Die Entstehung bürgerlicher Öffentlichkeit im 18. Jahrhundert


Hausarbeit (Hauptseminar), 2012

21 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Entstehung bürgerlicher Öffentlichkeit
2.1 Habermas´ Modell bürgerlicher Öffentlichkeit
2.2 Bürgerliche Öffentlichkeit als Gegenspieler zur Obrigkeit

3. Institutionen bürgerlicher Öffentlichkeit
3.1 Moralische Wochenzeitschriften– Medium der Bildung und des Räsonierens
3.2 Kaffeehäuser als Orte öffentlicher Debatte

4. Neues Bürgertum

5. Bürgerliche Werte

6. Zusammenfassung

Literatur

1. Einleitung

Die Online-Ausgabe der Wochenzeitschrift ‚DIE ZEIT’ titelt im Januar 2012: „Zum Glück ist Wulff kein König“.1 Im dazugehörigen Artikel, der im wesentlichen den Verlauf eines öffentlichen Gesprächs zwischen dem Herausgeber der Zeit, Josef Joffe, und dem amtierenden Bundespräsidenten Christian Wulff behandelt, gibt dieser zu verstehen, dass er froh sei, ein gewählter Repräsentant des Volkes zu sein und kein Monarch von Geburt an. Der Bundespräsident muss sich vor der Öffentlichkeit für mögliche, ihm zur Last gelegte private und politische Fehler verantworten. Dabei geht es gar nicht um die Frage, ob Christian Wulff sich verantworten muss und vor wem er dies tut, sondern ‚nur noch’ um das Wie und das Wieweit. Interessant ist für mich hierbei aber gerade die Frage nach der Selbstverständlichkeit der öffentlichen Be- und Verhandlung. Warum wird dies so selbstverständlich erwartet?

Ich würde behaupten, es liegt begründet in der Idee, dass der Mensch zwar frei ist in seinen (vernunftsgemäßen) Entscheidungen und Handlungen, jedoch nur insoweit, als diese durch gesellschaftlich verhandelte und als gültig anerkannte Normen, Werte und Regeln legitimiert sind. Dabei stammen die zugrundeliegenden Werteordnungen und -prinzipien nicht aus einer außerweltlichen, metaphysischen oder gottgegebenen Sphäre, sondern werden in aller Öffentlichkeit diskursiv verhandelt, festgeschrieben und gegebenenfalls angepasst.

Ich behaupte weiterhin, dass diese Vorgehensweise sich etabliert mit dem Entstehen des Bürgertums im 18. Jahrhundert als einer ganz und gar neuartigen sozialen Formierung, deren erstes und wichtiges konstitutives wie distinktives Werkzeug das der Öffentlichkeit ist. Auch dies ist neu: Die Öffentlichkeit als Agora der Verhandlung von Werten, als Raum des Diskurses, der einerseits bestimmt, was als ‚bürgerlich’ zu gelten hat, der aber andererseits vom sich selbst generierenden Bürgertum als öffentliche Plattform erst eingerichtet und dann anhand der diskursiv ermittelten Werte hin zu einem dann bürgerlichen Gesellschaftsmodell weiter entwickelt wird.

Aber wie kommt es dazu? Wie entstehen bürgerliche Öffentlichkeit und Bürgertum miteinander und durch einander, einander bedingend und hervorbringend? Vor dem Versuch der Klärung dieser Frage möchte ich zunächst kurz den zeitlichen Rahmen setzen, in dem die Formierung des Bürgertums und der bürgerlichen Öffentlichkeit vonstatten geht.

Nach Ansicht Werner Schneiders scheint die zeitliche Ausdehnung der Aufklärung zunächst relativ einfach darstellbar zu sein. So beschreibt er das 18. Jahrhundert als „Epoche der Aufklärung [, die sich] u.a. dadurch auszeichnet, daß sie sich selbst als Epoche der Aufklärung verstanden hat.“2 Allerdings beschränkt er die Gültigkeit der Datierung auf die Aufklärung in Deutschland, wenn er den Beginn der Epoche mit dem Wirken von Christian Thomasius auf das Ende des 17. Jahrhunderts festlegt. Mit der französischen Revolution sieht er 1789 das Ende der Aufklärung eingeläutet und lässt sie schließlich mit der selbstreflektierenden Diskussion um ‚Die Aufklärung’ in den letzten zwei Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts enden.3

Noch etwas weiter, sowohl in räumlicher als auch in zeitlicher Hinsicht, fasst Angela Borgstedt den Epochenbegriff ‚Aufklärung’. Sie verortet den Beginn der Aufklärung „in den Niederlanden und im England der 1670er und 1680er Jahre“4 und lässt Holger Böning und Reinhart Siegert mit der Verbreitung volksaufklärerischer Schriften im Österreich des 19. Jahrhunderts für ein Ende der Aufklärung zwischen 1830 und 1850 argumentieren.5 Zwar ist die raum-zeitliche Einordnung der Aufklärung nicht so ohne weiteres zu bewerkstelligen, jedoch treten im Verlaufe des 18. Jahrhunderts, das hier im Sinne eines ‚langen 18. Jahrhunderts’6 verstanden werden soll, relativ deutlich zwei Phänomene ins Licht. Zum einen entsteht eine neue soziale Schichtung, das „Neue Bürgertum“7 als Träger und Akteur der Aufklärung, zum anderen entwickelt sich damit einhergehend eine Plattform, auf der das ‚räsonierende Bürgertum’ sich selbst ebenso in Szene setzt wie erlebt: die bürgerliche Öffentlichkeit. Ich denke, man kann sogar soweit gehen zu sagen, dass sowohl das Bürgertum als auch die Öffentlichkeit, in der es agiert und interagiert, so stark miteinander verwoben sind, dass letztlich jeweils das eine gleichermaßen als Voraussetzung wie als Ergebnis des anderen gesehen werden kann.

Anhand des von Jürgen Habermas in ‚Strukturwandel der Öffentlichkeit’ entwickelten Idealmodells einer bürgerlichen Öffentlichkeit (Kap. 2) möchte ich hier versuchen, die Entstehung derselben zu beschreiben, um dann zur Veranschaulichung und Ergänzung des abstrakten Konzeptes ‚Bürgerliche Öffentlichkeit’ Orte und Praktiken zu erörtern, anhand derer sich zeigen lässt, wie eine bürgerliche Öffentlichkeit im 18. Jahrhundert sich im oben behaupteten Sinne darstellte. Als exemplarische Institutionen habe ich dafür ‚Moralische Wochenzeitschriften’ als Medium der Bildung und des Räsonierens (Kap. 3.1) und Kaffeehäuser als Orte der öffentlichen Debatte (Kap. 3.2) ausgewählt. In den Kapiteln 4 und 5 werde ich überblicksartig die unterschiedlichen Positionen in der Literatur zum Begriff Bürgertum und Bürgerliche Werte darstellen, um dann in Kapitel 6 eine Zusammenfassung zu geben.

2. Die Entstehung bürgerlicher Öffentlichkeit

Zwar konstatiert Richard van Dülmen, dass bis weit ins 18. Jahrhundert hinein die „eigentlichen gesellschaftlichen Mittelpunkte und entscheidenden Machtfaktoren“8 der Adel, der Klerus und die Stände waren und man sich eher im privaten Kreis aufklärerisch gab, doch räumt er ein, dass gegen Ende des 18. Jahrhunderts der Prozess der Aufklärung auch öffentlich zu wirken beginnt. Das gebildete Bürgertum entwickelt sich als die maßgebliche, aufklärerisch tätige Gruppierung, die „für sich selbst soziale Konsequenzen aus den neuen moralischen und vernünftigen Postulaten [zog] und sich von traditionellen Lebenszügen [befreite]“9. Eine der Konsequenzen aufklärerischer Ideen war der Schritt hinaus aus dem Privaten in die Öffentlichkeit, mithin die Konstituierung einer ‚eigenen’, nämlich bürgerlichen Öffentlichkeit, die durchaus als überständischer Gegenentwurf zu traditionellen Gesellschaftsformen verstanden wurde.

2.1 Habermas´ Modell bürgerlicher Öffentlichkeit

In ‚Strukturwandel der Öffentlichkeit’ beschreibt Habermas einen „Idealtypus bürgerlicher Öffentlichkeit“10, den er aus den geschichtlichen europäischen Zusammenhängen des 18. Jahrhunderts entwickelt. Ausgehend von den Kategorien der ‚polis’ als öffentlicher Sphäre, in der im Gespräch der freien Bürger die Dinge von öffentlichem Belang geregelt werden, und des ‚oikos’ als der privaten Sphäre, die der wirtschaftlichen Reproduktion des einzelnen dient, konstatiert Habermas zunächst:

„’Öffentlich’ nennen wir Veranstaltungen, wenn sie im Gegensatz zu geschlossenen Gesellschaften, allen zugänglich sind. [...] Der Staat ist die ‚öffentliche Gewalt’. Er verdankt das Attribut der Öffentlichkeit seiner Aufgabe, für das öffentliche, das gemeinsame Wohl aller Rechtsgenossen zu sorgen. [...]“11

Im Laufe des Mittelalters verschwindet dieser Gegensatz zwischen ‚öffentlich’ und ‚privat’. Der Machtanspruch des Feudalherren erfährt seine Legitimation nicht mehr aus der Funktionsübernahme des Herrschens als Handlung, sondern durch das Repräsentieren in der Öffentlichkeit. Macht wird nicht mehr durch die Ausübung derselben beansprucht, sondern durch öffentliches Vorführen von Insignien, durch Zeremonien, durch repräsentative Handlungen, die den Herrscher als „Vertreter von Autorität und Verkörperung einer höheren Macht“12 erscheinen lassen. Habermas spricht von „repräsentativer Öffentlichkeit“13, in der das zum Publikum versammelte Volk gewissermaßen als Kulisse, als Folie dient für das öffentliche Herzeigen des Machtanspruches des Feudalherren.14

In dem Maße, in dem sich seit dem 15. Jahrhundert das adlige Leben an den Hof verlagert, findet die Repräsentation der Macht immer mehr ausschließlich dort statt, wo sich der Adel versammelt. Die Herrschaft, die Regierung, delegiert an feudalherrliche Verwaltungsbeamte und das Heer, nimmt für sich die Ausübung öffentlicher Gewalt in Anspruch. Hier findet ein Qualitätswandel statt vom öffentlich dargestellten (nämlich repräsentativen) Machtanspruch zur tatsächlichen öffentlichen Herrschaftspraxis. Die repräsentative Öffentlichkeit verschwindet gewissermaßen und der „Obrigkeit stehen die von ihr ausgeschlossenen Untertanen gegenüber; jene dient, so heißt es, dem öffentlichen Wohl, diese verfolgen ihren privaten Nutzen.“15 Mit diesem Vorgang, so Habermas, findet eine Trennung von Staat und Gesellschaft statt, wobei ‚Staat’ mit ‚öffentlich’ und ‚Gesellschaft’ mit ‚privat’ gleichgesetzt wird.

„Die öffentliche Gewalt konsolidiert sich zu einem greifbaren Gegenüber für diejenigen, die ihr bloß unterworfen sind [...]. ‚Öffentlich’ in diesem engeren Sinne wird synonym mit staatlich; das Attribut bezieht sich [...] auf den nach Kompetenzen geregelten Betrieb eines mit Monopol legitimer Gewaltanwendung ausgestatteten Apparates [...]; die ihr subsumierten Privatleute bilden, als Adressaten der öffentlichen Gewalt, Publikum.“16

Die einstmalige Folie, vor deren Hintergrund durch Repräsentation Machtansprüche legitimiert wurden, wird nun zu einer Membran, durch die hindurch fürstliche Gewalt mittels Gesetzgebung, Verwaltung und Militär auf das Publikum wirkt. Repräsentative Öffentlichkeit als Machtbehauptung wird zu öffentlicher Gewalt. Das Publikum, repräsentiert durch das entstehende Bürgertum, ist von der politischen Macht, der öffentlichen Gewalt ausgeschlossen und somit in die Sphäre des Privaten verwiesen.

Zwischen diesen beiden Sphären (die öffentliche Gewalt und das Private) entsteht durch die Trennung ein neuer Raum, eine neue Form von Öffentlichkeit, in der Machtansprüche verhandelt werden. Habermas nennt dies „Bürgerliche Öffentlichkeit“17. Gemeint ist hier also der Raum, der in der Trennung von Staat (als Träger öffentlicher Gewalt) und Gesellschaft (als zum Publikum versammelte Empfänger öffentlicher Gewalt) entsteht und von Bürgern als Akteuren besetzt und damit konstituiert wird. Die Definitionshoheit, Handlungs- und Deutungsmacht liegt bei den Akteuren, die diese Plattform gleichermaßen bedingen wie schaffen. Die Teilhabe an und die Gestaltungsmöglichkeit von bürgerlicher Öffentlichkeit ist nicht beschränkt qua Geburt erworbener Rechte oder gottgegebenen Verdikts, sondern durch das Teilen eines gemeinsamen Wertekanons, durch die Teilnahme an bürgerlicher Kultur, die Beteiligung am öffentlichen Diskurs.

Parallel hierzu erkennt Habermas eine Entwicklung von der landwirtschaftlichen Produktionsweise unfreier Bauern und der Warenproduktion des ständisch organisierten, städtischen Handwerkertums hin zu einer merkantilistisch-kapitalistischen Produktionsweise. In dieser Wandlung sieht Habermas eine weitere wichtige Voraussetzung für die Entstehung einer bürgerlichen Öffentlichkeit, nämlich das Interesse der ökonomisch erstarkenden Gruppe der Warenproduzenten und Handeltreibenden an politischer Teilhabe. Nicht zuletzt auch um den eigenen Besitz vor staatlicher Willkür zu schützen, entsteht ein Bedürfnis nach regelgeleiteter, vernünftiger, argumentativer Auseinandersetzung in Machtkonflikten. Kant formuliert als Ziel der Menschheitsgeschichte denn auch die „Erreichung einer allgemein das Recht verwaltenden bürgerlichen Gesellschaft.“18

Die Obrigkeit entwickelt ein Interesse an Warenproduktion ausschließlich zu Handelszwecken, um Einnahmen durch Abgaben und Steuern zu erzielen. Damit verlagert sich das vormals auf den privaten Haushalt hin konzipierte Wirtschaften in eine öffentliche Sphäre:

„Die privatisierte wirtschaftliche Tätigkeit muß sich an einem unter öffentlicher Anleitung und Aufsicht erweiterten Warenverkehr orientieren; die ökonomischen Bedingungen, unter denen sie sich nun vollzieht, liegen außerhalb der Schranken des eigenen Haushalts; sie sind zum ersten Male von allgemeinem Interesse.“19

Die Argumentationslinie des entstehenden Bürgertums könnte man also vereinfachend so darstellen: Wenn die Herstellung von und der Handel mit Waren von allgemeinem und öffentlichem Interesse ist, dann tritt das vormals Private ebenso in die Öffentlichkeit. Da sich in der öffentlichen Sphäre nun zwei Akteure begegnen (Obrigkeit und Publikum), müssen Regeln gefunden werden, mit denen verhandelt werden kann, welches Gruppeninteresse jeweils legitim ist. Der Anspruch des Bürgertums an politischer Macht teilzuhaben, ist also an die Erkenntnis gekoppelt, dass privates ökonomisches Handeln zu öffentlichem Handeln wird: „An die Stelle des Hauses ist der Markt getreten.“20 Und an die Seite geteilter bürgerlicher Werte gesellt sich das (im Sinne von ‚oikos’ vormals private) gemeinsame, ökonomische (jetzt ins Öffentliche gehobene) Interesse, was letztlich dazu führt, dass Zugehörigkeit zum Bürgertum eben auch immer an Besitz, an wirtschaftliche Unabhängigkeit gekoppelt ist.

[...]


1 http://www.zeit.de/politik/deutschland/2012-01/wulff-zeit-matinee/seite-1 (24.01.2012/ 14.45 Uhr)

2 Schneiders 1974, S. 11-12.

3 Vgl. Schneiders 1974, S. 14 & S. 22.

4 Borgstedt 2004, S. 6.

5 Vgl. Borgstedt 2004, S. 8.

6 Vgl. D’Aprile 2008, S. 15.

7 Schäfer 2009, S. 38.

8 Dülmen 1986, S. 12.

9 Dülmen 1986, S. 15.

10 Habermas 1962/1990, S. 12.

11 Habermas 1962/1999, S. 54.

12 Leguizamón 2009, S. 38.

13 Habermas 1962/1990, S. 60.

14 Vgl. Habermas 1962/1990, S. 60-62.

15 Habermas 1962/1990, S. 66.

16 Habermas 1962/1990, S. 74-75.

17 Habermas 1962/1990, S. 86.

18 Kant 1784/1999a, S. 9.

19 Habermas 1962/1990, S. 76.

20 Habermas 1962/1990, S. 77.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Die Entstehung bürgerlicher Öffentlichkeit im 18. Jahrhundert
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel  (Seminar für Europäische Erthnoligie/Volkskunde)
Veranstaltung
Kulturgeschichte der Aufklärung
Note
1,7
Autor
Jahr
2012
Seiten
21
Katalognummer
V192628
ISBN (eBook)
9783656178125
ISBN (Buch)
9783656179481
Dateigröße
449 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
entstehung, öffentlichkeit, jahrhundert
Arbeit zitieren
Kay Kankowski (Autor:in), 2012, Die Entstehung bürgerlicher Öffentlichkeit im 18. Jahrhundert, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/192628

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