Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Corporal liberty
3 Liberty as non-obligation
3.1 Obligation
3.1.1 Gibt es eine obligation, sich an die laws of nature zu halten?
3.1.2 Es gibt eine obligation, die civil laws zu befolgen
4 Das Verhältnis der beiden Arten von liberty zueinander
5 Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Thomas Hobbes ist ohne Frage einer der größten Denker, nicht nur der Neuzeit, sondern aller Zeiten. Seine politische Philosophie wird noch heute, über 300 Jahre nach seinem Tod, angeregt diskutiert und immer wieder neu interpretiert. Dabei rückt auch sein Konzept der Freiheit (liberty) immer wieder in das Zentrum der Aufmerksamkeit und sorgt für reichliche Irritationen. Das liegt zum einen daran, dass er Freiheit ganz anders versteht, als das sonst üblich ist, und zum anderen daran, dass er sich nicht streng an seine eigene Definition von liberty hält. Es gibt mehrere Stellen in seinem Buch Leviathan, an denen er liberty abweichend von seiner Definition verwendet. Ich werde in dieser Arbeit dafür argumentieren, dass all diesen Textstellen ein gemeinsamer Freiheitsbegriff zugrunde liegt, der von dem, wie er Freiheit definiert, abweicht und hier liberty as non-obligation genannt wird. Es ist also meine These, dass es zwei Freiheitsbegriffe im Leviathan gibt. Um sie zu stützen, werden diese beiden Freiheitsbegriffe nacheinander analysiert. Anfangen werde ich dabei mit der Art von liberty, die Hobbes explizit definiert und die ich hier corporal liberty nennen werde. Anschließend wird herausgearbeitet, was Hobbes meint, wenn er in einem anderen Sinn von liberty spricht. Dafür wird ein etwas längerer Exkurs nötig sein, in dem der zentrale Begriff der obligation näher beleuchtet wird. Abschließend wird das Verhältnis der beiden Arten von liberty zueinander untersucht und es werden kurz andere Interpretationsansätze diskutiert. Diese Arbeit bezieht sich ausschließlich auf den Leviathan, die Thesen, die Hobbes in anderen Werken, beispielsweise in De Cive, vertritt, werden hier nicht berücksichtigt. Außerdem geht es mir nicht darum, zu diskutieren, ob Hobbes Recht hat und ob seine Thesen wahr oder falsch sind, sondern nur darum, zu analysieren, was er meint und ob seine Theorie konsistent ist.
2. Corporal liberty
Hobbes liefert im Leviathan zwei Definitionen von liberty, die sich beide auf diese Art der liberty beziehen. Sie lauten:
„ By liberty, is understood, according to the proper signification of the word, the absence of external impediments: which impediments, may oft take away part of man's power to do what he would; but cannot hinder him from using the power left him, according as his judgment, and reason shall dictate to him “[1]
„ Liberty, or freedom, signifieth (properly) the absence of opposition; (by opposition, I mean external impediments of motion;) […] But when the impediment of motion, is in the constitution of the thing itself, we use not to say, it wants the liberty; but the power to move “[2]
Direkt im Anschluss an die zweite Definition erklärt er dann, was es heißt, frei zu sein:
„ a freeman, is he, that in those things, which by his strength and wit he is able to do, is not hindered to do what he has a will to “[3]
Die beiden Definitionen von liberty sind in einem Punkt nicht konsistent. Der ersten zufolge nehmen external impediments dem Menschen seine power, so dass die power mit der liberty abnimmt. Das deckt sich mit seiner Definition von power als „ present means, to obtain some future apparent good “[4]. Später unterscheidet Hobbes dann aber zwischen liberty, die durch äußere Hindernisse genommen wird, und power, die offenbar nur durch innere Hindernisse, das heißt den Zustand in dem ich mich befinde, genommen wird. Um diese Unterscheidung zu rechtfertigen, muss man offensichtlich von Hobbes Definition von power abweichen. Aus der Definition eines freeman lässt sich ableiten, was er hier im Sinn hat und was er vielleicht lieber „ inherent ability “[5] hätte nennen sollen. Ich habe die ability, etwas zu tun, wenn ich es unter möglichen äußeren Umständen unter Einsatz meiner „ strength and wit “ tun könnte. Demnach hätte ein gefesselter Mann die inherent ability, zu gehen, jemand mit einem gebrochenen Bein aber nicht. Man kann Hobbes hier vorwerfen, sich in der Verwendung des Begriffes power nicht konsequent an seine eigene Definition zu halten, wenn man aber, in der zweiten Definition von liberty, power durch inherent ability ersetzt, dann ergeben sich daraus keine weiteren Inkonsistenzen in der Verwendung des Begriffes liberty[6].
Abschließend ist zu der Darstellung der Definition von liberty noch zu bemerken, dass der Wille, eine bestimmte Handlung auszuführen, eine notwendige Bedingung dafür ist, dass man bezüglich dieser Handlung liberty haben kann. Diese Art von liberty ist also nicht von Hindernissen zu Handlungen, die ich vielleicht wollen kann, beeinträchtigt. Wenn ich eine Handlung ausführen will und es keine äußeren Hindernisse gibt, die mich davon abhalten, dann bin ich frei, sie zu tun, selbst wenn ich von allen Handlungsalternativen durch äußere Hindernisse abgehalten werde[7].
Nachdem geklärt wurde, was Hobbes unter (corporal) liberty versteht, werden nun die Konsequenzen, die er daraus zieht, genauer untersucht. Ein zentraler Punkt ist, dass liberty nicht durch Angst (fear) eingeschränkt wird:
„ Fear and liberty are consistent; as when a man throweth his goods into the sea for fear the ship should sink, he doth it nevertheless very willingly, and may refuse to do it if he will: it is therefore the action, of one that was free“[8]
Jede Handlung, die in Übereinstimmung mit dem Willen des Handelnden vollzogen wird (voluntary action), ist eine freie Handlung nach der oben genannten Definition. Angst sorgt vielleicht dafür, dass wir eine bestimmte Handlung nicht wollen, aber nicht dafür, dass wir sie nicht ausführen könnten, wenn wir wollten.
Dass der Wille eines Menschen determiniert ist, ist ebenfalls kein Widerspruch zur liberty nach Hobbes Definition[9]. Von so etwas wie einem freien Willen zu sprechen, ist absurd, da nur physikalische Gegenstände physikalischen Hindernissen ausgesetzt sein können und folglich nur im Zusammenhang mit Körpern sinnvollerweise von liberty gesprochen werden kann.
Schon bevor Hobbes zum ersten mal liberty definiert, taucht der Begriff im Leviathan auf, und zwar im Zusammenhang mit deliberation. Dazu sagt Hobbes:
„ And it is called deliberation ; because it is a putting an end to the liberty we had of doing, or omitting, according to our own appetite, or aversion “[10].
Manche Interpreten[11] haben fälschlicherweise angenommen, hier spreche er bereits von einer anderen Art von liberty, tatsächlich handelt es sich aber um corporal liberty. Das wird deutlich, wenn man sich ansieht, wann deliberation endet:
„ Every deliberation is then said to end , when that whereof they deliberate, is either done, or thought impossible; because till then we retain the liberty of doing, or omitting, according to our own appetite, or aversion “[12].
Wenn eine Handlung vollzogen ist, dann ist es offensichtlich unmöglich, sie rückgängig zu machen, selbst wenn man wollte, folglich hat man die liberty verloren, sie nicht zu tun. Wenn die deliberation endet, ohne dass die Handlung vollzogen ist, dann deshalb, dass sie unmöglich ist (oder als unmöglich gedacht wird), man also keine liberty hat (oder denkt, keine liberty zu haben), sie auszuführen.
Was in diesem Fall funktioniert, funktioniert allerdings nicht überall im Leviathan: Nicht jede Textstelle ist konsistent mit Hobbes' Theorie, wenn man liberty als corporal liberty versteht. Das zweite law of nature lautet
„ that a man be willing, when others are so too, as far-forth, as for peace, and defence of himself he shall think it necessary, to lay down this right to all things; and be contented with so much liberty against other men, as he would allow other men against himself “[13]
Was es heißt, ein Recht niederzulegen, wird im nächsten Absatz erklärt:
„ To lay down a man's right to any thing, is to divest himself of the liberty , of hindering another of the benefit of his own right to the same “[14]
Wenn mit liberty hier corporal liberty gemeint ist, hieße das, dass mit jedem contract physische Hindernisse entstehen, die einen daran hindern, das zu tun, wozu man das Recht niedergelegt hat. Es kann natürlich sein, dass das tatsächlich passiert, zum Beispiel wenn ich mein Grundstück verkaufe und der neue Eigentümer eine Mauer darum baut. Allerdings entstehen bei weitem nicht bei allen contracts äußere Hindernisse, sie zu brechen. Bei covenants, das heißt bei contracts, bei denen eine oder beide Parteien nicht sofort ihren Teil der Abmachung erfüllen, ist es Hobbes zufolge nötig, dass es eine coercive power gibt, die mittels der Androhung von Strafen die Einhaltung des covenants gewährleistet. Das wäre nicht notwendig, wenn mit einem covenant corporal liberty aufgegeben werden würde. Was Hobbes hier meint, muss folglich eine andere Art der liberty sein. Diese könnte man liberty as non - obligation nennen und sie wird im nächsten Abschnitt dieser Arbeit behandelt.
3. Liberty as non-obligation
Während das Wesen der corporal liberty relativ leicht zu erfassen ist, ist es sehr viel schwerer, sich klar zu machen, was genau Hobbes meint, wenn er im Zusammenhang mit dem zweiten law of nature, covenants und obligation von liberty spricht. Das liegt auch daran, dass er im Gegensatz zur corporal liberty keine ausdrückliche Definition liefert. Das einzige, was er explizit zu der Möglichkeit, liberty anders als als corporal liberty zu verstehen, sagt, ist: „ if we take liberty, for an exemption from [civil] laws “[15]. Das kann aber offensichtlich nicht alles sein, denn wir müssen uns von unserer liberty (as non - obligation) trennen, um überhaupt ein commonwealth errichten zu können. Wir können covenants schließen, die unsere liberty einschränken, aber nicht (direkt) dazu führen, dass es civil laws gibt, die einen Bruch des covenants verbieten.
Ich habe diese Art der liberty „ liberty as non - obligation “ genannt[16], das legt nahe, dass man sie formal so definiert: Wir haben liberty (as non - obligation), etwas zu tun, wenn wir keine obligation haben, es nicht zu tun. Um diese formale Definition nun inhaltlich zu füllen, muss zunächst geklärt werden, was Hobbes unter obligation versteht.
[...]
[1] T. Hobbes: Leviathan, ed. J.C.A. Gaskin, Oxford, 1996, S.86 (XIV.2); Im Folgenden wird aus dieser Ausgabe unter Verwendung der Sigle Lev. und der Seiten-, sowie Kapitelangabe zitiert.
[2] Lev., S.139 (XXI.1).
[3] Lev., S.139 (XXI.2).
[4] Lev., S.58 (X.1).
[5] P. Pettit: Liberty and Leviathan, S.138.
[6] Für eine detaillierte Ausführung, wie power im Kontext der zweiten Definition zu verstehen ist, siehe D.P. Gauthier: The Logic of Leviathan, S.63f.
[7] Vgl. P. Pettit: Liberty and Leviathan, S.138.
[8] Lev., S.140 (XXI.3; Hervorhebungen im Original)
[9] Vgl. Lev., S.140 (XXI.4)
[10] Lev., S.40 (VI.50; Hervorhebungen im Original).
[11] Vgl. P. Pettit: Liberty and Leviathan, S. 133f und J.R. Pennock: Hobbes's Confusing 'Clarity', FN10 zu S.429.
[12] Lev., S.40 (VI.52; Hervorhebungen im Original).
[13] Lev., S.87 (XIV.5).
[14] Lev., S.87 (XIV.6; Hervorhebungen im Original).
[15] Lev., S.141 (XXI.6).
[16] In Anlehnung an Pettit, der die „freedom as non-obligation“ jedoch als Spezialfall der „freedom as non-commitment“ auffasst, die wir dann verlieren, wenn wir eine Entscheidung treffen, eine Handlung auszuführen oder zu unterlassen. Wie wir gesehen haben, handelt es sich da aber noch um corporal liberty, weshalb die liberty as non-obligation als einzige andere übrig bleibt. Man hätte sie auch „liberty of the subjects“ nennen können, wie Hobbes das an manchen Stellen tut, das wäre allerdings irreführend, da die Menschen im Naturzustand in dieser Hinsicht viel freier sind und weil auch subjects natürlich corporal liberty genießen.