Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Liberalismusauffassungen
3. Die inhaltlichen Schwerpunkte der Grundsatzprogramme der FDP
3.1 Das Berliner Programm von 1957
3.2 Die Freiburger Thesen zur Gesellschaftspolitik von 1971
3.3 Die Kieler Thesen von 1977
3.4 Die Wiesbadener Grundsätze zur liberalen Bürgergesellschaft von 1997
4. Das Liberalismusverständnis in den Grundsatzprogrammen der FDP
4.1 Der Liberalismus im Berliner Programm von 1957
4.1.1 Das Liberalismusverständnis im Berliner Programm
4.1.2 Gründe für die Vermeidung desLiberalismusbegriffs
4.2 Der Liberalismus in den Freiburger Thesen von 1971
4.2.1 Das Liberalismusverständnis in den Freiburger Thesen
4.2.1.1 Das Liberalismusverständnis in der Einleitung
4.2.1.2 Die Thesen zur Gesellschaftspolitik in den Freiburger Thesen
4.2.1.3 Die inhaltliche Analyse der Freiburger Thesen
4.2.1.4 Résumé: Das Liberalismusverständnis in den Freiburger Thesen
4.2.2 Der Weg zum sozialen Liberalismus
4.3 Der Liberalismus in den Kieler Thesen von 1977
4.3.1 Das Liberalismusverständnis in den Kieler Thesen
4.3.1.1 Der Begriff des Liberalismus in den Kieler Thesen
4.3.1.2 Die inhaltliche Analyse der Kieler Thesen
4.3.1.3 Résumé: Das Liberalismusverständnis in den Kieler Thesen
4.3.2 Der Weg zum Wirtschaftsliberalismus der Kieler Thesen
4.4 Der Liberalismus in den Wiesbadener Grundsätze von 1997
4.4.1 Das Liberalismusverständnis in den Wiesbadener Grundsätzen
4.4.1.1 Die vier Fundamente des modernen Liberalismus
4.4.1.2 Die liberale Bürgergesellschaft als Teilhabergesellschaft
4.4.1.3 Résumé: Das Liberalismusverständnis der Wiesbadener Grundsätze
4.4.2 Gründe für die Entstehung der Wiesbadener Grundsätze
5. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Der Liberalismus als Weltanschauung und politische Ideologie mit dem Ziel, die Freiheit des Einzelnen in den Mittelpunkt politischer Überlegungen zu stellen und staatliche Bevormundung im größtmöglichen Umfang zu verhindern, ist das bedeutsamste Identitätsmerkmal und argumentative Fundament der FDP, dessen geistige Ursprünge bis ins 17. Jahrhundert in England zurückreichen (Rudzio 2006: 132).Aufgrund dieser gemeinsamen Grundausrichtung der Partei sowie dem damit einhergehenden starken Bedürfnis nach programmatischer Fixierung ist die FDP als eine Programmpartei zu bezeichnen, in der Grundsatzprogramme dementsprechend von großer Bedeutung sind (Dittberner 2010: 277). Der Liberalismus zeigt sich im geschichtlichen Verlauf und auch in der jüngeren Geschichte seit Gründung der FDP einem stetigen Wandel der Schwerpunktsetzungen unterworfen. So gelten die siebziger Jahreals die Hochzeit des sozialen Liberalismus in Deutschland. Heute wird der FDP hingegen oft eine thematische Einengung auf den Wirtschaftsliberalismus vorgeworfen (Plickert2011). Häufig wird sie als „Steuersenkungspartei“ wahrgenommen, die sich eindeutig dem besserverdiendenden Besitzbürgertum der Gesellschaft zugewendet hat (Drach 2011).
Weil der Liberalismus als politische Philosophie in der FDP eine bedeutende Rolle spielt und auch den Grundsatzprogrammen eine große Bedeutung zukommt soll in dieser Arbeit der Frage nachgegangen werden, welches Liberalismusverständnis den vier bedeutsamen Grundsatzprogrammen der FDP zugrunde liegt. Ist eine programmatische Einengung auf wirtschaftsliberale Themenfelder auch in den Grundsatzprogrammen zu erkennen und wie hat sich das Liberalismusverständnis in den Programmen der FDP seit ihrer Gründung verändert? Diesen Fragen soll in dieser Arbeit nachgegangen werden. Außerdem sollen die Gründe für die jeweils herausgearbeiteten Veränderungen aufgezeigt werden.
Zur Beantwortung dieser Fragen sollen im nächsten Abschnitt die für diese Arbeit wichtigen liberalen Strömungen als Orientierungsrahmen dargelegt werden. Anschließend werden, um einen allgemeinen Überblick über die Programme zu ermöglichen, die Inhalte der Grundsatzprogramme grob zusammengefasst aufgezeigt. Im vierten Kapitel wird daraufhin mit der Analyse der verschiedenen Liberalismusverständnisse in den Programmen begonnen. Hierzu wird die Begriffsverwendung analysiert, also in welchen Kontexten das Wort „Liberalismus“ sowie das zugehörige Adjektiv „liberal“ verwendet wird. Auch die inhaltliche Schwerpunktsetzung der einzelnen Programme soll Berücksichtigung finden, weil hierdurch eventuell Unterschiede und Ungereimtheiten zwischen dem sprachlich dargestellten Liberalismusverständnis und den tatsächlichen programmatischen Forderungen aufgedeckt werden können. Nach Analyse des Liberalismusverständnisses eines jeden Programmes wird außerdem den Gründen der jeweiligen Ausgestaltung des Liberalismus nachgegangen. Abschließend werden die erarbeiteten Ergebnisse im letzten Teil der Arbeit zusammenfassend dargelegt.
2. Liberalismusauffassungen
Bevor im Folgenden die Grundsatzprogramme der FDP auf die Verwendung des Liberalismusbegriffes hin untersucht werden, soll als Orientierungsrahmen an dieser Stelle zunächst die für die weitere Untersuchung wesentlichen Liberalismusbegriffe und deren Bedeutung aufgezeigt werden. Es muss darauf hingewiesen werden, dass die folgenden Beschreibungen nicht als eindeutige Definitionen zu verstehen sind, weil solch klare Bedeutungszuordnungen für den Liberalismus im Allgemeinen schwierig sind (Schiller 1978: 14-16) und sich die Begriffsauffassungenteilweise auch im Zeitverlauf gewandelt haben.
Basis jeder Form des politischen Liberalismus ist die Auffassung, dass die Freiheit des Menschen (wie zum Beispiel die Meinungs- und Glaubensfreiheit) im Staat gewahrt werden soll und politische Herrschaft nur in dem Maß als angebracht erscheint, wie sie zur Sicherung der individuellen Freiheit der Menschen in der Lage ist (Schubert / Klein 2006).Dieses Ziel und die damit einhergehende Beschränkung staatlicher Gewalt werden durch eine Verfassung zur Sicherung der Grundrechte hergestellt, wodurch ein liberaler Rechtsstaat und Rechtssicherheit hergestellt wird. Die Verfassung verankert außerdem auch eine Gewaltenteilung im politischen System, um jegliche staatliche Machtkonzentration zu verhindern. Neben der Verfassung ist einParlament die gesetzgebende Institution eines liberalen Rechtsstaates, wodurch die Volkssouveränität der Bürger gewährleistet wird (Schiller 1978: 14). Diese Merkmale kennzeichnen den klassischen Liberalismus des 19. Jahrhunderts und dienen als Ausgangspunkt der weiteren Ausführungen. Wirtschaftsliberalismus beschreibt die Übertragung liberaler Werte auf den Bereich der Ökonomie. Dem klassischen Liberalismus entspricht hierbei das Wirtschaftssystem der freien Marktwirtschaft. In dieser soll durch die Sicherung des Eigentumsrecht sowie denWettbewerb und Handel zwischen den Wirtschaftssubjekten der gesamtwirtschaftliche Wohlstand maximiert werden (Schubert / Klein 2006).
Aus der Kritik am klassischen Wirtschaftsliberalismus hat sich in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts der im Vergleich zum klassischen Wirtschaftsliberalismus gemäßigte Ordoliberalismus in Deutschland entwickelt, der als die deutsche Variante des Neoliberalismus bezeichnet werden kann und zudem die Basis für die Entwicklung der sozialen Marktwirtschaft darstellte. Nach Auffassung des Ordoliberalismus hat die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung dafür zu sorgen, dass durch einen geeigneten Rechts- und Ordnungsrahmen die Voraussetzungen für Handel und Wettbewerb auf Dauer erhalten bleiben und Marktversagen verhindert wird. Die dem Wettbewerbsprozess zuwider laufende Entstehung großer Marktmächte, zum Beispiel durch die Bildung von Kartellen, soll durch den Ordoliberalismus verhindert werden (Bundeszentrale für politische Bildung 2009). Insbesondere das Wort neoliberal wird nach Leuschner heute häufig mit sozialer Kälte assoziiert, weswegen die FDP vermeidet, sich selbst als neoliberal zu bezeichnen (Leuschner 2010: 405-413).
Nach dem zweiten Weltkrieg spielten innerhalb der FDP zwei liberale politische Lager eine bedeutende Rolle: das Lager der Nationalliberalen sowie das der Linksliberalen. Die Linksliberalen standen in der Nachkriegszeit „treu zu den freisinnigen Idealen des 19. Jahrhunderts: Parlamentarismus, Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung, Individualität“ (Lösche / Walter 1996: 25), was im Lager der Nationalliberalen nicht der Fall war. Diese profilierten sich vielmehr durch patriotisches Gedankengut, Nationalstolz sowie bedingungslosen Antisozialismus, der sowohl zur Abgrenzung zu den Sozialdemokraten wie auch zur Union diente. Sie positionierten sich somit bewusst rechts von der Union (Lösche / Walter 1996: 25-27). Nationalliberalismus kann grundsätzlich als die doppelte Bestrebung nach individueller Freiheit einerseits sowie einer nationalen Einheit und Volkssouveränität andererseits verstanden werden.
Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre wurde durch die zu dieser Zeit linksliberal gestärkte FDP der Begriff des sozialen Liberalismus,insbesondere durch dessen Verwendung in den Freiburger Thesen,geprägt. Er verbindet die klassischen liberalen Forderungen bezüglich des Rechtsstaates mit sozialen Elementen und Forderungen der Gesellschaftpolitik, um im Staat wie auch in der Gesellschaft Chancengleichheit, Mitwirkung und Entfaltung jedes Menschen zu gewährleisten (Juling 1977: 61).
3. Die inhaltlichen Schwerpunkte der Grundsatzprogramme der FDP
3.1 Das Berliner Programm von 1957
Das Berliner Programm als erstes Grundsatzprogramm der FDP wurde im Jahr 1957 verabschiedet. Zentrales Leitbild dieses Programms, welches aus zehn Thesen besteht, ist die Sicherung der individuellen Freiheitsrechte des Menschen in allen Lebensbereichen (These 1). In der Rechtspolitik wird dementsprechend ein freiheitlicher Rechtsstaat gefordert, der die Mitverantwortung des Bürgers voraussetzt. In der Staatspolitik wird eine Minimierung der vorhandenen Bürokratie in Form von Gesetzen und Verordnungen angestrebt; das Beamtentum soll erhalten bleiben (These 2). Im Bereich der Kulturpolitik (These 3) wird Geistesfreiheit, Toleranz sowie ein gesamtdeutsches Bewusstsein gefordert, womit die Forderung der Wiedervereinigung einhergeht. Die Wiedervereinigung stellt neben der Befürwortung des NATO-Eintritts sowie der Bildung einer Armee für den Verteidigungsfall (These 8) auch das bedeutsamste außenpolitische Ziel der FDP dar (These 10). Überdies wird die Idee einer europäischen Friedenssicherung verfolgt (These 9). „Ein großer Teil der innenpolitischen Aussagen beruhten unverändert auf den Prämissen neoliberaler Wirtschaftspolitik“ (Kaack 1976: 22). Die Sozialpolitik (These 5) soll den Menschen vor Krisen wie zum Beispiel durch Not oder Alter schützen, eine sozialorientierte Lohnpolitik gewährleisten, die Familienbildung durch Steuerbegünstigungen fördern sowie den Opfern des Krieges Unterstützung bieten (These 4). Den Gefahren des durch Privatinteressen gesteuerten Marktmechanismusses soll mit diesen Maßnahmen begegnet werden. Zentraler Gegenstand der fünften These ist die Förderung privater Eigentumsbildung und deren Sicherung. In der Finanzpolitik (These 7) wird eine Vereinfachung des Steuersystems und Steuersenkungen angestrebt. These 6 wendet sich letztlich der Agrarpolitik zu. Das Programm setzt somit keinen Schwerpunkt, sondern deckt viele Bereiche gleichermaßen ab.
3.2 Die Freiburger Thesen zur Gesellschaftspolitik von 1971
Nach dem Berliner Programm wurde das zweite Grundsatzprogramm der FDP, die Freiburger Thesen zur Gesellschaftspolitik, im Jahr 1971 beschlossen. Diese können wohl als das bis heute am meisten diskutierte Parteiprogramm der FDP betrachtet werden, weswegen auch Christian Lindner als ehemaliger Generalsekretär der FDP erst vor kurzem aufgrund desvierzigsten Jahrestags des Programms Stellung dazu nahm und dessen Bedeutsamkeit betonte (Lindner 2011). Inhaltlich befasst sich dieses Programm in der Einleitung mit dem modernen Verständnis eines „sozialen Liberalismus“ (S. 6). Dieser Begriff des sozialen Liberalismus wird in Kapitel 4.2.1 noch detailliert behandelt. Nach der Einleitung werden im zweiten bis vierten Teil der Freiburger Thesen sehr präzise politische Forderungen der Gesellschaftspolitik formuliert. Behandelt werden die Themen Eigentums-ordnung, Vermögensbildung, Mitbestimmung in Betrieben und Unternehmen sowie die Umweltpolitik, welche hiermit erstmals in einem Parteiprogramm der FDP aufgegriffen wird. Im Bereich der Eigentumspolitik soll allen Bürgern die Möglichkeit zur Aneignung von Eigentum gegeben sein. Es besteht eine „Verpflichtung des Staates zu einer Gestaltung der Eigentumsverhältnisse, die Eigentum von einem Vorrecht Weniger zu einem Recht Aller macht“ (FDP 1971: 19). In der Vermögensbildung wird ein überbetriebliches Beteiligungssystem gefordert, damit alle Menschen gleichermaßen am Zuwachs des Produktivvermögens beteiligt werden können. Hiermit wird eine gleichmäßigere Vermögensverteilung angestrebt (FDP 1971: 33). Die FDP übte außerdem das erste Mal Kritik am kapitalistischen Wirtschaftssystem (FDP 1971: 13). Dem Ziel der betrieblichen Mitbestimmung wird besondere Priorität eingeräumt, wie zum Beispiel durch die Einrichtung eines Betriebsrats (FDP 1971: 52) und eine Vertretung für leitende Angestellte (FDP 1971: 54). In der Umweltpolitik wird dem Recht auf eine „menschenwürdige Umwelt“ (FDP 1971: 72) höchste Priorität eingeräumt – ein Recht, das auch im Grundgesetz verankert werden soll.
3.3 Die Kieler Thesen von 1977
Im Jahr 1977 wurde mit den Kieler Thesen das dritte Grundsatzprogramm der FDP verabschiedet. Das Programm besteht zum einen aus drei Einbringungsreden, gefolgt von den drei Themenblöcken „Wirtschaft im sozialen Rechtsstaat“, „Bürger, Staat, Demokratie“ und „Bildung und Beschäftigung der jungen Generation“. Das Programm soll in Anlehnung an die Grundsätze der Freiburger Thesen Lösungen für aktuelle Probleme skizzieren (FDP 1977: 3). Das bedeutendste Ziel des Programms und der darin enthaltenen Wirtschaftspolitik ist die Verbesserung der Beschäftigungssituation (S. 8-9) unter Berücksichtigung sozialer Aspekte (FDP 1977: 7; 3). Das Sicherstellen von Vollbeschäftigung ist nach Ansicht der FDP eine Voraussetzung zur Selbstverwirklichung und eigenverantwortlicher Existenzsicherung (FDP 1977: 38), das „Recht des Bürgers auf Arbeit ist ein soziales Grundrecht“ (ebd.). Der Schwerpunkt des Programms liegt demnach auf der Wirtschaftspolitik. Im Abschnitt „Bürger, Staat, Demokratie“ kommt die FDP außerdem den klassischen Forderungen des politischen Liberalismus nach, wie Gewaltenteilung, Parlamentisierung und Rechtsstaat. Im Abschnitt „Bildung und Beschäftigung der jungen Generation“ fordert die FDP darüber hinaus den Ausbau eine Reformierung des Bildungssystems, damit jeder das gleiche Recht auf Bildung erhält und auch Jugendliche nicht von Arbeitslosigkeit betroffen sind (FDP 1977: 60-62).
3.4 Die Wiesbadener Grundsätze zur liberalen Bürgergesellschaft von 1997
Im Jahr 1997 wurde das vierte für die Entwicklung der FDP bedeutsame Grundsatzprogramm verabschiedet, das den Namen „Wiesbadener Grundsätze für die liberale Bürgergesellschaft“ trägt. Die Wiesbadener Grundsätze greifen zwar auch Probleme der damaligen Zeit auf, setzen aber keinen herausstechenden inhaltlichen Schwerpunkt. Die FDP unterstreicht hier zum einen die Vorzüge der sozialen Marktwirtschaft, die "die Interessen der Einzelnen mit den Interessen aller" (FDP 1997: 14) verknüpfe und fordert gleichzeitig eine Erneuerung der in ihr enthaltenen sozialen Komponenten. Das Ziel einer langfristigen sozialen Sicherung soll vorwiegend durch die Schaffung von Arbeitsplätzen erreicht werden (FDP 1997: 2-3) sowie durch eine Stärkung der privaten Vorsorge (FDP 1997: 5-6; 21). In der Sozialpolitik wird außerdem die Einführung eines Bürgergeldes gefordert, das Einkommensbesteuerung und steuerfinanzierte Sozialleistungen zu einer Gesamtordnung zusammenfasst. Hierdurch soll das Transfersystem effizienter und einfacher gestaltet werden (FDP 1997: 20-21). Außerdem wird allgemein eine Entbürokratisierung (FDP 1997: 18) und Deregulierung (FDP 1997: 11) des Staates gefordert. Steuern sollen wesentlich gesenkt werden, um die Staatsüberschuldung abzubauen und um der Verantwortung gegenüber zukünftiger Generationen gerecht zu werden (FDP 1997: 30). Die als mündig angesehenen Bürger sollen mehr Verantwortung in der Gesellschaft tragen, anstatt diese dem Staat zu überlassen. Dies gelingt zum Beispiel durch die Forderung nach Volksinitiativen auf Bundesebene (FDP 1997: 19) und mehr privater Vorsorge. Es wird eine pragmatische Politik der Vernunft gefordert, die sich nicht an den Gefälligkeiten von Interessengruppen orientiert (FDP 1997: 2-4). Die angestrebte Gesellschaftsform wird als „Bürgergesellschaft“ (FDP 1997: 4) und „Teilhabergesellschaft“ (FDP 1997: 9) bezeichnet. Außerdem wird der Zusammenarbeit in der europäischen Union große Aufmerksamkeit geschenkt (FDP 1997: 25-26).
4. Das Liberalismusverständnis in den Grundsatzprogrammen der FDP
4.1 Der Liberalismus im Berliner Programm von 1957
4.1.1 Das Liberalismusverständnis im Berliner Programm
Im ersten hier untersuchten Grundsatzprogramm der FDP, dem Berliner Programm von 1957, ist das Wort liberal nur in der dritten These zu finden, welche die Kulturpolitik thematisiert. Zentraler Gegenstand dieser These ist das Bestreben der FDP, „Geistesfreiheit und Toleranz“ (FDP 1957: 7) zu sichern. Zweimal ist in dieser These von einer „liberalen Kulturgesinnung“ (FDP 1957: 7-8) die Rede, welche inhaltlich zum einen mit der Freiheit der Religionsausübung gefüllt wird, welche der Staat zu gewährleisten hat. Zum anderen geht mit dieser liberalen Gesinnung die Forderung nach einem humanen Bildungsideal einher, welches durch bestimmte Änderungen im Bildungssystem angestrebt wird. Durch diese liberale Kulturgesinnung soll der Mensch für den „weltanschaulichen Kampf im geistigen Bereich“ (FDP 1957: 8) vorbereitet werden, in dem sich die Menschen wiederfinden, weil „sich die Welt in ideologische Blöcke geteilt hat“. Bei Betrachtung der These in ihrer Gesamtheit wird deutlich, dass hiermit auf die Teilung Deutschlands Bezug genommen wird. Das kulturelle Auseinanderdriften zwischen Ost- und Westdeutschland soll verhindert werden, um „ein gesamtdeutsches Bewusstsein neu zu gründen und […] die Wiedervereinigung vorzubereiten“ (FDP 1957: 7).
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