]

Im Gegensatz dazu steht die Theorie von Eaton & Gersovitz (1981), welche sich anstatt der Forderung nach internationalen Institutionen darauf stützt, dass jeder Staat bestrebt sein wird seine Reputation aufrecht zu erhalten indem er seinen Zahlungsverpflichtungen möglichst nachkommt. Würde dies nicht der Fall sein, führe dieser Umstand laut Eaton & Gersovitz (1981) unweigerlich dazu, dass der Schuldner seinen Ruf als zuverlässiger Zahler verliert und somit höhere Zinsen auf dem Kapitalmarkt zahlen muss. Die Sorge darüber zukünftige Finanzierungen durch Zahlungsverweigerung zu gefährden, sichert somit einen geregelten Fluss der Staatsfinanzierung.[15]

Bulow & Rogoff (1989) argumentieren in ihrer Arbeit, dass sich ein Schuldner nicht allein auf seine Reputation verlassen sollte. Ein Gläubiger hat zwar aufgrund der mangelnden rechtlichen Ausgestaltung wenig bis gar kein Durchsetzungsrecht seiner Forderungen im Schuldnerstaat, allerdings wäre es möglich - vorausgesetzt der rechtliche Rahmen lässt es zu - auf das Eigentum des Schuldners in anderen Ländern bzw. im eigenen Land zuzugreifen. In dieser Art ähneln sich der Reputationsansatz und die Argumentation von Bulow & Rogoff (1989).[16]

2.4 Staatsausfallrisiko und Länderrisiko

Eine weitere wichtige Begriffsunterscheidung stellen das allgemeine Länderrisiko und das spezielle Staatsausfallrisiko. Die internationale Bank für Zahlungsausgleich (BIZ) definiert die beiden Begriffe folgendermaßen:

Länderrisiko: „Der Begriff Länderrisiko bezieht sich auf die Möglichkeit, dass souveräne Kreditnehmer eines bestimmten Landes nicht in der Lage oder bereit sind und dass sonstige Kreditnehmer nicht in der Lage sind, aus anderen Gründen als den üblichen Risiken, die sich im Zusammenhang mit jeder Kreditgewährung ergeben, ihre Auslandsverpflichtungen zu erfüllen.“[17]

Souveränes Risiko (Staatsausfallrisiko): „Ein souveränes Risiko ergibt sich aus dem besonderen Risiko, das mit einem souveränen Kredit verbunden ist, d.h. einem Kredit an einen Staat oder einem von einem Staat (und einigen vom Staat garantierten Stellen) garantierten Kredit Die besondere Bedeutung einer solchen Kreditvergabe liegt in dem Risiko, dass es sich als unmöglich erweisen könnte, Rechtsmittel einzulegen, d.h. der Kreditnehmer könnte gerichtliche Immunität beanspruchen oder sich nicht an ein Urteil halten.“[18]

Bäcker (1998) definiert Länderrisiko im weitesten Sinne als alle Verlustrisiken, welche durch die Geschäfte mit fremden Wirtschaftsgebieten sich von Geschäften innerhalb des eigenen Wirtschaftsgebiets abgrenzen. In einer engeren Begriffsbetrachtung versteht man unter Länderrisiko (sovereign risk) die Gefahr, dass die Regierung oder andere öffentlich-rechtliche Institutionen eines Landes ihre Auslandsschulden nicht vertragsgemäß bedienen oder für Bürgschaften oder Garantien, die sie zugunsten des privaten Sektors ihres Landes übernommen haben, nicht einstehen.[19]

3 Ökonomische Theorien zur Staatsverschuldung

Zur Beurteilung der ökonomischen Auswirkungen von Staatsverschuldung haben sich im Laufe der Zeit einige wichtige Denkrichtungen und Theorien entwickelt. Diese kommen zum Teil zu sehr unterschiedlichen Aussagen über die Beurteilung von Verschuldung und heißen diese gut oder verwerfen sie gänzlich. Die bedeutendsten makroökonomischen Theorien zur Staatsverschuldung sind die klassische, keynesianische, neoklassische und ricardinische Theorie und sollen hier dargestellt werden.

3.1 Klassische Schule der Nationalökonomie

Die klassische Theorie, vertreten durch Ökonomen wie Adam Smith, David Ricardo und John Stuart Mill lehnte Staatsverschuldung im Allgemeinen entschieden ab. Sie sahen in ihr hauptsächlich Gefahren und kaum positive Aspekte. Das Budget sollte demnach in vollem Umfang nur durch nichtkreditäre Einnahmen (Steuern) gedeckt werden, da Kreditfinanzierung als „unproduktiv" angesehen wurde, weil sie private Investitionen verdrängt.[20]

Die Vertreter der klassischen Schule der Nationalökonomie gingen davon aus, dass der Markt unter vollkommener Konkurrenz langfristig stets zu einem Zustand des Gleichgewichts von Angebot und Nachfrage führt in welchem Vollbeschäftigung herrscht. Staatliche Eingriffe sind somit nicht erwünscht, da der Staat den Wirtschaftsprozess sich selbst überlassen und im Wesentlichen nur Ordnungspolitik betreiben sollte. Investitionen können dadurch nur durch Ersparnisse und nicht durch Kreditaufnahme finanziert werden.[21]

Diese rigorose Ablehnung der Fremdfinanzierung wurde im Verlauf des 19. Jahrhunderts von Vertretern der Historischen Schule relativiert bzw. gänzlich aufgelassen. Hierbei handelt es sich um eine Weiterentwicklung der klassischen Schule durch deutsche Ökonomen wie Friedrich List und Anton Wagner. Sie sahen unter bestimmten Voraussetzungen, wie Periodizität, Vorhersehbarkeit, Produktivität und Rentabilität der Investition, eine Kreditfinanzierung von öffentlichen Investitionen als zulässig bzw. wünschenswert an. Die Finanzierung mit Fremdmitteln führte zwar zu einer finanziellen Belastung von künftigen Generationen, doch sie waren auch die Nutznießer der künftigen Erträge dieser Investitionen.[22]

3.2 Keynesianische Theorie

Die Keynesianische Theorie, benannt nach John M. Keynes geht davon aus dass in Zeiten konjunkturelles Abschwungs das Wirtschaftswachstum und die Beschäftigung durch kreditfinanzierte Staatsausgaben stimuliert werden können. Während einer Rezession kommt es am Gütermarkt zu einem Nachlassen der Nachfrage, somit zu geringerer Auslastung der Produktionskapazitäten und in weiterer Folge zu steigender Arbeitslosigkeit. Das Kernziel der Keynesianischen Theorie ist es mit Einsatz von Fremdmitteln die Folgen eines Abschwungs auszugleichen und die entstandenen Schulden in einer Hochkonjunkturphase durch zukünftige Budgetüberschüsse auszugleichen. Dies wird auch expansive Finanzpolitikbzw. deficit spending genannt.

In Keynes' Modell wird das Produktionsniveau einer Volkswirtschaft von deren Nachfrage bestimmt, d.h. die Nachfrage schafft das Angebot und nicht umgekehrt Für Keynes gibt es sehr wohl auch Konjunkturkrisen, welche vom Staat durch kreditfinanzierte Nachfrageprogramme auszugleichen sind. Die gestiegene Nachfrage führt somit zu höherer Beschäftigung, doch auch zu steigender Inflation, weil diese in einem Zielkonflikt stehen und sich gegenseitig beeinflussen.

Hauptkritikpunkt der Keynesianischen Theorie ist deren kurzfristige Orientierung und die Nichtbeantwortung der Frage welche Auswirkungen diese staatlichen Ausgaben auf die Entwicklung der volkswirtschaftlichen Kapitalbildung haben. Des Weiteren mag zwar deficit spending kurzfristig zu Erfolgen führen, doch in der langen Frist wird sich die selbst verschriebene Haushaltsdisziplin untergraben und Vorbehalte gegen die Kreditaufnahme werden aufgeweicht.[23]

3.3 Neoklassische Theorie

Die neoklassische Theorie unterstellt rationale Akteure, die ihren Konsum nicht nur für einen gewissen Zeitraum sondern ihren gesamten Lebenszyklus planen und dabei ihr gesamtes Lebenseinkommen ausschöpfen. Somit spielen für diese die Begriffe Vererben, Schenken und Sparen keine Rolle. In diesem Modell wird angenommen, dass der Staat

Fremdmittel aufnimmt um damit Transferzahlungen (z.B. Arbeitslosengeld, Gesundheitsleistungen etc.) an die heutige Generation finanzieren zu können. Diese Lücke muss von zukünftigen Generationen in Form von Steuerzahlungen geschlossen werden. Die Transferzahlungen erhöhen das verfügbare Einkommen der heutigen Generation und führen zu mehr Konsum und im Allgemeinen mehr Wohlstand, während sich das verfügbare Einkommen und dementsprechend der Konsum der zukünftigen Generationen verkürzt. Dieser Effekt hat laut Brümerhoff (2 0 0 7)[24] einen „Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Ersparnis und der privaten Kapitalbindung zur Folge“, welcher zu zwei negativen Verdrängungsszenarien führen kann:

- In einer geschlossenen Volkswirtschaft kommt es zu einer Verdrängung privater Investitionen, da die öffentliche Kreditaufnahme zu einer größeren Geldnachfrage und somit einem höheren Zinssatz führt. Dies verhindert schließlich ein Ansteigen von inländischer Kapitalbildung, Produktivität und Wachstum.
- In einer kleinen offenen Volkswirtschaft führen staatliche Defizite zu einer Verdrängung der Nettoexporte, weil beim gegebenen Weltmarktzins inländische Investitionen durch höhere Kapitalimporte finanziert werden. Dieser Zusammenhang zwischen staatlichem Budgetdefizit und Leistungsbilanzdefizit führt zu einer höheren Verschuldung im Ausland und damit einer zusätzlichen Belastung für zukünftige Generationen.

Es stellt sich im Zusammenhang mit Kreditaufnahme immer die Frage nach dem Sinn und Zweck. Werden Kredite für Bildungsprojekte oder Infrastruktur aufgenommen, wovon auch zukünftige Generationen profitieren und nicht nur um den heutigen Konsum zu erhöhen, dann führt dies nicht notwendigerweise zu höheren Belastungen für spätere Generationen. In diesem Sinne sollte immer eine einzelne Beurteilung durchgeführt werden.[25]

3.4 Ricardinische Theorie

Diese Theorie geht auf David Ricardo (1817) zurück und wurde später von Robert J. Barro (1974) in ihrer heutigen Form entwickelt. Die Kernaussage der Ricardinischen

Theorie besagt, dass Steuern und Verschuldung äquivalente Finanzierungsinstrumente („Ricardo-Äquivalenztheorem") darstellen. Somit gibt es zwischen einem kreditfinanziertem und einem steuerfinanziertem staatlichen Programm keinen Unterschied in Bezug auf die gesamtwirtschaftliche Kapitalbildung. Anders ausgedrückt: Ein kurzfristiges Staatsdefizit (aufgrund von kurzfristig höherer Staatsverschuldung) führt nicht zu einem Ansteigen von Wirtschaftswachstum oder Beschäftigung oder einem steigendem Zinssatz. Zentrale Annahme dieses Modells ist in einem Mehrgenerationenmodell der Ansatz, dass aufeinander folgende Generationen durch freiwillige, also altruistisch motivierte Transfers[26] miteinander verbunden sind. Somit beziehen in diesem Modell derzeitige Generationen nicht nur ihren eigenen Nutzen in ihr Kalkül mit ein, sondern auch jenen von ihren Kindern, was sich darin ausdrückt, dass heutige Steuerersparnisse in Form von Erbschaften an die nachfolgende Generation weiter gegeben werden um anfallende Kreditzahlungen leisten zu können. Diese Annahme wirkt demnach so, als ob es nur eine Generation gäbe die unendlich lang lebt und die zukünftigen Lasten einer Kreditfinanzierung in ihr Entscheidungskalkül mit einbezieht.

Die Ricardinische Theorie behält ihre Gültigkeit nur dann, wenn das unterstellte altruistische Verhalten der Generationen auch tatsächlich eingehalten wird. Die Frage ob der Mensch egoistisch oder altruistisch einzuordnen ist, ist eine in der Fachliteratur sehr diskutierte, zu der es auch mehrere empirische Studien gibt.[27] Eine weitere Annahme des Modells ist, dass auch jeder Haushalt Nachkommen hat, welchen er Vermögen (oder auch Schulden) vererben kann. Wenn es keine Nachkommen gibt, dann gibt es auch keinen Grund für die altruistisch motivierten Transfers und wenn sich immer mehr Paare dazu entschließen keine Kinder zu bekommen, dann wird auch das Argument der Theorie schwächer.[28]

Das Ricardo-Barro-Äquivalenztheorem wurde in der Literatur mehrfach kritisch beleuchtet und viele Kritiker versuchten die Modellannahmen empirisch zu widerlegen, wobei sich sowohl Befürworter als auch Gegner fanden.[29] Bernheim (1987) widerlegte Barros theoretische Annahmen indem er herausfand, dass die meisten Transfers an nachkommende Generationen nicht altruistischer Natur seien, sondern aus einer Fülle von verschiedenen Motiven stammen.[30]

4 Wirkungen der Staatsverschuldung

Wie bereits bei der Darstellung von drei verschiedenen ökonomischen Denkrichtungen gezeigt, kann staatliche Kreditaufnahme die gesamtwirtschaftliche Entwicklung einer Gebietskörperschaft maßgeblich beeinflussen. Es stellt sich jedoch zuerst die Frage warum ein Staat Kredite aufnimmt bzw. welche Ziele dadurch verfolgt werden sollen. Die Tatsache, dass sich Staaten verschulden ist im Grunde normal und sinnvoll, sofern dies ökonomisch gerechtfertigt ist. Kassenverstärkungskredite sind beispielsweise manchmal für die Sicherstellung der Liquidität von Haushalten notwendig, da sich die zeitliche Verteilung von Steuereinnahmen zu den Ausgaben nicht immer deckt.[30] Staaten verfolgen nach Hoff (2007) folgende wirtschaftspolitische Ziele, welche von der Staatsschuldenpolitik berührt werden:[31]

a) das fiskalische Ziel einer möglichst geringen Belastung der öffentlichen Haushalte:

Durch Kreditaufnahme sind Staaten bestrebt ihren fiskalischen Handlungsspielraum möglichst zu erweitern. Dadurch generieren sie einen kurzfristigen Vorteil, da keine Steuern erhöht oder neue Steuern eingeführt werden müssen, doch dem stehen zukünftige Zahlungsverpflichtungen den Gläubigern gegenüber. Aus einem wachsenden Schuldenstand ergeben sich erhöhte Zinszahlungen, welche wiederum früher oder später durch Steuern finanziert werden müssen. Der Staat, welcher ursprünglich seinen fiskalischen Handlungsspielraum erweitern wollte, hat nunmehr eingeschränkte Möglichkeiten, da Teile des Budgets für Zinszahlungen gebunden sind. Staaten müssen hier bestrebt sein, die Zinsbelastung nicht außer Acht zu lassen und damit ihren budgetären Spielraum zu kontakarieren.[32]

b) das allokative Ziel eines optimalen Einsatzes volkswirtschaftlicher Produktivkräfte:

Mit staatlicher Wirtschaftstätigkeit soll sichergestellt werden, dass durch die Marktunvollkommenheit entstandene Investitionslücken geschlossen werden und der Staat somit einem möglichen Marktversagen entgegenwirkt. Der Ausgleich erfolgt dabei einerseits durch vom Staat angebotene Güter und Leistungen und andererseits durch Investitionen in verschiedene Wirtschaftssektoren. Die

Auswirkungen dieser staatlichen Interventionen auf die Entwicklung der privaten Nachfrage werden in der Literatur seit Jahrzehnten heftig diskutiert. Diese sogenannte „Crowding Out" Debatte wird von Vertreten der Lehren von Adam Smith und David Ricardo dadurch gestützt, dass die Annahme getroffen wird, staatliche Aktivität wirke sich durch ihre Fähigkeit zu robustem Zinsverhalten[33] letztendlich zinssteigernd aus und verdränge somit private Akteure von Kapital- und Gütermärkten. Durch die hohe Geldnachfrage des Staates steigen die Zinsen, was für Unternehmen und Private höhere Finanzierungskosten bedeutet. Dies führt zu weniger Investitionen durch Unternehmen und wirkt sich negativ auf das Wirtschaftswachstum aus. Demgegenüber wird von Kritikern die These vertreten, dass sich die Geldpolitik der Notenbanken, sowie der internationale Kapitalmarkt auf den Kapitalmarktzins auswirken und staatliche Investition durch Kredit finanziert durchaus die Wirtschaft stimulieren kann, da nicht alle Investitionen auch von privater Seite getätigt werden bzw. die private Seite dadurch zu eigener Aktivität stimuliert werde. Die Argumentation der Befürworter des Crowding Out Effektes hätte zusätzlich an Kraft verloren, da der Effekt jenseits geschlossener Volkswirtschaften keine Wirkung zeige.[34]

c) das distributive Ziel einer gerechten Verteilung von Einkommen und Vermögen:

Das distributive Ziel der staatlichen Wirtschaftstätigkeit, welches von ihrer Schuldenpolitik berührt wird, beschreibt die Maßnahmen der Verteilung von Einkommen und Vermögen einerseits und die der Kosten und Lasten der Kreditfinanzierung andererseits. Die wissenschaftliche Debatte darüber unterscheidet zwischen zwei Wirkungspunkten staatlicher Kreditfinanzierung:

- Intertemporale Lastenverteilung:

Kreditfinanzierung basiert auf der freiwilligen Entscheidung von Wirtschaftssubjekten zur Vermögensbildung, während Steuerfinanzierung durch staatlichen Zwang entzogene Vermögenswerte darstellen. In der Rückzahlungsphase von Krediten werden Steuermittel aufgewendet, was durch alle Staatsbürger zu tragen ist. Daraus folgt der Schluss, dass staatliche Kreditaufnahme einkommensdifferenzierend wirkt, da zwar zur Finanzierung alle Steuerzahler betragen müssen, jedoch die Zinszahlungen nur denjenigen zugute kommen, die sich Staatsanleihen leisten können.[35] Dem steht jedoch das Argument gegenüber, dass dieser Effekt durch ein progressives Besteuerungssystem zumindest tendenziell abgemildert werden kann.[36] Im Falle eines Einheitssteuersatzes auf Zinserträge (wie in Österreich der Fall) ist dies nicht der Fall.

- Intertemporaler Lastenausgleich:

Die Hauptaussage dieser Annahme besagt, dass heutige Kreditaufnahme zukünftige Generationen langfristig belaste.[37] Danach besteht die Last zukünftiger Generationen darin, dass ihr über die Staatsverschuldung ein geringerer Kapitalbestand vererbt wird. Demgegenüber steht die Aussage, dass dies eine Gefahr darstelle und nicht zwingend eintreten müsse, da Individuen auch sparen und das Ersparte an ihre Erben weitergeben.[38] Ebenso wird oft unterstellt, „dass die aus der Schuldenfinanzierung entstehenden Zinslasten aus den direkten und indirekten Erträgen der Investitionen finanziert werden können bzw. die öffentlichen Investitionen einen über mehrere Perioden andauernden Wachstumsimpuls in der Größenordnung der Zinsbelastung erwirtschaften."[39]

d) das Stabilitätsziel einer möglichst weitgehenden Dämpfung von Schwankungen der Wirtschaftstätigkeit und von Preissteigerungen:

Der Staat sollte in der Lage sein, Schwankungen von Budgetdefizit, Wachstum, Inflation und Zinsen auszugleichen, um damit eine möglichst stabile Entwicklung zu gewährleisten. Dieses Ziel wird in der Europäischen Union mit dem „Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt" (SWP) verfolgt, dessen Aufgabe darin liegt „eine dauerhafte Übereinstimmung der Finanzpolitik mit den Anforderungen eines soliden, d.h. mittelfristig nahezu ausgeglichenen öffentlichen Haushalts oder Haushaltsüberschusses in Übereinstimmung zu bringen".[40] Auf eine tiefergehende Auseinandersetzung mit diesem Thema wird hier verzichtet und auf weiterführende Literatur verwiesen.[41]

[...]


[1] Zimmermann,Henke & Broer, 2009, S. 158

[2] Brümmerhoff, 2007, S. 617ff

[3] Brümmerhoff, 2007, S. 621

[4] Brümmerhoff, 2007, S. 621

[5] Nowotny, 2009, S. 492

[6] Nowotny, 2009, S. 490

[7] Nowotny, 2009, S. 490

[8] Mankiw, 2003, S. 485; Bigler, 1987, S. 10ff

[9] Brümmerhoff, 2007, S. 622ff; Zimmermann,Henke & Broer, 2009, S. 168

[10] Brümmerhoff, 2007, S. 622ff; Zimmermann,Henke & Broer, 2009, S. 168

[11] Eaton,Gersovitz & Stiglitz, 1986, S. 3

[12] Rogoff &Reinhart, 2010,S. 105

[13] Haupt, 1997, S. 98ff

[14] Paulus, 2010, S.319ff

[15] Eaton & Gersovitz, 1981, S. 304

[16] Bulow & Rogoff, 1989, S. 43

[17] BIZ Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, 1982, S. 7

[18] BIZ Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, 1982, S. 7

[19] Bäcker, 1998, S. 2

[20] Brümmerhoff, 2007, S. 624ff; Henrichsmeyer,Gans & Evers, 1993

[21] Brümmerhoff, 2007, S. 624ff; Henrichsmeyer,Gans & Evers, 1993

[22] Brümmerhoff, 2007, S. 624ff; Henrichsmeyer,Gans & Evers, 1993

[23] Brümmerhoff, 2007, S. 625; Nowotny, 2009, S. 508; Wigger, 2006, S. 182ff

[24] Brümmerhoff, 2007, S. 626ff

[25] Brümmerhoff, 2007, S. 627ff; Wigger, 2006, S. 183ff

[26] z.B. Erbschaften und Investitionen in Bildung

[27] Vgl. Studie von Grusec & Redler, 1980

[28] Brümmerhoff, 2007, S. 627ff; Wigger, 2006, S. 185ff

[29] Vgl. dazu Bernheim, 1987; Buchanan, 1976; Abel & Bernheim, 1991

[30] Altmann, 2007, S. 326

[31] Hoff, 2007, S. 26-27

[32] Hoff, 2007, S. 27-29

[33] Zinsrobustheit bedeutet, dass Staatshaushalte ungeachtet haushaltsrechtlich vorgeschriebener Sparsamkeit oder Wirtschaftlichkeit nicht immer nach kaufmännisch-betriebswirtschaftlichen, sondern auch nach gesamtwirtschaftlichen Kriterien geführt werden. Oft sind auch politische Entscheidungen dafür verantwortlich. Altmann, 2007, S. 352

[34] Hoff, 2007, S. 29-31

[35] Hoff, 2007, S. 32-33

[36] Altmann, 2007, S. 354

[37] Vgl. Kapitel 3 „Ökonomische Theorien zur Staatsverschuldung"

[38] Hoff, 2007, S. 33-34

[39] Grossmann,Hauth & Wimmer, 2008, S. 8

[40] Hoff, 2007, S. 102

[41] Vgl. Hoff, 2007, S. 89ff

Ende der Leseprobe aus 91 Seiten

Details

Titel
Die Problematik der Staatsverschuldung: Eine Untersuchung zu Ausfallrisiken und Ursachen für Staatspleiten
Hochschule
Wirtschaftsuniversität Wien  (Institute for Finance, Banking and Insurance)
Note
2,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
91
Katalognummer
V192483
ISBN (eBook)
9783656178408
ISBN (Buch)
9783656178873
Dateigröße
1926 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Staatsbankrott, Staatsverschuldung, Verschuldung, Zahlungsausfall, Staatspleite, Überschuldung, Staatsausfallrisiko, Bankenkrise, Bankrun, Insolvenz, Staatsinsolvenz, Länderrisiko, Zahlungsfähigkeit, Externe Schocks, Scoringmodelle, Faktormodelle, Regressionsmodelle, Ausfallwahrscheinlichkeit, Rating, Staatsrating, Moody's, Standard&Poor's, Fitch, Ausfallrisiko, Staatsschulden, Geldmarkt, Kapitalmarkt, Default, Bond, Anleihe
Arbeit zitieren
Edis Halilovic (Autor:in), 2011, Die Problematik der Staatsverschuldung: Eine Untersuchung zu Ausfallrisiken und Ursachen für Staatspleiten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/192483

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