Leseprobe
INHALTSVERZEICHNIS
0. Einleitung
1. Normierung der deutschen Orthographie
1.1 Von der Schreibung zur Rechtschreibung
1.2 Durchsetzung einer Einheitsorthographie
1.3 Die Rolle des Dudens bei der Kodifizierung der deutschen Orthographie
1.4 Rechtschreibreform von 1996 und deren Überarbeitungen in den Jahren 2004 und 2006
2. Der Aufbau der deutschen Rechtschreibung
2.1 Verhältnis gesprochener und geschriebener Sprache
2.2. Linguistische Grundlagen
2.2.1 Generelle Anmerkungen
2.2.2 Grapheme und Phonographie
2.2.3 Groß- und Kleinschreibung im Deutschen
2.2.4 Explizitform und silbische Schreibung
2.3 Die Prinzipien der deutschen Rechtschreibung
2.3.1 Das phonologische Prinzip
2.3.2 Das morphematische Prinzip
2.3.3 Das silbische Prinzip
2.3.4 Das grammatische Prinzip
2.3.5 Das semantische Prinzip
2.3.6 Das historische Prinzip
3. Der Schriftspracherwerb in der Grundschule
3.1 Generelle Vorbemerkungen
3.2 Vorschulische Kompetenzen
3.3 Stufenmodelle des Schriftspracherwerbs
3.3.1 Das Drei-Phasen-Modell von U. Frith (1985)
3.3.2 Das Fünf-Phasen-Modell von K.B. Günther (1986)
3.3.3 Modell des Rechtschreiberwerbs von G. Scheerer-Neumann (1987)
3.4 Abschließende Überlegungen zu den Stufenmodellen
4. Dialekt und Mundart im Raum Schule
4.1 Abgrenzung Dialekt, Umgangssprache, Standardsprache
4.2 Gegenwärtige Dialektsituation
4.3 Sprachliche Merkmale des Bairischen
4.4 Hochdeutsch lernen – Mundart nicht verlernen
4.5 Sprachsituation an bayerischen Grundschulen
4.6 Vorteile von Dialektsprechern in der Schule
4.7 Nachteile von Dialektsprechern in der Schule
4.8 Dialekteinsatz im Klassenzimmer
4.9 Auswertung der Ergebnisse der Studie in drei Klassen der 2. Jahrgangsstufe
4.9.1 Untersuchungsansatz und Auswahl der Schüler und Klassen
4.9.2 e.o.Plauen und seine „Vater-Sohn-Geschichten“
4.9.3 Auswertung der Ergebnisse
5. Schlussbetrachtung
Anhang
Literaturverzeichnis
0. Einleitung
„Jede Region liebt ihren Dialekt, sei er doch eigentlich das Element, in welchem diese Seele ihren Atem schöpfe.“ (Johann Wolfgang von Goethe)[1]
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit den zwei konträr anmutenden Bereichen Dialekt und Orthographie. Ziel der Arbeit ist die Dokumentation des Einflusses von Dialekt auf die deutsche Orthographie bei Grundschulkindern zweiter Klasse.
Mich interessierte vor allem der Aufbau der Orthographie, wie dieser mit dem Schriftspracherwerb korreliert und was sich daraus für Folgerungen für den Dialekt ergeben. Das Thema fesselte mich sehr, da ich schon einige Erfahrungen in meinen Praktika sammeln konnte und bereits dialektbedingte Fehler in den Schriften von Kindern entdeckte. Die Beschäftigung mit dem Dialekt und der Orthographie ist auch für den angestrebten Beruf des Lehrers von enormer Relevanz, da man diesen beiden Punkten in der Unterrichtspraxis immer wieder begegnen wird.
Die Arbeit gibt zunächst einen Einblick in die Normierung der deutschen Orthographie. Sie leitet mit der Herausbildung der Rechtschreibung ein, geht dann zu der Durchsetzung einer Einheitsorthographie über, erörtert die Rolle des Dudens bei der Kodifizierung der Rechtschreibung und beschreibt letztlich die aktuelle Situation.
Danach widmet sich die Arbeit der Struktur der deutschen Orthographie. Dazu wird zuerst auf das Verhältnis gesprochener und geschriebener Sprache eingegangen. Darauf folgen einige linguistische Grundlagen der deutschen Rechtschreibung und im Anschluss daran werden die Prinzipien der deutschen Orthographie näher erläutert.
Darauf folgen die Ausführungen zu den Theorien des Schriftspracherwerbs. An dieser Stelle werden drei Modelle vorgestellt.
Anschließend wird der Bereich „Dialekt und Mundart im Raum Schule“ thematisiert. Dazu erfolgt zunächst eine Abgrenzung der Begrifflichkeiten und die gegenwärtige Dialektsituation wird näher betrachtet. Außerdem wird ein Blick in ein bayerisches Klassenzimmer geworfen und Vor- und Nachteile von Dialektsprechern werden aufgeführt. Danach wird die Untersuchung aufgegriffen und ausgewertet.
Der Forschungsstand zu diesem Thema ist leider nicht sehr aktuell, da die letzte Beschäftigung mit diesem Thema in den 1980er Jahren stattfand. Seit jener Zeit sind über 30 Jahre vergangen und die Orthographie und auch der Dialekt haben sich verändert und einen Wandel erfahren. Eine korrekte Orthographie ist heute mehr denn je zu einem messbaren Indikator für hochwertige Bildung geworden. Der Dialekt ist bei einem Großteil der Bevölkerung mit vielen Vorurteilen belastet und wurde häufig als ein defizitäres Sprachsystem bezeichnet. Dialektsprecher zählten in naher Vergangenheit zu den gebrandmarkten Schülern, denen eine mangelnde Intelligenz unterstellt wurde. Diese Vorurteile galt es zu klären, da, wie bereits Johann Wolfgang von Goethe feststellte, jede Region ihren Dialekt liebt und die Seele ihren Atem daraus schöpfe.
1. Die Normierung der deutschen Orthographie
1.1 Von der Schreibung zur Rechtschreibung
Die Herausbildung der deutschen Orthographie begann vor über 1200 Jahren, also im achten Jahrhundert nach Christus, parallel zu der Entfaltung des Schreibens in deutscher Sprache. Die Entwicklung des feudalen Staates mit seinem aufkeimenden Verwaltungssystem und vornehmlich die zunehmende „[…]Christianisierung machten neben der mündlichen Kommunikation auch die Entwicklung der schriftlichen Kommunikation erforderlich.“[2] Die Schreibstuben der Klöster bildeten hierbei das Zentrum der mittelalterlichen Schreibkultur. Die Mönche kopierten die Bücher handschriftlich, dokumentierten Predigten und verfassten eigenständige Texte in deutscher Sprache. Dies gestaltete sich als äußerst langwierige Aufgabe, da die Verfasser sich der Problemlage gegenüber standen, wie man das zur Verfügung stehende lateinische Schriftinventar mit den deutschen Lauten in einen Konsens bringt bzw. wie man die Laute tradiert. Das phonologische Prinzip war in dieser Zeit vorherrschend und so war es nur in einigen wenigen Fällen möglich, die althochdeutschen Phoneme ohne Schwierigkeiten mit lateinischen Graphemen wiederzugeben (beispielsweise bei Liquiden und Nasalen). „Das Lateinische kannte keine Kennzeichnung der Quantitätsmerkmale der Vokalphoneme, so dass die Schreiber gezwungen waren, für die graphische Kennzeichnung der Vokallänge eigene Markierungen zu wählen.“[3] So erfand man beispielsweise die Doppelschreibung der Vokalgrapheme oder setzte Akzentzeichen. Die althochdeutschen Phoneme /j/ und /v/, die im lateinischen Phonemsystem nicht bekannt waren und somit keine graphische Entsprechung besaßen, wurden mit den Graphemen <i> bzw. <u> oder <v> bezeichnet. Im Gegensatz dazu existierten für das Phonem /k/ mehrere Entsprechungen, wie beispielsweise <k>, <c> und <q>. Die genannten Beispiele stellen jedoch nur eine kleine Auswahl der vielfältigen Variationen dar.
Verbindliche Anweisungen und Regeln waren nicht vorhanden und so war es jedem Schreiber selbst überlassen aus dem Bestand der Schriftzeichen zu wählen. Diese Mannigfaltigkeit der Schreibformen bedingte Uneinheitlichkeit und enorme Schwankungen. Intensiviert wurde dies noch durch die diversen regionalen Unterschiede der einzelnen Klöster. So entstanden die verschiedenen Mundarten wie Alemannisch, Fränkisch oder Bairisch. Regionale Schreibkonventionen bildeten sich erst allmählich heraus. Neben den Klöstern entwickelten sich auch die feudalen Höfe zu geistig-kulturellen Zentren. Die Entstehung von Universitäten, die aufkeimende Verwaltung und auch die sich elaborierenden juristischen und kaufmännischen Bereiche etablierten die deutsche Sprache.
„Die Schreibung des Deutschen hat sich in dieser Zeit kontinuierlich weiterentwickelt. Während für die althochdeutsche Periode die Entwicklung eines deutschen Graphemsystems das wichtigste Merkmal war, ist für das Mittelhochdeutsche die weitere Stabilisierung und Verbreitung derdeutschen Sprache kennzeichnend.“[4]
Die Zahl der Lese- und Schreibkundigen stieg an und es entfaltete sich eine neue Literatursprache, welche sich in vier bedeutende Varianten unterteilen lässt: die mittelniederländische Literatursprache („das Dietsch“), die mittelniederdeutsche Literatursprache, das „Meißnische Deutsch“ (Obersachsen) und das „Gemeyne Deutsch“ im bairisch-österreichischen Sprachraum. Begünstigt wurde diese Entwicklung durch die Erfindung des Buchdrucks von Johannes Gutenberg um 1450. Jenen Buchdruckern war daran gelegen, dass ihre Bücher im deutschen Sprachraum gelesen und verkauft würden und strebten daher eine einheitliche Orthographie und Grammatik an. Bücher wurden nun für einen Großteil der Bevölkerung erschwinglich, die Zahl der Publikationen vermehrte sich rapide. Bevölkerungsschichten die vorher nie Teil an Literatur und Sprache hatten, fanden so einen Zugang zum geschriebenen Wort.
Doch von einer einheitlichen Rechtschreibung war die deutsche Sprache noch weit entfernt. Man versuchte einheitliche Regelungen im Phonem-Graphem-System zu erzielen, jedoch war dies aufgrund der vielfältigen sprachlichen Varietäten und Mundarten nahezu unmöglich. Als Beispiele für die diversen Probleme wären hier die Buchstabenhäufung und die Kennzeichnung der Vokalquantität hervorzuheben. Jeder Autor löste diese Probleme (mit Verweis auf seinen dialektalen Hintergrund) auf seine eigene, ihm als richtige und einzige Lösung erscheinende Version. Doch das Interesse an einer einheitlichen Rechtschreibung war geweckt. Man begann die Muttersprache als Unterrichtssprache zu verwenden, versuchte die deutsche Sprache von unnötigen Fremdwörtern zu reinigen und erforschte Sprachgesetze. Die sich herausbildende Nationalliteratur (wie von Opitz oder Grimmelshausen, die Schule und auch die neu entstandenen Sprachgesellschaften verfolgten das Ziel einer einheitlichen literatursprachlichen Norm. Doch stellte man sich die Frage nach dem „wahren Hochdeutsch“. Erst schrittweise kristallisierte sich die Überzeugung heraus, dass eine regionale Variante allein nicht zu einer nationalen Literatursprache werden könne.[5]
Das bedeutendste Lehrwerk jenes Zeitraums, das den Titel „Vollständige Anweisung zur deutschen Orthographie, nebst einem kleinen Wörterbuche für die Aussprache, Orthographie, Biegung und Ableitung“ trägt, wurde von Johann Ch. Adelung am Ende des 18. Jahrhunderts verfasst. Jenes Werk, das sich schnell verbreitete und in kürzester Zeit seine Popularität um ein vielfaches steigern konnte, galt vielen Autoren und Verfassern als verbindlich und stellte das wichtigste Nachschlagewerk seiner Zeit dar.
1.2 Die Durchsetzung einer Einheitsorthographie
Die Fragen nach der „Richtigkeit“ und der Einheitlichkeit der Schreibung wurden immer lauter und dringlicher. Das 19. Jahrhundert stellt in der Herausbildung einer einheitlichen deutschen Orthographie eine besonders wichtige Etappe dar. Die Anstrengungen und Bemühungen um die Hervorbringung einer systematischen deutschen Rechtschreibung nahmen merklich zu. Die Einführung der allgemeinen Schulpflicht ermöglichte nun auch den bedürftigen unvermögenden Bevölkerungsschichten die Tür zu der geschriebenen Sprache. Eine allgemein-verbindliche Rechtschreibung lag jedoch noch nicht vor. Die Orthographie nach Adelung erreichte zwar eine einflussreiche Stellung, jedoch war die Zahl der Schwankungsfälle nicht begrenzt. Die Regeln waren nicht gleichmäßig auf alle Teilbereiche anwendbar und gaben keine Hinweise auf die Schreibung zahlreicher Einzelwörter. Vor allem im Rahmen der Phonem-Graphem-Beziehungen ergaben sich erhebliche Schwankungen, da die Aussprache nach wie vor ein essentieller Bezugspunkt war und die dialektalen Einflüsse die unterschiedlichen Schreibungen begünstigten. Beispiele für derartige Schwankungsfälle wären die graphische Kennzeichnung der langen Vokalphoneme: wol/wohl; Har/Haar oder die s -Schreibung wie beispielsweise bei Ereigniß/ Ereignis. Weitere Kontroversen wären Trennung der Wörter nach syllabischem und morphematischem Prinzip (Bsp.: ha-cken/hak-ken; Stä-dte/Städ-te), die Großschreibung von Substantiven bzw. substantivisch verwendeten anderen Wortarten (im Einzelnen/im einzelnen; Morgens/morgens) oder auch die Getrennt- und Zusammenschreibung (wieder sehen/ wiedersehen; statt finden/stattfinden). Allgemein bekannte Prinzipien wie die Schreibung nach Aussprache, die Schreibung nach Abstammung und die Schreibung nach Schreibgebrauch kursierten unter damaligen Sprachwissenschaftlern in jener Reihenfolge. Besonders die historische und phonetische Position führten zu Streitanlässen. Die historische Position, dessen berühmtester Vertreter Jacob Grimm war, setzte sich nicht zwingend die Kodifizierung der deutschen Orthographie zum Ziel, sondern vielmehr eine Orthographie,
„die sich durch Unabhängigkeit von der regional gefärbten Aussprache und durch Einfachheit auszeichnen sollte, nach einer Orthographie, die natürlichen Charakter trüge und nicht durch das normierende Eingreifen von Sprachwissenschaftlern geprägt sei.“[6]
Schreibungen, die sprachgeschichtlich nicht zu begründen waren, sollten abgeschafft werden, wie beispielsweise die Kennzeichnung der Vokallänge durch das Dehnungs-h (vgl.: Mühle) oder die Kennzeichnung durch die Verdopplung des Vokales (vgl.: Boot). Ferner war ein Anhänger der Substantivkleinschreibung und propagierte dies auch konsequent in seinen Werken. Die Kontrahenten (u.a. Rudolf von Raumer) vertraten die phonetische Position, die nach einer an der Aussprache orientierten Schreibung verlangte. Der zugehörige Grundsatz: „Bringe deine Schrift und deine Aussprache in Übereinstimmung!“ wurde von Raumer im Jahre 1863 aufgestellt. Dieser Kerngedanke erlangte schnell breiten Zuspruch, da er ein recht klares, fassbares und wissenschaftlich begründetes Kriterium für die Kodifizierung der Schreibung darstellte.[7] Aus diesem Grundgedanken entstanden jeweils eine gemäßigte und eine radiale Strömung. Die Vertreter des radikalen Ansatzes forderten, dass für jedes Phonem nur ein einziges Graphem verwendet werden sollte. So wäre ein gänzlich neuer, ausschließlich an der Lautung orientierter Schreibusus entstanden (z.B.: fi statt Vieh). Letztendlich trat jedoch der gemäßigte Usus seinen Siegeszug an, dessen berühmteste Vertreter u.a. Raumer, Wilmanns und Duden waren.
Das Jahr 1871 stellt einen Wendepunkt in der Entwicklung der Orthographie dar. Zunächst erfolgte die deutsche Reichsgründung, ferner erreichte die Pflicht des Schulbesuches nun auch entlegenste Gebiete und die Uneinheitlichkeit der Schreibung führte zu immer größer werdenden Problemen und Behinderungen im Schulalltag. Zudem war in der Diskussion mittlerweile ein Standpunkt erreicht, der nach praktikablen, durchsetzbaren Standards verlangte. Die „Verhandlungen der zur Herstellung größerer Einigung in der deutschen Rechtschreibung berufene Konferenz“, welche vom 4. bis 15. Januar 1876 andauerte ging als 1. Orthographische Konferenz in die Geschichte ein. Die Gesellschaft setze sich aus Vertretern der Schulbehörden, Druckereibesitzern, Verlegern, Buchhändlern und diversen Experten (u.a. Raumer und Duden) zusammen. Anlass für diesen Kongress war der Vorschlag eines Regelapparates nach Raumer, der insbesondere den Bereich der Phonem-Graphem-Zuordnungen zu reformieren gedachte. Er forderte eine Einschränkung im Gebrauch des <th> bei deutschen Wörtern: Teil, Tür statt Theil, Thür. Außerdem verlangte er die Ersetzung des <dt> durch <t> in tot und töten. Auch die partielle Ersetzung des <c> durch <k> in Fremdwörtern wie in Kasse oder Zentner (statt Casse, Centner) war eines seiner Anliegen.
Jedoch scheiterte die Konferenz, das Ergebnis blieb für alle Teilnehmer unbefriedigend. Die Orthographieregelungen erfolgten wieder auf Landesebene auf Initiative der jeweiligen Unterrichtsbehörden bzw. Kultusministerien.[8] Trotzdem hatten Duden und Wilmanns weiterhin entscheidenden Einfluss und Anteil an der Vereinheitlichung. Nach den von Wilmanns erarbeiteten preußischen Regeln entwickelte Duden 1880 sein „Vollständiges Orthographisches Wörterbuch der deutschen Sprache“. Somit fand die neue Rechtschreibung Eingang in die Schulen. Auf politischer Ebene aber wurde sie nicht umgesetzt. Reichskanzler von Bismarck mahnte die Behörden mit Strafandrohungen, falls sie die Regeln in ihrem Schriftverkehr anwandten. Im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts aber schmolz der Widerstand auf ein Minimum und der Weg zur Einheitlichkeit war geebnet. Vom 17. bis 19. Juni 1901 fand die 2. Orthographische Konferenz anlässlich der Erscheinung eines neu bearbeiteten Regelwerkes statt. Die Teilnehmer setzten sich die endgültige Lösung des Problems der Vereinheitlichung zum Ziel. Man einigte sich auf den generellen Wegfall der th-Schreibung im Deutschen, die Ersetzung von <c> durch <k> in assimilierten Fremdwörtern, die Durchsetzung der Trennung von tz, ck und pf und empfahl, in Zweifelsfällen nicht groß, sondern klein zu schreiben. Der einzigartige Durchbruch gelang mit dem aus der Konferenz im Jahre 1902 erschienenem Werk „Regeln für die deutsche Rechtschreibung nebst Wörterverzeichnis“. Im folgenden Jahr wurde das Regelwerk für Schulen und Behörden als verbindlich erklärt. Der Prozess der ersten staatlichen Vereinheitlichung der deutschen Orthographie war damit abgeschlossen.
1.3 Die Rolle des Dudens bei der Kodifizierung der deutschen Orthographie
Die erste Auflage von Dudens „Vollständige[m] orthographische[m] Wörterbuch der deutschen Sprache“ erschien im Jahre 1880 unter Verwendung und Einbezug der von Wilmanns erarbeiteten preußischen Schulorthographie und der bayerischen Schulorthographie von 1879. Dudens Anliegen war die weite Verbreitung seines Werkes, auch außerhalb von Schulgebäuden. Bis zum Jahr 1900 wurde der Duden fünf Mal überarbeitet, verbessert und erweitert. Die sechste Auflage umfasste 384 Druckseiten und stellte mit mehr als 32.000 Stichwörtern ein durchaus umfangreiches Werk dar. In Anbetracht der Ergebnisse der 2. Orthographischen Konferenz wurde der Duden erneut überarbeitet, jedoch konnte das Resultat nicht vollends überzeugen, da die Anzahl der graphischen Varianten erneut gestiegen ist. Besonders auffallend ist der Variantenreichtum bei der Schreibung von Wörtern von k für c, von z für c oder von sch für ch. Meist wurde den erst genannten Buchstaben der Vorrang gewährt. Häufig ließ man auch beide Varianten gelten, wie beispielsweise: Civilist und Zivilist oder Accent und Akzent. Vor allem in der Praxis erwies sich die fehlende Definierung bzw. Festlegung als äußerst nachteilig. „Setzer und Korrektoren in den Buchdruckereien gerieten wegen der Fülle der gleichberechtigt zugelassenen Doppelformen in größte Schwierigkeiten […]“[9] und so wandten sich drei Vertreter von Buchdruckereien an Duden, der ein neues Nachschlagewerk entwickeln solle, in dem man für die orthographischen Doppelformen eine einzige Lösung bzw. Schreibweise für verbindlich erklären sollte. Der sogenannte „Buchdruckerduden“ entstand. Die Dopplungsformen waren jedoch keineswegs vollständig beseitigt. Die Anzahl wurde lediglich minimiert. Bis zum Jahr 1910 war der Buchdruckerduden maßgeblich an der Vereinheitlichung der Rechtschreibung beteiligt. Danach vereinigte man den Buchdruckerduden mit dem orthographischen Wörterbuch zu einem einzelnen Werk. Diese neunte Auflage erschien erstmalig im Jahr 1915, vier Jahre nach Dudens Tod, unter dem Titel „Duden, Rechtschreibung der deutschen Sprache und der Fremdwörter“. Zum ersten Mal erschien Dudens Name im Titel, welcher damit zum Begriff wurde. Die aktuellste Auflage ist bereits die 25. und die Erfolgsgeschichte des Dudens scheint ungebrochen.
1.4 Die Rechtschreibreform von 1996 und deren Überarbeitungen der Jahre 2004 und 2006
Das Jahr 1977 stellt einen neuen Wendepunkt in der Historie der Orthographie dar. In Mannheim wurde die „Kommission für Rechtschreibfragen“ mit Sitz am Institut für deutsche Sprache (IDS) im selbigen Jahr gegründet. Diese Kommission führte diverse Tagungen mit dem Leitgedanken „Rechtschreibreform in der Diskussion“ durch. Ziel war es, ein Muster für eine neue amtliche Regelung zu erarbeiten. Daraufhin folgte im Jahr 1980 die Gründung des internationalen Arbeitskreises für Orthographie, ein Zusammenschluss von Germanisten aus der BRD, der DDR, der Schweiz und Österreich, der sechs Jahre später auch von politischer Seite unterstützt wurde. Die Verhandlungen über eine Neuregelung fanden in Wien in den Jahren 1986, 1990 und 1994 statt, die man gemein auch als 3. Orthographische Konferenz bezeichnet. Die Ziele der Reform wurden 1986 in dem ersten Wiener Gespräch wie folgt formuliert:
„Grundsätzliches Einvernehmen wurde darüber erzielt, die auf der Orthographischen Konferenz von 1901 in Berlin erreichte einheitliche Regelung der deutschen Rechtschreibung den heutigen Erfordernissen anzupassen. Insbesondere geht es darum, die in vielen Teilbereichen der Rechtschreibung im Laufe der Zeit kompliziert gewordenen Regeln zu vereinfachen.“[10]
Die Vorschläge des internationalen Arbeitskreises waren letztlich ausschlaggebend für die Einigung der Teilnehmer der Konferenz 1994. In einer Sonderausgabe der Zeitschrift des IDS, dem „Sprachreport“ wurden die Inhalte der Neuregelung als erstes publiziert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Im Juni 1995 folgte dann die vollständige Veröffentlichung im Tübinger Narr-Verlag unter dem Titel „Deutsche Rechtschreibung – Regeln und Wörterverzeichnis. Vorlage für die amtliche Regelung“. Breite Zustimmung fand das neue Modell der Rechtschreibung in der Schweiz und in Österreich, jedoch äußerte man von deutscher Seite Bedenken. Die Konsequenz daraus war eine Revision des Reformpaketes. Eine Vielzahl eingedeutschter Sprachvarianten wie z.B. Rytmus oder Katastrofe mussten entfernt werden. Auch Schreibungen wie z.B. Packet, Karrosse oder Zigarrette wurden beseitigt. Schließlich stimmte die Kultusministerkonferenz der Neuregelung am ersten Dezember des Jahres 1995 zu, mit dem Dekret diese am ersten August 1998 einzuführen. Man einigte sich weiterhin auf eine Übergangszeit, in der die bisher geltenden Schreibungen nicht als falsch gewertet werden dürfen. Diese Übergangszeit war bis zum 30. Juli 2005 vorgesehen. Der Kommission für Rechtschreibung oblagen die Überwachung der Einführung und die eventuell erforderliche Anpassung der neuen Orthographie. Zum ersten Mal in der Geschichte der Rechtschreibung bedachte man alle Teilbereiche der Orthographie, darunter auch die Getrennt- und Zusammenschreibung oder auch die Zeichensetzung.
Im Schuljahr 1996/1997 ordneten bereits zehn der sechzehn Bundesländer Deutschlands die Neuregelung in den Schulen an, sodass die Schreibanfänger direkt den Umgang mit den neuen Formen erlernen konnten. Doch erneut entwickelte sich der Protest um die Reform. Den Anstoß gab der Weilheimer Studiendirektor Friedrich Denk auf der Frankfurter Buchmesse. Dort führte er im Oktober 1996 eine Unterschriftensammlung durch, bei der auch populäre Schriftsteller wie Günter Grass, Siegfried Lenz oder auch Martin Walser unterzeichneten. Die Kultusminister relegierten diese Kampagne und betonten die Überflüssigkeit dieser Diskussion. Jene Diskussion intensivierte sich rapide: Eltern beharrten darauf, dass man ihren Kinder die alte Rechtschreibung beibrächte, Gegner der Reform nutzten gar den Begriff „verfassungswidrig“. Trotz der Bemühungen der Gegenseite trat die Reform planmäßig am 1. August 1998 in Kraft. Der Rechtschreibunterricht in den Schulen folgte der Neuregelung, die Behörden formulierten ihre Texte mittels der neuen Rechtschreibung, Kinder- und Jugendbücher wurden neu gedruckt und unzählige Schulbücher wurden neu verlegt. Erneute Missbilligung erfuhr die Reform durch die Umstellung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung auf die alte Rechtschreibung zum 01. August 2000.
Obgleich des Einsatzes der gesamten Klaviatur des Protestes gelang es der neuen Rechtschreibung sich durchzusetzen.
Im Jahr 2004 erkannte die Kommission für Rechtschreibung, der die Überwachung der Neuregelung oblag, den Modifizierungsbedarf einiger Regeln. Beispielsweise werden bei Zusammensetzungen drei gleiche Konsonanten auch dann geschrieben, wenn ein Vokal folgt. Etwa wie bei „ Schiff “ und „ fahrt “, was dann in Konsequenz „ Schifffahrt “[11] ergibt. Bezeichnungen von Tageszeiten nach Adverbien wie „ heute Abend “ „ morgen Mittag “[12] werden nun groß geschrieben. Am 28. August 2004 erschien die 23. Auflage des Dudens.
„Am 17. Dezember konstituiert sich der ‚Rat für deutsche Rechtschreibung‘. Das neue Gremium wurde als Reaktion auf die anhaltende Kritik an der Rechtschreibreform ins Leben gerufen und von den Kultusministern der Länder in Abstimmung mit den zuständigen staatlichen Stellen in Österreich und in der Schweiz beschlossen.“[13]
Im Februar 2006 legt der Rat für deutsche Rechtschreibung weitere Änderungsvorschläge vor. Die betroffenen Teilgebiete umfassen die Getrennt- und Zusammenschreibung, die Groß- und Kleinschreibung, die Zeichensetzung sowie die Worttrennung am Zeilenende. Die Entwürfe wurden von der Kultusministerkonferenz und den Kultusministern abgesegnet und traten am 01. August 2006 in Kraft. Die Modifikation soll die Unterrichtsgrundlage in den Schulen bilden und nach einjähriger Übergangsphase allen verbindlich sein. Die Neuregelung wird auch weiterhin vom Rat für Rechtschreibung überwacht und bei Bedarf in notwendigem Umfang erweitert.
2. Der Aufbau der deutschen Rechtschreibung
2.1 Das Verhältnis gesprochener und geschriebener Sprache
In der aktuellen Rechtschreibdiskussion spielt die gesprochene Sprache eine maßgebliche Rolle. „Sieht man die Forschungsliteratur durch, findet man in der Tat zahlreiche Hinweise darauf, dass ‚zwischen den Voraussetzungen für das geschriebene Wort und denen für das gesprochene Wort tiefgreifende Unterschiede bestehen‘ (Behagel 1927:13)“[14]. Utz Maas kommt zu dem Schluss, dass je orthographisch korrekter die Niederschrift ist, desto weniger könne man sie als Wiedergabe gesprochener Sprache betrachten.[15] Texte werden also so fixiert, dass sie erlesen bzw. verstanden werden können. Regionale Variationen oder auch Gesprächspartikel wie beispielsweise Füllwörter, Onomatopoetika und Interjektionen entfallen bei der schriftlichen Transkription, um ein Verständnis zu gewährleisten. Das Schreiben erfolgt für einen Rezipienten, also in der Regel für eine andere Person. Daher ist es von essentieller Bedeutung, dass die Schreibsysteme in gewisse Konventionen eingebettet werden. Die Orientierung von Leser und Schreiber ist durch vorgegebene kulturelle Modelle gewährleistet, welche die Texte lesbar machen. Somit ist in jeder Schreibweise das Zeichen oder das Signum eines bestimmten kulturellen bzw. sozialen Kollektivs vermerkt.
Ferner erklärt Maas, dass innerhalb grammatischer Strukturen geschrieben wird. Mit Hilfe eines Zwischenraumes, Spatium genannt, werden Äußerungen in Wörter gegliedert. Bei der oralen Kommunikation, also beim Sprechen und beim Hören, bestehen nach Maas nur Lautfolgen und deren zugehörige Pausen. Man hört die Wörter nicht, „eine Gliederung in Wörter fehlt bei einer rein instrumentellen phonetischen Umschrift.“[16] Im Gegensatz dazu produziert der Schreiber selbst die Gliederung seines Textes. Die Wörter sind durch diverse Grenzmarkierungen fixiert. Dies betrifft den Bereich des Wortanfangs, wo man sich zwischen Groß- und Kleinbuchstaben entscheiden muss, sowie das Wortende.
Nach Reinhard Fiehler existieren „die“ gesprochene und „die“ geschriebene Sprache nicht. Jedes Sprechen und Schreiben geschieht in kommunikativen Praktiken und ist deren Bestandteil.[17] Nachfolgend werden die als prototypisch angesehenen Merkmale geschriebener und gesprochener Sprache erfasst. Diese typisierende Gegenüberstellung eignet sich optimal, um die grundlegenden Unterschiede zwischen den beiden Darstellungsformen von Sprache hervorzuheben.
Gemäß Christa Dürscheid (In: Einführung in die Schriftlinguistik. Wiesbaden 2002. S. 29):
1. Die gesprochene Sprache ist flüchtig, die geschriebene ist dauerhaft. Geschriebenes kann archiviert werden, es ist immer wieder in derselben Form rückholbar. Dies gilt für mündliche Äußerungen nicht.
2. Gesprochene Sprache unterliegt den Bedingungen von Zeit und Raum. Geschriebene Sprache ist nicht an eine gemeinsame Äußerungssituation gebunden.
3. Kommunikation in gesprochener Sprache verläuft synchron, in geschriebener Sprache asynchron. Produktion und Rezeption der Äußerung sind im Geschriebenen zeitlich entkoppelt. Der Leser hat – anders als der Hörer – nicht die Möglichkeit zu intervenieren.
4. In der gesprochenen Sprache werden deiktische Ausdrücke verwendet, die unmittelbar auf die Äußerungssituation Bezug nehmen. Im Geschriebenen wird auf diese weitgehend verzichtet, da der Wahrnehmungsraum von Sender und Empfänger nicht deckungsgleich ist. Dies macht eine präzisere, explizite Ausdrucksweise erforderlich.
5. Die gesprochene Sprache tritt im Verbund mit weiteren Informationsträgern auf (Intonation, Mimik, Gestik), die geschriebene muss ohne diese auskommen.
6. Die gesprochene Sprache ist phylogenetisch und ontogenetisch primär, die geschriebene Sprache sekundär.
7. Die gesprochene Sprache ist nicht an ein Werkzeug gebunden, die geschriebene Sprache benötigt ein Hilfsmittel (Schreibzeug, Schreibfläche).
8. Äußerungen in gesprochener Sprache sind häufig gekennzeichnet durch einen fehlerhaften Satzbau, Flexionsbrüche, Dialektismen, umgangssprachliche Ausdrücke, Ellipsen, Selbstkorrekturen, Gesprächspartikeln. In den Texten der geschriebenen Sprache finden sich solche Ausdrucksmittel in der Regel nicht.
9. Die gesprochene Sprache stellt ein Lautkontinuum dar, sie erstreckt sich in der Zeit. Die geschriebene Sprache enthält diskrete Einheiten. Diese haben eine räumliche Ausdehnung.
10. Die gesprochene Sprache ist dialogisch, die geschriebene ist monologisch ausgerichtet.
Aus den bisherigen Darlegungen lässt sich daher festlegen: es existieren systematische Unterschiede in gesprochener und geschriebener Sprache, aber es gibt auch signifikante Gemeinsamkeiten. Die geschriebene Sprache fungiert in erster Linie als Mittel indirekter Kommunikation, während die gesprochene Sprache das Mittel der direkten Kommunikation darstellt. Es geht hervor, „[…]dass wir gesprochene und geschriebene Sprache im Hinblick auf die deutsche Sprache der Gegenwart als zwei nebeneinander stehende, funktional und strukturell spezifische Existenzweisen der Literatursprache ansehen, die eine gewissermaßen komplementäre Distribution in der gesellschaftlichen Kommunikation besitzen.“[18]
Überdies bestehen zwei konträre Auffassungen bezüglich des Verhältnisses von geschriebener und gesprochener Sprache. Man unterscheidet zwischen der Dependenz- und der Autonomiehypothese.
Die Dependenzhypothese thematisiert die Abhängigkeit der geschriebenen Sprache von der gesprochenen. Sie stützt sich unter anderem auf die an Ferdinand de Saussure angelehnte Überschrift „Die Schrift als sekundäres Zeichensystem“. Zunächst setze die Schrift nur Schallereignisse in Buchstaben um. „Ausgangspunkt ist hier die Annahme, dass die Graphemebene der Phonemebene nachgeordnet ist.“[19] Außerdem wird die Schrift phylo- und ontogenetisch später erworben als die Sprache. Die Schrift ist nicht naturgegeben. Auch wäre die Schrift ohne die Sprache nicht existent. Darüber hinaus wird Schrift wesentlich seltener benutzt als gesprochene Sprache.[20]
Im Kontrast dazu steht die Autonomiehypothese, welche sich dafür einsetzt, die Schrift als eigenen Forschungsgegenstand zu betrachten. Die Schrift wird als eigenständige Realisationsform von Sprache betrachtet. Schrift besteht aus diskreten Einheiten (im Gegensatz zum Lautkontinuum der gesprochenen Sprache). Beim Sprechen wird in der Regel kein Bezug auf das Schriftbild genommen. Außerdem ermöglicht die Schrift eine Art Distanz zu dem Untersuchungsgegenstand Sprache. Ebenso konserviert sie Gesprochenes für die Nachwelt. Des Weiteren hat die Schrift optisch-visuelle Eigenschaften, die auf die Sprache rückwirken.[21]
Die angeführten Argumente der Dependenz- und Autonomiehypothese sind nicht gänzlich unvereinbar. Die Perspektive und das Untersuchungsziel sind entscheidend für die Wahl einer Position.Abschließend formuliert Ulrich Knoop treffend: „Ihre Selbstläufigkeit und Objektiviertheit macht die geschriebene Sprache zur Sprache der Moderne, deren Regularitäten auch beim Sprechen angestrebt werden.“[22] Die Einheitlichkeit der geschriebenen Sprache ist das angestrebte Ziel der gesprochenen Sprache. Die allgemeine Verständigung in einer angemessenen Sprache, frei von regionalen Variationen oder Identifikationsmerkmalen der Schichtzugehörigkeit gilt es zu erreichen.
2.2 Linguistische Grundlagen des deutschen Schriftsystems
2.2.1 Generelle Anmerkungen
Die Grundlage der deutschen Orthographie ist die lateinische Schrift, welche sich in Westeuropa mit dem Römischen Reich und der daraus folgenden Christianisierung ausdehnte.
„Das Schriftsystem des Deutschen ist in seiner heutigen Form seit der Mitte des 18. Jahrhunderts stabil.“[23] Der deutsche Sprachraum kann als weitestgehend vereinheitlicht betrachtet werden.
Man unterscheidet zwei übergeordnete Regularitäten des deutschen Schriftsystems. Einerseits wortbezogene Regularitäten, andererseits satzbezogene Regularitäten. Wortbezogene Regularitäten umfassen die Bereiche der Graphemkombinatorik, der Silbentrennung, der Getrennt- und Zusammenschreibung sowie der Groß- und Kleinschreibung. Satzbezogene Regularitäten umfassen hauptsächlich den Komplex der Interpunktion. Linguistische Analysen zeigten dabei, dass der Schreibusus des Deutschen übermäßig grammatikalisiert ist.
„Bei der Interpunktion trifft dies vor allem bei der Kommasetzung zu, die weitestgehend syntaktisch geregelt ist […]. Die Silbentrennung beruht auf silbenstrukturellen Faktoren einerseits und morphologischen andererseits […]. Bei der Getrennt/Zusammenschreibung geht es um Idiomatisierung (Lexikalisierung) komplexer Wörter, sowie um sekundäre Wortbildungsmechanismen wie die sog. Univerbierung […].“[24]
Charakteristisch für das deutsche Schriftsystem ist die Großschreibung von Nomen.
Den strukturellen Rahmen der Wortschreibung bildet das Phonem-Graphem-Bezugssystem. Silbenstrukturelle Bezüge sind jenem übergeordnet. „Ihre Funktion ist vornehmlich die Herstellung konstanter und quantitativ ausgeglichener segmentaler Einheiten im Umfang von Silben […].“[25]
Das morphematische Prinzip ist nun wiederum diesem vorhergenannten Prinzip übergeordnet. Es werden immer wieder Versuche unternommen es konsequent durchzusetzen. Vor allem im Zuge der Rechtschreibreform im Jahre 2006 berücksichtigte man es stärker als die anderen bekannten Prinzipien. Das morphematische Prinzip erteilt dem deutschen eine starke logographische Komponente. Die Fremdwortschreibung im Deutschen erfolgt aus einer Synthese von „Fremdschreibung und Assimilation über die sog. Leseaussprache […].“[26] Meist werden Fremdwörter aus dem Englischen oder Französischen entlehnt.
[...]
[1] Materne, Nikola: http://www.starke-eltern.de/htm/archiv/artikel/07_2006/Dialekt_im_Unterricht.htm (10.11.2011)
[2] Nerius, Dieter: Deutsche Orthographie. Leipzig 1987. S. 222.
[3] Ebd. S. 223.
[4] Nerius, Dieter: Deutsche Orthographie. Leipzig 1987. S. 225.
[5] Ebd. S. 235.
[6] Nerius, Dieter: Deutsche Orthographie. Leipzig 1987. S. 242.
[7] Vgl.: Nerius, Dieter: Deutsche Orthographie. Leipzig 1987. S. 244.
[8] Vgl.: Ebd. S. 249.
[9] Nerius, Dieter: Deutsche Orthographie. Leipzig 1987. S. 255.
[10] Poschenrieder, Thorwald; Stang, Christian: Deutsche Rechtschreibung. Vorschläge zu ihrer Neuregelung. Herausgegeben vom Internationalen Arbeitskreis für Orthographie. Tübingen 1992. S. 9.
[11] Dr. Güthert, Kerstin: http://www.ids-mannheim.de/service/reform/ (28.10.2011)
[12] A.a.O.
[13] http://www.duden.de/ueber_duden/geschichte-der-rechtschreibung (28.10.2011)
[14] Dürscheid, Christa: Einführung in die Schriftlinguistik. Wiesbaden 2002. S. 26.
[15] Maas, Utz: Grundzüge der deutschen Orthographie. In: Henne, Helmut; Sitta, Horst; Wiegand, Herbert Ernst: Reihe Germanistische Linguistik. Tübingen 1992. S. 6.
[16] Ebd. S.7.
[17] Dürscheid, Christa: Einführung in die Schriftlinguistik. Wiesbaden 2002. S. 27.
[18] Nerius, Dieter:Deutsche Orthographie. Leipzig 1987. S. 22.
[19] Dürscheid, Christa: Einführung in die Schriftlinguistik. Wiesbaden 2002. S. 39.
[20] Vgl.: A.a.O.
[21] Vgl.:Ebd. S. 42.
[22] Knoop, Ulrich: http://www.reference-global.com/doi/abs/10.1515/9783111377087.217 (09.11.2011)
[23] Eisenberg, Peter: Das deutsche Schriftsystem. In: Günther, Hartmut; Ludwig, Otto (Hrsg.): Schrift und Schriftlichkeit. Walter de Gruyter Berlin. New York 1996. S. 1451.
[24] A.a.O.
[25] A.a.O.
[26] A.a.O.