Gesundheitsförderung durch Sport bei Jugendlichen

Welchen Beitrag kann der Sport respektive Sportunterricht zur Stärkung physischer und psychosozialer Ressourcen von Jugendlichen leisten?


Bachelorarbeit, 2010

61 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Zusammenfassung

1. Einleitung

2. Grundlagen der Gesundheitsförderung
2.1 Gesundheitsbegriff
2.2 Prävention und Gesundheitsförderung

3. Theorien und Modelle zur Gesundheit und Gesundheitsförderung
3.1 Subjektive Theorien von Gesundheit
3.2 Risikofaktorenmodell
3.3 Konzept der Salutogenese
3.3.1 Salutogenetische Fragestellung
3.3.2 Modell der Salutogenese nach Antonovsky
3.3.3 Kritische Betrachtung
3.4 Anforderungs-Ressourcen-Modell nach Becker

4. Gesundheit und Gesundheitsförderung im Jugendalter
4.1 Gesundheit im Jugendalter
4.1.1 Periodisierung des Jugendalter
4.1.2 Gesundheitliche Situation von Jugendlichen
4.1.3 Subjektive Gesundheitsvorstellungen von Jugendlichen
4.2 Gesundheit beeinflussende Entwicklungsvorgänge
4.2.1 Entwicklungsaufgaben
4.2.2 Sozialisation
4.3 Gesundheitsförderung im Jugendalter
4.4 Zwischenbetrachtung

5. Gesundheitsförderung durch Sport bei Jugendlichen
5.1 Sport und Gesundheit
5.2 Sport im Kontext der Gesundheitstheorien und -modelle
5.3 Sport als Gesundheitsressource
5.3.1 Physische Ressourcen
5.3.2 Psychosoziale Ressourcen
5.3.2.1 Psychische Ressourcen
5.3.2.2 Soziale Ressourcen
5.4 Gesundheitsförderung im Sportunterricht
5.4.1 Ressourcen und ‚pädagogische Perspektiven’
5.4.2 Didaktisch-methodische Hinweise für den Sportunterricht

6. Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Das biopsychosoziale Modell

Abb. 2: Gesundheits-Krankheits-Kontinuum

Abb. 3: Gesundheitsförderung und Prävention

Abb. 4: Individuum, Prävention und Gesundheitsförderung auf dem Gesundheits- Krankheits-Kontinuum

Abb. 5: Vereinfachte Darstellung des Salutogenesemodells

Abb. 6: Bedingungsmodell für Gesundheit des Individuums

Abb. 7: Periodisierung des Jugendalters

Abb. 8: Entwicklungsaufgaben der Adoleszenz nach Havighurst - Übergang zwischen Kindheit und frühen Erwachsenenalter

Abb. 9: Sozialisationstheoretisches Gesundheitsmodell

Abb. 10: Sport im SAR-Modell

Abb. 11: Mögliche Wirkweisen von Sport

Abb. 12: Hierarchisches Modell des Selbstkonzepts

Tabellenverzeichnis

Tab. 1: Gesundheitskonzepte von Laien

Tab. 2: Subjektive Gesundheitstheorien

Tab. 3: Epidemiologisch nachgewiesene Risikofaktoren für koronare Herzerkrankungen

Tab. 4: Soziale und personale Ressourcen zur Lösung von Entwicklungsaufgaben im Kindes- und Jugendalter

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Zusammenfassung

Gesundheitsförderung umfasst neben der Reflexion von Risiken auch die Stärkung ge- sundheitserhaltender Ressourcen. Im Jugendalter zeichnet sich Gesundheitsförderung durch die Stärkung von Fähigkeiten und Ressourcen aus, die Jugendliche zur Bewältigung ihrer aktuellen Entwicklungsaufgaben benötigen. In der Arbeit wird untersucht, welchen Beitrag der Sport resp. Sportunterricht zur Stärkung physischer und psychischer Ressour- cen von Jugendlichen leistet.

Im Sinne eines mehrdimensionalen Gesundheitsverständnisses werden die physische, psy- chische und soziale Dimension in der Gesundheitsförderung angesprochen. Die strategi- sche Ausrichtung gibt die salutogenetische Perspektive, indem der Fokus auf gesundheits- erhaltende Ressourcen gelegt wird. Im SAR-Modell wird Gesundheit durch positive Nutzung externer und interner Ressourcen zur Bewältigung externer und interner Anforde- rungen erfahren. Die Sozialisation hebt ebenso die Prozesse der Bewältigung hervor und setzt diese mit spezifischen Lebensphasen in Verbindung. Das im Jugendalter erlernte Be- wältigungsverhalten setzt sich in späteren Lebensabschnitten fort und determiniert den Ge- sundheitszustand. Im Sinne des mehrdimensionalen Gesundheitsverständnisses hat Sport einen risikomindernden Effekt und ist gleichzeitig ein Mittel um Ressourcen zu stärken und darüber die Gesundheit positiv zu beeinflussen. Die Förderung der Ressourcen durch Sport setzt an solchen an, die zur Bewältigung sportspezifischer Anforderungen von Be- deutung sind. Die im Sportunterricht gestärkten Ressourcen lassen sich auf andere Lebens- bereiche übertragen und helfen bei der Bewältigung von Alltagsanforderungen und Ent- wicklungsaufgaben. Gesundheitsförderung durch Sport leistet somit einen wichtigen Beitrag zur allgemeinen Persönlichkeitsentwicklung von Jugendlichen.

1. Einleitung

Gesundheitsförderung gewinnt in unserer Gesellschaft immer mehr an Bedeutung. Die heutigen Ansätze der Gesundheitsförderung beziehen sich auf die Reflexion von Risiken ebenso wie auf die Stärkung gesundheitlicher Ressourcen. Primär wird nach den Bedin- gungen von Gesundheit und nach den Faktoren, die sie schützen und verbessern, gefragt. Die Ressourcen für den Erhalt von Gesundheit stehen somit im Mittelpunkt. Das Jugendalter ist von besonderer Bedeutung für die Gesundheitsförderung, da hier ent- scheidende Grundlagen für das Gesundheitsverhalten im Erwachsenenalter gelegt werden. Jugendliche haben innerhalb einer kurzen Zeitspanne eine Fülle von Entwicklungsaufga- ben zu bewältigen. Das Bewältigungsverhalten, das im Jugendalter erlernt wird, setzt sich vielfach in den späteren Lebensabschnitten fort. Im Sinne einer mehrdimensionalen Ge- sundheitsdefinition bedeutet Gesundheitsförderung zu betreiben, die Grundlagen für ein physisches, psychisches und soziales Wohlbefinden zu legen. Bei Jugendlichen sind im Rahmen der Gesundheitsförderung interne und externe Anforderungen und Ressourcen zu berücksichtigen. Nach dem mehrdimensionalen Gesundheitsverständnis wirkt Sport nicht nur risikominimierend, sondern ist auch ein Mittel, um Ressourcen zu stärken und darüber die Gesundheit positiv zu beeinflussen. Im Sportunterricht können psychosoziale Ressour- cen gestärkt werden, die einen Beitrag zur Bewältigung von Alltagsanforderungen und Entwicklungsaufgaben leisten. Die zentrale Frage, die im Rahmen dieser Arbeit untersucht wird lautet: Welchen Beitrag kann der Sport resp. der Sportunterricht zur Stärkung physi- scher und psychosozialer Ressourcen von Jugendlichen leisten?

Zunächst werden die Grundlagen zum Thema Gesundheitsförderung behandelt. Neben der Begriffserklärung wird eine Abgrenzung von Gesundheitsförderung und Prävention vorge- nommen. Im dritten Kapitel werden die verschiedenen Theorien und Modelle zur Gesund- heit und Gesundheitsförderung, subjektive Gesundheitstheorien, das Risikofaktorenmodell, das Modell der Salutogenese und das SAR-Modell vorgestellt, um ein umfassendes Ver- ständnis von Gesundheit aufzuzeigen. Im vierten Kapitel geht es um Gesundheitsförderung im Jugendalter und um die speziellen Entwicklungsvorgänge, die Einfluss auf die Gesund- heit haben. Welcher Zusammenhang zwischen Sport und Gesundheit besteht, wird im fünf- ten Kapitel dargelegt und Sport im Kontext der Gesundheitstheorien diskutiert. Des Weite- ren folgt eine differenzierte Untersuchung, welche Ressourcen durch Sport gestärkt werden können und wie diese mit den Zielen im Lehrplan harmonieren und didaktisch-methodisch umgesetzt werden können. Die Arbeit endet mit einer kurzen Schlussbetrachtung.

2. Grundlagen der Gesundheitsförderung

2.1 Der Gesundheitsbegriff

Gesundheit ist ein komplexer und uneinheitlicher Begriff, der aus verschiedenen Blick- winkeln betrachtet werden kann. Meist erschließt sich die Sichtweise erst im Kontext einer Theorie und der wissenschaftlichen Ausrichtung (Becker, 2006). So variieren die Bestim- mungsparameter für Gesundheit in Konnexion unterschiedlicher Fachdisziplinen, wie z. B. der Medizin, der Psychologie, der Soziologie und den Gesundheitswissenschaften. Für die Medizin ist es zweckmäßig eine klare diagnostische Grenze zwischen gesund und krank zu ziehen. Im Unterschied dazu betont die Psychologie das psychische Wohlbefinden, wäh- rend die Soziologie den Bezug zur Gesellschaft fokussiert. Zu beachten ist, dass die Defi- nition einen bedeutenden Einfluss darauf hat, welche Maßnahmen für die Wiederherstel- lung, den Erhalt und die Förderung von Gesundheit ergriffen werden. Durch die Vielzahl der Perspektiven ist es wichtig, den Gesundheitsbegriff zu systematisieren. Im Folgenden werden die grundlegenden, zum Teil kontroversen Bestimmungsparameter von Gesundheit aufgezeigt. Die vorliegende Arbeit basiert auf einem integrativen Gesundheitsverständnis, d. h. physische, psychische und soziale Dimension finden Berück-sichtigung. Ein für diese Arbeit richtungsweisendes Verständnis von Gesundheit wird nachfolgend dargelegt. Besonders für die Entwicklung von Strategien und Maßnahmen zur Gesundheitsförderung bedarf es eines einheitlichen Verständnisses.

Biomedizinisches versus biopsychosoziale Gesundheit Das traditionelle biomedizinische Modell ist das verbreitetste Modell und ist mehr auf Krankheit als auf Gesundheit fokussiert. Krankheiten werden vor allem von biologischen Faktoren verursacht, soziale und psychologische Einflüsse finden kaum Berücksichtigung (Lippke & Renneberg, 2006). Gesundheit wird in diesem Modell verstanden als die Abwe- senheit von Krankheit. Da kein Bezug zu den Ergebnissen der Sozialepidemiologie zu fin- den ist, ist die Aussagekraft dieses Modells beschränkt. Zudem sind typische Zivilisations- erkrankungen (Herz- und Kreislauferkrankungen, chronische Rückenschmerzen) und psychosomatische Beschwerden nicht durch biomedizinische Pathogenese zu beschreiben (Greiner, 1998).

Seit den 1970er Jahren findet das biopsychosoziale Modell immer mehr Beachtung. Es beinhaltet biologische, psychische und soziale Bestimmungsparameter. Der Abbildung 1 sind beispielhaft einige Parameter der drei Ebenen zu entnehmen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Das biopsychosoziale Modell (angelehnt an Lippke & Renneberg, 2006, S. 9)

Im Fokus des biopsychosozialen Modells stehen Schutzfaktoren und Ressourcen, weshalb es auch als salutogenetisch bezeichnet wird (Lippke & Renneberg, 2006). Gesundheit wird hier als „ein positiver funktioneller Gesamtzustand im Sinne eines dynamischen biopsychologischen Gleichgewichtszustands, der erhalten bzw. immer wieder hergestellt werden muss“ verstanden (WHO, 1986). Der Organismus wird nicht, wie im biomedizinischen Modell auf seine Funktionsebenen beschränkt, sondern als ein intelligentes, dynamisches und selbstregulierendes System angesehen.

Positiver versus negativer Gesundheitsbegriff Insgesamt hat sich das Verständnis von Gesundheit im Laufe des 20. Jahrhunderts stark verändert. Im medizinischen System sind die Definitionen von Gesundheit in der Regel Negativbestimmungen, verstanden als Abwesenheit von Krankheit. Dies ist auf das Ge- sundheitsverständnis des biomedizinischen Modells zurückzuführen. Die erste offizielle positive Definition stammt von der Weltgesundheitsorganisation (WHO): „Gesundheit ist der Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur des Freiseins von Krankheit und Gebrechen“ (WHO, 1948 zit. Hurrelmann, 2006, S. 117). Problematisch bei dieser Definition ist, dass ‚vollständiges Wohlbefinden’ einen subjektiven Zustand beschreibt, der nicht zu erreichen ist und somit realitätsfern bleibt.

Ein positiver Gesundheitsbegriff impliziert eine veränderte Perspektive für Fragestellungen in der Forschung. Nicht nur krankmachende Faktoren werden untersucht, sondern auch Faktoren resp. Ressourcen erforscht, die die Gesundheit erhalten. Antonovsky leitete 1979 mit dem Begriff der ‚Salutogenese’ einen Paradigmenwechsel in der Gesundheitsforschung ein (Greiner, 1998).

Mehrdimensional kontinuierlich versus eindimensional dichotom Nach dem biomedizinischen Modell werden die Begriffe Krankheit und Gesundheit kategorisch getrennt. Ein Mensch wird dichotom entweder als gesund oder krank eingstuft. Die Dimension beschränkt sich auf biologische Faktoren.

Biopsychosoziale Modelle beschreiben Gesundheit und Krankheit als mehrdimensionales Konzept, dessen Dimensionen Gesundheit und Krankheit jeweils ein Kontinuum bilden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Gesundheits-Krankheits-Kontinuum (angelehnt an Hurrelmann, 2006, S. 125)

Die beiden Pole völlige Gesundheit oder völlige Krankheit sind nicht erreichbar, da „[…] wir alle, solange noch ein Hauch von Leben in uns ist, in einem gewissen Ausmaß gesund“ sind (Antonovsky, 1997, S. 23). Zwischen den Polen befindet sich ein Kontinuum mit un- terschiedlichen Stadien von relativ mehr oder weniger Wohlbefinden. Mehrdimensionalität bezieht sich auf die physische, psychische und soziale Ebene und befürwortet somit eine interdisziplinäre Sichtweise.

Gesundheit als Prozess versus Gesundheit als Zustand

Gesundheit ist kein einmal erreichter und unveränderlicher Zustand sondern eine lebensgeschichtlich und alltäglich herzustellende Balance. Sie muss in einem aktiven Prozess immer wieder hergestellt werden. Übereinstimmend mit der Definition der WHO (1986, s.o.) wird Gesundheit als ein dynamisches Gleichgewicht zwischen Individuum und Umwelt angesehen. Gesundheit umfasst nicht nur einen gegenwärtigen Zustand, sondern die Fähigkeit Ungleichgewichte zu regulieren.

Zusammenfassend wird konstatiert, dass Gesundheit kein eindeutig definierbares Kon- strukt ist. Die nachstehende integrative Gesundheitsdefinition gilt als Leitlinie für diese Arbeit:

Gesundheit ist das Ergebnis eines dynamischen Gleichgewichts (Balance) zwischen dem Individuum mit seinen Ressourcen und den Anforderungen seiner sozioökolo- gischen Umwelt. Gesundheit wird als prozesshaftes Geschehen aufgefasst, das sich im aktuellen Bezug herausbildet. Gesundheit und Krankheit sind als Extrempole eines mehrdimensionalen Kontinuums (physisch, psychisch und sozial) zu sehen, auf dem sich eine Person jeweils lokalisieren lässt (Werle, Woll & Tittlbach, 2006, S. 27).

Das Stadium des Gleichgewichts in einer sozialökologischen Umwelt tritt ein, wenn einem Individuum eine Bewältigung sowohl der inneren (körperlichen und psychischen), als auch äußeren (sozialen und materiellen) Anforderungen gelingt. Gesundheit hängt somit von der Wahrnehmung und dem Umgang mit Belastungen und Risiken, sowie der Wahrnehmung und Inanspruchnahme von Ressourcen ab und führt zu Wohlbefinden und Lebensfreude.

2.2 Prävention und Gesundheitsförderung

Das gemeinsame Ziel der Prävention und Gesundheitsförderung ist, einen besseren Ge- sundheitszustand herbeizuführen. In beiden Fällen wird bei sich abzeichnenden Entwick- lungen von Morbidität und Mortalität eingegriffen. Unterscheidungen liegen in der Art der Intervention, ihren Wirkungsprinzipen sowie der theoretischen Grundlage. Aus der Abbil- dung 3 geht hervor, dass bei der Prävention das Abwenden von Risiken für Krankheiten, bei der Gesundheitsförderung die Förderung gesundheitlicher Ressourcen im Vordergrund steht.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3: Gesundheitsförderung und Prävention

Die Prävention ist fokussiert auf die Entstehung von Krankheiten, setzt aber vor dem Auf- treten von Krankheiten an. Sie versucht durch gezielte Interventionsmaßnahmen das Auftreten von Krankheiten zu verringern, eine Verbreitung von Krankheiten zu unterbin- den sowie dem Auftreten von Krankheiten zuvorzukommen (Hurrelmann, Klotz & Haisch, 2007). Eine Dreiteilung in primäre, sekundäre und tertiäre Prävention ist üblich. Die pri- märe Prävention setzt an, wenn noch keine Krankheit aufgetreten ist. Sie hilft Krankheiten durch Beseitigung ursächlicher Krankheitsfaktoren bzw. Verminderung verhaltensbeding- ter Risikofaktoren, durch Erhöhung der organismischen Widerstandskräfte (z.B. Impfun- gen) und durch Veränderung der Umweltfaktoren (z. B. Gesundheitsschutz-Maßnahmen) zu verhüten. Die sekundäre Prävention zielt darauf ab, Krankheiten frühzeitig, bevor es zu Beschwerden oder Symptomen kommt, zu erkennen. Durch eine Früherkennung (z. B. beim Screening) wird das Fortschreiten verhindert. Bei der tertiären Prävention wird ver- sucht eine Verschlechterung des Krankheitszustandes zu verhindern. Ziel ist eine Vermei- dung von Folgeschäden oder Rückfällen.

Das Eingreifen bei der Prävention besteht somit in dem Verhindern und Abwenden von Risiken. Voraussetzung ist die Kenntnis über pathogenetische Vorgänge. Das zugrunde liegende Modell ist das Risikofaktorenmodell (Kapitel 3.1), dessen Wirkweisen sich auf Wahrscheinlichkeiten stützen. Somit kann bei Menschen, die an Präventionsmaßnahmen teilnehmen auch keine Gewissheit über den Abbau bzw. Nichteintritt einer Krankheit ge- geben werden.

Präventionsstrategien differieren bezüglich des Ansatzpunktes der Intervention. Zum einen kann direkt bei den Individuuen angesetzt werden, zum anderen an der Umwelt in der die- se leben. Interventionen der Verhaltensprävention versuchen direkt Einfluss auf den indi- viduellen Gesundheitszustand oder auf das individuelle Gesundheitsverhalten zu nehmen. Es wird versucht, individuelles Risikoverhalten, wie z. B. Rauchen und Bewegungsarmut, zu verändern sowie Menschen zu motivieren, Impfungen und Früherkennungsverfahren in Anspruch zu nehmen (Leppin, 2007). Verhältnisprävention zielt dagegen auf Veränderun- gen in der ökologischen, sozialen, ökonomischen oder kulturellen Umwelt von Individuen und nimmt so indirekt Einfluss auf den Gesundheitszustand. Beispiele hierfür sind ergo- nomische Maßnahmen an Arbeitsplätzen, gesetzliche Regelungen zum Verbot gesund- heitsschädlicher Baustoffe, gesundheitliche Versorgungsstrukturen, flächendeckende Fluo- ridierung des Trinkwassers etc. (ebd.).

Die Gesundheitsf ö rderung etablierte sich erst im Kontext gesundheitspolitischer Debatten der WHO. Die Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung gilt als Ausgangspunkt für ein neues Gesundheitsverständnis. Hier wird Gesundheitsförderung definiert als „Prozess, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermö- glichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen“ (WHO, 1986). Gesund- heit wird nicht länger als utopisches Ziel definiert, sondern als Prozess in realen Lebenszu- sammenhängen. Es stehen nicht, wie bei der Prävention Vermeidungsstrategien im Vor- dergrund, sondern Individuen sollen durch bessere Lebensbedingungen „[…]eine Stärkung der gesundheitlichen Entfaltungsmöglichkeiten erfahren“ (Hurrelmann et al., 2007, S. 11). Gesundheitsförderung ist ein komplexer, sozialer und gesundheitspolitischer Ansatz und umfasst neben der Verbesserung individueller Lebens- und Handlungsfähigkeiten auch die Verbesserung von gesundheitsrelevanten Lebensbedingungen. Durch politische Interven- tionen werden ökonomische, kulturelle, bildungsbezogene und soziale Bedingungen beein- flusst. In dieser Arbeit wird die gesundheitsfördernde Gesamtpolitik nicht vertieft, im Mit- telpunkt steht die Förderung individueller persönlicher Kompetenzen und Fähigkeiten der Lebensbewältigung. Hurrelmann et al. (2007) nennen als Voraussetzung für Gesundheits- förderung das Wissen salutogenetischer Entwicklungen, d.h. die Entstehung und Aufrecht- erhaltung von Gesundheit (Kapitel 3.2). Durch Stärkung der Kompetenzen wird den Indi- viduen ermöglicht ihre Bedürfnisse wahrzunehmen, die eigenen Stärken zu erkennen und Einfluss auf ihr Lebensumfeld zu nehmen. Altgeld & Kolip (2007) konstatieren, dass das zugrunde liegende Modell das Salutogenesemodell ist, dessen Ansatzpunkte Schutzfakto- ren bzw. Ressourcen sind, die es zu stärken und fördern gilt. Gesundheit und Wohlbefin- den sind u.a. durch Steigerung des Selbstwertgefühls sowie individueller Problemlöse- kompetenzen zu erzielen. Daher sollte so früh wie möglich das Bestreben ein höheres Niveau der Gesundheit zu erreichen, unterstützt werden.

Neben den Interventionen die am Individuum ansetzen, kann auch das soziale Umfeld als Ausgangspunkt für gesundheitsfördernde Maßnahmen herangezogen werden. Diese Diffe- renzierung ist ähnlich dem Begriffspaar ‚Verhaltens- und Verhältnisprävention’. Gesund- heitsförderung ist aber nicht nur auf den Gesundheitsbereich begrenzt. Durch die WHO wurde ein Konzept der gesundheitsf ö rdernden Settings erarbeitet. „Ein Setting wird einer- seits als ein soziales System verstanden, das eine Vielzahl relevanter Umwelteinflüsse auf eine bestimmte Personengruppe umfasst. Es ist andererseits ein System, in dem diese Bedingungen von Gesundheit und Krankheit auch gestaltet werden können“ (Grossmann & Scala, 2003, S. 205). Im Mittelpunkt stehen die Rahmenbedingungen in denen Menschen leben, lernen und arbeiten. Die Idee des Settingansatzes ist, dass Gesundheit im Alltag her- gestellt und aufrechterhalten wird und kein abstraktes Ziel ist. Im sozialen System sind durch systematisch angelegte Interventionen gesunde Arbeits- und Lebensbedingungen zu schaffen. Als Setting gelten z. B. Betriebe, Gemeinden oder Schulen, in denen Menschen einen Großteil ihrer Lebenszeit verbringen. Zielgruppen können genau identifiziert werden und vorhandene Ressourcen, im Hinblick auf gesundheitsfördernde Lern- und Arbeitsbe- dingungen, besser genutzt werden. In dieser Arbeit liegt der Fokus auf dem Setting Schule. Sie wird als wichtiges Setting der Gesundheitsförderung gesehen, da dort praktisch alle Kinder und Jugendlichen über mehrere Jahre hinweg erreichbar sind. Die Schule ist ein Lebensraum, in dem viele Faktoren die Gesundheit der Schülerinnen und Schüler als auch der Lehrpersonen beeinflussen. Welche Möglichkeiten sich in der Schule resp. im Sportun- terricht anbieten, auf die Stärkung des physischen, psychischen und sozialen Wohlbefin- dens junger Menschen Einfluss zu nehmen wird im Folgenden herausgearbeitet.

Eine konzeptionelle Trennung von Gesundheitsförderung und Prävention ist bedeutsam, da sich ihre Blickwinkel und Strategien unterscheiden. Die Prävention versucht zu verhindern, dass sich die Position des Individuums Richtung Krankheit verschiebt, wohingegen Gesundheitsförderung darauf ausgerichtet ist, die Position in Richtung Gesundheit zu ver- schieben (Abb. 4). Jedoch sollten die Begriffe nicht trennscharf benutzt werden. Die Ge- sundheitsförderung wird überwiegend als gleichrangige Ergänzung der Prävention angese- hen. Beides sind grundlegende Strategien zur Verbesserung und zum Erhalt der Gesundheit. Zahlreiche Maßnahmen implizieren Elemente der Prävention sowie der Gesundheitsförderung. Durch ihre unterschiedliche Ausrichtung müssen beide Interventi- onsformen als sich ergänzend verstanden werden. Wenn im Folgenden von Gesundheits- förderung die Rede ist, schließt das Maßnahmen der Prävention resp. der Primärprävention ein.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 4: Individuum, Prävention und Gesundheitsförderung auf dem Gesundheits-Krankheits-Kontinuum (Becker, 2003, S. 13)

3. Theorien und Modelle zur Gesundheit und Gesundheitsförderung

Die folgenden Modelle verdeutlichen das Gesundheitsverständnis, das dieser Arbeit zugrunde liegt. Sie zeigen die Bedingungen von Krankheit und Gesundheit aus zum Teil entgegengesetzten Sichtweisen. Dies ermöglicht einen umfassenden Blick und stützt die Begründung von Maßnahmen zur Gesundheitsförderung mit sportlicher Ausrichtung.

3.1 Subjektive Theorien von Gesundheit

Subjektive Gesundheitsvorstellungen enthalten das gesundheitsbezogene Alltagswissen von medizinischen Laien. Sie umfassen Überzeugungen, Erwartungen, Einstellungen, Überlegungen und Annahmen einer Person von Gesundheit. Da es sich um gesellschaftlich und kulturell vermittelte gesundheitliche Ansichten handelt, sind sie von wissenschaftli- chen Theorien abzugrenzen. Laientheorien beeinflussen das Gesundheitshandeln und die Aufgeschlossenheit für bestimmte Arten von gesundheitsbezogenen Maßnahmen.

Faltermaier (2003) differenziert zwischen subjektiven Konzepten und subjektiven Theorien von Gesundheit. Konzepte beziehen sich darauf was Menschen unter Gesundheit verstehen. Sie umfassen vier unterschiedliche Vorstellungen über die Veränderung des Gesundheits- zustandes:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tab. 1: Gesundheitskonzepte von Laien (angelehnt an Faltermaier, 2003, S. 66)

Subjektive Theorien enthalten Überzeugungen, Annahmen und Vermutungen über die Bedingungen von Gesundheit und Krankheit sowie Vorstellungen über ihre Zusammenhänge. Im Allgemeinen werden besonders psychosozialen Faktoren (Belastungen, sozialen Beziehungen, Einstellungen) und der Lebensweise (Ernährung, Bewegung, Schlaf) große Bedeutung zugeschrieben. Faltermaier (2003) konstruierte auf der Grundlage von Erhebungen vier Typen von Gesundheitstheorien:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tab. 2: Subjektive Gesundheitstheorien (angelehnt an Faltermaier, 2003, S. 69 f.) Bedeutung für die Gesundheitsförderung

Subjektive Gesundheitsvorstellungen sind stark durch die eigene biographische Erfahrung geprägt und besitzen eine hohe Evidenz. Daher ist es im Kontext der Gesundheitsförderung von großer Bedeutung, die individuellen Gesundheitsvorstellung zu berücksichtigen und geplante Maßnahmen darauf abzustimmen. Viele Programme der Gesundheitsförderung und Prävention sind in ihrer Effektivität eingeschränkt, weil die subjektiven Vorstellungen der Adressaten nicht ausreichend berücksichtigt werden. Vor jeder Intervention müssen die gesundheitlichen Bedürfnisse, Motive, Vorstellungen, Probleme, Ressourcen und Kompe- tenzen der jeweiligen Zielgruppe analysiert werden um herauszufinden, für welche Inter- ventionen sie aufgeschlossen sind. Auf dieser Grundlage können in einem gemeinsamen Abstimmungsprozess Gesundheitsziele erarbeitet werden (Franzkowiak, 2003a).

3.2 Risikofaktorenmodell

Das Risikofaktorenmodell ist ein pathogenetisches Modell, das die Entstehung und Ent- wicklung einer Krankheit mit allen daran beteiligten Faktoren beschreibt. Es basiert auf epidemiologischen Studien und erteilt Aussagen über die Wahrscheinlichkeit des Auftre- tens einer Krankheit. Risikofaktoren sind Vorläufer und Prädikatoren von Krankheiten, die empirisch am Bevölkerungsmaßstab erhoben werden. Ein Risikofaktor oder eine Kombina- tion von mehreren Risikofaktoren erhöht die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer Krankheit (Becker, 2006). Auf diesem Weg konnten z. B. erhöhtes Cholesterin, Bluthoch- druck und Rauchen als Risikofaktoren für die kardiovaskuläre Mortalität ermittelt werden. Bei Kenntnis des individuellen Ausprägungsgrades mehrerer Risikofaktoren lässt sich das individuelle Erkrankungs- oder Mortalitätsrisiko berechnen. Der Gesundheitsbegriff ist sehr begrenzt, da er ausschließlich als Abwesenheit von Krankheit konzipiert ist und gesundheitliche Schutzfaktoren ausblendet.

Bedeutung für die Gesundheitsförderung

Dem Modell kommt im Kontext der Krankheitsbehandlung große Bedeutung zu. In der Prävention ist das Risikofaktorenmodell derzeit die wichtigste Interventionsgrundlage (Franzkowiak, 2003a). Interventionen zielen meist auf die Veränderung von schädlichen Verhaltensmustern und den Aufbau alternativer Handlungen. Am weitesten fortgeschritten ist die Erforschung im Bereich der Herz-Kreislauf-Krankheiten. Der Tabelle 3 sind einige epidemiologisch nachgewiesene, personale und strukturelle Risikofaktoren für koronare Herzerkrankungen zu entnehmen. Risikofaktoren haben eine hohe und bestimmende Bedeutung der allgemeinen Bewertung des Gesundheitszustandes. Dabei ist die Wirkung von Risikofaktoren nicht für jeden ursächlich oder zwangsläufig.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tab. 3: Epidemiologisch nachgewiesene Risikofaktoren für koronare Herzerkrankungen (angelehnt an Franzkowiak, 2003a, S. 196)

3.3 Konzept der Salutogenese

Antonovskys Modell der Salutogenese zählt zu den einflussreichsten Ansätzen in den Gesundheitswissenschaften. Es wurde als Ergänzung zu den pathogenetischen Modellen konzipiert und ist grundlegend für die integrativen Theorien. Das Konzept der Salutogenese stellt die theoretische Ausgangsbasis für diese Arbeit dar. Der Begriff setzt sich aus dem lateinischen Wort ‚Salus’ für Unverletztheit, Heil, Glück und Gesundheit und dem griechischen Wort ‚Genese’ für Entstehung zusammen.

Die Ausführungen dieses Kapitels beziehen sich, wenn nicht anders gekennzeichnet, auf die Übersetzung der Originalliteratur von Antonovsky (1997).

3.3.1 Salutogenetische Fragestellung

Die zentralen Fragen von Antonovsky sind: Warum bewahren Menschen trotz zahlreicher belastender Lebensbedingungen ihre Gesundheit? Wie schaffen sie es, sich von Erkran- kungen wieder zu erholen? Was ist das Besondere an Menschen, die trotz extremer Belastungen nicht krank werden? Sein Augenmerk ist dabei nicht auf bestimmte Krankhei- ten, sondern auf einen globalen Gesundheitszustand gerichtet. Salutogenese betrachtet Menschen als mehr oder weniger gesund und gleichzeitig mehr oder weniger krank. Die zentrale Frage lautet also: Wie wird ein Mensch mehr gesund und weniger krank? Antonovsky veranschaulicht seine Sichtweise mit folgender Metapher:

[ … ] meine fundamentale philosophische Annahme ist, dass der Flu ß der Strom des Lebens ist. Nie mand geht sicher am Ufer entlang. Dar ü ber hinaus ist f ü r mich klar, da ß ein Gro ß teil des Flusses sowohl im w ö rtlichen wie auch im ü bertragenen Sinn verschmutzt ist. Es gibt Gabelungen im Flu ß , die zu leichten Str ö mungen oder in gefährliche Stromschnellen und Strudel f ü hren. Meine Arbeit ist der Auseinandersetzung mit folgender Frage gewidmet: ‚ Wie wird man, wo immer man sich in dem Flu ß befindet, dessen Natur von historischen, soziokulturellen und physikalischen Umweltbedingungen bestimmt wird, ein guter Schwimmer? (S. 92)

Antonovsky verdeutlicht mit dieser Metapher, dass Menschen immer in einem mehr oder weniger gefährlichen Fluss (=Abbild des Lebens) schwimmen. Investitionen sollten nicht darauf zielen, Menschen aus einem reißenden Fluss zu retten, sondern ihnen das Schwim- men beizubringen. Statt der Bekämpfung krankmachender Einflüsse steht die Stärkung von Ressourcen, um die Individuen wiederstandsfähiger zu machen, im Mittelpunkt. Die indi- viduelle Fähigkeit zu Schwimmen entspricht einer Persönlichkeitseigenschaft, die Antonovsky Kohärenzgefühl nennt.

[...]

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Details

Titel
Gesundheitsförderung durch Sport bei Jugendlichen
Untertitel
Welchen Beitrag kann der Sport respektive Sportunterricht zur Stärkung physischer und psychosozialer Ressourcen von Jugendlichen leisten?
Hochschule
Universität Paderborn
Note
1,0
Autor
Jahr
2010
Seiten
61
Katalognummer
V192685
ISBN (eBook)
9783656177982
Dateigröße
2085 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Salutogenese, Gesundheitsressourcen, Risikofaktoren, Entwicklungsaufgaben
Arbeit zitieren
Christina Müller (Autor:in), 2010, Gesundheitsförderung durch Sport bei Jugendlichen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/192685

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