Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Musik als Befreiungsschlag
3 Entstehung des Punkrocks und sein politisches Potenzial
3.1 Anarchismus und die Ablehnung kommerzieller Strukturen
3.2 Antirassismus
4 Adaption des Punks in Südafrika
4.1 Punk als Kultur der Weißen
4.2 Frauen im südafrikanischen Punk
5 Aufstieg des politischen Punks in Südafrika
5.1 Der südafrikanische Hardcore Punk
5.2 Solidarität aus dem Ausland
5.3 Punkrock als Sprachrohr - Aufklärung und Mobilisierung der Bevölkerung
5.4 Multikulturalität im südafrikanischen Punk
5.5 Grenzen des Punks
5.6 Punk in der Apartheid - ein Fazit
6 Punk nach Ende der Apartheid
6.1 Politischer Anspruch im Post-Apartheid-Punk
6.2 Die Zukunft des südafrikanischen Punks - ein weiteres Fazit
7 Anhang
7.1 Songtext Powerage “Adapt or Die!“
7.2 Cover der Powerage-EP “Protest to Survive”
7.3 Songtext Nina Hagen “Südafrika, das Nazinest”
7.4 Songtext Hog Hoggidy Hog “African Son”
7.5 Songtext ZSK “This is our Answer”
8 Verzeichnis der verwendeten Literatur
1 Einleitung
Afrika, ein Ort der vielen Kulturen, Sprachen und Ethnien, der unendlichen Weiten und atemberaubenden Fauna - ein Schauplatz für Krieg, Gewalt, Unterdrückung, Armut, Kinderarbeit, Hunger und Tod - der Kontinent der Gegensätze - „Schrecklich schönes Afrika“!1
Die dunkle Seite Afrikas scheint auch heute noch die viel vorhandenen positiven Facetten des Kontinents zu überschatten. Berichte handeln meist von Elend und werden durch schreckliche Bilder unterstützt. Positives findet nur selten Platz in der Medienlandschaft. Entsprechend sind viele gute und chancenreiche Aspekte unterrepräsentiert und finden kaum externe Unterstützung. Vieles was in Afrika passiert, gelangt nicht über seine Grenzen hinaus - häufig nicht einmal über Landes- oder Provinzgrenzen.
So ergeht es auch einer selten mit Afrika assoziierten Musikkultur - dem Punk. Häufig als westliche Rüpelkultur verschrien, kommt es den meisten Menschen nicht in den Sinn, diese mit dem schwarzen Kontinent in Verbindung zu bringen. Durch die selten hinterfragten, medial vermittelten Werte, welche häufig ein verfremdetes Bild transportieren, ist vielen die Intention dieser Musikkultur nicht bekannt. Vor allem in einem Land wie Südafrika, in dem Jahrzehnte lang Angst, Schrecken und Hass geschürt wurden, ist für viele Menschen eine solche Kultur undenkbar.
Doch das Land in dem während der Apartheid Rassentrennung, Unterdrückung, Kontrolle, Unmenschlichkeit und Kaltblütigkeit vorherrschten, und die Musikkultur, die aus einem Kontext, der durch Unzufriedenheit, Ungerechtigkeit, Ungleichheit und Perspektivlosigkeit geprägt war, stammt, bilden nahezu füreinander bzw. buchstäblich gegeneinander geschaffene Gegenpole. Punk versus Apartheid - ein Kampf wie David gegen Goliath, in dem der Punk durch seine geringe Präsenz nahezu chancenlos erschien - und dennoch gewann er, wenn auch nicht allein, dieses Gefecht.
Im Folgenden möchte ich die Entwicklung des südafrikanischen Punkrock aufzeigen. Beginnen möchte ich mit einer Hinführung zum Spirit des Punks. Anschließend soll die Verbreitung des Punks in Südafrika beschrieben, sein politisches Rebellionspotenzial in Bezug auf die Apartheid untersucht und seine durch das Regime auferlegten Grenzen aufgezeigt werden. Dabei soll vor allem auf die spezifischen, den südafrikanischen Kontext betreffenden Aspekte, wie Rassentrennung und Rassismus, zunehmende Unterdrückung und Gewalt seitens des Regimes und staatliche Kontrolle und Zensur eingegangen werden. Hierbei soll der Punk sowohl als Musik- als auch als Gegenkultur betrachtet werden. Zu klären ist die Frage, ob der Punk, durch seine politische, systemkritische Haltung eine Pionierstellung im Kampf gegen das repressive Apartheid-Regime einnahm und zwischen den bis dato separierten Kulturen vermittelte.
Schlussendlich möchte ich den Punk auch nach Ende der Apartheid betrachten und herausstellen, ob er noch einen politischen Anspruch hegt, wie groß dieser ist und welche Bereiche er thematisiert. Ich möchte außerdem kurz darauf eingehen, wie sich die Musiklandschaft im Allgemeinen und der Punk im Speziellen durch den neuerlichen Kontakt lange Zeit separierter Kulturen verändert hat.
Außerdem möchte ich im Anschluss einen Ausblick auf die mögliche Zukunft des südafrikanischen Punks geben, konstruktive Kritik an seiner Praxis äußern und mögliche, bisher nicht genutzte Chancen aufzeigen.
2 Musik als Befreiungsschlag
Populäre Musik sei immer politisch und habe einen, allerdings subjektiven, Einfluss auf die Gesellschaft, vor allem auf die Jugend. Jedoch müsse diese politische Seite der Musik erst erkannt werden, um sie nutzbar zu machen. Aggressivität, Gewalt, aber auch mangelnde Solidarität und die Augen verschließende Passivität rühren nicht unbedingt aus grundsätzlichem Hass gegenüber „des Anderen“, sondern aus Identitätskrisen und sozialen und kulturellen Problemen. (Wicke 1992) Wer in einem aus Ohnmacht und Benachteiligung resultierenden Umfeld aus Hass, Gewalt und Aggressivität sozialisiert wurde, braucht zumeist eine helfende Hand, um sich aus dieser scheinbar ausweglosen Situation zu befreien. Oftmals reicht die Musik einem diese Hand und hilft bei der Bildung einer eigenen, selbstentwickelten Identität.
In der ganzen Welt gab und gibt es immer noch viele Menschen, die ihre Identität in rassistisch geprägten Kreisen suchen. Andererseits wird ihnen jedoch vielerorts, teils durch den Staat entfacht oder zumindest geduldet, eine konstruierte Identität auferlegt, der sie sich so einfach nicht entledigen können. Um dieser Krise zu entfliehen bedarf es Unterstützung, Aufklärung, Gemeinschaft und Mut. Wo Worte eines einzelnen nicht fruchten, müssen Kulturen her, die von Grund auf weltoffene, menschenfreundliche und friedliche Werte vertreten. Um möglichst viele Menschen zu erreichen und zum Umdenken zu bewegen, bedarf es jedoch meist lauter, teils radikaler Mittel. Erinnert sei hier beispielsweise an die Hippie-Kultur der 60er Jahre und das Woodstock-Festival. „ It was, depending on one's point of view, four days of generosity, peace, great music, liberation, and expanding consciousness: or four days of self-indulgence, noise promiscuitv, end illegal drug use. ” (Law o.A.) Auch der im Folgenden thematisierte Punkrock trägt ein solches politisches, rebellisches und Veränderung forderndes Potenzial in sich.
3 Entstehung des Punkrocks und sein politisches Potenzial
Die Punkbewegung als Subkultur entstand Mitte der 1970er Jahre in Großbritannien2 als „musikalischer Ausdruck der Verweigerung und der Rebellion großer Teile der Jugend“. (Sterneck 1998: 207) Aufgrund zahlreicher sozialer Probleme in der Gesellschaft, wie der steigenden Arbeitslosigkeit, wenig Perspektiven, dem sozialen Abstieg bis hin zum Existenzminimum und der mangelnden freien Entfaltung und Meinungsäußerung, verlangten vielerorts Jugendliche und junge Erwachsene nach besseren Verhältnissen und Chancen in der Gesellschaft. (O’Hara 2001: 29) Die junge Gesellschaft setzte sich jedoch auch mit den Problemen anderer auseinander. Das in anderen Teilen der Welt weit verbreitete Elend beschäftigte sie ebenso. Jegliche Kriegszustände wurden kritisiert und abgelehnt. So stellten sie sich gegen autoritäre und rückständige Strukturen in allen Bereichen der Gesellschaft. (Sterneck 1998: 245) Vor allem das Establishment, also die gesellschaftliche und politische Oberschicht, war ihnen ein Dorn im Auge, denn sie war es, die in den Augen der sozial schlechter gestellten Jugend für die zahlreichen Probleme verantwortlich war. (Basson 2007: 20)
Da ihren stillen Forderungen als Einzelperson jedoch niemand nachkam, entdeckten sie, dass vor allem Musik das Potenzial bot, sich eine lautere Stimme zu verleihen, andere Menschen aufzuklären und bestehende Verhältnisse zu kritisieren. So begannen viele junge Menschen sich in Bands zu organisieren oder bestehenden Bands beizutreten. So wurden die teilweise ohnehin schon brutal, hart und aggressiv wirkenden, schnellen Rhythmen, die die jungen Musiker hervorbrachten, noch brachialer. Hinzu kamen vermehrt offensichtlich politische und gesellschaftskritische Songtexte, die durch einen zumeist rauen Gesang, unterstützt durch intensive Schreie, artikuliert wurden. (Basson 2007: 20) So nutzten die neuerlichen Punkbands, wie z.B. The Clash, die Musik nun, um sowohl verbal als auch musikalisch ihren Unmut kund zu tun und Alternativen aufzuzeigen. Besondere musikalische Fähigkeiten schienen dabei im Punk nicht zwingend erforderlich. Es ging eher darum, die Gefühle aus dem Inneren nach außen zu kehren. Dazu reichte es, amateurhaft musizieren zu können. Entsprechend fanden viele junge Menschen Zugang zum Punk - sowohl als Musiker als auch als Rezipienten und Unterstützer. (Sterneck 1998: 207) Der Punk wurde so zur Musik der entrechteten Jugend und übernahm eine wichtige Rolle in deren Sozialisation. So diente den Punks die Musik außerdem zumeist als eine Art Flucht aus dem tristen Alltag, mit der sie in gewisser Weise durch das Gemeinschaftsgefühl auch Spaß und Freude verbinden konnten. (van der Meulen: 64) Dieses positive Gefühl bestärkte sie wiederum in ihrem Vorhaben, die Gesellschaft, in der sie lebten, zu revolutionieren.
Zunehmend griffen sie ihre selbstauferlegte, und teilweise auch durch kommerzielle Bands wie die Sex Pistols fremdbestimmte, Rolle als „Abschaum der Gesellschaft“ auf. Sie kreierten provokative Schockmomente, um aus den untersten Schichten in den Mittelpunkt der Gesellschaft zu treten und stärkten damit ihr Selbstbewusstsein. (Sterneck 1998: 207) Vermehrt empörten sich andere Menschen über das in Großbritannien in Punkkreisen vorherrschende, oft rüpelhafte Benehmen. Dieser Aufschrei in der Gesellschaft brachte den Punks jedoch zunehmend Aufmerksamkeit. Diese nutzten sie, um die Menschen offen dazu aufzufordern, ihre Scheuklappen abzulegen und bewusst wahrzunehmen, was vor ihren Augen passierte. Somit hatten sie den Anspruch, das Bewusstsein der gesamten Bevölkerung nachhaltig zu ändern, die Passivität der Menschen in bewusste Aktivität umzuwandeln und eine Massenprotestbewegung einzuleiten. (Sterneck 1998: 208) Diesem musikalischen Massenaufstand schlossen sich bereits in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre allein in Großbritannien ca. 15.000 Bands an. Auch in zahlreichen anderen Ländern, wie z.B. den USA, fand der neue politische Punkrock zunehmend Anhänger. (Basson 2007: 20) Regional befasste er sich auch mit verschiedenen aktuellen Problemen unterschiedlichster Gesellschaftsbereiche.
Die Staatsgewalt versuchte der Flut an aufschreienden Punks bald mittels Auftrittsverboten, willkürlichen Verhaftungen und Zensur der Musik und Texte Herr zu werden. Doch gerade solche Maßnahmen unterstützen die Aufmerksamkeit des Punks noch zusätzlich. Auch die Medien und die Musikindustrie interessierten sich vermehrt für das, was dort in den Straßen der großen Städte geschah und versuchten den Punk für sich zu vereinnahmen. (O’Hara 2001: 33 und 43) Viel zu häufig gelang es ihnen auch und so verformten sie Bands, um sie möglichst profitabel zu vermarkten, nahmen ihnen dabei jedoch meist ihren politischen Anspruch. Da viele Punks sich dennoch weiterhin auf die ursprünglichen Werte und Intentionen der Bewegung, wie Rebellion, Nonkonformismus und Unabhängigkeit besannen und eine Kommerzialisierung ihrer Musik, und den damit einhergehenden exzessiven Lebensstil, strikt ablehnten, entwickelten sich nach und nach verschiedene unabhängige Punkszenen, wie z.B. der Anarcho-, Oi- und Hardcore-Punk.
Einhergehend mit dieser Diversität befasste sich der Punk zunehmend mit vielen verschiedenen politischen und sozialen Themen. Hierzu zählen z.B. religiöse Inhalte. Auch anti-kapitalistische Bewegungen und Anti- Kriegskampagnen wurden initiiert. Außerdem wandten sich viele Menschen, auch im Punk, ökologischen und menschenrechtlichen Fragen zu und unterstützten z.B. NGOs, wie Greenpeace und Amnesty International, tatkräftig bei deren Arbeit. (Pather 2000: 36; Basson 2007: 24) Ebenso wurden im Punk auch sexistische Grenzen aufgebrochen. Nonkonformismus und Regierungskritik, bis hin zum Anarchismus und anti-rassistische Bewegungen, standen und stehen jedoch ganz oben auf der Liste der Punkkultur. Auf diese
3 beiden Aspekte soll im Folgenden näher eingegangen werden.
3.1 Anarchismus und die Ablehnung kommerzieller Strukturen
„ Punks huldigen dem Anarchismus als Alternative zu den existierenden Systemen und zu den fortw ä hrenden, bislang auf jede Revolution gefolgten Zyklen der Unterdrückung. Eine Regierung (und allgemein eine Hierarchie) unterdrückt und beutet die von ihr regierte und beeinflusste Bevölkerung aus. “ (O’Hara 2001: 71)
Jedes System, welches auf der Herrschaft von Menschen über Menschen oder Hierarchien beruht, ermöglicht auch eine Unterdrückung. Anarchismus bezieht sich auf den Zustand der Herrschaftslosigkeit und auf eine entsprechend auf freien Vereinbarungen basierende Gesellschaft. Er plädiert also für individuelle Selbstbestimmung und Verantwortung. Somit richtet sich der Anarchismus nicht nur darauf aus, eine bestehende Herrschaft zu stürzen, sondern auch die Entstehung einer neuen Herrschaftsform zu verhindern. Somit ist also auch eine nach heutigen Vorstellungen parlamentarisch-demokratische Regierung in den Augen der Anarchisten nicht akzeptabel. (O’Hara 2001: 72)
Bereits in seinen Ursprüngen griffen viele Anhänger des Punkrocks diese Ideen auf und verbreiteten sie vor allem mit Hilfe ihrer Musik und Texte, in Zines3 und bei Konzerten und Demonstrationen. Die anarchistische Prägung des Punks wurde vor allem darin deutlich, dass zunehmend bestehende Regierungen abgelehnt und deren Abschaffung gefordert wurden. Vor allem totalitäre Regimes wurden verachtet. Wachsende soziale Ungerechtigkeiten, Diskriminierungen und ungerechtfertigte Einschränkungen der persönlichen Freiheit und Verantwortung, trieben die Punks dazu, nach einer anarchistischen Gesellschaft zu verlangen. (O’Hara 2001: 69 und 71)
Obwohl die anarchistische Grundeinstellung im Punk generell sehr weit verbreitet war, entwickelte sich die explizit anarchistisch geprägte Anarcho-Punk-Szene. Anarcho-Punks plädieren für die Ablehnung jeglicher Regierungsformen. (Basson 2007: 28) Außerdem wenden sie sich bewusst von der kommerzialisierten Welt und dem Kapitalismus ab. Entsprechend riefen sie das Do-it-yourself-Prinzip (DIY) ins Leben. Dieses Prinzip basiert auf dem Grundgedanken, die ständige Fremdbestimmung in jeglichen Lebensbereichen abzuschütteln und ein selbstständig denkendes und agierendes Wesen zu werden. (O’Hara 2001: 69) Auch die unterdrückte Kreativität wieder freizusetzen und die Musik für sich und andere nutzbar zu machen - sei es für persönliche, gesellschaftliche oder politische Themen - ist im DIY-Prinzip verankert. Inhalte waren im ursprünglichen Old School Punk4 und im Anarcho-Punk sehr wichtig. Zunehmend wurden die ganze Welt betreffende Angelegenheiten thematisiert. Ein wichtiger Anknüpfungspunkt ist auch die Gleichwertigkeit Aller und somit die Offenheit gegenüber anderen Ethnien, Geschlechtern und Meinungen - das sogenannte Open-Mindness-Prinzip. (Mulder 2010: 15) So wird im Punk Jedem das Erlernen und Spielen eines Instruments und das Schreiben und Veröffentlichen eines Songtextes ermöglicht. Folglich entwickelte sich eine unabhängige Kultur, die nach ihren eigenen Gesetzen handelte, lebte und eine eigene Welt mit eigenen kleinen Musiklabels und Zines schuf. Diese Welt war also nicht kommerziell getrieben, sondern legte Wert darauf, eine Gemeinschaft zu schaffen, in der jeder jedem zur Seite steht und gemeinsam für Rechte, Freiheiten und vor allem für den Frieden gekämpft wird. (Sterneck 1998: 208)
3.2 Antirassismus
Anknüpfend an dieses Streben nach der Gleichwertigkeit Aller, steht der Punkrock zumeist, auch wenn er in seinen Ursprüngen fast ausschließlich eine Musik der Weißen war, für die Rechte eines jeden Menschen ein. Rassismus ist den meisten Punks zuwider. Dies mag daran liegen, dass der Punk in seinen Anfängen auch eine starke Affinität zum Ska aufwies, welcher in den 1950er Jahren auf Jamaika entstand und von schwarzen Einwanderern nach Großbritannien gebracht wurde. Der Punk entlehnte viele Elemente dieser Musik. Auch einige multiethnische Bands entstanden. Die dabei auftretenden Probleme mit nationalistischen Rockkulturen hatten einen engen Zusammenhalt der Punk- und Ska-Szene zur Folge. Deshalb entwickelte sich der Punkrock sogar größtenteils zu einer stark linkspolitisch orientierten Kultur, die sich gegen rassistische Tendenzen und Übergriffe zur Wehr setzt und aktiv wird. (Pather 2000: 32; Sterneck 1998: 212)
In den Anfängen des Punks kam es jedoch auch zu gleichgültigen Einsätzen von Nazi-Symbolen. Die Sex Pistols nutzten z.B. das Hakenkreuz als Symbol der Provokation, ohne dabei seine eigentliche Bedeutung zu beachten. (Basson 2007: 21; Sterneck 1998: 209) Mit dem vermehrten Aufkommen rassistischer Bands, auch im Bereich des Punks, entwickelte sich zunehmend auch eine antirassistische Bewegung, welche explizit ihren Standpunkt als Gegner jeglicher rassistischer Ideologien und Gewalt klar festsetzte. Somit entstanden verschiedenste Anti-Rassismus-Organisationen, wie z.B. Rock against Racism, Skinheads Against Racial Prejudices (Sharp), oder die Redskins. Diese veranstalteten zunehmend Konzerte, auf denen antirassistische Werte vermittelt und der Rassismus angeklagt wurden. Die Besucher wurden dazu aufgerufen, rassistische Gedanken und Handlungen nicht zuzulassen. Diese Gruppen konzentrierten sich vorrangig darauf, vor allem die Jugend für sich zu gewinnen, da diese noch sehr formbar sei und am ehesten etwas bewegen könne. (Basson 2007: 21) Der Punkrock war hierbei der größte Anziehungspunkt. Mit seinen bestehenden Strukturen, der rebellischen Musik und den klaren Botschaften, ließ sich die antirassistische Bewegung deutlich schneller ausbreiten. Ziel war es auch die ordinäre Bevölkerung auf die vorherrschenden Probleme aufmerksam zu machen und sie zu aktiver Gegenwehr gegen rassistische Tendenzen zu mobilisieren.
“ Any gig we do Rock Against Racism because we play black music; we ’ re interested in making sure that the black culture survives as much as that the white culture does. We play their music and they ’ ll play ours. We have a common bond with these people. ” (Mick Jones, Gitarrist von The Clash in Pather 2000: 50).
Der Punk als eine Musik und Kultur, mit der bestehende Strukturen und Systeme abgemahnt und bekämpft, Freiheit, Verantwortung und die Gleichwertigkeit aller gefordert, und gleichzeitig eine Gemeinschaft als Rückzugsort geschaffen werden konnte, hatte also das Potenzial, weltweit Rebellionen, Revolten und Revolutionen einzuleiten und Menschen, die unter den Repressionen anderer litten, aus ihrer scheinbar ausweglosen Situation zu befreien. So gelangte der Punk auch in den durch das repressive ApartheidRegime geführten, von Ungerechtigkeiten übersäten Staat Südafrika.
4 Adaption des Punks in Südafrika
Bereits Jahrzehnte vor der Punk-Bewegung gab es in Südafrika politische Musik, die zu Protestbewegungen aufrief. Jedoch ging diese zumeist von der schwarzen Bevölkerung aus, da diese aufgrund ihrer schrecklichen und unmenschlichen Situation Möglichkeiten suchte, sich Gehör zu verschaffen und somit einen Umschwung zu provozieren. Nach dem Sharpeville-Massaker im Jahr 1960, bei dem 69 Schwarze bei zunächst friedlichen Demonstrationen gegen die Passgesetze erschossen wurden, verbot die Regierung die bis dato führenden Anti-Apartheid-Parteien ANC und PAC5 und inhaftierte viele ihrer Funktionäre - unter ihnen Nelson Mandela, der spätere erste, wirklich demokratisch gewählte, Präsident Südafrikas. (Kaußen 2003: 80) Aufgrund des Wegfalls der politischen Führung der Anti-Apartheid-Bewegung, begann deren Musikkultur zunehmend zu verstummen. Meist konnte die Musik der Schwarzen nun nur noch aus dem Exil heraus Popularität erreichen, wie z.B. die Musik der im Kampf gegen die Apartheid stark engagierten, als Mama Afrika bekannten, Miriam Makeba. Weiße beteiligten sich bis dato sehr wenig an Protesten, da sie vom Elend im Land wenig betroffen und regelrecht abgeschottet waren. Politik wurde in der weißen Musik zumeist, wenn überhaupt, nur indirekt adressiert. (Schumann 2008: 22-25)
Der südafrikanische Punk wird meist nur in seiner heutigen, nach Ende der Apartheid aufgekommenen Form, betrachtet. Den meisten Menschen war und ist nicht bekannt, dass es bereits kurz nach dem Aufkommen des Punks in Großbritannien und den USA eigene südafrikanische Punk-Szenen gab. (Basson 2007: 43) Zum einen mag dies an der mangelnden Dokumentation liegen, zum anderen daran, dass aufgrund des repressiven Regimes vermutet wurde, dass es keine rebellische Kultur in die Öffentlichkeit schafft: „ [ … ] the kind of anarchic punk that was prevalent overseas would never really have stood a chance here. “ (Basson 2007: 45)
Entstanden ist diese Szene zunächst durch die Adaption des britischen Punk durch die junge, englischsprechende, weiße Bevölkerung, welche bereits seit den 1960er Jahren ihre Identität in der britischen Rockkultur suchte und diese in Südafrika zu reproduzieren versuchte. (van der Meulen 1995: 8) Generell war der südafrikanische Musikmarkt während der Apartheid durch internationale Rock- und Popmusik, wie z.B. Depeche Mode und Duran Duran, von der keine besondere Wirkung und kein politisches Potenzial ausgehen, dominiert. Vor allem sollte die Beschäftigung mit einer globalen Musikkultur auch der Unterhaltung und dem Vergnügen der jungen Menschen dienen. Sie sollte „smooth clean and beautiful“ sein. (Pather 2000: 60; van der Meulen 1995: 30)
Ende der 1970er Jahre gelangte der Punkrock dann, als eine mittlerweile ebenso globale Musikkultur, auch nach Südafrika. Zu dieser Zeit erschienen in Südafrika einige britische Musikzeitschriften, wie z.B. der New Musical Express und der Melody Maker, die auch Platten- und Konzert-Reviews und allgemeine Berichte über die Punkmusik und -kultur enthielten. Diese Magazine wurden zu einem wichtigen Impulsgeber für den Punk in Südafrika, sowohl als Musik als auch als politische Kultur. (Pather 2000: 51) Nach und nach entwickelten sich, neben der nach britischem und amerikanischem Vorbild konstruierten Mainstream- Kultur6, auch zahlreiche eigene südafrikanische Punk-Kulturen. Ausgehend von der, bereits nach dem Aufkommen des Rock’n’Roll, eine musikalische Vorherrschaft einnehmenden Stadt Durban, verbreitete sich der Punkrock über die südafrikanischen Großstädte, wie Johannesburg, Kapstadt und Pretoria. In Durban gründete sich 1977, laut dokumentierten Quellen, die erste original südafrikanische Punkband The Fourth Reich. (van der Meulen 1995: 53)
4.1 Punk als Kultur der Weißen
Wie schon in Großbritannien entwickelte, sich der Punkrock auch in Südafrika vorrangig zu einer Musik der jungen weißen Bevölkerung. Hier wurde er allerdings, aufgrund der Besserstellung der weißen Jugend, von der Mittel- und teilweise sogar der Oberschicht vereinnahmt. Dies wurde den südafrikanischen Punks zunächst zum Vorwurf gemacht. So sei es heuchlerisch, dass die weiße südafrikanische Jugend, britische Songs, in denen soziale Degradierung, Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit thematisiert wurden, für sich vereinnahmten. (van der Meulen 1995: 57) Dass in Südafrika ganz andere, vor allem menschenrechtliche, Probleme vorherrschten, wurde hier anscheinend nicht bedacht - wahrscheinlich, weil man annahm, die weiße Bevölkerung sei von der Apartheid-Politik nicht betroffen. Gänzlich unbetroffen war sie jedoch, aufgrund zahlreicher Militäreinsätze und ihrer damit einhergehenden Mitverantwortlichkeit für das Elend der Nicht-Weißen7, nicht.
Durch seinen rebellischen Charakter hätte der Punkrock in Südafrika eigentlich zu einer Musik der unterdrückten Ethnien werden müssen. Dies war jedoch zumeist nicht der Fall. Zur geringen Beteiligung Nicht-Weißer im Punk mag beigetragen haben, dass ihnen die finanziellen Mittel fehlten. Außerdem war der Punk eine sehr urbane Kultur und fand vor allem in größeren Städten statt. (Basson 2007: 20) Schwarze, Farbige und Asiaten wurden in Südafrika bereits seit Jahrzehnten aus den Stadtzentren vertrieben und in an die Städte angrenzende Townships oder in weiter entfernte ländliche Gebiete umgesiedelt. Entsprechend dieser Ausgrenzung und dem Verbot, sich ohne Genehmigung länger als 72 Stunden in einer Stadt aufzuhalten, wurde ihnen der Zugang zu solchen Musikkulturen erschwert bzw. gänzlich verwehrt. (Kaußen 2003: 79) Zusätzlich zu diesen territorialen Grenzen, durfte kein weißer Musiker vor einem ‚gemischtrassigen‘ oder schwarzen Publikum spielen. (van der Meulen 1995: 33) Dennoch fanden auch einige wenige Nicht-Weiße Zugang zum südafrikanischen Punkrock, denn auch sie hatten durchaus Interesse an dieser Kultur. So soll es auch einige kleinere farbige und asiatische Punkkulturen gegeben haben, welche jedoch aufgrund der strikten Rassentrennung an ihrer Ausbreitung gehindert wurden und in ihren Arealen verharrten. (van der Meulen 1995: 33 und 95)
Doch auch in weißen Punkbands gab es einige wenige nicht-weiße Musiker, wie z.B. bei der Johannesburger Punkband National Wake. (Punk in Africa 2011) Diese widersetzten sich mit ihrer Partizipation am weißen Punk jedoch dem Gesetz. So war es verschiedenen ‚Rassen‘ angehörenden Menschen verboten, sich gemeinsam zu organisieren - also auch gemeinsam in Bands zu spielen und sich gemeinsam in Bars und Kneipen und auf Konzerten zu vergnügen. (Kaußen 2003: 79; van der Meulen 1995: 3) Entsprechend waren solche ‚gemischtrassigen‘ Bands eine Seltenheit.
4.2 Frauen im südafrikanischen Punk
Seit dem Aufkommen des Rock’n’Roll in den 1950er Jahren war jegliche Rockmusik eine von Männern dominierte Kultur. Entsprechend des weit verbreiteten Bildes der Frau als das schwache Geschlecht, sollte sie in einer lauten, schnellen und teils harten, aggressiven, unmoralischen und sexuell konnotierten Musik wie dem Rock lediglich passiv agieren. Zugewiesen wurden der Frau die Rollen der Freundin, des Fans oder des sexuellen Objekts. Musikalisch sollte sie im Rock nicht aktiv werden. (Frith/McRobbie 1990: 376) Ein entsprechendes Bild bot sich bis zum Aufkommen des Punks auch in Südafrika. Weiße Frauen sollten hier meist ihrer konservativen Rolle als Hausfrau und Mutter nachkommen und sich eher im Hintergrund halten. (van der Meulen 1995: 133) Schwarze Frauen erhielten per se aufgrund der Rassentrennung kaum Zugang zur Rockmusik.
[...]
1 So lautet der Titel eines Buches von Margit Maximilian aus dem Jahr 2011, welche hierin die Gegensätzlichkeit Afrikas anhand unterschiedlicher Kontexte aufzeigt.
2 Der Punk als Musik entstand bereits Ende der 1960er Jahre in New York, wurde jedoch noch nicht als solcher bezeichnet. Diese Musik etablierte sich zunehmend auch in Großbritannien und erhielt hier Mitte der 1970er Jahre einen sozialpolitischen und gesellschaftskritischen Charakter. Hier entstand auch die Bezeichnung „Punk“, welche etwa schäbig oder armselig bedeutet (Vgl. O’Hara 2001: 27).
3 Ein Zine ist ein meist mit einfachsten Mitteln erstelltes gedrucktes oder heute auch elektronisches Magazin, welches ursprünglich in der Punkszene verbreitet wurde. Meist enthält es musikalische, soziale und politische Themen.
4 Als Old School Punk wird die erste Punkwelle in der 1970er Jahren bezeichnet. Nachdem sich der Punk zunehmend in andere Subkulturen und
Musikszenen aufteilte, trat er ab den 1990er Jahre als New School Punk wieder zunehmend in den Vordergrund. Der New School Punk beruht
jedoch teilweise, aufgrund seiner subkulturellen Vielfalt, auf anderen Werten. Zunehmend enthält er auch eine Spaßkomponente (Vgl. Basson 2007: 61/62).
5 ANC = African National Congress, PNC = Pan Africanist Congress
6 Diese südafrikanische Mainstream-Kultur bezieht sich auf den internationalen Mainstream-Punk, wurde jedoch von der südafrikanischen, staatlich kontrollierten Musikindustrie aufgrund ihres harten, aggressiven und rebellischen Charakters abgelehnt (Pather 2000: 60)
7 Als Nicht-Weiße galten in Südafrika alle Bevölkerungsgruppen, deren Hautfarbe im Sinne der Apartheid nicht weiß war. Hierzu gehörten die Schwarzen, Farbigen und Asiaten. Entsprechend dieser Bezeichnung schien die Apartheid-Regierung eine Tendenz für Negierungen zu haben. Ein weiteres Bsp. hierfür ist die Formulierung „nicht unerwünscht“, statt „erwünscht“. Dies ist ein Indikator dafür, dass die Apartheid-Regierung mehr Verbote als Gebote erließ. Entsprechend unterlag auch der Kulturbereich in Südafrika zahlreichen Repressionen (Vgl. Punk in Afrika 2011)